Thema

25 Jahre Weltkrebstag

Pressekonferenz SKH – United by Unique – Gemeinsam einzigartig


Ein Viertel-Jahrhundert. So lange gibt es schon den Weltkrebstag. Beschlossen wurde er im Februar 2000 auf dem „Weltgipfeltreffen gegen Krebs“ und in der Charta von Paris festgehalten. Nach weiteren sechs Jahren wurde er am 4. Februar 2006 zum ersten Mal von der „Union internationale contre le cancer“, UICC, von der Weltgesundheitsorganisation und anderen Einrichtungen ausgerichtet. Die Südtiroler Krebshilfe hält jedes Jahr anlässlich des Weltkrebstages eine Pressekonferenz ab.
Das Ziel des Weltkrebstages ist nämlich genau das: die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Themen Vorsorge, Erforschung und Behandlung von Krebs zu lenken, das Thema Krebs von dem Tabu, das diese Krankheit immer noch umgibt, zu lösen.
Es ist üblich, mehrjährige Themenkreise zu wählen. Für das Triennium 2022-2024 war es Close the Gap – Versorgungslücken schließen; in den nächsten drei Jahren geht es um die Menschen: “United by Unique – Gemeinsam einzigartig“. Das gemeinsame Schicksal, die Diagnose „Sie haben Krebs“, eint die Betroffenen, aber jeder hat nicht nur seine ganz eigene Geschichte, sondern heute, dank der neuesten Forschungsergebnisse auch seine ganz individuelle Therapie. Krebs ist heute nicht mehr nur Brustkrebs, Prostatakrebs oder Lungenkrebs, sondern besteht aus einer Vielzahl von Siglen, die eine individuelle Therapie verlangen.
„Hinter jeder Diagnose steht eine ganz eigene Geschichte, jenseits der Statistiken, jede/r Betroffene hat seine ganz eigene Geschichte, seine Emotionen, seine Art der Bewältigung, seine Probleme“, so begrüßte die Landesvorsitzende der Südtiroler Krebshilfe, Maria Claudia Bertagnolli die zur Pressekonferenz in das Pastoralzentrum in Bozen gekommenen Medienvertreter. Für sie selbst sei die psychoonkologische Betreuung eine große Hilfe gewesen. Sie hob die Wichtigkeit eines modernen, menschenzentrierten Ansatzes in der Krebsversorgung hervor. „Die moderne Krebsversorgung zielt darauf ab, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, seine Einzigartigkeit zu berücksichtigen und nicht nur die Krankheit zu behandeln sowie die Betroffenen aktiv in Therapieentscheidungen einzubeziehen,“ erklärte Bertagnolli. “Bei der Krebshilfe finden Betroffene eine ganzheitliche Unterstützung bestehend aus konkreten praktischen Hilfestellungen, aus sozialer und auch finanzieller Unterstützung und vor allem finden sie Herz.“
Seit ihrer Gründung vor mehr als 40 Jahren setzt sich die Südtiroler Krebshilfe dafür ein, die Versorgung von krebskranken Menschen kontinuierlich zu verbessern. Sie ist in den Bereichen der Bewusstseinsbildung von Prävention und Früherkennung, Therapie, medizinische Nachsorge und psychosoziale Versorgung tätig.
In diesem Jahr hatte die SKH den Primar der Onkologie Bozen, Dr. Luca Tondulli und die Psychoonkologin Dr.in Brigitte Greif vom Psychologischen Dienst Meran eingeladen. Wie immer versorgte Dr. Guido Mazzoleni, ehemaliger Primar des Dienstes für Pathologie und Direktor des Tumorregisters (wo er heute als Freiwilliger tätig ist) sowie Vorsitzender des Ärztebeirates der SKH die Medien mit den neuesten Zahlen zu Häufigkeit und Arten der Krebserkrankungen in Südtirol sowie mit wichtigen Informationen zu Vorsorge und Screening.
„Auch in der Therapie sind die sozialen und psychischen Auswirkungen einer Krebserkrankung auf den Patienten und seine Familie zu berücksichtigen,“ betonte Dr. Luca Tondulli. Schon das Wort Krebs, so Tondulli, erzeuge starke Emotionen, die den Menschen den Boden unter den Füßen wegzögen, Angst, Schock und Sorge um die Zukunft. „Eine Art Lähmung, die unter Umständen auch die Motivation zur Therapie beeinträchtigen kann.“
Die Behandlung von Krebspatienten müsse auf mehr als nur die Erhöhung der Überlebenschance zielen. „Es geht auch darum, die notwendigen Ressourcen zur Verbesserung bzw. zum Erhalt der Lebensqualität bereitzustellen und sowohl die physischen als auch die psychischen Folgen der Krankheit zu mindern.“ Ein integrierter Behandlungsweg in einem multidisziplinären Kontext, in dem Onkologen und Psychoonkologen sowie auch andere Spezialisten eng zusammenarbeiten, fördert das Empowerment der PatientInnen, so Dr. Tondulli weiter. Ein moderner Therapieplan umfasst die Erfüllung der körperlichen, psychologischen, sozialen, beruflichen und emotionalen Bedürfnisse der Betroffenen und bezieht sie in allen Stadien der Erkrankung in den Therapieplan mit ein. „Mit dem Ziel einer bestmöglichen Lebensqualität während und nach der Behandlung.“
Die Psychoonkologin Brigitte Greif sprach über Resilienz und Bewältigungsstrategien: Wie psychoonkologische Unterstützung Krebspatienten und ihre Familien stärken kann (Mehr darüber im nachstehenden Interview).
Wie jedes Jahr war der Vortrag von Dr. Guido Mazzoleni mit Spannung erwartet. Viele Daten und Informationen zusammengestellt, als Basis für eine ausführliche Berichterstattung. Und wie jedes Jahr nannte er vor allem den Lebensstil bei zwei von drei Neuerkrankungen als Risikofaktor und Hauptursache für das Auftreten einer Krebserkrankung. Zuwenig Bewegung, ungesunde Ernährung, Übergewicht, übermäßiger Alkoholkonsum und Rauchen: „Vergleicht man Südtirol mit dem Rest Italiens, so schneidet laut der PASSI Studie 2022-2023 unsere Provinz bei den wichtigsten Risikofaktoren sehr gut ab. Mit einer Ausnahme: dem Alkoholkonsum“, informierte Dr. Guido Mazzoleni. Und dieser Umstand ist seit Jahren unverändert!
„Ein wichtiger und effizienter Weg für eine frühzeitige Diagnose und Behandlung von Krebserkrankungen, ist die Teilnahme an den kostenlosen Screening-Programmen,“ unterstrich Mazzoleni. Die Daten von 2024 zeigen, dass Südtirol im Vergleich in Bezug auf die Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs (Pap-Test oder HPV-Test, 45%) und von Brustkrebs (Mammographie, 60%) relativ gut dasteht. „Es könnte aber viel besser sein!“ so der Pathologe. Am Screening zur Früherkennung von Darmkrebs (Untersuchung des okkulten Blutes im Stuhl) beteiligen sich mit 36% immer noch zu wenig Südtiroler."Ohne Berücksichtigung von Hautkrebs, der nicht durch Melanom verursacht wird, wurden im Jahresabschnitt (2017-2021) in Südtirol durchschnittlich 3.038 neue Tumorfälle pro Jahr registriert, davon 1.669 bei Männern und 1.369 bei Frauen. Auf der Grundlage der Bevölkerungsstruktur von 2024 rechnen wir mit ca. 1.800 Neuerkrankungen bei Männern und 1.400 bei Frauen", so Mazzoleni weiter.

Im Zeitraum 2017-2021 war der Prostatakrebs der häufigste Tumor bei Männern (25% aller Fälle / Italien 19%), gefolgt vom Dickdarmkrebs (10% gegenüber 15%), der Harnblase (10% gegen 13%) und Lunge (9% gegen 12%). Frauen erkrankten hauptsächlich an Brustkrebs (29%, im restlichen Italien 30%), gefolgt von Dickdarm- und Lungenkrebs (10% gegenüber 12% bzw. 8% gegenüber 7%)."Insgesamt zeigt die zeitliche Entwicklung der beobachteten Werte im Fünfjahreszeitraum 2017-2021 eine wesentliche Stabilität des Trends bei den beiden Geschlechtern, auch wenn die Zahl der Fälle zunimmt", so Mazzoleni.
Die neuesten verfügbaren Mortalitätsdaten (2019-2023) zeigen, dass in Südtirol im Durchschnitt 1.195 Personen jährlich an einer Krebserkrankung sterben. Der Anteil der Männer ist dabei mit 646 Personen etwas höher war als jener der Frauen, 549 Personen.
Mittlerweile liegen auch erste Zahlen vor, in Bezug auf die Auswirkung der Covid-19-Pandemie auf die Frühentdeckung von Krebserkrankungen. „Im Hinblick auf Brust- und Darmkrebs hat das Landesgesundheitssystem gut standgehalten. Ab dem Jahr 2021 wurden die Untersuchungen und Maßnahmen wieder verstärkt aufgenommen. Eine kurzzeitige registrierte Verringerung der Tumorinzidenz 2020, insbesondere bei Brust und Prostata, hat sich ab 2021 wieder „normalisiert“, so Dr. Mazzoleni.
Dr. Mazzoleni wies abschließend auf die Bedeutung des Gesetzes bezüglich des „Rechts auf Vergessen“ (Diritto all'obblio) hin, das im Dezember 2023 verabschiedet worden ist. Demnach gelten ehemalige KrebspatientInnen 10 Jahre nach Abschluss der Behandlungen als geheilt, sofern in diesem Zeitraum kein Rückfall auftritt. Anfragen nach Informationen über eine frühere onkologische Krankengeschichte, z.B. durch Versicherungen oder Banken, sind damit untersagt. Bei einer Krebsdiagnose vor dem 21. Lebensjahr, verkürzt sich die Frist auf 5 Jahre. Darüber hinaus schützt das Gesetz die Rechte geheilter Personen in Bezug auf Adoption, Zugang zur Arbeitswelt und berufliche Bildung sowie die Teilnahme an öffentlichen und privaten Wettbewerben (z. B. Militär, Polizei…). Vor Dezember 2023 war ehemaligen Krebspatienten all dies verwehrt!

Thema

Jeder ist anders betroffen

Interview mit der Psychoonkologin Dr. Brigitte Greif


Eine Zäsur. Die Zeit bleibt stehen. Alles ist plötzlich ganz anders. Nichts mehr ist selbstverständlich. Gelähmt. Das ist die Grunderfahrung, die die meisten Betroffenen bei einer einem Krebsverdacht bzw. bei der Krebsdiagnose empfinden. Ein nachvollziehbarer Schockzustand. Nicht jeder geht damit auf die gleiche Art und Weise um. Die PsychoonkologInnen stehen allen PatientInnen zur Verfügung. Nicht jede/r nimmt das Angebot wahr.
Der diesjährige Weltkrebstag stand unter dem Motto United by Unique – Gemeinsam einzigartig. Der Mensch und seine ganz besondere Geschichte im Mittelpunkt. Deshalb war es naheliegend, neben dem Datenexperten und Pathologen Dr. Guido Mazzoleni, die Psychoonkologin Dr.in Brigitte Greif vom Psychologischen Dienst am Krankenhaus Meran zusammen mit dem Primar der Onkologie in Bozen, Dr. Luca Tondulli zur Pressekonferenz der SKH einzuladen. Psychlogie und Onkologie sind schließlich eng miteinander verbunden.
Wie wird das Angebot der Psychoonkologie von den Patienten angenommen?
Dr.in Brigitte Greif: Die Antwort auf das Angebot ist grundsätzlich gut, aber nicht alle brauchen uns. Manchmal bleibt es bei zwei – drei Gesprächen, andere sagen kategorisch „Nein“ und andere wiederum begleiten wir über mehrere Jahre hinweg.
Woran liegt das?
Dr.in Brigitte Greif: Nicht jeder ist gleich, nicht jeder hat das gleiche Netz um sich, den Partner, die Familie, Freunde. Jede/r Betroffene reagiert anders, ist anders betroffen. Manche brauchen uns nicht, ziehen es vor, alles mit sich selbst auszumachen. Andere finden schon nach einigen Gesprächen Entlastung, andere finden im Gespräch Strategien und schätzen eine Begleitung auf Dauer. Andere nur Phasenweise. Wie das Motto des Krebstages sagt, jede/r ist einzigartig, reagiert einzigartig.
Apropos Phasenweise. Welches sind nach der Diagnose besonders kritische Momente?
Dr.in Brigitte Greif: Der Therapiebeginn, das Therapieende und das Zurück in den Alltag. Hier beginnen viele, die aus dem Strudel der Untersuchungen und Therapien heraus sind, Ruhe zu finden, um Emotionen zu verarbeiten. Dann ein Rezidiv und schließlich auch die Palliativsituation. Die Statistiken belegen, dass 20 - 40% der PatientInnen nach der Diagnose, während des Wartens auf Befunde und auf OP-Termine, nach Beginn der Therapie, wenn die Frage im Raum steht, „Schlägt sie an?“, unter psychologischem Distress stehen. Das heißt Stress, der als bedrohend, als quälend und überfordernd empfunden wird.
Unsicherheit, Angst, Verzweiflung, Trauer, auch Wut, das Gefühl der Ungerechtigkeit sind Gefühle, die PatientInnen begleiten. Besteht die psychoonkologische Betreuung darin, Strategien zu vermitteln, damit fertig zu werden?
Dr.in Brigitte Greif: Anstelle von Strategien vermitteln, die natürlich ganz individuell abgestimmt sind, bevorzuge ich den Ausdruck, Wege aufzeigen und gemeinsam schauen, was kann helfen. Gemeinsam Wege erarbeiten. Aber auch vermitteln, dass man sich dieser Gefühle nicht zu schämen braucht, dass sie ganz normal sind, dass man sie zulassen muss, ihnen Raum geben muss, sich zugestehen, „Ich darf das haben“.
Nur wer Emotionen zulässt, kann daran arbeiten?
Dr.in Brigitte Greif: Richtig. Wenn ich mir darüber klar werde, was macht mir Angst, dann kann ich mich aktivieren, mich dagegen wappnen. Der erste Schritt ist sich zu fragen „Was spüre ich?“ und "Wie kann ich das meistern?" Es hilft, sich andere Situationen zu vergegenwärtigen, in denen man Ängste hatte, sich erinnern, „Wie bin ich damit fertig geworden? Kann das jetzt auch helfen?“ Sich darüber klar werden, "Was brauche ich jetzt, in dieser ganz konkreten Situation?" Ohne Rücksichtnahme auf Umstände und andere Personen.
Und da ist die Antwort auch wieder ganz individuell…
Dr.in Brigitte Greif: Genau. Für den einen sind gerade jetzt die sozialen Kontakte wichtig, für die andere das Innehalten, Meditieren, hilfreiche Gedanken suchen, für wieder andere, in besonderem Maße auf den eigenen Körper zu achten oder auch besonderen Aktivitäten nachzugehen, die guttun. Theater, Ausstellungen, Spazierengehen, Reisen…
Gibt es ein Konzept, das Sie immer wieder anwenden?
Dr.in Brigitte Greif: Vorausgesetzt, dass jede/r Betroffenen eine ganz eigene Geschichte ist, vielleicht dies: Einen Schritt nach dem anderen gehen. Nichts übereilen. Sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Was kann ich heute tun? Was tut mir heute gut? Körperlich, sozial, emotional, spirituell… Was und wer tut mir gut?
Viele haben Sorge, dass die psychoonkologische Betreuung mit Ausgaben verbunden ist und dass die Wartezeiten lang sind.
Dr.in Brigitte Greif: Mit einem Tumorticket ist die psychologische Begleitung kostenlos. Unabhängig davon, ob es eine kurze oder eine lange Begleitung braucht. Im Fall einer Tumorerkrankung beträgt die Wartezeit maximal zwei Wochen! Während des Krankenhausaufenthalts steht der diensthabende Psychologe jederzeit zur Verfügung. In allen Krankenhäusern. Und wenn Angehörige psychologischen Beistand benötigen, denn das darf man nicht vergessen, auch sie befinden sich in einer Ausnahmesituation: Die Betreuung durch die psychologischen Dienste der Südtiroler Krankenhäuser für jedermann erschwinglich.