report
Erfolgreicher 11. Bundeskongress des ASGB

Ringen um soziale Gerechtigkeit

Vierzig Jahre – und kein bisschen müde
Der Autonome Südtiroler Gewerkschaftsbund ist eine lebendige, aktive und sehr stark in der Gesellschaft Südtirols verankerte Organisation, eine Einrichtung, die sich nicht mehr wegdenken lässt und die auch in Zukunft eine wichtige Funktion zu erfüllen hat. Dies kam bei unserem 11. ordentlichen Bundeskongress, der am 16. Oktober im Bozner Waltherhaus abgehalten wurde, sehr deutlich zum Ausdruck. Der Kongress war zugleich eine historische Bestandsaufnahme anlässlich unseres 40jährigen Gründungsjubiläums und zugleich auch eine offene Bestandsaufnahme der Lage der Südtiroler Arbeiterschaft und der Problemstellungen, die sich in den nächsten Jahren ergeben werden. In zahlreichen Resolutionen und Anträgen wurde alle relevanten Fragen behandelt und entsprechende Lösungen gefordert. Einiges davon können wir selbst tun, einiges muss die Politik beisteuern und vieles ist gemeinsam zwischen den Sozialpartner zu entscheiden.
Dass der ASGB sozialpolitisches und politisches Gewicht hat, zeigte die Anwesenheit vieler Gäste, darunter in erster Linie des Landeshauptmannes Luis Durnwalder mit mehreren Landesräten und Abgeordneten, der Vertretungen der Wirtschaft, der anderen Gewerkschaften und auch der Medien. Mit ihrer Teilnahme haben sie unterstrichen, dass der ASGB eine Kraft ist, deren Meinung und Forderungen ernst zu nehmen sind.
Dieser Eindruck ist auch vom Landeshauptmann in seiner inhaltsvollen Ansprache vermittelt worden. Er hat die Arbeit des ASGB für die soziale Entwicklung Südtirols betont, er hat unsere Leistungen gewürdigt und auch die Bereitschaft bekundet, in der von ihm geführten Landespolitik auf die wachsenden Anliegen der Arbeiterschaft weiterhin intensiv einzugehen. In der Tat ist die Zusammenarbeit zwischen Politik und Sozialpartnern eine unersetzliche Grundlage für sozialen Fortschritt, Wahrung des sozialen Friedens und lebendige Demokratie.
Im Mittelpunkt der Kongressarbeiten, die von Walter Andreaus gekonnt geleitet wurden, standen der Rechenschaftsbericht unseres Vorsitzenden Georg Pardeller und die Festansprache unseres Freundes vom Österreichischen Gewerkschaftsbund ÖGB, Harald Ettl. Diese beiden Grundsatzreferate geben wir in der Folge in gekürzter Form wieder.

report
Georg Pardeller:

„Wir sind eine Kraft"

Georg Pardeller begann mit einem historischen Rückblick auf die vierzig Jahre, die seit der Gründung des ASGB vergangen sind, und schilderte das Ringen unserer Gewerkschaft um Eigenständigkeit und vor allem um die Rechte der Arbeiterschaft im Sinne echter sozialer Gerechtigkeit. Er führte aus:
„Heute sind wir eine Kraft, die einen der Reichtümer unseres Landes darstellt. Wir sind die soziale Kraft Südtirols, wir sind die Komponente unseres Volkes, die soziale Gerechtigkeit einfordert. Ohne soziale Gerechtigkeit kann die demokratische Gesellschaft nicht auskommen. Deshalb stellen wir auch eine große demokratische Kraft dar.
Der ASGB suchte in einer nicht einfachen, sondern im Gegenteil recht komplizierten Lage seinen Weg: Eine Gewerkschaft zu sein, die den Arbeitern zu ihren Rechten verhilft, die soziale Gerechtigkeit anstrebt und bereit ist, dafür auch zu kämpfen. Es war alles eher als einfach. Zwar gab es die offizielle Unterstützung der regierenden Sammelpartei, und im Besonderen des damaligen Landeshauptmannes Silvius Magnago, seines Stellvertreters Alfons Benedikter und weiterer Politiker, aber nicht alle dachten so wie sie. Ein Teil der Bevölkerung war von allem Anfang an gegen die Gewerkschaften. Es war für sie nicht einfach, einzusehen zu beginnen, dass der Arbeiter kein Knecht im überlieferten Sinne ist, sondern ein Mensch mit Pflichten, Rechten, Ansprüchen, Hoffnungen und Erwartungen.
Gleichgestellt
Heute ist der ASGB den nationalen Gewerkschaften gleichgestellt. Er ist ein Gewerkschaftsbund mit fast 30.000 Mitgliedern. Wir sind ein Bund aus sechzehn Fachgewerkschaften, die in alle Bereiche des öffentlichen und privaten Wirtschaftslebens hineinreichen. Wir verfügen über rund fünfzig fest angestellte Mitarbeiter, über Hunderte von Betriebsräten und Gewerkschaftsvertretern vor Ort und über freie Mitarbeiter, die dem ASGB ein Fachwissen geben, das der Arbeiterschaft immer und überall zur Verfügung steht. Wir haben moderne Einrichtungen, in denen wir unsere Arbeit leisten, und wir gehen als ein kollegial geführtes soziales Unternehmen unseren Weg. Wir haben in Bozen ein eigenes Gewerkschaftshaus. Es gehört der Südtiroler Arbeiterschaft und wir sind alle stolz darauf. Wir haben Büros in allen Bezirken. Wir sind überall vertreten, wo es um die Interessen der Arbeiterschaft und ganz allgemein um die soziale Gerechtigkeit geht. Wir reden mit und wir entscheiden mit.
Gegenwart und Zukunft
Es gibt in Südtirol mehr als 20.000 Familien, die am Rande des Wohlstands, oder, um es drastischer zu sagen, am Rande der Armut, leben, deren Einkommen nicht mehr für ein würdiges und sicheres Auskommen reicht. Es gibt viele Tausende von Rentnern, die durch die bereits erfolgten und die noch anstehenden Pensionsreformen in wirtschaftliche Bedrängnis gekommen sind und in Zukunft noch kommen werden.
Es gibt Unternehmer, die erklären, die Arbeiter seien zu teuer. Das stimmt nicht. Es hat in den letzten Jahren wohl laufend Preissteigerungen gegeben, aber kaum Lohn- und Gehaltserhöhungen. Die Schere klafft immer weiter auseinander. Das ist die Wahrheit. Es gibt neue Formen der Arbeit, die ich, offen gesagt, zum Teil als neue Formen der Verunsicherung bezeichne, weil sie die Sicherheit des Arbeitsplatzes untergraben und dazu beitragen, dass Arbeitgeber sich mehr und mehr aus der Verantwortung für ein festes soziales Gefüge herausschälen können. Das nennt man dann Flexibilität.
Es gibt eine öffentliche Hand, die unter dem Druck starker wirtschaftlicher Interessengruppen manches Mal darauf vergisst, dass öffentliche Investitionen und öffentliche Beiträge zur Wirtschaftsförderung eine klare soziale Verpflichtung und Dimension beinhalten müssen.
Es gibt unzählige Familien, die nach Hilfe rufen, aber nicht gehört werden, weil die Politik mit ihren familienorientierten Vorsätzen zu langsam vorwärts kommt.
Es gibt junge Familien, die ein eigenes Heim haben möchten, es sich aber nicht leisten können, weil die Preise, gemessen am Einkommen, zu hoch sind und die öffentliche Hand, trotz großzügiger Förderungsmaßnahmen, auch nicht Schritt halten kann mit einer Welle der Teuerungen, die jeder Kontrolle zu entgleiten droht. Es gibt alte Menschen, Menschen mit Behinderung, Ausgegrenzte, die stärker am allgemeinen Wohlstand beteiligt werden möchten und zwar viele offene Türen, aber auch manche noch geschlossene vorfinden, weil unsere Gesellschaft dabei ist, im generellen Rennen nach immer mehr Wohlstand und Reichtum ihr soziales Herz zu vergessen.
Strategie
Der ASGB hat mit Blickrichtung auf diesen 11. Bundeskongress ein Strategiepapier ausgearbeitet, das in der Jubiläumsbroschüre enthalten ist. Darin behandeln wir alle aktuellen Themen. Zum Beispiel den Wert der Arbeit. Die Arbeit bildet die Voraussetzung für die Selbstverwirklichung des Menschen. Arbeit hat ihren Preis, so wie die Würde des Menschen, zu der das Recht auf Arbeit gehört, ihren Preis hat. Diesen Preis muss unsere Gesellschaft zu zahlen bereit sein. In der Arbeit ist alles enthalten, was das Leben der Menschen lebenswert macht: Das Auskommen, die Wohnung, die Gesundheit, die Bildung, die Freizeit, die Pflege der Familie und der Kinder, die Altersvorsorge.
Rolle der Familie
Das Leben der Familie hat sich sehr verändert, die Rolle der Frau in der Gesellschaft hat sich gewandelt, und die Politik muss darauf eingehen. Die Mündigkeit der Frau ist von unserer Gewerkschaft beständig vertreten und eingefordert worden. Trotzdem bestehen noch immer Diskriminierungen, die wir nicht hinnehmen. Wir sind eine aufgeschlossene Gesellschaft, die nach vorne strebt, und wir wollen, dass die Frauen mitgehen. Wir fordern mit ihnen den vollen Respekt der Gesellschaft.
Die Arbeitsplätze müssen familien- und frauenfreundlicher gestaltet werden, Kindererziehung und Altersabsicherung verlangen neue Maßnahmen. Der gute Nährboden für die Familie ist ein in jeder Hinsicht gesichertes Umfeld. Dazu gehören Wohnung, Anerkennung der Erziehungsarbeit, soziale Dienste, flexible Arbeitsmöglichkeiten, Betreuungseinrichtungen, wirtschaftliche Sicherheit, Sicherheit des Arbeitsplatzes, des Einkommens, der gesundheitlichen Versorgung, eine freundlich gestaltete Umwelt. Wo die Familie in Unsicherheit, unter Stress lebt, ist die heile Welt in Gefahr. Diese Gefahr können wir uns nicht länger leisten.
Einkommen
Breite Streuung des Einkommens belebt die Wirtschaft. Es ist der Volkswirtschaft nicht zuträglich, wenn nur ein Teil der Bevölkerung Geld hat, der andere Teil nicht. Wir sagen es immer: Arbeit muss sich lohnen. Was die Arbeiterschaft für die Volkswirtschaft leistet, ist den Preis sehr wohl wert. Es ist eine alte Weisheit: Geht es dem Arbeiter gut, geht es der Volkswirtschaft auch gut. Und umgekehrt. Wir sind damit einverstanden, dass die Wirtschaft aus unseren Steuermitteln Fördergelder erhält und investieren kann, denn wir leben alle von der Wirtschaft. Aber diese Gelder beinhalten auch eine soziale Verantwortung. Darunter verstehen wir auch, dass die so genannten neuen Formen der Arbeit sozial verträglich eingesetzt und nicht missbraucht werden, um billigere Arbeitskräfte einzustellen, soziale Perspektiven und Altersabsicherung zu minimieren, dafür aber die Gewinne zu maximieren. Ebenso bedauern wir, wenn Betriebe, die mit unseren Steuermitteln aufgebaut worden sind, ihre Produktion aus Südtirol weg verlegen, weil anderswo die Arbeit billiger ist. Einkommen sichern, soziale Standards halten ist das Mittel, um neue Armut zu verhindern.
Verantwortung in der Politik
Politik steht für Gemeinwohl. Der ASGB ist durch meine Person – mit großem Wahlerfolg – in die Politik eingetreten. Es war ein einstimmiger Beschluss unserer Führungsgremien. Wir sind davon ausgegangen, dass eine so große und starke Arbeitervertretung wie der ASGB politisch nicht abseits stehen darf und alle Möglichkeiten ausschöpfen muss, um die größtmögliche Plattform für den Einsatz im Interesse der Arbeiterschaft zu haben. Wir sind grundsätzlich der Auffassung, dass sich in allen vitalen Problemen unseres Landes Mehrheit und Opposition immer der offenen Diskussion stellen und das Brauchbare für unser Land und unser Volk durchsetzen sollen.
Soziale Fragen
Ich habe bereits kurz angeführt, dass es im sozialen Bereich heute Probleme gibt. Die Wohnungspolitik muss einkommensgerechter gestaltet werden, die Gesundheitspolitik muss dem Recht auf Gesundheit aller in wirtschaftlich verträglicher Weise gestaltet werden. Also keine neuen Belastungen für die Steuerzahler, dafür aber gezielte Haushaltsumlagen des Landes, und Beibehaltung aller erreichten Standards. Die Zusatzrentenbildung muss von der öffentlichen Hand noch gezielter als bisher unterstützt werden, um die Gefahr der Altersarmut von Generationen rechtzeitig zu bekämpfen. Hier muss die Wirtschaft noch einiges aufholen. Es ist eine Frage der Solidarität und der Vernunft, dass die Gesellschaft von heute für die Zeit von morgen vorsorgt, damit die Gesellschaft von morgen nicht ärmer wird und damit unweigerlich neue soziale Belastungen produziert.
Das gilt auch für die Pflegevorsorge. Sie ist unerlässlich für alle und sie muss von der gesamten Gesellschaft getragen werden, das heißt mit den Steuereinnahmen. Alle sollen sich nach ihrem Einkommen an dieser sozialen Entscheidung beteiligen, die wir heute unseren schwer geprüften Mitbürgerinnen und Mitbürgern, und morgen möglicherweise – oder sicher - uns selbst garantieren müssen. Das ist ein Gebot menschlicher Solidarität. Es ist eine Frage der Würde, des Respekts und der ethischen Wertehaltung, dass eine reiche Gesellschaft die Bereitschaft findet, für die globale Begleitung des Menschen in Not von der Wiege bis zum Grabe einzustehen.
Sozialpartnerschaft
Der ASGB hat in den vierzig Jahren seines Bestehens ein tragbares Verhältnis zur Wirtschaft hergestellt. Wir waren in Südtirol die Mitbegründer des sozialpartnerschaftlichen Dialogs. Das entspricht unserer Auffassung vom dynamischen Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Ich habe den Wirtschaftsverbänden vor einiger Zeit eine umfassende Denkschrift überreicht, in der alle wichtigen wirtschaftlichen und sozialen Fragen der Gegenwart Südtirols angeführt werden. Und wir erwarten und verlangen, dass wir auf dieser Grundlage in den nächsten Monaten intensiv beraten und verhandeln, um Missverständnisse abzubauen und gemeinsam neue Wege zu finden. Wir wollen der Politik neue Vorschläge machen und sie herausfordern. Das ist nur dann tragfähig und erfolgreich, wenn wir gemeinsam planen und gemeinsam vorgehen. Das betrifft auch die laufende Teuerung, die Preisgestaltung, die immer größer werdende Schere zwischen Einkommen und Auskommen.
Unsere Ziele sind, um es noch einmal deutlich zu unterstreichen, soziale Gerechtigkeit, sicheres Einkommen, umweltverträglicher Wohlstand, gute Bildungschancen, Gesundheits- und Altersvorsorge, Wohnung, familiengerechtes Umfeld, gesunde Umwelt, Erhaltung der angestammten Sprache und Kultur, eine gute öffentliche Verwaltung, die dem Bürger nahe steht und nicht Selbstzweck ist, Erhaltung des sozialen Friedens, Solidarität, Mündigkeit, Mitbestimmung.
Dank an alle
Mein Dank geht in erster Linie an alle Mitglieder des ASGB, die sich unermüdlich für die Südtiroler Arbeiterschaft einsetzen; an die Aktivisten und Mitarbeiter, an alle, die draußen, in den Städten und in der Peripherie, tagtäglich ihre Frau/ihren Mann stellen und sich nie von unserem Weg abbringen lassen; an unsere sechzehn Fachgewerkschaften, die einen großen Reichtum an Erfahrung mit ebensolch großem Einsatz verbinden.
Ich danke auch den konföderierten Gewerkschaften, den Wirtschaftsverbänden, welche die Sozialpartnerschaft ernst nehmen. Ich danke auch der Politik, die sich um soziale Offenheit und Ausgewogenheit bemüht. Ich danke den Medien, ohne deren Hilfe unsere Anliegen nicht genügend in die breite Öffentlichkeit kommen könnten, und ersuche sie, auch in Zukunft den sozialen Fragen Aufmerksamkeit und, wenn möglich, noch mehr Gewicht zu geben. Glück auf!"