Thema

Falsche Propheten

In einem regelrechten Begeisterungstaumel verkünden viele Jünger des Neoliberalismus, dass nun ein Zeitalter angebrochen sei, in dem man Gewerkschaften nicht mehr brauche.
Die Unternehmen werden zu einer Art Familie erklärt: Wir sind eine Familie, wir sitzen in einem Boot. Die Arbeitszeiten werden rücksichtslos ausgeweitet und die Arbeitnehmerrechte kaum angewandt. Doch dies kann die Werte menschlichen Lebens nicht ersetzen: eine Firma ist nun einmal keine Familie, so sehr auch flotte Firmeninhaber oder junge Manager immer wieder den Betrieb zu einer Art Familie verklären wollen. Das Normalarbeitsverhältnis, das dem Arbeitenden eine soziale Sicherung und einen Zeitrahmen gibt, in dem er sein Leben planen kann, ist eine wichtige kulturelle Errungenschaft der modernen Gesellschaft. Wie das Arbeitsverhältnis in der Zukunft aussehen soll, das ist eine zentrale Frage der Politik. An dieser Stelle entscheidet sich, ob Menschlichkeit und Humanität Grundlagen einer modernen Gesellschaft bleiben. Wenn das Normalarbeitsverhältnis immer weiter ersetzt wird durch flexible Beschäftigungsverhältnisse, dann geht der Gesellschaft etwas verloren. Umgekehrt führen übertriebene Flexibilität und Mobilität dazu, dass Freundschaften flüchtig bleiben und die Eingebundenheit der einzelnen in die örtliche Gemeinschaft immer brüchiger wird. Auch auf die Familien wirken sich Flexibilität und Mobilität aus. Während die Familie Bindung fordert, fordern Flexibilität und Mobilität, in Bewegung zu bleiben und keine Bindungen einzugehen. Die Phänomene sozialer Erosion in den viel gepriesenen USA und zunehmend auch in Großbritannien sind unübersehbar. Die angestrebte Synthese von hochmoderner Ökonomie und sozialer Integration ist dort nirgends in Sicht. Aus dem eben Gesagten ergeben sich die zukünftigen Aufgaben von Politik und Gewerkschaft. Gerade die Politik hat als vordringlichste Aufgabe, endlich zu durchschauen, dass die modischen Debatten der letzten Jahre nur dazu dienten, Arbeitnehmerrechte und soziale Standards in Frage zu stellen. Denn es gibt einen neoliberalen Klub von Berufsschwätzern, der sich ständig zu wirtschaftlichen Fragen äußert und immer wieder dieselbe Platte spielt. Es werden immer wieder neue Themen kreiert, die nur dem Zweck dienen, den Sozialstaat Frage zu stellen, wobei die Mitglieder des Klubs - wie könnte es anders sein – von ihren genialen Vorschlägen selbst nicht betroffen sind.
Die Themen dieses Klubs verschwinden auch schnell wieder von der Tagesordnung und werden mit neuen ersetzt. So war lange Zeit Japan der Hit der neoliberalen Schwätzer, weil Japan dazu diente, deutlich zu machen, dass wir unbedingt eine längere Arbeitszeit bräuchten, um im internationalen Wettbewerb überhaupt bestehen zu können. Mittlerweile wagt es niemand mehr, Japan als Beispiel darzustellen. Es ist kein Geheimnis, dass nicht die Arbeitszeiten zählen sondern allein die Produktivität. Wenn jemand in einer Stunde zehn Autos baut, ist er einfach viel besser als jemand, der in zehn Stunden ein Auto baut. Der Glaube, dass Arbeitszeiterhöhung und Lohnzurückhaltung zu mehr Arbeitsplätzen führt, ist weit verbreitet. Dabei ist dieser Glaube durch die letzten zehn Jahre widerlegt worden. Dort, wo es Lohnabschlüsse von über sechs Prozent wie in Großbritannien oder über fünf Prozent wie in Frankreich gab, hatten wir eine florierende Binnenkonjunktur. Dort, wo es sehr niedrige Lohnabschlüsse gab, wie in Deutschland und Italien, hatten wir zwar einen starken Export aber eine schwache Binnenkonjunktur. Logischerweise trugen die beiden Länder die rote Laterne beim Wirtschaftswachstum in der Europäischen Gemeinschaft. Über unsere Wettbewerbsfähigkeit entscheidet aber nur der Wettbewerbslohn. Dieser wird wiederum durch die Produktivität bestimmt. Und Lohnabschlüsse sind immer auch Rentenabschlüsse. Dies ist bei der Rentendebatte der letzten Jahre übersehen worden. Die Verschlechterung der sozialen Lage der Rentner dient nur den Unternehmen und der Versicherungswirtschaft. Eine Gesellschaft braucht Modernisierung und Tradition. Gewerkschaft und Politik aber müssen dabei bleiben, dass die Wirtschaft dem Menschen dient und dass es kulturelle und soziale Werte gibt, die auch dann nicht aufgegeben werden dürfen, wenn neue Technologien das wirtschaftliche Leben verändern.

report

30 Jahre SSG,engagiert, solidarisch, europäisch!

Die Südtiroler Schulgewerkschaft (SSG) wird heuer 30 Jahre alt. Sie wurde gegründet, um die Interessen der Südtiroler Lehrerschaft effizient vertreten zu können. Vieles wurde schon erreicht: der Landeskollektivvertrag wurde von der SSG durchgesetzt, damit war endlich eine angemessene Entlohnung der Lehrer/Innen möglich. Nun steht die SSG vor neuen Herausforderungen, nur gemeinsam und solidarisch sind diese Ziele zu erreichen.
Frühjahr 1998
Endlich wird ein wichtiges Ziel der SSG erreicht: der erste Landeskollektivvertrag für Lehrer/Innen tritt in Kraft. Damit können die vielseitigen Leistungen der Südtiroler Lehrer/Innen einigermaßen honoriert werden. Was viele nicht wissen: von Heidi Frötscher und Karl Campei wurden jahrelange Vorarbeiten hinter den Kulissen geleistet. Noch 1991 hatte der Altlandeshauptmann Silvius Magnago auf einer Tagung in Neustift gesagt, das Land Südtirol könne sich die Übernahme der Lehrer/Innen nicht leisten. Erst mit zähem Verhandlungsgeschick, nach 75 Verhandlungsrunden konnte unter der Regierung Durnwalder der Durchbruch erzielt werden: die Lehrer/ Innen wurden an das Land delegiert. Dieser erste Vertrag war ein großer Wurf und wurde laufend weiterentwickelt. Südtirols Lehrer/Innen stehen heute gut da: soeben wurden neue Kompetenzen ans Land delegiert, Südtirol kann weitgehend autonom die Lehrergehälter gestalten und die Zusatzrente wird bald kommen.
Mehr Rechte für Südtirols Lehrer/ Innen!
Vor 30 Jahren hätte man nicht gedacht, daß dies alles möglich sei. Die SSG wurde im Jänner 1973 von engagierten Lehrern/ Innen gegründet. Ursache war ein wirklicher Notstand: die Einheitsmittelschule war eingeführt worden, viele Lehrer/ Innen wurden gebraucht und arbeiteten mit großem Einsatz. Etwa 90 Prozent waren nicht in der Stammrolle und das seit über 10 Jahren. Es hatte keinen Wettbewerb mehr gegeben und Rom schien keine Eile bei der Durchführung von Stammrollenprüfungen zu haben. Die nationalen Gewerkschaften setzten sich für die spezifischen Südtiroler Probleme kaum ein. Ein wirklicher Notstand! Es mußte gehandelt werden!
Von Anfang an hatte die SSG folgende Hauptziele:
- Absicherung der Südtiroler Lehrer/Innen und starke Vertretung
- Ausbau der autonomen Kompetenzen auf allen Ebenen
- Serviceleistungen vor Ort, auch in den entlegendsten Tälern
- Solidarität und Basisdemokratie
Viel erreicht!
In 30 Jahren hat die SSG viel erreicht. Wettbewerbe wurden regelmäßig ausgeschrieben, heute sind fast alle Lehrer/Innen in der Stammrolle. Die Rechte der Supplenten/ Innen wurden ausgebaut, so wird das Sommergehalt mittlerweile ausbezahlt, Mutterschaftsregelungen greifen auch bei Supplentinnen. In individuellen Beratungsgesprächen werden Lehrer/ Innen in allen Bezirken Südtirols regelmäßig betreut.
SSG neu!
Die SSG, eine Erfolgsgeschichte! Doch die Gewerkschaft steht vor neuen Herausforderungen. Die Schule ist das Herzstück einer Gesellschaft, einer Gesellschaft im Umbruch,. Nur eine moderne, zukunftsfähige Schule kann die wirtschaftliche und politische Position Südtirols in Europa sichern! Viele Herausforderungen kommen auf Südtirol zu: Europäisierung und Internationalisierung, neue Technologien und die Informationsgesellschaft. In einer globalen Welt will Südtirol seine Identität bewahren und verwirklichen.
Für die Schule bedeuten diese Umbrüche:
- Schulautonomie zur besseren Bildungsausrichtung vor Ort
- Orientierung an Europa und Vereinheitlichung der Ausbildungs- und Schulsysteme
- neue Definition der Bildungscurricula für Schüler/ Innen und Lehrer/ Innen
- Die dienstrechtlichen Konsequenzen für Lehrer/ Innen werden jetzt schon diskutiert: Die Arbeitszeiten werden neu definiert unter Berücksichtigung geänderter Berufsbilder.
- Schulprogramme und Evaluation sichern Qualität
Dies alles spielt sich unter ökonomisch schwierigen Bedingungen ab, die öffentlichen Mittel müssen ökonomisch eingesetzt werden, die Pensions- und Sanitätssysteme sind im Umbau.
Hier liegen die großen Herausforderungen für die Gewerkschaft in Zukunft:
- Die Autonomie der Schule darf nicht auf Kosten der Mitbestimmung und Demokratie vor Ort gehen. Die SSG wird vom 1. – 16. Februar 2004 eine Südtirolweite Umfrage zum Funktionieren der Lehrerkollegien durchführen.
- Die SSG steht der Flexibilisierung positiv gegenüber, es darf jedoch keinen Sozialabbau geben und die Arbeitnehmerrechte müssen respektiert werden.
- die Berufsbilder und Berufscurricula der Lehrer/Innen sind neu zu definieren
- die Kollektivverträge müssen harmonisiert, d.h. an die Akademiker des Landes vollständig angepaßt werden
- Mobilität zwischen allen Schulstufen und Schularten muss möglich sein
- gezielte Qualifizierungsprogramme für Lehrer/ Innen müssen angeboten werden um die Sprachschulung- und Kulturentwicklung in Europa aus der Sicht der Minderheit mitgestalten zu können
- das öffentliche Vor- und Fürsorgenetz muß konsolidiert werden (Zusatzrentenfond, Betreuung bei „Burn Out Syndrom", Mobbingberatung).
Auch die Gewerkschaft wird sich neue Ziele setzen:
- verstärkte Serviceleistungen für Mitglieder (Haftpflichtversicherung, Rechtschutzfond, Mobbingberatung, Schlichtung von Arbeitsstreitfällen...)
- Steigerung der Effizienz, Dienstleistungen sollen die Mitglieder schneller erreichen
- stärkere Mitbestimmung und Mitarbeit vor Ort
- die Rolle der gewerkschaftlichen Schulvertreter/ Innen ist neu zu definieren und aufzuwerten
- Verbesserung der Kommunikation auf allen Schulebenen
- Qualifizierung und Schulung des Gewerkschaftpersonals.
Multilevel Governance!
Mit diesem Schlagwort lassen sich viele dieser Ziele auf verschiedenen Ebenen anpeilen. Die Gewerkschaft ist keine Vorfeldorganisation der Politik, sondern ein gleichberechtigter politischer Partner. Die politische Entscheidungsfindung soll auf vielen Ebenen mitgestaltet werden, vor allem von den direkt Betroffenen.