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Interview mit der Kinder- und Jugendanwältin Daniela Höller

Kinder- und Jugendanwältin Daniela Höller
Aktiv: Welche Anfragen haben die Kinder- und Jugendanwaltschaft seit Ausbruch der Pandemie erreicht?
Daniela Höller: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie treffen Kinder und Jugendliche in ganz besonderem Ausmaß. Seit März 2020 war die Kinder- und Jugendanwaltschaft durch die Verbreitung des Covid-19-Virus insbesondere mit folgenden Themen konfrontiert: Öffnung der Schulen, Besuchsrechte in Folge von Trennung und Scheidung der Eltern, Bewegungsfreiheit der Kinder während des Lockdowns, Kinderbetreuung/Vereinbarkeit von Familie und Beruf, rechtliche Fragen zu den Schutz- und Quarantänemaßnahmen, Kinder- und Jugendschutz, Gewalt­situationen, familiäre Konflikte. Natürlich war auch der Fernunterricht ein großes Thema: Diesbezüglich erreichten uns verschiedene Arten von Anfragen: Einige betrafen die Abwicklung des Unterrichtes, andere den Datenschutz und wieder andere das Recht auf Bildung an und für sich (eine Schülerin wurde z.B. als Bestrafung vom Fernunterricht ausgeschlossen). Neben diesen Anfragen ist es notwendig, auch auf jene Kinder und Jugendliche hinzuweisen, die bereits vor der Verbreitung des Covid-19-Virus in einer besonderen Situation waren und die gerade in einer Krisenzeit besondere Aufmerksamkeit brauchen. Die Krise ist hier wie eine Art Vergrößerungsglas für schon bestehende Problematiken. Diese Kinder und Jugendlichen durchleben in der pandemiebedingten Notsituation eine deutlich gesteigerte Vulnerabilität. Sie können sich am wenigsten zu Wort melden und ihre Bedürfnisse sind deshalb mancherorts weniger ersichtlich, aber auf keinen Fall weniger wichtig.
Aktiv: Um was für Situationen handelt es sich dabei?
Daniela Höller: In erster Linie denke ich an Kinder in sehr schwierigen Familiensituationen. Durch die Lockdown-bedingte Isolation und die erzwungene Nähe stieg bekanntlich das Risiko, dass Kinder Opfer direkter und miterlebter Gewalt in der Familie wurden. Das Zuhausebleiben hat insbesondere jene Situationen verschärft, wo Misshandlungen bereits davor im Gange waren. Außerdem war es schwieriger, das Einschreiten der Ordnungshüter und die damit zusammenhängenden Schutzmechanismen zu aktivieren. Wenn eine Situation während eines Lockdowns eskalierte, dann steckten die Kleinsten mittendrin und konnten nicht weg. Diejenigen, denen sonst oft blaue Flecken und Missbrauch auffallen, wie Lehrpersonen, Sozialassistenten, Mitschülerinnen und Mitschüler oder Sporttrainer, sahen die Kinder nicht mehr. Die Fälle von Gewalt in der Familie steigen zwar in Zeiten des Eingeschlossenseins, sie werden aber viel seltener gemeldet. Die wenigen Vorfälle, die der Kinder- und Jugendanwaltschaft während des Lockdowns im Frühjahr 2020 geschildert wurden, kamen aus der Nachbarschaft und waren Situationen verbaler und körperlicher Gewalt, alle anderen Formen - psychische Gewalt, sexualisierte Gewalt oder Vernachlässigung - waren beinahe unsichtbar, weil niemand außerhalb der Familie das körperliche und psychische Wohlbefinden der Kinder mehr im Blick hatte.
Außerdem gibt es auch in Südtirol viele Kinder aus armutsgefährdeten oder armutsbetroffenen Familien, deren Eltern vielfach nicht in der Lage sind, ihnen angemessene Informationen zu geben und sie emotional zu unterstützen. Durch die soziale Isolation riskierten diese Kinder eine noch größere Orientierungslosigkeit und Unsicherheit zu erfahren. Es ist notwendig, diese Kinder zu erreichen, um ihnen ein Stück Alltag zurückzugeben. Was den Fernunterricht anbelangt, bestand die Gefahr, dass die Covid-19-Krise auch eine Bildungskrise nach sich zieht, wenn manche Schülerinnen und Schüler in schwierigen sozioökonomischen Verhältnissen schwer oder gar nicht erreicht werden. Nicht jedes Kind hat das Privileg, einen Computer oder ein Tablet zu haben mit einer Internetverbindung, die schnell und stabil genug ist, um am Unterricht teilzunehmen. Viele dieser Kinder leben außerdem auf engsten Raum mit ihrer Familie und müssen sich erst einmal einen Raum schaffen, wo sie sich konzentrieren und lernen können. Hinzu kommt eine überdurchschnittliche Betroffenheit dieser Familien vom Anstieg der Arbeitslosigkeit. Hier war es daher auch notwendig, die Lebensbedingungen der Kinder im Auge zu behalten, um eine eventuelle Gefährdung des Kindeswohles sofort zu erkennen.
Auch für Kinder mit Beeinträchtigung und ihren Familien war die soziale Isolation besonders schwierig. Die plötzliche Umstellung des Alltages, der von erzieherischen, sozialisierenden, unterstützenden und therapeutischen Momenten geprägt war, war für sie besonders einschneidend. Hinzu kommt, dass es nicht immer einfach oder möglich war, den Kindern zu erklären, weswegen es diese Umstellung gibt. Die Schließung der Schulen, der Zentren und Dienste, begleitet von der Reduzierung oder Aussetzung der Therapien und Rehabilitationsmaßnahmen, gefährdete mühevoll erzielte Ergebnisse. Dadurch ergibt sich eine weitere Benachteiligung.
Aktiv: Wie erging es den Kindern mit Migrationshintergrund?
Daniela Höller: Hier ist es oft der Fall, dass beide Eltern berufstätig sind oder dass jener Elternteil oder Verwandte, der das Kind zu Hause betreut, weder Deutsch noch Italienisch spricht. Für diese Kinder ist die Schule besonders wichtig ist, da sie das Werkzeug ist, mit dem sie lernen können, zu kommunizieren und sich folglich zu integrieren. Der Fernunterricht barg demnach die konkrete Gefahr, dass den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit genommen wird, die Sprachen unseres Landes zu üben, was ihren Prozess der Integration und Inklusion in unsere Gesellschaft schwieriger macht. Der pandemiebedingte Notstand wirkte sich insbesondere auch auf die nicht begleiteten ausländischen Minderjährigen aus, also auf jene, die ohne eine erwachsene Bezugsperson nach Südtirol gekommen sind, da sich ihr Prozess der Inklusion durch die Schließung der Schulen und die Aussetzung der Praktika und Lehren erheblich verlangsamt hat.
Aktiv: Wie steht es um das psychosoziale Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen?
Daniela Höller: Kinder und Jugendliche nehmen grundsätzlich die allseits gegenwärtigen Spannungen um sie herum besonders intensiv wahr. Das führt dazu, dass sie teilweise verunsichert und orientierungslos sind. Zusätzlich war nun ihre Tagesgestaltung durch die Ausbreitung des Covid-19-Virus völlig verändert, der Bewegungsradius eingeschränkt und ein Treffen von Freunden und Verwandten nicht möglich. Dazu kam die erzwungene Nähe, oftmals verbunden mit beengten Wohnverhältnissen und Existenzängsten der Eltern. Einige junge Menschen litten jedenfalls bereits nach dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 unter Angst- und Schlafstörungen, Depressionen, Zwangsstörungen und Essstörungen. Zudem gab es Tendenzen zu selbstverletzendem Verhalten, zu aggressivem Verhalten, zu einem höheren Konsum von Alkohol und Drogen und zu Suchterscheinungen im Allgemeinen, auch im Bereich der Internetnutzung.
Vor allem Minderjährigen, denen es davor schon nicht gut gegangen ist, geht es in der aktuellen Krisensituation noch schlechter. Was die langfristigen psychischen Auswirkungen der Einschränkungsmaßnahmen bei Minderjährigen anbelangt, sind diese noch nicht abzuschätzen. Hypothesen dazu werden wissenschaftliche Untersuchungen erst in Jahren verifizieren können. Eine letzthin veröffentlichte Studie mit dem Titel „Psychosoziale Gesundheit von Südtiroler Kindern und Jugendlichen im Corona-Frühsommer 2021“ vom Institut für Allgemeinmedizin und Public Health an der Landesfachhochschule für Gesundheitsberufe Claudiana belegt jedenfalls, dass sich ein bedenkliches Bild bei der Betrachtung der psychischen Situation der Kinder und Jugendlichen ergibt. 33 Prozent der direkt befragten Schülerinnen und Schüler gaben demnach an, dass ihre Lebensqualität niedrig war. Starke negative Einflussfaktoren dafür waren laut Studie die Art des Wohnraums und die berufliche Belastung der Eltern. Kinder von Alleinerziehenden gaben ebenfalls häufiger eine niedrige Lebensqualität an sowie Kinder, die ohne Balkon, Terrasse und Garten wohnen. Zudem bestätigt die Studie negative Auswirkungen der Pandemie, darunter ein vermehrtes Auftreten von psychosozialen Verhaltensauffälligkeiten und Angststörungen der Schülerinnen und Schüler.
Aktiv: Wir haben bisher von den direkten Auswirkungen der Pandemie auf die jungen Menschen gesprochen, gibt es auch indirekte Folgen?
Daniela Höller: Die Kinder sind von schweren Covid-19-Erkrankungen weniger stark als Erwachsene betroffen. Nichtsdestotrotz haben sie die indirekten Folgen der Pandemie ungleich stärker gespürt. Zu den Kollateralschäden zählen, neben dem Sinken der Bildungschancen und dem Anstieg der Auffälligkeiten und der psychischen Erkrankungen: Diskontinuität der medizinischen Dienste, weniger Zugänge bei der Ersten Hilfe und bei anderen Diensten aus Angst sich mit dem Virus anzustecken, die damit verbundenen Verspätungen in der Diagnostik von Krankheiten, wo die Zeit ein entscheidender Faktor ist, und unterbrochenen Therapien bei fragilen Kindern, eingeschränkter Zugang zu Sport- und Freizeitaktivitäten und der damit verbundene Bewegungsmangel, Verschlechterung des Lebensstiles und der Ernährungsgewohnheiten, Verschärfung der sozialen Ungleichheiten im Allgemeinen. Daraus ergibt sich, dass junge Menschen den direkten Folgen der Pandemie zwar weniger ausgesetzt sind, dafür aber einer Vielzahl von Kollateralrisiken, deren Folgen heute noch gar nicht absehbar sind. Geht man beim Begriff „Gesundheit“ von der Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO aus, wonach es sich dabei um einen Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur um das Freisein von Krankheit oder Gebrechen handelt, sind die Folgen verheerend.
Der Staat und das Land können mit finanziellen Hilfen dort intervenieren, wo ein bezifferbarer und damit greifbarer Schaden entstanden ist. Andere Schäden können nicht ersetzt werden: Die Kindheit und Jugend kann man weder ersetzen noch einfach aussetzen oder verschieben.
Frau Höller wir bedanken uns für das Gespräch!

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Vorstellung neuer MitarbeiterInnen

Wir dürfen euch wieder drei MitarbeiterInnen vorstellen, die wir kürzlich in unser Team aufgenommen haben.
Anna Fleischmann
ASGB-Schlanders
Hallo, mein Name ist Anna Fleischmann, ich bin 23 Jahre alt und komme aus Schlanders. Seit Anfang März letzten Jahres arbeite ich am Empfang im Bezirksbüro Schlanders. Als ehemalige Rezeptionistin fühle ich mich am Empfang sehr wohl, besonders der Kontakt mit unseren Mitgliedern macht mir große Freude. Durch die abwechslungsreiche Arbeit werde ich stets gefordert und kann neue Erfahrungen sammeln. Ich freue mich schon darauf zusammen mit meinem Team neue Herausforderungen zu meistern.
Petra Pircher
ASGB-Meran
Hallo, mein Name ist Petra Pircher und ich komme aus Vöran. Ich arbeite seit September 2021 beim ASGB-Meran. Ich bin für ISEE Erklärungen, Steuererklärungen und für die Mitgliedschaften zuständig. Die Arbeit ist sehr abwechslungsreich und man lernt täglich Neues dazu.
Vanessa Wenin
ASGB-Meran
Hallo, ich bin Vanessa, 26 Jahre alt und komme aus Ulten. Habe in Bologna studiert und arbeite seit Oktober 2021 beim ASGB. Zuständig bin ich für den Rechtsschutz, Steuerklärungen und die Laborfondsberatungen. Wir sind ein sehr motiviertes Team und ich freue mich schon auf zukünftige Herausforderungen und Aufgaben.