Thema
Eine Frage der Harmonie
Dr. Davide Pino ist der einzige Facharzt für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie im öffentlichen Gesundheitsdienst Südtirols.

Foto: Othmar Seehauser
Ein sehr sensibler Teil im Therapieverlauf einer Brustkrebserkrankung ist die Frage der Rekonstruktion. „Schönheit entsteht durch die Einzigartigkeit jeder Frau, nicht durch die Form ihrer Brust.“ Das sagt Dr. Davide Pino, Facharzt für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie – derzeit der einzige plastische Chirurg im Südtiroler Sanitätsbetrieb.
Die plastische und rekonstruktive Chirurgie ist ein wichtiger Bestandteil der Therapie einer Brustkrebspatientin, wird aber manchmal unterschätzt oder als etwas Oberflächliches betrachtet …
Dr. Davide Pino: Bei der Rekonstruktion einer Brust, die teilweise oder vollständig aufgrund eines Tumors entfernt wurde, geht es nicht um oberflächliche Schönheit, sondern darum, sich in seinem Körper sich selbst zu fühlen. Ich sehe meine Aufgabe darin, etwas wiederherzustellen, das verloren gegangen ist. Es geht nicht um eine Schönheitsoperation, sondern um eine Wiederherstellung der Symmetrie und Balance, eine Neumodellierung. Ich möchte der Patientin die Möglichkeit geben, wieder Dekolleté zu zeigen, ein Abendkleid oder einen Badeanzug zu tragen. Aber ich erkläre auch, dass der Eingriff vom Tumor abhängt – das wichtigste Ziel ist immer, zu verhindern, dass dieses „Monster“ zurückkehrt!
Wie begegnen Sie den Frauen, die in Ihre Ambulanz kommen?
Dr. Davide Pino: Ich versuche, den Begriff „natürlich“ durch „harmonisch“ zu ersetzen.Ich erkläre, dass es sich um einen Eingriff handelt, der hilft, Volumen zurückzugewinnen, dass es nie wie früher sein wird, aber dass es mein Ziel ist, eine neue Harmonie zu schaffen, damit die Patientin mit sich selbst und dem eigenen Körper wieder im Einklang stehen kann. Am Ende ist es jedoch ein Weg, den jede Frau selbst gehen muss: Sie muss genau verstehen, was sie sich erwartet und was sie will. Sie, nicht jemand anderes.
Haben die Frauen, die zu Ihnen kommen, bereits klare Vorstellungen?
Dr. Davide Pino: Meistens kommen die Patientinnen mit einer großer Verwirrung im Kopf. Sie informieren sich vorher im Internet, auf TikTok, Instagram, Facebook oder hören auf Freundinnen. Oft handelt es sich dabei um falsche oder irreführende Informationen, daher ist es meine Aufgabe, zu erklären und medizinisch sinnvolle Möglichkeiten aufzuzeigen. Nachdem wir gemeinsam Vor- und Nachteile abgewogen haben, entscheiden wir zusammen.
Über Prothese, Eigengewebe oder auch die sogenannte Flat-Version?
Dr. Davide Pino: Genau. Ich erkläre immer sehr genau die Vor- und Nachteile, damit die Patientin bewusst und aktiv in die Entscheidung eingebunden ist. Man muss stets die individuelle Situation jeder Frau im Blick haben: ihre Geschichte, ihre Persönlichkeit, die klinische Situation. Eine Rekonstruktion mit Implantat beispielsweise liefert ausgezeichnete Ergebnisse und ist die schnellste und sicherste Methode.
Aber es gibt auch Risiken …
Dr. Davide Pino: Natürlich. Es handelt sich um einen Fremdkörper, den man akzeptieren muss. Es besteht das Risiko einer Kapselfibrose, einer Verschiebung oder Infektion. Die Rekonstruktion mit Eigengewebe hingegen ist ein komplexerer und längerer Prozess, mit einem sehr zufriedenstellenden Ergebnis – aber auch hier gibt es, wie bei jedem chirurgischen Eingriff, Risiken.
Eine Abstoßung zum Beispiel?
Dr. Davide Pino: Ja. Den Verlust des Gewebelappens, Nekrose, zusätzliche Narbenbildung und auch hier das Risiko von Infektionen.
Eine Rekonstruktion mit Eigengewebe wird immer in einem zweiten Schritt durchgeführt. Bei einer Prothese operieren Sie aber direkt nach dem Brustchirurgen, um einen zweiten Eingriff und damit einen weiteren Krankenhausaufenthalt und eine weitere Anästhesie zu vermeiden?
Dr. Davide Pino: Ja, im Fall einer Rekonstruktion mit Implantat operiere ich sehr häufig direkt nach der Mastektomie, sofern kein Expander notwendig ist. Wenn eine Strahlentherapie vorgesehen ist, ist es jedoch besser, einige Monate zu warten, um das vollständige klinische Bild zu haben. Auch die Rekonstruktion mit Eigengewebe erfolgt in einem zweiten Schritt. Natürlich ist ein späterer Eingriff immer komplexer: Die Patientin muss erneut ins Krankenhaus, mit allem, was das mit sich bringt. Sie muss eine weitere Anästhesie in Kauf nehmen usw. In jedem Fall arbeiten die Brustchirurgen und der plastische Chirurg immer im Team. Auch bei einer Quadrantektomie wird die Patientin stets auch von mir gesehen. Die Wahl der Rekonstruktionsmethode hängt außerdem von weiteren Faktoren ab – etwa, ob es sich um eine skin-sparing- oder nipple-sparing-Mastektomie handelt, also ob Haut und Brustwarze erhalten bleiben können. Unser Ziel ist in jedem Fall immer, das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.
Es gibt auch Frauen, die sich bewusst gegen eine Rekonstruktion entscheiden und die Flat-Version wählen.
Dr. Davide Pino: Ja, heute ist das sogenannte Go-Flat für viele Frauen eine echte Alternative zur Rekonstruktion. Das sind Frauen, die stolz auf ihre Entscheidung sind, die keine Angst vor der Meinung anderer haben, die die Veränderung ihres Körpers annehmen und sich auch ohne Brust als Frauen fühlen.
Ist für ein ästhetisch gutes Flat-Ergebnis die Anwesenheit eines plastischen Chirurgen notwendig?
Dr. Davide Pino: Ja, auch in diesem Fall ist die Arbeit des plastischen Chirurgen wichtig, um ein harmonisches Ergebnis, eine glatte Narbe ohne Hautfalten oder Unregelmäßigkeiten zu erreichen.
Wenn sich eine Frau für die Flat-Version entschieden hat – kann sie ihre Meinung später ändern und eine Rekonstruktion wünschen?
Dr. Davide Pino: Das ist immer möglich, aber natürlich viel komplexer, und es ist in jedem Fall der Einsatz eines Expanders erforderlich.
Sie sind derzeit der einzige Facharzt für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie im Südtiroler Sanitätsbetrieb. Und Sie beschäftigen sich natürlich nicht nur mit der Brustchirurgie …
Dr. Davide Pino: Genau, ich bin allein und decke alle Bereiche der rekonstruktiven Chirurgie ab: andere onkologische Eingriffe wie z. B. die Entfernung von Hauttumoren, aber auch Eingriffe nach Verbrennungen, traumatische Wunden oder Hautgeschwüre, Handchirurgie, Oto- oder Rhinoplastik usw.
Langweilig wird Ihnen also sicher nicht …
Dr. Davide Pino: (lacht) Nein, ganz sicher nicht – meine Tage sind sehr ausgefüllt. Aber mit viel Engagement, Leidenschaft, Studium und ständiger Weiterbildung, mit dem Wunsch, Dinge zu verbessern, und vor allem mit dem Ziel, das Wohl des Patienten nie aus den Augen zu verlieren, schafft man alles – und am Ende des Tages zählt man keine Überstunden.
Sie arbeiten eng mit den anderen Fachpersonen im Team der Breast-Unit zusammen. Was bedeutet das für Sie?
Dr. Davide Pino: Ich bin stolz darauf, weil es meiner Arbeit zusätzlichen Wert verleiht. Es bedeutet große fachliche Kompetenz und Qualität – und ermöglicht ein ganzheitliches Kümmern um die Patientinnen, auch unter dem psychologischem und menschlichem Aspekt. Jede unserer Patientinnen ist eine eigene Persönlichkeit, keine Zahl, kein Fall. Ich arbeite mit den beiden Breast-Units in Bozen und in Brixen zusammen, und ich muss auch sagen: Für mich als Sizilianer ist es eine Bereicherung, zweisprachig arbeiten zu können. Wenn man empathisch und im Einklang mit der Patientin kommuniziert, versteht man sich – und überwindet jede sprachliche Barriere.
Apropos Stolz – es gibt noch einen weiteren Grund dafür …
Dr. Davide Pino: Genau. Ich bin sehr stolz darauf, dass ich gerade im Rosa Monat Oktober beim Nationalen Kongress für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie in Neapel den ersten Preis für die beste chirurgische Präsentation gewonnen habe. Über die persönliche Freude hinaus bin ich sehr stolz, dass ganz Italien sehen konnte, dass wir hier in Südtirol auf höchstem Niveau arbeiten – im Einklang mit den höchsten Standards. Und letztlich ist das auch eine Beruhigung für unsere Patientinnen: Sie müssen nicht nach Mailand oder anderswo reisen, um Spitzenmedizin zu finden!
