Aktuell

Von wegen letzte Anlaufstelle!

Der Primar der Palliativbetreuung zu Gast in Neumarkt – Schmerzen und Lebensende
„Wir sind nicht die letzte Station vor dem Tod, Palliative Care ist ein aktiver therapeutischer Ansatz. Unser Ziel ist eine Verbesserung der Lebensqualität!” Der Primar des einzigen Dienstes für Hospiz und Palliativbetreuung in Südtirol, Dr. Massimo Bernardo, räumte gleich zu Beginn seines Vortrags mit falschen Vorstellungen auf. Dieser Dienst ist nicht nur terminalen Patienten in der letzten Lebensphase vorbehalten. Im Gegenteil: je eher man sich der Palliativbetreuung anvertraut, desto besser.
Ein Informationsabend am 4. Oktober anlässlich des Welt Hospiz- und Palliative Care-Tags, organisiert vom BezirkÜberetsch Unterland. Seit dem Jahr 2000 gibt es die Palliativbetreuung in Bozen für Schmerzpatienten und (auch, aber eben nicht nur) für terminale Patienten, Dr. Massimo Bernardo hat diesen Dienst aufgebaut. Er hat eine sanfte und beruhigende Stimme, ist empathisch und strahlt Vertrauen aus und es fällt nicht schwer, ihn sich an der Seite eines Patienten vorzustellen, dessen Schmerzen und psychologisches Leiden er lindern kann.
Gleich zu Beginn zitierte Dr. Bernardo einige Zahlen. Tumorerkrankungen sind nicht die erste Todesursache, 41% der Todesfälle sind auf Herz-Kreislauferkrankungen zurückzuführen. Krebs ist mit etwa 30% die zweithäufigste Todesursache, gefolgt von Erkrankungen der Atemwege und Demenz. Krebs entwickelt sich immer mehr zu einer chronischen Langzeiterkrankung. Der Dienst für Palliativbetreuung kümmert sich nicht nur um terminale Tumorpatienten, wie oft fälschlicherweise angenommen wird, sondern ganz allgemein um Schmerzpatienten, Patienten, die aufgrund von chronischen Erkrankungen wie Rheuma, Arthrose, Rückenschmerzen oder Neuropathien einer Schmerzbehandlung bedürfen. Um zu erklären, was genau die Funktion des Palliativdienstes ist, griff Bernardo auf Hippokrates zurück: „Die wichtigsten Ziele der Medizin sind den Schmerz betäuben und das Leiden des Kranken lindern. Schmerzmittel sind tatsächlich die ältesten Medikamente der Menschheit.“ Das Wort palliativ stammt von pallium ab, Lateinisch für Mantel. Bernardo: “Jeder von uns greift immer wieder ohne sich dessen bewusst zu sein, auf Palliativmittel zurück, nämlich jedes Mal wenn wir eine Tablette gegen Kopfschmerzen, Menstruationsbeschwerden oder Zahnschmerzen nehmen…”
Das Gesetz 38/2010, eine der wenigen, einstimmig verabschiedeten Gesetzesbestimmungen, sieht vor, dass in Italien jeder Bürger kostenlos Zugang zur Palliativbetreuung hat. Primar Bernardo: „Siebzig Prozent der Bevölkerung weiß nicht, dass das Recht auf palliative Behandlung zu den Menschenrechten zählt.“ In Südtirol, ist das entsprechende Gesetz 2015 in Kraft getreten. Palliativ Care ist Teil der Wesentlichen Betreuungsstandards (WBS /LEA).
Zum Dienst für Palliativbetreuung in Bozen gehört auch das Hospiz mit zehn Betten. Dies ist nun tatsächlich ein Rückzugsort für Menschen im terminalen Stadium. Im Jahr 2018 wurden 255 Patienten in der Abteilung im Krankenhaus behandelt, 450 weitere Patienten wurden hingegen zuhause behandelt. Der Dienst für Palliativbetreuung sieht auch Hausbesuche vor. “Unser Ziel ist vor allen Dingen eine Verbesserung der Lebensqualität“, betont Dr. Massimo Bernardo. Und dazu gehört, dass die Patienten so lange wie möglich in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können. Eine Palliativbetreuung sieht zudem nicht nur die Verabreichung von Schmerzmitteln vor, sondern auch die soziale und psychologische Unterstützung der Patienten und ihrer Angehörigen. Eine umfassende Hilfe, um würdevoll schwierige Situationen zu durchleben.
Wenn für einen Patienten tatsächlich keine Heilung mehr zu erreichen ist, so Dr. Bernardo, darf sich der Arzt nicht besiegt fühlen. „Der Tod ist das Ende eines Weges, ein natürliches Ereignis, keine Niederlage.“ Dr. Bernardo mag den Begriff “terminal” nicht. “Wir sind doch alle auf dem Weg zum Tod, und das vom Tag unserer Geburt an. Jeder muss irgendwann sterben. Wichtig ist, diesen Tag so gut wie möglich zu erreichen.”
Das Ziel unseres Teams, so Bernardo, ist, dass die Patienten so aktiv wie möglich bleiben.“ In den 60 Jahren als die Palliative Care in England auf Betreiben von Cicely Saunders, zunächst Krankenschwester und Sozialassistentin und später Ärztin, entstanden sind, waren sie tatsächlich nur auf die sterbenden Patienten zugeschnitten. „Der Schmerz beginnt aber viel früher“, so Dr. Massimo Bernardo in Neumarkt, „Der Schmerz beginnt im Augenblick der Diagnosestellung.“ Deshalb sollten alle Abteilungen im Krankenhaus eng mit der Palliativbetreuung zusammenarbeiten, bzw. einen Palliativmediziner im Team haben. Die Wirklichkeit ist davon noch weit entfernt. In Südtirol gibt es bislang nur in Bozen den Dienst für Palliativbetreuung. Fünf Mediziner und sieben Krankenpfleger sind dort beschäftigt. Das Hospiz in Bozen verfügt über zehn Betten, das in Meran über neun. Zum Vergleich: In Trient gibt es drei Hospize mit 15 Ärzten.
Ein weiteres Problem: Die Palliativbetreuung ist noch nicht Teil der Ärzteausbildung, angehende Hausärzte verbringen allerdings einen Monat auf der Abteilung. „Sie sind später unsere wichtigsten Mitarbeiter auf dem Territorium”, unterstrich Dr. Bernardo. Die Palliativbetreuung ist nicht in den Vormerkdienst des Südtiroler Sanitätsbetriebs integriert. Dr. Bernardo: “Bei uns antworten die Ärzte direkt am Telefon, wir müssen sofort verstehen, ob die betreffende Person uns heute braucht, morgen oder bis nächste Woche warten kann.“
Das Thema Palliative-Care stößt auf großes Interesse

Aktuell

Schmerzlos und glücklich

Infoabend im KH Meran über den therapiebegleitenden Gebrauch von Cannabis und über Glück
Ein bis auf den letzten Stuhl gefüllter Saal, zwei Themen, die nicht nur wissenschaftlich abgehandelt werden können und gerade deshalb auf großes Interesse stoßen: der therapiebegleitende Gebrauch von Cannabis und die Frage, Was ist Glück? Auf Einladung der Südtiroler Krebshilfe und moderiert von Primar Dr. Herbert Heidegger referierten am 10. Oktober im Krankenhaus Meran Dr. Roberto Pittini und Dr. Roger Pycha.
Die Themenkombination war vermutlich nicht rein zufällig. Schmerz hat eine Auswirkung auf Körper und Seele, Glück hängt auch vom körperlichen Befinden ab und Cannabis wirkt gegen Schmerz, Krämpfe und Übelkeit und hat damit auch einen Einfluss auf das seelische Befinden.
Dr. Pittini, Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin und spezialisiert auf Schmerztherapie, hat seinen Vortrag unter ein Motto eines der größten Experten in der Schmerzmedizin gestellt, Dr. David Niv (1950 – 2007): „Ich habe nur wenige Menschen durch Schmerz sterben sehen, aber viele unter Schmerzen und noch mehr Menschen leben mit Schmerzen.“
Cannabis oder Hanf ist seit mehreren Jahren als therapiebegleitendes Medikament in der Diskussion. Es gibt viele Vorbehalte, weil dieser Substanz immer noch der Ruf der Einstiegsdroge anhängt. In Ländern wie Kanada oder Israel ist der Gebrauch von Cannabis schon lange legalisiert.
Was den Hanf zur Droge macht, ist vor allem ein Wirkstoff, THC, Abkürzung für Delta-9-Tetrahydrocannabinol, eine psychoaktive Substanz, die unter anderem das Zentralnervensystem des Menschen beeinflusst und eine relaxierende und sedierende Wirkung hat, aber auch gegen Brechreiz wirkt (antiemetisch). Der zweite Wirkstoff ist Cannabidiol, kurz CBD. Dieser Substanz wird eine schmerzlindernde, entzündungshemmende, appetitanregende und krampflösende Wirkung zugeschrieben.
Nutz- oder Industriehanf darf nach den gesetzlichen Vorschriften in Italien maximal 0,6% THC enthalten. Medizinischer Cannabis, unter staatlicher Aufsicht hergestellt, bzw. aus dem Ausland bezogen, enthält allgemein zwischen 5 und 8% THC und zwischen 8 und 15% CBD. Als Rauschmittel verwendetes Marihuana enthält mehr THC als CBD.
Dr. Pittini räumte gleich zu Beginn auf mit der Vorstellung, dass Cannabis dann zum Einsatz käme, wenn nichts mehr zu machen sei. „Als komplementäres, also therapiebegleitendes Mittel, sollte Cannabis schon bei Beginn einer Therapie eingesetzt werde. Der Gebrauch von Cannabis senkt den Opiumbedarf. Cannabis wirkt gegen die Nebenwirkungen der Chemotherapie, ist krampflösend, wirkt Brechreiz entgegen, entspannt und fördert den Appetit und einen geruhsamen Schlaf. In der Schmerzmedizin wird Cannabis nicht nur bei Krebspatienten, sondern bei einer Vielzahl von Erkrankungen wie Rheuma oder Multiple Sklerose mit Erfolg eingesetzt."
Über eine angeblich krebsvorbeugende Wirkung von Cannabis gibt es noch keine Studien. Die Therapie mit Cannabis ist zum heutigen Zeitpunkt noch Off Label, das heißt, außerhalb des durch die Arzneimittelbehörden zugelassenen Gebrauchs. Die behandelnden Ärzte haften für die medizinische Richtigkeit und für eventuelle Nebenwirkungen.
Medizinischer Hanf kann in verschiedener Weise eingenommen werden: Als Aerosol, in Form von Tropfen (Öl), als Kekse, Augentropfen, in Form von Zäpfchen oder Creme bzw. Gel, als Aufguß oder aufgelöst in warmer Milch. Aus naheliegenden Gründen, d. h. aufgrund der Nebenwirkungen des Rauchens, nehmen die Ärzte Abstand vom Inhalieren der Substanz durch Rauchen.
Die Referenten Dr. Roger Pycha (li) und Dr. Roberto Pittini (re) mit Moderator Dr. Herbert Heidegger
Dr. Pittini ist durch einen Patienten auf die Verwendung von Cannabis gestoßen, Stefano Balbo, Vizepräsident von ACT, Vereinigung für den therapeutischen Nutzen von Cannabis und des Cannabis Social Clubs Bozen, der sich für die Legalisierung des Cannabis einsetzt. Dr. Roberto Pittini: „Es gibt heute immer noch zu wenig Informationen über diesen Wirkstoff, der kein Wundermittel ist, aber Großes wirken kann.“
Es sitzt im linken Stirnhirn, ist ein Bürgerrecht (Verfassung der USA) und man kann es lernen: Das Glück. Laut Roger Pycha, Primar des Psychiatrischen Dienstes in Brixen, fällt Glück nicht einfach oder nur vom Himmel, sondern kann aktiv erreicht werden. Glück ist (auch) eine Einstellungssache und Übung macht den Meister.
Unser Gehirn ist ein äußerst kompliziertes System und ein work in progress: Es verändert ständig seine Verknüpfungen (Synapsen). Je mehr Stimuli es ausgesetzt ist, desto mehr Verknüpfungen bildet es und desto mehr lernen wir. Es speichert in einem fort Gedanken, Emotionen und Erlebnisse. Lernen heißt dabei nicht nur Mathematik oder Fremdsprachen oder irgendwelche berufsbedingten Fähigkeiten. Auch Glück kann man lernen, in dem ich z. B. häufig positive Emotionen speichere und mit vielen Ereignissen verknüpfe. In dem ich mich zufrieden gebe und auf die kleinen Dinge achte. Es lohnt sich. Glückliche Menschen, so Pycha, „sind einfühlsamer, sie sind sozialer, sehen eher das Gute in den anderen, sie sind bessere und kreativere Problemlöser, haben mehr Verbindungen im Gehirn und sie sind weniger anfällig für Infektionen, Diabetes und Herzinfarkte.“
Dr. Pycha gab den Teilnehmern des Infoabends eine ganze Reihe von Strategien mit auf den Weg, Übungen zum Glücklichersein, die wenn sie regelmäßig durchgeführt werden, tatsächlich unseren Alltag aufhellen können:
Vor dem Spiegel Lächeln üben. Es gibt 19 Arten des Lächelns, nur eines davon ist echt: erkennbar an nach oben gerichteten Mundwinkeln und zusammengezogenen Augen und Lachfältchen.
Das Glas immer halbvoll und nicht halbleer zu sehen. Mit Übung fällt das immer leichter. Es gibt fast nichts Schlechtes, das nicht auch eine positive Seite hat.
Das Unangenehme mit dem Angenehmen verknüpfen, zum Beispiel während eines Staus auf der Autobahn schöne Musik oder ein Hörbuch hören oder sich kleine Belohnungen in den Alltag einbauen. Ein kleines Bier mit Freunden nach der Arbeit, die Kaffeepause mit Kollegen oder ein Stückchen Kuchen als Belohnung für eine intensive Arbeitsphase. Dr. Roger Pycha: „Streuen sie kleine Freuden in ihren Alltag, setzen sie sich erreichbare Ziele und gönnen Sie sich kleine Pausen.“
Lernen, negative Emotionen einzudämmen, in dem wir Ruhe bewahren oder rational Abstand nehmen, einmal tief durchatmen, bevor wir explodieren oder in Panik geraten
Üben, positive Emotionen ungefiltert zuzulassen. • Hilfsmittel zum Glück ist regelmäßige Bewegung. 30 Minuten Spazierengehen, Schwimmen, Joggen oder Tanzen, Gymnastik. Am besten in Gesellschaft. Es erhöht den Serotoninspiegel im Blut und die Ausschüttung von Endorphinen (Glückshormone). Bei Frauen funktioniert das übrigens besser als bei Männern.
Soziale Bindungen, Freundschaft, Partnerschaft oder Kinder sind Glücksbringer und wirken lebensverlängernd. Eine Studie von Insel und Young von 2001 hat ergeben, dass Brustkrebspatienten, eine höhere Lebenserwartung haben, wenn sie eine Selbsthilfegruppe besuchen.
Sich Streicheleinheiten für Körper und Seele gönnen: Massagen, Bäder, schöne Musik, kleine Freuden.
Sich zufriedengeben und seine eigenen Grenzen kennen und akzeptieren.

Alles Dinge, die eigentlich gar nicht so schwer sind und zur positiven Routine werden können. Anfangen lohnt sich, mehr als Glücklichersein kann einem nicht passieren!
Zwei Themen, die auf großes Interesse stoßen