Thema

Eine neue Balance

Dr. Pasquale Auricchio – Onkologische Chirurgie mit ästhetischen Kriterien
Er ist eine neue Figur im Operationssaal. Chirurg, spezialisiert auf onkologische Mammachirurgie, aber auch auf Onkoplastik. Dr. Pasquale Auricchio ist seit 2023 Teil des Teams der Breast-Unit Bozen.
Die verstümmelnden Operationen von Brustkrebspatientinnen sind spätestens seit Dr. Umberto Veronesi Vergangenheit. Heute gibt es eine zusätzliche Spezialisierung neben der Onkochirurgie und der plastischen Rekonstruktionschirurgie, die onko-plastische Chirurgie. Spezialisierung, die sie in einem Masterstudium in Genua erworben haben.
Dr. Pasquale Auricchio: Genau. Das ist eine Chirurgie, die nicht nur onkologische Kriterien anwendet, das heißt die vollständige Entfernung des Tumorgewebes, sondern im Rahmen des Möglichen auch nach ästhetischen Kriterien vorgeht. Diese Art Chirurgie wird immer mehr die Hauptrolle im OP einnehmen.
Welches ist ihr Grundprinzip bei einem Eingriff?
Dr. Pasquale Auricchio: Bestmögliche onkologische Sicherheit für die Patientin und Erstellen einer neuen Balance im ganzen Körper. Brustkrebs ist heute zunehmend eine chronische Erkrankung, wenn er nicht sogar ganz geheilt wird. Die Patientinnen leben noch viele Jahre mit diesem Operationsergebnis, mit diesem Körper, der ästhetischen, kulturellen und funktionellen Kriterien entsprechen sollte. Es geht in der Onkoplastik nicht um das schönste Resultat, es geht darum, der Patientin dazu zu verhelfen, dass sie zu einer neuen Harmonie mit ihrem Körper findet, sich mit ihrem Körper identifizieren kann, sie selbst bleiben kann.
Schon bei der Entfernung des Tumorgewebes können sie neben onkologischen auch ästhetische Kriterien anwenden, die einer Rekonstruktion zuspielen bzw. direkt den Wiederaufbau vornehmen?
Dr. Pasquale Auricchio: Das ist korrekt. Es gibt verschiedene Techniken, die natürlich alle mit der Patientin vorher erörtert worden sind. Die Volumenverdrängung zum Beispiel, wo das verbleibende Gewebe neu angeordnet wird, um eine Lücke (zumindest teilweise) zu schließen. Oder die Symmetrisierung, also ein Eingriff an der anderen Brust, um sie in Größe und Form anzugleichen. Oder das Transplantieren von anderem Gewebe (entnommen vom Rücken oder Bauch) um Größe und Form der Brust auf möglichst natürliche Weise zu erhalten.
Ein onkoplastischer Eingriff wirkt sich auch auf die Narben aus?
Dr. Pasquale Auricchio: Sichtbare Narben werden bei einer medizinisch indizierten Brustoperation, auch wenn sie nach nicht nur onkologischen sondern auch ästhetischen Kriterien erfolgt, bei aller Sorgfalt immer bleiben. Vielleicht sind sie feiner und kleiner. In diesem Sinn sind deshalb auch immer die physischen und die psychischen Aspekte einer Brustkrebserkrankung zu berücksichtigen. Ich muss immer daran denken, was kann ich für meine Patientin nicht nur heute, sondern für die nächsten Jahre tun. Eine Narbe ist immer eine Erinnerung. Erinnerung an etwas, das sie durchgestanden hat, ich spreche lieber von durchstehen, als von kämpfen, weil für mich das Wort kämpfen mit Gewalt verbunden ist. Wir wollen der Patientin keine Gewalt antun, wir wollen sie begleiten, ihr, wie ich schon sagte, zu einer neuen Balance verhelfen. Wir müssen auch bedenken, dass 60% der Patientinnen nach onkologischer Mammachirurgie nicht mehr arbeiten, eben weil diese Erkrankung nicht nur physisch, sondern auch psychisch sehr belastend ist.
Ein Eingriff, der von einem onko-plastischen Chirurg vorgenommen wird, erübrigt das Eingreifen des Spezialisten für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie?
Dr. Pasquale Auricchio: Es kommt auf die Art des Eingriffs an. Bei den meisten onkoplastischen Eingriffen der Stufe I und II kann der Brustchirurg mit onkoplastischer Ausbildung durch eine sorgfältige Planung auch komplexe Operationen eigenständig durchführen. Wenn zum Beispiel eine Prothese geplant ist, arbeiten wir nach Möglichkeit gemeinsam mit dem plastischen Chirurgen, damit beide Perspektiven einfließen und ein optimales Resultat erzielt wird. Dies geschieht selbstverständlich unter aktiver Beteiligung der Patientin, die bei der Entscheidungsfindung die Hauptrolle spielt.
Das wichtigste für sie im Gespräch mit der Patientin?
Dr. Pasquale Auricchio: Ihr Vertrauen zu vermitteln und dass sie mich alles fragen kann, dass ich ihr im kleinsten Detail alles erklären werde. Ziel ist ein Operationsergebnis, das die individuellen Wünsche der Patientin bestmöglich berücksichtigt. Gleichzeitig steht über allem die onkologische Sicherheit. Die Patientin ist im Rahmen des Möglichen frei zu entscheiden, welche Art Eingriff sie möchte und damit sie das kann, muss ich ihr alle Informationen geben. Und was ganz wichtig ist: Sie muss entscheiden, was sie möchte, nicht ihr Partner und auch nicht ihre Töchter oder Freundinnen.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten nicht nur der Rekonstruktion, sondern auch die Möglichkeit keinen Brustaufbau zu machen. Und es gibt Risiken.
Dr. Pasquale Auricchio: Das stimmt, Stay Flat ist eine Alternative und ein immer aktuelleres Thema und gerade deshalb muss ich die Patientin bis ins kleinste Detail informieren. Ich muss ihr sagen, dass bei 8 – 20 % der Implantate Komplikationen auftreten und welche. Sie muss wissen, dass bei 1 – 2 % der Patientinnen durch eine Prothese ein Lymphom hervorgerufen werden kann. Dass auch wenn wir mit größter Sorgfalt die Operationsränder kontrollieren, in 8-10% der Fälle ein weiterer Eingriff notwendig ist. Dass eine Prothese vielleicht schon nach zehn Jahren ausgewechselt werden muss. Dass sie verrutschen, sich verkapseln, sich entzünden oder platzen kann. Dass es Frauen gibt, die über Jahre hinweg Schmerzen haben oder die Prothese als Fremdkörper empfinden und nicht akzeptieren können. Ich muss genauso die Risiken einer Plastik mit Eigengewebe erklären. Die Möglichkeit des Stay-Flat ansprechen… Nur wenn die Patientinnen alles wissen, können sie sich einstellen auf das, was folgt. Diesem Engagement, dieser Philosophie sind wir in der Gruppe alle verpflichtet, ebenso wie dem Diktat unseres verantwortlichen Leiters Dr. Polato: Alles uns Mögliche zu tun, um die Brustwarze zu erhalten und immer nach dem individuell bestmöglichen Ergebnis streben, onkologisch, aber auch ästhetisch. Wenn ich motiviert bin, kann ich auch den Everest besteigen! Herausforderungen machen uns immer besser.
Gibt es auch kulturelle Herausforderungen im Umgang mit Patientinnen?
Dr. Pasquale Auricchio: Durchaus. Zum Beispiel kann bei Patientinnen mit islamischem Background ein Vorurteil gegen ästhetische Chirurgie bestehen, das muss ich verstehen und respektieren. Muss genug Empathie haben, um sie zu überzeugen, dass es bei der Balance oder der Wiederherstellung der Symmetrie im Körper nicht um rein oberflächliche, von einem Schönheitsideal inspirierte Kriterien geht, sondern dass hier auch die psychische Gesundheit der Frau auf dem Spiel steht, die auch sehr wichtig ist für die Heilung.
Weil sie den Aspekt Schönheit angesprochen haben, kann es da vonseiten der Patientinnen auch zu falschen Ansprüchen kommen?
Dr. Pasquale Auricchio: Es kann manchmal passieren, dass Patientinnen Erwartungen haben, die über die Krankheit hinausgehen und vielleicht mit einer Nicht-Verarbeitung der Erkrankung oder anderen Problemen zu tun haben. Z. B. dass sie denken, das ist jetzt meine Chance auf Schönheit. Da müssen wir manchmal auch hart sein. Erklären, dass es nicht unsere Aufgabe ist, eine reine Schönheitsoperation durchzuführen. In erster Linie geht es um die Entfernung des Tumors und zwar auf die bestmögliche Weise, es geht um die den Erhalt der Harmonie des Körpers, der Symmetrie und das kann durchaus auch einen Eingriff an der gesunden Brust rechtfertigen, muss aber nicht! Die onkoplastische Chirurgie ist keine plastisch-rekonstruktive -ästhetische Chirurgie auf Bestellung!
Sie haben vorhin die Gruppe angesprochen…
Dr. Pasquale Auricchio: Die Breast-Unit. Das heißt im Team arbeiten, jeder neben dem anderen, Hand in Hand, zusammen zum Besten der Patientinnen, jeder mit seinen spezifischen Kompetenzen. Das ist die Basis. Dadurch können wir garantieren, dass hier bei einer Mindestzahl von 200 neuerkrankten Patientinnen im Jahr, einerseits nach strengsten Zertifizierungskriterien vorgegangen wird, aber dass im Zentrum immer die einzelne Patientin steht. Der Mensch.
Bei der Entfernung des Tumorgewebes gelten heute auch ästhetische Kriterien.

Thema

Das Ziel: höchste Qualität

Brust- und Allgemeinchirurg Dr. Christoph Mayr – Frauen sind tapfere und verlässliche Patienten


Er war von Anfang an mit dabei, hat beigetragen, die Breast-Unit zu dem zu machen, was sie heute ist. Dr. Christoph Mayr ist eine beruhigende Präsenz im Hintergrund. Das Rampenlicht meidet er. Sollte er ein Bild wählen für die Breast-Unit, wäre es nicht ein Schiff mit Crew und Kapitän, sondern eher ein Flugzeug mit Piloten und Copiloten. Jeder hat den gleichen Stellenwert. Eine flache Hierarchie, jeder hat seinen Platz, keiner muss seine Wichtigkeit herausstreichen.
Sie sind seit über 30 Jahren Chirurg und seit Anfang an in der Breast-Unit Bozen. Dort sind sie mittlerweile drei Chirurgen, Dr. Romano Polato, Dr. Pasquale Auricchio und sie.
Dr. Christoph Mayr: Ja wir sind eine Art Drillinge, die gleiche Kompetenz, aber jeder mit seiner besonderen Art. Ich bin vielleicht derjenige für kompliziertere, ängstliche Patientinnen. Für jene, die spezielle Ansprüche haben, Operationstermin nach Mondkalender oder wenn der Dogsitter zur Verfügung steht.
Was ist für sie der Angelpunkt der Beziehung zu ihrer Patientin?
Dr. Christoph Mayr: Ehrlichkeit. Ich will ernste Dinge nicht verharmlosen, aber auch keine Panik schüren. Mir ist wichtig, den Frauen zu vermitteln: „Sie haben alles richtig gemacht, jetzt ist es an uns.“ Klar und ehrlich und an den Typ Frau angepasst, die vor mir sitzt. Man muss sich immer wieder neu einstellen.
Was ist der wesentliche Unterschied zwischen der allgemeinen Chirurgie und der Brustchirurgie?
Dr. Christoph Mayr: In der allgemeinen Chirurgie ist alles inbegriffen, es heißt, sich schnell einstellen, auf das, was gerade anliegt. Es gibt Notfälle, wo man in kürzester Zeit, ohne zu zögern weitreichende Entscheidungen treffen muss. In der Brustchirurgie kann man alles überlegt und mit Ruhe angehen. Man kennt die Patientinnen, kann mit ihnen eine Beziehung aufbauen. Ich schätze es, beides zu haben. Die Allgemeinchirurgie und geplante Brust-Ops, dazu den Unterricht an der Claudiana und die Möglichkeit, mein Wissen, meine Erfahrung weiterzugeben.
Bozen ist das größte Brustzentrum in Südtirol, das einzige, das über 200 Neuerkrankungen pro Jahr verzeichnet.
Dr. Christoph Mayr: Wir haben als Zentrum eigentlich die ideale Größe. Genug Fälle, um den hohen Ansprüchen eines zertifizierten Zentrums zu entsprechen, aber wir sind klein genug, dass für uns jede Patientin eine Person mit Namen und Gesicht ist und auch die Patientinnen uns kennen, ohne auf dem Kittel nach dem Namensschild zu suchen, weil sie jedes Mal mit anderen Personen zu tun haben. In der Stadt passiert es mir immer wieder, Patientinnen zu begegnen, die mich kennen und grüßen. Ich sehe sie in einem völlig anderen Umfeld, mit Mann oder Kindern, mit dem Hund… Es gibt auch Patientinnen, die mich auf der Straße nicht erkennen. Das ist für mich auch positiv, es heißt, dass sie abgeschlossen haben.
Der Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Patienten?
Dr. Christoph Mayr: Sehr verallgemeinernd würde ich sagen, Frauen sind die tapfereren Patienten, sie sind verlässlicher, bewusster. Sie sind sensibler, aber letztendlich auch stärker, auch weil sie zu ihrer Angst stehen, sich nicht schämen, sie zu zeigen. Sie schenken Vertrauen. Das schlimmste ist für sie glaube ich das Warten, der Zeitpunkt zwischen Biopsie und Diagnose, da sind sie sehr verletzlich.
Was bedeutet das Arbeiten in der Breast-Unit für sie?
Dr. Christoph Mayr: Ich schätze sehr die flache Hierarchie. Jeder hat seinen Platz, seine Funktion, keiner muss seine Wichtigkeit herausstreichen. Jeder hat seine Phase im Verlauf, aber niemand nimmt sich wichtiger. Man schätzt sich gegenseitig, steht sich bei. Wir respektieren uns und jeder weiß, was der andere macht und was er vom anderen erwarten kann. Jeder gibt in seinem Bereich das Beste, aber das ist nichts, womit man sich brüsten müsste. Wir sind gemeinsam da, jeder zu seinem Zeitpunkt. Und das würde ich nicht nur auf uns in der Breast-Unit begrenzen. Es kommt die Zeit, wo nicht mehr wir, sondern Vereinigungen wie Krebshilfe oder LILT von größter Bedeutung sind. Es ist oft auch ungemein erleichternd, gemeinsam alles zu tragen. Und es ist gut zu wissen, dass wenn sich die Bedürfnisse ändern, andere an unsere Stelle treten.
Und wenn es einmal nicht gut ausgeht?
Dr. Christoph Mayr: In den meisten Fällen geht es glücklicherweise ja gut aus, aber es gibt auch tragische Fälle, wo man mit seiner Hilflosigkeit konfrontiert wird, wo das Schicksal einfach ungerecht ist. Wenn man das gemeinsam tragen und leben kann, sich untereinander austauschen und stützen kann, sich auch ohne viel Worte versteht, ist das eine große Hilfe. Und ich bin dafür sehr dankbar.
Sind sie stolz auf etwas im Zusammenhang mit ihrer Arbeit, im Zusammenhang mit dem Brust-Zentrum?
Dr. Christoph Mayr: Ich habe ab 1996 mitgewirkt. Wir waren Pioniere im multidisziplinären Arbeiten. Unser Ziel war, unseren Patientinnen eine immer höhere Qualität zu bieten und wenn ich heute sehe, was daraus geworden ist… ja dann bin ich schon stolz darauf. Und es wird uns ja auch immer wieder bestätigt, wenn wir das Audit für die Eusoma-Zertifizierung machen: Wir erfüllen die höchsten europäischen Kriterien. Das ist beruhigend und Ansporn zugleich.