Aktuell

Im Mittelpunkt steht die Frau

Dr. Martin Steinkasserer ist der neue Primar der Gynäkologie in Bozen
„Draußen vor dem Krankenhaus findet das wahre Leben statt und es ist unsere Aufgabe, herauszufinden, was die Patientinnen wirklich brauchen, welche Bedürfnisse sie haben. Ich sehe es als große Herausforderung, dies in einem großen Zentral-Krankenhaus wie Bozen zu verwirklichen.“ Seit Oktober ist Dr. Martin Steinkasserer neuer Primar der Abteilung für Gynäkologie in Bozen. Er ist mit dem Ziel angetreten, seine Abteilung auf den neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu bringen und gleichzeitig zu humanisieren.
Er strahlt eine ungemeine Ruhe aus, Dr. Martin Steinkasserer. Er lässt sich ganz auf sein Gegenüber ein. Zwei Jahre war er Primar der Gynäkologie am Krankenhaus Bruneck und verantwortlich auch für den Standort Innichen, seine Spezialgebiete sind die gynäkologisch-onkologische Chirurgie sowie die Minimal Invasive Chirugie.
Chance: Von der Peripherie ins Landeskrankenhaus Bozen. Was ändert sich damit für Sie?
Dr. Martin Steinkasserer: Bozen ist natürlich ein zentrales Krankenhaus, ein Exzellenzzentrum für spezifische Bereiche. Der größte Unterschied ist vermutlich, dass die Gynäkologie hier keine Brustoperationen durchführt, weil das im Bereich der Allgemeinen Chirurgen liegt und somit werde ich mich mehr auf andere gynäkologische Bereiche der Onkologie konzentrieren, und auch auf andere Gebiete.
Chance: Konnten Sie in Bruneck nach dem Inkrafttreten der Reform der onkologischen Chirurgie 2016 noch alle Operationen durchführen?
Dr. Martin Steinkasserer: Ich bin zertifizierter onkologischer Chirurg, deshalb hat die neue Regelung - die ich gutheiße - für meine Arbeit keinerlei Einschränkungen mit sich gebracht.
Chance: Welche Pläne verbinden sie mit Ihrem neuen Aufgabengebiet?
Dr. Martin Steinkasserer: Mir geht es in jedem Fall um eine weitere qualitative Steigerung von dem, was die Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe jetzt schon leistet. Die Möglichkeit, Tumore und natürlich auch andere Erkrankungen im gynäkologischen Bereich laut neuestem medizinischen Wissen zu behandeln, neue wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen und Fenster und Türen weit aufzumachen, die Enge der Provinz zur Welt hin zu öffnen.
Der Eingang zur Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe in Bozen
Chance: Mit Blick nach Norden und nach Süden?
Dr. Martin Steinkasserer: Selbstverständlich. Südtirol ist der ideale Kristallisierungspunkt, um die zwei Welten, die zwei unterschiedlichen, aber jeder auf seine Weise sehr wichtigen Ansätze von Italien und Deutschland zusammenzuführen und - warum nicht - N eues daraus entstehen zu lassen.
Chance: Sie haben selbst beide „Welten“ in Ihrem Arbeitsleben kennenlernen können…
Dr. Martin Steinkasserer: Ich habe mein Medizinstudium in Innsbruck absolviert und war während meiner Facharzt-Ausbildung in Deutschland und Italien tätig, habe am Krankenhaus Sacrocuore in Negrar/Verona gearbeitet. Mir schwebt eine Zusammenarbeit mit bedeutenden Zentren vor und ich habe auch schon erste Schritte in dieser Richtung unternommen. Im November (das Interview fand in der ersten Novemberwoche statt, Anm. d. Red.) haben wir einen OP-Workshop mit Prof. Michael Höckel aus Leipzig über neue Techniken bei der Operation von Vulva-Tumoren. In diesem Zusammenhang ist es geplant, eine eigene Schule in Operationstechniken des weiblichen Beckenraumes zu eröffnen und einen Teil davon in Bozen anzubieten. Gute Zusammenarbeit strebe ich auf jeden Fall auch mit Prof. Scambia an der Cattolica in Rom, mit Prof. Christian Marth in Innsbruck und der Universität Verona an.
Chance: Stichwort Facharztausbildung.
Dr. Martin Steinkasserer: In Zukunft muss/ wird die Facharztausbildung auch bei uns möglich sein. Wir brauchen diese jungen Ärzte. Wir brauchen mehr Ärzte, um mehr Zeit für unsere Patienten zu haben. Es geht so viel Zeit verloren für bürokratische Angelegenheiten, dabei ist Zeit das Wichtigste, was wir unseren Patientinnen geben können. Eine Vertrauensbasis aufbauen, ist eine Voraussetzung für das Gelingen jeder Therapie.
Chance: Ihnen liegt daran, den Kontakt zu den Patientinnen wenn sie entlassen sind, auch aufrecht zu erhalten...
Dr. Martin Steinkasserer: Das wahre Leben findet draußen statt, nicht im Krankenhaus. Deshalb müssen wir wissen, welche Bedürfnisse und Wünsche unsere Patientinnen haben, wir können nicht erst ein Vertrauensverhältnis aufbauen und es dann einfach am Tag der Entlassung abbrechen.
Chance: In einem so großen Krankenhaus wie Bozen mit einem so großen Einzugsgebiet wird das nicht so leicht sein.
Dr. Martin Steinkasserer: Ich sehe das als große Herausforderung! Ich setze gerne Geräte ein, bin sehr Wissenschafts- und Technik orientiert. Aber was es braucht, ist auch eine Humanisierung des Krankenhauses. Wir müssen nicht nur Mediziner, sondern Ansprechpartner sein.
Chance: Die Gynäkologie ist ja auch ein ganz eigenes Gebiet, wo es möglicherweise noch mehr Einfühlungsvermögen als in anderen Sparten braucht und wo sich zwischen Patientin und Arzt ein ganz besonderes Verhältnis entwickelt, weil es in die tiefste Intimsphäre der Frau eingreift, in ihr Frau-Sein.
Dr. Martin Steinkasserer: Das ist nicht zuletzt auch einer der Gründe, weshalb ich mich für diese Fachrichtung entschieden habe. Gynäkologie ist in der heutigen hypermodernen Zeit ein letztes Fach, wo ich es mit dem Menschen als Ganzes zu tun habe. Es geht um Menstruation, um Schwangerschaft, um Hormone, um Vorsorge, um chirurgische Eingriffe, um Onkologie, um Fertilität, um Infektionen… Sicher man spezialisiert sich dann auf einige Gebiete, aber dieses Universum ist einfach faszinierend und das macht es so spannend.
Eine große Abteilung mit 11 stationären und sechs Day-Hospital-Betten
Chance: Sie begleiten sozusagen die Frau durch alle ihre Lebensstationen…
Dr. Martin Steinkasserer: So kann man es nennen und ich arbeite inzwischen ja auch schon seit mehr als 25 Jahren als Arzt. Es ist sicher ein Fach mit großem emotionalen Engagement, mit großer interpersoneller Wechselwirkung.
Chance: Was sehen Sie persönlich als wichtigste Eigenschaft bei einem Arzt?
Dr. Martin Steinkasserer: Ich denke, es ist die Demut. Man hat viele Instrumente zur Verfügung im Zusammenhang mit anderen Menschen und man hat die Verpflichtung, sehr behutsam mit diesen Menschen umzugehen. Man muss abwägen, darf sich nicht von einer Übertechnologisierung verführen lassen und darf nie den Menschen, in meinem Fall die Frau, aus den Augen verlieren, die im Zentrum steht.
Chance: Wie würden Sie sich selbst beschreiben?
Dr. Martin Steinkasserer: Fachlich bin ich sicher extrem zielgerichtet und arbeite daran, meine Kompetenzen ständig zu erweitern. Ich bin empathisch mit anderen Menschen. Meine Schwäche liegt im Willen, bürokratische Dinge sofort zu erledigen und ich liebe, es Momente der Ruhe zu haben, Muße, um meinen Geist ruhig zu stellen.
Chance: Schaffen Sie es (noch), sich solche Momente im Alltag herauszuschneiden?
Dr. Martin Steinkasserer: Das können auch nur fünf Minuten sein, in denen ich einfach nur zum Fenster herausschaue. Aber ich habe eigentlich jeden Tag solche Momente. Beim Operieren. Im OP bin ich ganz abgeschirmt von allem. Ich arbeite für Stunden ganz konzentriert und fokussiert, ohne dass anderes in diesem Moment an mich herankommt. Das ist zu vergleichen mit dem Geisteszustand beim Klettern oder Joggen. Man ist völlig aus seiner Welt herausgeholt. Und diese Augenblicke machen etwas mit einem. Das ist pure Energie.

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Der tiefe Blick ins Innere

Dr. Mohsen Farsad ist seit Juli Primar der Abteilung für Nuklearmedizin
Er ist ein Stratege, ein Problemlöser und ausgesprochen höflich. Das Wichtigste für ihn ist die menschliche Nähe zum Patienten und zu den Mitarbeitern. Dr. Mohsen Farsad ist seit Juli Primar der Abteilung für Nuklearmedizin am Krankenhaus Bozen. Zuvor hat er die Abteilung allerdings schon seit fünf Jahren als geschäftsführender Primar geleitet und seither wesentliche Neuerungen vorgenommen.
Mohsen Farsad spricht perfekt Deutsch, Italienisch und Englisch, auf Französisch kann er kommunizieren, seine Muttersprache ist Farsi. 1984 ist er im Alter von 14 Jahren von seiner Heimat Iran nach Deutschland ausgewandert. Nach der Hochschulreife in Deutschland nahm er sein Medizinstudium in Ancona und Bologna auf. Die Entscheidung für Medizin fiel nach einem freiwilligen sozialen Jahr, während dessen er mit Behinderten und Obdachlosen gearbeitet hatte. Seine Motivation ist einerseits wissenschaftlich, in einem Feld, das nahezu Tag für Tag mit neuen Erkenntnissen aufwartet, andererseits humanitär. „Die Nuklearmedizin und ihre Möglichkeiten sind einfach spannend. Was für mich aber noch viel wichtiger ist, ich komme jeden Tag hierher und mache etwas Konkretes für andere Menschen, kann ihnen helfen, ihr Problem zu lösen.“
Die Abteilung für Nuklearmedizin ist klein. Fünf Ärzte, sieben Techniker, zwei Physiker, zwei Apotheker und zwei Krankenschwestern. Sie liegt versteckt in einem Seitentrakt und steht nicht im Rampenlicht der öffentlichen Aufmerksamkeit, obwohl hier Medizin der Zukunft betrieben wird. Modernste Geräte, PET-CT und SPECT-CT erstellen nach Verabreichung leicht radioaktiv markierter Pharmaka Aufnahmen, die bösartige und gutartige Veränderungen aufzeigen, wie sie auch das effektive Funktionieren der Organe und die Früherkennung von Erkrankungen ermöglichen. Dieses Verfahren, erklärt Primar Farsad, ist nicht nur von größter Bedeutung bei der Erkennung und Bestimmung von vielen Tumorerkrankungen (z.B. Schilddrüse, Prostata, Gehirntumor, Lymphome, Lungenkrebs, Brustkrebs), sondern auch für die Diagnose von Demenz bzw. Alzheimer oder neurologischen Erkrankungen (z. B. Parkinson und Parkinsonsyndrome). „Die PET CT beruht auf einer einfachen Idee, die aber wunderbar funktioniert. Nicht nur für die erste Diagnose. Im Verlauf der Behandlung lässt sich dank dieser Technik erkennen, wie der Patient auf die Therapie anspricht und ob und wie sich die Tumormasse verringert.“
Mittels der Szintigraphie, einem weiteren nuklearmedizinischen Funktions- und Lokalisationsverfahren, wo Patienten nach Verabreichung von Radiopharmaka mit einer Gammakamera untersucht werden, können Funktions-Störungen von Organen wie Nieren oder Herz bzw. Entzündungsherde und Metastasen, zum Beispiel im Skelett, nachgewiesen werden.
Die Abteilung für Nuklearmedizin in Bozen ist in Italien führend in der Erfassung und Beurteilung von dementiellen Erkrankungen und steht in engem Kontakt mit den Kollegen der Memory-Klinik. Dank der frühen Diagnose und der genauen Bestimmung der betroffenen Zonen im Gehirn, kann dem degenerativen Prozess entgegengesteuert werden.
In den letzten Jahren ist die Nuklearmedizin auch in der Therapie von immer größerer Bedeutung, vor allem von Patienten mit Schilddrüsenkarzinom oder gutartigen Veränderungen wie Schilddrüsenüberfunktion. Seit 2016 ist die Abteilung Therapiestation für Schilddrüsentumor-Patienten, die sich einer Radio-Jod-Therapie unterziehen und bis zu diesem Datum dafür nach Innsbruck oder in norditalienische Kliniken ausweichen mussten. „Was für die Patienten nicht nur ein enormer Zeitaufwand und Stressfaktor, sondern auch mit erheblichen Kosten verbunden war“, betont Dr. Mohsen Farsad. „Alle Patienten mit Schilddrüsentumor können jetzt komplett in Bozen behandelt und auch nachbehandelt werden.“
Schilddrüsentumore sind bei Früherkennung sehr gut heilbar und als Todesursache selten. Nach fünf Jahren sind über 90% der Patienten noch am Leben. Ebenfalls 2016 wurde das monatliche Tumorboard zusammen mit Endokrinologen, Chirurgen, Pathologen und HNO-Ärzten eingeführt. Auch neoendokrine Tumore (Tumore, die sich aus hormonproduzierenden Zellen entwickeln) sprechen auf eine nuklearmedizinische Behandlung gut an. Prostata-Patienten dürfen im Gegensatz zu Deutschland und Österreich in Italien zurzeit noch nicht mit Radiopharmaka behandelt werden. Schon in naher Zukunft, so Primar Farsad, wird die nuklearmedizinische Behandlung aber zunehmend die systemische (Chemo)Therapie ergänzen, wenn nicht ersetzen. „Es ist nicht nur eine außerordentlich effiziente Therapie, die individuell auf jeden einzelnen Patienten abgestimmt ist, sie hat auch nur sehr geringe Nebenwirkungen und ist kaum invasiv.“
Die Abteilung für Nuklearmedizin steht nicht in direktem Kontakt mit dem Patienten. Termine werden ausschließlich über Anfrage von Ärzten und nicht an Private vergeben. Dr. Mohsen Farsad: „Eine PET CT ist auf jeden Fall immer eine zweite Untersuchung, nach der radiologischen Abklärung. Wir haben ganz detaillierte Zuweisungsformulare eingeführt, damit wirklich nur jene Patienten, die dieses Verfahren tatsächlich benötigen, zu uns kommen. Es kommt durchaus auch vor, dass wir Zuweisungen ablehnen, weil wir sie nicht für notwendig erachten.“
Primar Mohsen Farsad ist es auch ein Anliegen, Aufklärung zu betreiben. „Wir bieten z. B. Fortbildungen für Haus- und Fachärzte an und bemühen uns darum, Kollegen anderer Fachgebiete mit der Nuklearmedizin und ihren Möglichkeiten vertraut zu machen.“ Die Befunde werden generell gemeinsam und innerhalb von 24 Stunden beurteilt. „Unsere Devise ist, stets freundlich und disponibel zu sein und dem Patienten unnötige Wartezeiten zu ersparen,“ unterstreicht Dr. Farsad. Für Brustkrebspatientinnen, die eine Knochenszintigraphie oder Wächterlymphknoten-Scintigraphie durchführen müssen, gibt es eine extra Warte-Schiene.
Farsad hat in den letzten Jahren die gesamte Abteilung nach den Bedürfnissen von Patienten und Mitarbeitern umgestaltet. Das ehemalige Arbeitszimmer des Primars ist heute eine Bibliothek, es gibt einen Versammlungsraum und eine kleine Teeküche. Der Raum für die Auswertung der Bilder wurde erweitert, um mehreren Kollegen gleichzeitig Platz zu geben, ebenso der Raum, indem die Radiopharmaka vorbereitet werden. Das Arbeitsklima ist entsprechend gut. „Bei uns geht keiner weg und wir haben extrem wenig Krankmeldungen, jeder Mitarbeiter ist hochmotiviert“, betont Farsad.
Auch die Warteräume der Patienten bezeugen das besondere Augenmerk auf Atmosphäre. Die Behandlung mit Radiopharmaka bringt eine längere Verweildauer mit sich, deshalb sind die beiden getrennten Warteräume (für Tagespatienten und für Patienten, die zwei Tage isoliert auf der Abteilung verbleiben) entsprechend eingerichtet: mit Pflanzen und gut gefüllten Bücherregalen, die Abteilung ist an mehrere Zeitschriften und Zeitungen abonniert und immer wieder werden die Räume für Fotoausstellungen genutzt.
Dr. Mohsen Farsad mit Mitarbeitern an der Gamma Kamera, wo die Szintigraphie - Untersuchung durchgeführt wird