Aktuell

Ich bin zuversichtlich!

Ein Gespräch mit dem neuen Landesrat für Gesundheit Thomas Widmann
Seit 25. Januar ist Thomas Widmann der neue Landesrat für das Gesundheitswesen, ein Bereich, der mit einer Milliarde und dreihundert Mio. Euro fast ein Viertel des gesamten Landeshaushalts einnimmt. Ein Bereich, der nicht nur überaus komplex, sondern auch mit großen Herausforderungen konfrontiert ist: die steigende Lebenserwartung und Überalterung der Gesellschaft, die damit verbundene Zunahme von (Langzeit)Erkrankungen. Eine unaufhaltsame Kostenexplosion, Ärztemangel und anstehende Haushaltskürzungen.
Bis kurz vor der Bildung der neuen Landesregierung wusste Thomas Widmann noch nicht, welches Ressort ihn letztlich erwarten würde. Hinter vorgehaltener Hand war er zwar schon länger als Nachfolger von Martha Stocker gehandelt worden, die dieses wichtige Ressort in einer äußerst schwierigen Übergangszeit übernommen und für vier Jahre geführt hatte, aber das war nur Gerüchteküche und so befindet sich Widmann nun in einer intensiven Einarbeitungsphase, um sich mit seiner neuen Aufgabe vertraut zu machen.
Chance: Landesrat Widmann, Sie haben mit Gesundheit, Breitband und Genossenschaftswesen eines der Schlüsselressorts der Landesregierung übernommen. Wie gehen Sie an Ihre neue Aufgabe heran?
LR Thomas Widmann: Ich habe mein Amt vor eineinhalb Monaten angetreten und befinde mich derzeit (Mitte März, Anm. d. Red.) in einer intensiven Einarbeitungsphase. Bei der Vertiefung sämtlicher Themenbereiche, die das öffentliche Südtiroler Gesundheitssystem betreffen, begleitet mich der Experten-Pool des Gesundheitswesens, das heißt die erfahrenen und fachkompetenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abteilung Gesundheit sowie des Südtiroler Sanitätsbetriebs. Bereits in diesen ersten Wochen hat sich bestätigt, was ich mir im Vorfeld vorgestellt hatte: der Gesundheitsbereich ist gekennzeichnet von einer enormen Komplexität. Für diese Art von Problemen kann es weder schnelle noch einfache Lösungen geben - dies zu versprechen, wäre leichtfertig und unverantwortlich. Mit einem Haushaltsvoranschlag von rund einer Milliarde und dreihundert Millionen stellt das Gesundheitswesen einen Bereich dar, der fast ein Viertel des gesamten Haushaltes des Landes für 2019 ausmacht. Ich bin mir der überaus großen politischen Verantwortung dieser Aufgabe bewusst und bin natürlich auch stolz darauf, dass man dieses ebenso wichtige wie delikate Ressort anvertraut hat. Die adäquate Gesundheitsversorgung der Südtiroler Bevölkerung ist mir ein Herzensanliegen und ich habe mich mit großer Freude an die Arbeit gemacht.
Chance: Sie haben die Komplexität dieses Bereiches angesprochen. Auf der einen Seite geht es hier um überaus wissenschaftliche, technologische, zukunftsweisende Aspekte, auf der anderen Seite geht es um die Menschen, um jeden Einzelnen…
LR Thomas Widmann: Das sehe ich genauso. Die größte Herausforderung liegt für mich derzeit darin, in kürzest möglicher Zeit gut durchdachte, nachhaltige Lösungen zu finden, die der Bürger- und Patientenzufriedenheit gerecht werden. Wir dürfen weder das Eine noch das Andere aus den Augen verlieren. Aber ich muss auch sagen, dass gute Vorarbeit geleistet worden ist, wir sind bereits auf einem guten Weg und ich rechne damit, in den nächsten ein zwei Monaten erste konkrete Handlungsvorschläge auf den Tisch zu bringen.
Chance: Für die Mitglieder der Südtiroler Krebshilfe ist die rasante Entwicklung der Therapien einerseits ein Anlass zur Hoffnung, andererseits aber auch zur Sorge. Man liest fast täglich in Zeitungen von neuen Forschungserkenntnissen, neuen Therapien, neuen Medikamenten. Mit diesen neuen vielversprechenden Therapien, wie z. B. der Immuntherapie, sind aber auch exorbitante Kosten verbunden. Das macht Angst vor einer Zweiklassen-Gesellschaft.
LR Thomas Widmann: Die Krebs-Immunpräparate, die zu den neuesten Therapieansätzen der Immunonkologie gehören, werden individuell für jeden Patienten hergestellt und das geht, wie Sie richtig sagten, mit exorbitanten Kosten einher: von mehreren tausend bis über hunderttausend Euro für ein einzelnes Präparat! Das öffentliche Südtiroler Gesundheitssystem hat bisher die Kosten aller Medikamente übernommen, die von der Italienischen Arzneimittelbehörde A.I.F.A. zugelassen sind und wird dies auch weiterhin tun. Das ist sicher eine der ganz großen Herausforderungen der nächsten Jahre. Für die Zukunft müssen wir eine geeignete Strategie dafür entwickeln, wie wir diese modernen Therapien bei steigender Zahl betroffener Krebspatienten weiterhin leistbar machen. Nebenbei ein Problem, das ja nicht nur uns betrifft, sondern ganz Europa. Wir werden nach Wegen suchen müssen, unsere Ressourcen umzuschichten, und zwar so, dass wir das Wichtigste im Auge behalten, nämlich die lebensrettenden und/oder lebensverlängernden therapeutischen Maßnahmen für jeden.
Chance: In diese Überlegungen werden auch die Patienten bzw. gesunde Menschen miteinbezogen, im Sinne, dass jeder aufgerufen ist, Verantwortung für seine Gesundheit zu übernehmen? Ich denke hier z. B. an den europäischen Krebscode.
LR Thomas Widmann: Ganz gewiss. Wenn wir das Gesundheitssystem effizient halten wollen, muss jeder seinen Beitrag leisten. Schon jetzt unterstützen, fördern und initiieren wir Maßnahmen, die die Bevölkerung zu einem gesunden Lebensstil anregen. Ich denke hier z. B. an die Aktion 5 a Day in den Supermärkten (jeder sollte täglich 5 Portionen Obst und Gemüse zu sich nehmen, Anm. d. Red.) oder an die neue Regelung der Brustkrebsvorsorge: Wir erinnern die Frauen nicht nur daran, eine Mammographie vornehmen zulassen, sondern wir schicken ihnen die Einladung samt Termin ins Haus. Vereinigungen wie die Krebshilfe sind ganz wichtig, weil sie den direkten Kontakt zu den Menschen haben, diese Informations- und Aufklärungsarbeit der kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Vorsorge und Nachsorge sind ganz wichtige Aspekte!
Chance: Nicht nur Südtirol, ganz Europa hat mit einem zunehmenden Mangel an qualifizierten Kräften, Ärzten und Pflegepersonal zu kämpfen. Eine Situation, die sich in den nächsten Jahren noch zuspitzen wird. Wie blicken Sie in die Zukunft?
LR Thomas Widmann: Der demographische Wandel zeigt seine Auswirkungen überall, und natürlich auch in Südtirol. In einer Gesellschaft mit immer mehr älteren Menschen steigt auch die Zahl der chronischen Kranken, 2017 waren es bereits 31,5% der Bevölkerung und damit macht sich der Mangel an Fachärzten und Pflegepersonal bereits sehr deutlich bemerkbar. Das Problem war absehbar und es wurde auch schon viel getan, um dem Fachärztemangel in Südtirol vorzugreifen. Ich denke hier an die Umgestaltung der Fachärzteausbildung und die Wiederaufnahme im Herbst 2018 der Facharztausbildung nach österreichischem Modell in Südtirol. Diese kann jetzt wieder an den dafür akkreditierten Abteilungen der Krankenhäuser des Südtiroler Sanitätsbetriebes absolviert werden (80 von 107) und wird vom Gesundheitsministerium anerkannt. An der Veranstaltung „Investment for the Future“ im NOI-Techpark, wo dieses Modell vorgestellt wurde, haben im Februar 250 interessierte Medizinstudenten, Praktikanten und Jungärzte in der Fachausbildung teilgenommen. Eine weitere Maßnahme war der Ausbau der Sonderausbildung in Allgemeinmedizin mit der Gründung eines eigenen Instituts mit 30 Ausbildungsstellen, das in der Landesfachhochschule für Gesundheitsberufe Claudiana angesiedelt ist. Systematische Netzwerkarbeit bringt interessierte Fachkräfte mit den Führungskräften des Sanitätsbetriebs zusammen. Zudem ist Südtirol eine attraktive Location, die nicht nur einen interessanten Arbeitsplatz, sondern auch ideale Lebensbedingungen bietet! Das alles lässt mich zuversichtlich in die Zukunft blicken.
Chance: Wie stehen Sie zum Dauerthema Südtiroler Krankenhäuser und der Schaffung von Exzellenz-Zentren?
LR Thomas Widmann: Mit der Einführung der „onkologischen Zertifizierung“ in den Südtiroler Krankenhäusern haben wir in den vier Fachbereichen Allgemeine Chirurgie, Urologie, Gynäkologie und HNO hochkompetente Referenz-Zentren geschaffen. Gleichzeitig wurden die onkologischen Tageskliniken in Brixen und Bruneck eingerichtet, in Innichen gibt es ebenfalls ein onkologisches Day-Hospital, so dass die Patienten sich diesem Teil der Behandlung in Wohnortnähe unterziehen können. Das ist ein großer Qualitätssprung, unter jedem Gesichtspunkt! Wir stellen nicht nur die bestmögliche Behandlung von Krebspatienten sicher, sondern tun auch alles dafür, ihre Lebensqualität zu verbessern.
Chance: Haben Sie einen persönlichen Bezug zu Ihrem neuen Aufgabengebiet?
LR Thomas Widmann: Ich stelle mich gerne Herausforderungen und mit meinem Amt sind drei Bereiche verbunden, Gesundheit, Breitband und Genossenschaften, die zu den wichtigen Megatrends unserer Zeit gehören. Ich gehe diese Aufgabe mit viel Begeisterung, Lernbereitschaft und einer gesunden Mischung aus Tatendrang und Bodenständigkeit an. Besonders im Gesundheitsbereich werde ich mir immer vor Augen halten, dass es hier vordergründig um Menschen geht, die das Recht auf eine kompetente und humane Behandlung haben. Ich möchte, dass sich Patienten einfach gut aufgehoben fühlen.
Chance: Und wie stehen Sie zur Südtiroler Krebshilfe?
LR Thomas Widmann: Im März jährt sich der Todestag meines Bruders Pauli, der vor zwölf Jahren infolge einer Krebserkrankung frühzeitig verstorben ist und eine Frau und sechs Kinder hinterlassen hat – das hat uns alle schwer getroffen und geprägt. Seither hat das Thema Krebs für mich noch einmal eine ganz andere Wertigkeit bekommen. Ich fühle mich den Mitgliedern und Mitwirkenden der Südtiroler Krebshilfe tief verbunden: Ihnen gilt meine aufrichtige Anerkennung und Dankbarkeit für ihr unermüdliches Engagement. Die Tätigkeit der Krebshilfe ist nicht mehr wegzudenken, denn sie leistet für die Betroffenen wertvolle Dienste im gesundheitlichen Bereich und nicht nur. Sie kann dort eingreifen, wo der Arm des öffentlichen Dienstes nicht mehr hinlangt. Es ist meine Absicht, die Arbeit der Südtiroler Krebshilfe auch weiterhin nach Kräften zu unterstützen und im Rahmen des Möglichen alle nötigen Mittel sicherzustellen.

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Pezcoller-Preis erstmals an Italiener

Prof. Alberto Mantovani: Verbindung von Entzündungen und Tumorwachstum
Seit 1980 wird jedes Jahr Ende Februar in Trient einer der wichtigsten Krebsforschungspreise weltweit vergeben. Der Preisträger 2019, Alberto Mantovani, ist der erste Italiener, der zudem in Italien forscht, der mit dem begehrten Pezcoller-Preis ausgezeichnet wurde. Mantovani wird zu den zehn besten Immunologen weltweit gezählt und ist der bedeutendste italienische Forscher auf dem Gebiet der Biomedizin.
Die Preisträger dieser Auszeichnung, die den Namen ihres Begründers trägt, Prof. Alessio Pezcoller (1896 – 1993), langjähriger Primar der Chirurgie am Krankenhaus Santa Chiara in Trient, wird jedes Jahr von einem hochkarätigen internationalen wissenschaftlichen Komitee ausgesucht. Der erste Preis wurde 1980 vergeben. Die Forschungen von Prof. Mantovani haben zu neuen Erkenntnissen über die Biologie der Tumore geführt und damit völlig neue Therapiewege eröffnet. Er konnte über Makrophagen, eine Art korrumpierter Riesenfresszellen des Immunsystems, eine Verbindung zwischen Entzündungen und Tumorwachstum nachweisen. Diese besondere Art der Leukozyten bekämpfen nämlich nicht die Krebszellen, sondern fördern deren Wachstum. Diese Forschungsergebnisse haben die bisherigen Annahmen in Bezug auf die positive Wirkung von Entzündungen, die ja eine Reaktion des Immunsystems sind, auf den Kopf gestellt. Bei einer Krebserkrankung stellt eine Entzündung nicht wie bei anderen Pathologien den ersten Mechanismus der Körperabwehr dar, sondern das Gegenteil: Sie fördert das Tumorwachstum. Diese Erkenntnisse von Alberto Mantovani haben bereits zur Entwicklung neuer Therapien geführt, die zum Teil bereits bereits klinisch erprobt sind, unterstrich der Präsident der Pezcoller-Stiftung, Enzo Galligioni bei einer Pressekonferenz am 25. Februar. Galligioni war bis 2016 Primar der Onkologie am Krankenhaus Santa Chiara.
Eine der Besonderheit des Pezcoller-Preises ist, dass die Erforschungsergebnisse bereits in die Praxis umgesetzt und eine konkrete Anwendung in der Krebstherapie haben müssen. Es reicht nicht, (irgendwann) eine außerordentliche Entdeckung gemacht zu haben. Die Preisträger müssen zudem noch im Forschungsleben stehen
In der Tat haben bereits vier Pezcoller-Preisträger seit 1980 nachdem sie diese Auszeichnung erhalten haben, auch den Nobelpreis gewonnen, zuletzt der Nobelpreisträger 2018, James Allison (Pezcoller-Preis 2015). Die anderen sind: Paul Nurse, Pezcoller 1995 - Nobel 2001, Elizabeth Blackburn, Pezcoller 2001 - Nobel 2009, Mario R. Capecchi, Pezcoller 2003 - Nobel 2007. Weitere drei Nobelpreisträger gehörten hingegen einem der wissenschaftlichen Komitees an, die jedes Jahr den Kandidaten aus einer Liste der besten Forscher weltweit auswählen.
Die Preisvergabe verteilt sich auf zwei Events. Zunächst wird dem Preisträger anlässlich des jährlichen Kongresses der Amerikanischen Krebsforschungsgesellschaft, der dieses Jahr vom 29. März bis 1. April in Atlanta, eine Goldmedaille überreicht. In Trient hingegen wird Prof. Alberto Mantovani am 11. Mai den mit der Auszeichnung verbundenen Forschungsbeitrag in Höhe von 75.000 Euro entgegennehmen. Die Pezcoller Stifung hat auch die Förderung junger Wissenschaftler zum Ziel, deshalb haben die Preisträger zur Auflage, zwei Lectio Magistralis zu halten, eine an der Universität Padua und eine an der Universität Trient, dieses Jahr am 9. bzw. 10. Mai.
Die Pezcoller Stiftung veranstaltet außerdem jedes Jahr zu einem bestimmten Thema das Pezcoller – Symposium, die 31. Ausgabe findet am kommenden 17. und 18. Juni in Trient statt. Eingeladen dazu sind die weltweit besten Forscher auf dem Gebeiet des gewählten Themas. Im Dezember hingegen findet traditionell ein Fortbildungskongress für Onkologen statt. Die Stiftung fördert zudem junge Forscher mit ein- bzw. zweijährigen Stipendien im Bereich der Onkologie.
Der diesjährige Preisträger, Alberto Mantovani, ist am 29. Oktober 1948 in Mailand geboren. Er ist verheiratet und hat vier Kinder und hat einen Studienabschluss in Medizin mit Fachrichtung Onkologie. Nach mehrjähriger Forschungstätigkeit in Mailand und anderen italienischen Universitätsstädten sowie im Ausland, u. a. London und Bethesda (Usa), kehrte er 1979 definitiv zurück nach Italien, wo er zunächst am Institut Negri in Mailand wichtige Forschungsarbeiten durchführte. Seit 2005 ist Mantovani wissenschaftlicher Leiter des Instituts Humanitas in Mailand und Präsident der Forschungsstiftung Humanitas. Er lehrt an der medizinischen Fakultät Humanitas und an der Queen Mary University von London.