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„Es reicht nicht mehr, nur das Leben zu retten“

Dr. Romano Polato, verantwortlicher Leiter der Breast-Unit Bozen
Foto: Othmar Seehauser
Das Wichtigste ist die Kollegialität im Team: rund dreißig Fachleute – Chirurgen, Onkologen, eine Psychologin, Physiotherapeuten, Pathologen, Radiologen und Strahlentherapeuten sowie die Breast Care Nurses – die gemeinsam die Qualität der Breast-Unit ausmachen. Seit 2013 trägt sie das Eusoma-Zertifikat; bereits 1996, als der verantwortliche Leiter Dr. Romano Polato kam, existierte sie als Ambulanz für Frauen mit Brustkrebs.
Die Breast-Unit ist in gewissem Sinne eine Vorreiterin?
Dr. Romano Polato: Das stimmt. Das Tumorboard zum Beispiel: Wir waren die Ersten, die so etwas hatten – schon vor der Eusoma-Zertifizierung 2013. Heute ist das in allen Abteilungen, die sich mit onkologischen Erkrankungen befassen, ein Muss. Die Brustmedizin ist tatsächlich sehr oft Vorreiterin neuer Verfahren, die später von allen übernommen werden.
Warum ist das so? Wegen der hohen Fallzahlen?
Dr. Romano Polato: Sicher auch deshalb. In Italien haben wir 60.000 Brustkrebsfälle pro Jahr, in Europa sind es über eine halbe Million. Aber nicht nur deswegen: Frauen sind stark! Sie sind Mütter, Schwestern, Töchter, Großmütter – sie sind entschlossen, sie fragen nach, sie geben sich nicht zufrieden. Es gibt viele von ihnen, und dahinter stehen viele Interessen; das wirkt sich auf die Forschung und auf die Entwicklung neuer Prozeduren und neuer Medikamente aus. Es gibt einen starken Druck, zu verbessern und immer etwas Neues hinzuzufügen.
Die Breast-Unit hat einen völlig eigenen Charakter im Vergleich zu anderen Ambulanzen. Es herrscht eine besondere Atmosphäre, viel Augenmerk auf kleine Details, auch im Wartebereich.
Dr. Romano Polato: Es freut mich, wenn Sie das so wahrgenommen haben. Es stimmt, wir achten sehr darauf. Wir fördern jetzt die sogenannten PROMs – Patient Reported Outcome Measures, also ein Instrument, um die Lebensqualität zu bewerten, nachdem Chirurgie, Chemo- und Strahlentherapie abgeschlossen sind.
In dem Sinn, dass es nicht mehr genügt, das Leben zu retten – man braucht mehr?
Dr. Romano Polato: Genau. Es genügt nicht mehr, vor allem weil wir nicht nur mit älteren Menschen zu tun haben, sondern auch mit Frauen um die vierzig, fünfzig oder noch jünger. Es reicht nicht mehr, nur das Leben zu retten: Man muss auch die Lebensqualität sichern. Sie sollen ihre alltäglichen Aktivitäten wieder aufnehmen können, Sport treiben, sich im eigenen Körper wohl und schön fühlen. Sie sollen keine Schmerzen oder andere Beschwerden aufgrund des Eingriffs haben. Wir müssen fragen: „Wie geht es Ihnen jetzt? Konnten Sie wieder Skifahren? Fühlen Sie sich im Alltag und im Umgang mit Menschen sicher?“ Es ist eine moralische und medizinische Pflicht sicherzustellen, dass es den Menschen wirklich gut geht. Deshalb erhalten sie 3, 6 und 12 Monate nach Ende der Therapie Fragebögen, um die Lebensqualität zu überprüfen. Und ich versichere Ihnen: Diese PROMs werden bestimmt bald auch in anderen Abteilungen eingeführt werden.
Auch weil der Tumor – wenn er nicht geheilt wird – immer mehr zu einer chronischen Krankheit wird, mit der man lange lebt?
Dr. Romano Polato: Genau. Viele erkranken heute bereits in einer sehr aktiven Lebensphase, mit vielen Jahren vor sich. Und man muss sagen: Die Chirurgie hat enorme Fortschritte gemacht, auch die onkoplastische Chirurgie. Wir drei Chirurgen der Breast-Unit sind nicht nur Brustchirurgen, sondern auch onkoplastische Chirurgen …
…weil der ästhetische und funktionale Aspekt immer wichtiger wird?
Dr. Romano Polato: Ja, und zwar genau aus den Gründen, die ich zuvor erwähnt habe. Wir Chirurgen müssen das Maximum anbieten, jede Frau hat das Recht, das bestmögliche Ergebnis zu erwarten. Wenn es sich um komplexe Fälle handelt, braucht es natürlich den plastischen Chirurgen. Doch in vielen Fällen können wir selbst schon ein hervorragendes Resultat garantieren, und die Frauen müssen nicht erneut hospitalisiert und weiteres Mal operiert werden. Auch das ist Lebensqualität!
Und die Frauen werden zudem in die Lage versetzt, selbst die für sie passende Operation auszuwählen?
Dr. Romano Polato: Genau. Wenn ich eine Patientin zum ersten Mal sehe, weiß ich ja außer der Diagnose nichts über sie. Deshalb muss ich jedes Detail der verschiedenen Optionen erklären: Prothese, autologer Gewebstransfer oder auch die Flat-Option. Ich muss alle Möglichkeiten erläutern, inklusive Risiken und Nachteile – und das geht weit über die formelle Patienteneinwilligung nach Aufklärung hinaus, es endet nicht mit den Tagen des Krankenhausaufenthaltes. Die Frau muss mit dem leben, was sie gewählt hat – und gut damit leben.
Abgesehen vom persönlichen und professionellen Einsatz jedes Chirurgen und des gesamten Teams der Breast-Unit: Basieren all diese Abläufe auf der Eusoma-Zertifizierung?
Dr. Romano Polato: Ja. Wir müssen jedes Jahr eine Revision und alle zwei Jahre eine Supervision durchlaufen – und das ist eine enorme Arbeit. Hinter jedem Dokument, das wir vorlegen, stecken viele Stunden Arbeit. Aber trotz der Menge ist das für uns keine Last, im Gegenteil: Es ermöglicht uns, kontinuierlich zu hinterfragen, was wir tun, unsere Arbeit Schritt für Schritt zu verbessern und zu überprüfen, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind oder ob es etwas Neues gibt, das hinzugefügt werden sollte. Wir bleiben nie stehen.

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Wo die Fäden zusammenlaufen

Die Breastcarenurses: Koordination, Unterstützung und einfach immer da
Die drei BCN der Breast-Unit Bozen (v. li.) Antonella Lazzarini, Elisabetta Parella und Andrea Unterkofler. 2. v. li: Datamanagerin Alessandra Rubbo. – Foto: Othmar Seehauser
Vor ihrem Zimmer im Brust-Ambulatorium stehen bequeme Sessel und kleine Sofas. Auf einem Tischchen liegen Zeitschriften. Ein Lichterbaum hängt voller kleiner Zettelchen, Herzen, Blumen: „Danke" steht auf den meisten. Kleine Nachrichten vom Herzen kommend. Der Warteraum ist zwar in einer Art Gang, aber hell und mitten im Leben. Bei ihnen laufen die Fäden zusammen. Die Patientinnen nennen sie Engel. Stellvertretend für die drei Breastcarenurses in Bozen haben wir mit Andrea Unterkofler gesprochen. Mit ihr zusammen im Brustambulatorium arbeiten Elisabetta (Betty) Parrella und Antonella Lazzarini.
Sie als Breastcarenurses sind sozusagen das Zentrum der Breast-Unit. Von ihnen hängt die besondere Atmosphäre dieses Ambulatoriums ab. Kann man das so sagen?
Andrea Unterkofler: Sagen wir es so: Wir sind für die Frauen der Ansprechpartner Nummer eins. Wenn sie ins Ambulatorium kommen, sind wir die Ersten, mit denen sie Kontakt aufnehmen. Wir begleiten die Frauen vom ersten Tag an.
Sie sind auch bei der Diagnosestellung dabei?
Andrea Unterkofler: Ja, wir sind wirklich vom ersten Moment an der Seite der Patientinnen. Und das ist auch gut so, weil wir dann danach bestimmte Dinge in Ruhe noch einmal erklären können, die in der Aufregung und unter dem Diagnoseschock nicht richtig verstanden worden sind. Und es ist auch notwendig, weil wir die Patientin kennenlernen müssen und sie uns. Vertrauen ist unerlässlich für den Weg, den wir gemeinsam zurücklegen werden.
Sie sind dann verantwortlich für den gesamten Parcours, den die Patientinnen zurücklegen? Koordinieren alle Termine?
Andrea Unterkofler: Ja, bei uns laufen die Fäden zusammen. Wir koordinieren alles, auch mit der Onkologie. Wir weisen den Patientinnen den Chirurgen zu, vereinbaren den Termin mit der Psychologin, mit der Physiotherapie.
Apropos Chirurgen. Abgesehen vom Zeitplan, gibt es bei der Zuweisung auch andere Kriterien?
Andrea Unterkofler: Wir weisen den Patientinnen gerne den Chirurgen zu, der unserer Ansicht nach vom Charakter her passt. Es gibt Patientinnen, die sich vielleicht mit einem eher väterlichen Typ, einem Chirurgen mit langjähriger Erfahrung sicherer fühlen. Andere, die einen jüngeren bevorzugen, dessen Ausbildung noch nicht so lange zurückliegt. Unsere Chirurgen sind alle auf dem neuesten Stand, jeder ist kompetent, aber manchmal kann so ein kleines Detail den Unterschied machen.
Sie sind jedenfalls Ansprechpartnerinnen für alles?
Andrea Unterkofler: Ja, das kann man schon sagen. Es kommt natürlich auf die Frau an. Jede ist anders. Es ist immer eine Frage von Nähe und Distanz. Manche nehmen ein Minimum in Anspruch, machen alles eher mit sich selbst aus, andere suchen eine Hand, eine Schulter, brauchen Nähe.
Es entstehen sehr intensive Beziehungen.
Andrea Unterkofler: Das stimmt. Aber meist sind sie auf diesen besonderen Raum, auf das Ambulatorium und auf den konkreten Zeitraum der akuten Erkrankung beschränkt. Es kann passieren, dass ich manchmal Frauen nicht erkenne, wenn ich sie in einem völlig anderen Kontext treffe. Es kann auch sein, dass Frauen außerhalb des Krankenhauses nicht reagieren, wenn sie eine von uns sehen. Vielleicht, weil sie uns eben in diesem Kontext nicht erkennen, aber es ist auch möglich und verständlich, dass sie ,außerhalb des Krankenhauses, wenn sie zusammen mit anderen Menschen sind, sich nicht „outen“ wollen. Andere wiederum fallen uns um den Hals. Jede Frau ist eine andere Geschichte.
Sie haben mehr als 200 Neuerkrankungen im Jahr. Brustkrebs ist heute sehr gut heilbar, aber immer noch eine Erkrankung, die tief in Körper und Seele der Patientinnen eingreift. Wie werden sie persönlich mit dieser Belastung fertig?
Andrea Unterkofler: Wir sind sehr eng im Team, besprechen viele Dinge in der Gruppe. Das hilft. Außerdem steht die Psychologin Martina Pircher auch uns zur Verfügung. Ich glaube der große Unterschied von unserem Ambulatorium – und es ist der Unterschied, der vor allem den Patientinnen zu Gute kommt, aber eben auch uns – ist, dass wir eines haben, was es auf Station nicht gibt: Zeit.