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Die Festansprache von Harald Ettl
Dr. Harald Ettl, SPÖ-Abgeordneter zum Europäischen Parlament, seit vielen Jahren an höchster Stelle des ÖGB tätig, ein Kenner der europäischen Gewerkschaftsszene und mit dem ASGB seit vielen Jahren in enger Freundschaft verbunden, hat in seiner Rede das europäische Gewerkschaftswesen, seine Aufgaben, seine Zukunftsverpflichtungen und die Rolle der Sozialpolitik ganz allgemein behandelt. Er sagte unter anderem folgendes:
„Ich darf die Glückwünsche des Österreichischen Gewerkschaftsbundes an die Südtiroler Gewerkschaft, an den ASGB überbringen und das mit besonderer Herzlichkeit tun. Das insbesondere deshalb, weil unsere beiden Organisationen viel miteinander verbindet. Wir arbeiten auf vielen Ebenen gut zusammen und werden das auch in Zukunft tun, bei den vielen Herausforderungen, die uns noch bevorstehen.
Das Ringen um soziale Gerechtigkeit schließt die tägliche Arbeit mit der sozialen Gerechtigkeit ein. Es bedeutet einen permanenten Kampf um Ausgleich und um Balance, nach wie vor zwischen Arm und Reich. Es geht nach wie vor um Verteilungskämpfe. Wer kriegt mehr, wer sind die Menschen am unteren Ende der Lohn- und der Sozialskala. Es geht in diesem Kampf um mehr soziale Ausgewogenheit, um mehr soziale Gerechtigkeit, auch um einen Kampf mit uns selbst. Warum? Weil wir an unserer Sensibilität, an unserer Empfindsamkeit für sozial Schwache und alte Menschen permanent zu arbeiten haben und permanent arbeiten müssen. Beim Ringen um soziale Gerechtigkeit geht es auch darum, dass diese eng verbunden ist mit einem lebenslangen Lernen an der eigenen Toleranzfähigkeit, mit dem Ausbau der eigenen Toleranz gegenüber anderen, gegenüber Neuem, gegenüber die in uns tief sitzenden Egoismen. Das ist eine Herausforderung, der wir uns in vermehrtem Ausmaß zu stellen haben. Je besser die Wohlstandssituation ist, umso mehr geht es darum, eigene Egoismen zu überwinden. Das alles schließt den Umgang mit dem Ringen um die soziale Frage mit ein. Es geht um Balance, es geht um Ausgewogenheit und es geht um Empfindsamkeit, es geht um Sozialarbeit der Gewerkschafter.
Wenn wir über Sozialpartnerschaft reden, vergessen wir nur zu oft als Gewerkschafter zu sagen, dass wir Teil der Wirtschafts- und Sozialpartnerschaft sind. Das ist ganz elementar und wichtig für uns, weil wir uns nicht nur auf die soziale Frage reduzieren lassen sollen. Wir sind Teil der Wirtschaftspolitik, und das Zusammenspiel von sozial und wirtschaftlich ist unumgänglich und genau das kann die Ausgewogenheit bringen. Überall dort, wo die drei Partner: Regierung, Arbeitgebervertreter und Gewerkschaften im Stande sind, miteinander und nicht gegeneinander zu arbeiten, dort funktioniert auch die Sozialpartnerschaft, unabhängig von der politischen Färbung der jeweiligen Regierungen.
Die eine oder andere Arbeitnehmerorganisation hat Orientierungsschwierigkeiten, kann sich aus vielerlei Gründen nicht bewegen. Aber auch für die Gewerkschaften heißt es, sich der Zeit anzupassen, beweglicher zu werden. Auch wenn viele sagen, die Gewerkschaften sollen in ihren Verträgen immer flexibler werden. Wenn die Flexibilität, die Beweglichkeit, einseitig ausgelegt wird und der Arbeitnehmer den Kürzeren zieht, dann ist das keine Ausgewogenheit. Aber weil Ausgewogenheit da sein muss, geschaffen werden muss, brauchen wir die Wirtschafts- und Sozialpartnerschaft und haben wir in der EU die Vorkehrungen dafür.
Das Bewusstsein unter GewerkschafterInnen baut auf Tradition. 40 Jahre und vieles mehr bilden unseren wichtigsten Schatz, den wir in der Gewerkschaftsgeschichte haben. Das ist unsere Tradition, es ist die Arbeitergeschichte, die Gewerkschaftsgeschichte, und genau aus der können wir am meisten lernen. Sie soll uns Auftrag und Hilfe sein, Neues zu bewältigen und größte Schwierigkeiten und Probleme lösen zu können. Wir haben genug neue Aufgaben. Sorgen und Ängste begleiten uns auf allen Ebenen. Betriebsauslagerungen wurden heute angesprochen, auf neudeutsch heißt es so schön „outsourcing". Ganze Unternehmen werden von Konzernen ausgelagert. Dorthin, wo es am billigsten ist, Dienstleistungen werden ausgelagert, irgendwo bleibt irgendwer auf der Strecke, in der Regel sind es die Arbeitnehmer. Das heißt dann Globalisierung. Darüber gibt es genug Bücher und Analysen, aber eines steht fest: Die Globalisierung, immer mehr, immer raschere Veränderung, hat an Dynamik zugelegt und wird noch weiter an Dynamik zulegen. Wir müssen uns als Gewerkschaften sehr wohl gute Strategien zurecht legen, wie wir dem begegnen können. Die Herausforderungen für die Gewerkschaften haben wir europaweit, haben wir aber auch weltweit.
Vor welchen Herausforderungen stehen wir in der EU? Gestern waren wir 15, heute sind wir 25, wir wissen noch nicht, wie wir die zehn neuen Mitgliedsstaaten intern bewältigen. Da können die zehn Neuen nichts dafür, wenn sich die 15 Regierungen Europas vorher nicht richtig auf den Prozess der Erweiterung eingestellt haben. Die Schwierigkeiten, die uns in den nächsten fünf Jahren innerhalb der EU bevor stehen, greifen tief in die Arbeitnehmerpolitik ein. Da geht es darum, dass es innerhalb der EU zu keinem Lohndumping kommt, dass Arbeitnehmer in Österreich oder in Südtirol in nächster Zukunft bei stärkerer Arbeitgeberfreiheit nicht vom Kollektivvertrag her, sondern durch neue Arbeitsverhältnisse besonderer Art unterfahren werden können. Da geht es darum, dass wir die internen Schutzmechanismen der Kollektivvertragsräume ausbauen müssen zum Schutz derer, die dort leben, aber auch zum Schutz derer, die von außen kommen und bei uns arbeiten, damit sie nicht ausgebeutet werden.
Es geht natürlich in erster Linie darum, wie wir Arbeitsplätze in Europa halten, wie wir Arbeitsplätze schaffen können, wie die Politik das Zusammenspiel Wirtschaft und Soziales gestaltet. In allen Mitgliedsländern haben wir immer mehr die Tendenz, dass wir in Wirklichkeit mit 40 bereits uralt sind, ab 50 sowieso keinen Job mehr bekommen, und ab 60 da wollen wir gar nicht mehr darüber reden. Das ist die Situation, mit der wir konfrontiert sind und die wir vernünftig angehen und lösen müssen. Es geht um Arbeitsplätze, um soziale Sicherung für die Zukunft.
Meine letzte Botschaft an euch ist: Verstecken wir uns nicht nur hinter den Tagesproblemen, die wir zu Hause, im Betrieb haben. Das sind immer die größten. Der Betriebsrat hat es sicher sehr schwer, weil er tagtäglich mit den Sorgen und Problemen der Kolleginnen und Kollegen konfrontiert wird. Meine Botschaft an euch ist, dass wir einen verschärften Blick auf die Europapolitik werfen müssen und uns dort ungleich stärker einbringen. Wir müssen unseren Mitgliedern Europa mit all den Chancen und Risken und Problemen näher bringen. Das macht Europa für uns besser und das wollen wir. Glück auf!"