Aktuell

Vereinbarkeit Familie und Beruf

Der ASGB hat in den Monaten September und Oktober eine Befragung zum Thema „Vereinbarkeit Familie und Beruf“ durchgeführt. Dieses Thema wird gesellschaftlich immer bedeutender. Im Vergleich zu anderen Ländern hinkt Südtirol allerdings hinterher. Um diesen Rückstand aufzuholen, haben die Sozialpartner kürzlich mit den Landesrätinnen Deeg und Stocker ein Rahmenabkommen unterzeichnet. Die Befragung des ASGB sollte in erster Linie ein aktuelles Stimmungsbild zu diesem Thema aufzeigen. Die Redaktion des Aktiv hat den Vorsitzenden des ASGB, Tony Tschenett, um ein Interview zu diesem Thema gebeten.

Aktiv: Tony, wie lauten die Eckpunkte des Rahmenabkommens zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, das mit der Landesregierung abgeschlossen wurde?
Tony Tschenett:
Die Eckpunkte sind folgende:

Die Erwerbstätigenquote der Frauen von aktuell 64,1 Prozent an jene der Männer anzupassen (aktuell 77,3 Prozent);
Im Jahr 2020 eine Beschäftigungsquote von 80 Prozent zu erreichen (aktuell 76,1 Prozent);
Die Wiederaufnahme der Arbeit von Seiten der Frauen nach der Mutterschaft und Elternzeit zu erreichen;
Im Besonderen junge Menschen zu unterstützen, einer der jeweiligen Qualifikation angemessenen Arbeit nachgehen zu können und diese mit ihren jeweiligen familiären Vorstellungen zu vereinbaren.
Aktiv: Was soll sich ändern, damit Vereinbarkeit einfacher wird?
Tony Tschenett:
Wirtschaft und Gewerkschaft
sind sich einig, dass:

die Notwendigkeit besteht, Einrichtungen und Dienste zur Betreuung von Kindern und Jugendlichen zu verbessern;
familienfreundliche Arbeitsbedingungen einen wertvollen Bestandteil betrieblichen Einrichtungen darstellen können, vorausgeschickt, dass die Organisation von Arbeitszeiten und Aufgabenbereichen so gestaltet wird, dass sie sowohl für Mitarbeiter als auch für Arbeitgeber von Vorteil sind;
eine verstärkte und bessere Anwendung neuer Beschäftigungsmodelle wie beispielsweise die Telearbeit unterstützt werden muss;
familienfreundliche Unternehmenspolitik von geeigneten unterstützenden Maßnahmen gerade in steuerlicher Hinsicht (z.B. begünstigte Steuersätze und Reduzierung der Steuerlast) unterstützt werden sollte;
bewährte Modelle zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Rahmen von vertraglichen Bestimmungen und unter Berücksichtigung organisatorischer Bedürfnisse des Arbeitgebers aufgewertet werden sollen;
die Inanspruchnahme der von den gesetzlichen Bestimmungen vorgesehenen Freistellungen für Menschen mit Beeinträchtigung und ihren Familienmitgliedern unterstützt wird.
Aktiv: Und jetzt zur Fragebogenaktion, wie viele Fragebögen sind eingegangen und wo drückt der Schuh am meisten?
Tony Tschenett: Wir haben 5.407 Fragebögen, davon 3.339 in Papierform und 2.068 online, zurück bekommen. Von den ausgewerteten Fragebögen wurden 72 Prozent von Frauen und 28 Prozent von Männern ausgefüllt. Insgesamt war die Mehrheit der Teilnehmer zwischen 20 und 60 Jahre alt und kam zu 48 Prozent aus dem öffentlichen Dienst. Der Großteil dabei kam aus einem vier Personen Haushalt, gefolgt von einem drei Personen Haushalt. Zur allgemeinen Stimmung der Befragten zu sagen ist, dass 34 Prozent die Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf als schlecht bis nicht befriedigend empfinden, 43,3 Prozent empfinden sie nur als befriedigend. Dass diesbezüglich Aufholbedarf besteht erscheint damit ziemlich klar. Wir haben auch viele persönliche Anmerkungen und Anregungen erhalten, die wir, wenn möglich auch in unsere weiteren Bemühungen einfließen lassen werden.
Aktiv: Wo siehst du den größten Handlungsbedarf, damit Familien besser unterstützt werden?
Tony Tschenett: Wie aus der Umfrage hervorgeht, wünschen sich die Familien die Wahlfreiheit, die Arbeitsplatzgarantie und gesicherte Teilzeitarbeitsplätze mit Rentenabsicherung.
Der ASGB fordert schon seit längerer Zeit, dass für die Eltern in der Privatwirtschaft für die Zeit der Kindererziehung zu Hause die Pensionsbeiträge weiter eingezahlt werden und dass der Arbeitsplatz erhalten bleibt, so wie dies im öffentlichen  Dienst der Fall ist. Nur so kann eine Wahlfreiheit auch für die Eltern, die in der Privatwirtschaft arbeiten, gewährleistet werden.
Aktiv: Wie wir alle wissen, ist es um die Rentensituation der Frauen in Südtirol schlecht bestellt und durch die Einführung des Beitragssystems wird sich die Situation in Zukunft noch verschlechtern. Wie kann gegengesteuert werden?
Tony Tschenett: Gerade deshalb ist es wichtig, dass für die Kindererziehung in der Privatwirtschaft die gleichen Voraussetzungen geschaffen werden, wie sie im öffentlichen Dienst schon bestehen, d.h., dass die Rentenbeiträge für die Mütter, die aus Erziehungsgründen zu Hause bleiben, von der öffentlichen Hand einbezahlt werden. Wir können uns in dieser Angelegenheit nicht auf den italienischen Staat verlassen, sondern müssen gemeinsam mehr Druck auf die lokale Politik ausüben. Was die Arbeitsplatzgarantie in der Privatwirtschaft betrifft, müssen entsprechende Abkommen mit der Wirtschaft ausgehandelt werden. Betreffend die Rentensituation ist es unerlässlich, dass sich die Menschen mit einer Zusatzrentenversicherung ein zweites Standbein schaffen, wenn sie der Altersarmut entgehen wollen.
Aktiv: Die Region gibt zwar heute schon Zuschüsse zur rentenmäßigen Absicherung der Erziehungszeiten/Pflegezeiten, welche aber offensichtlich bürokratisch und finanziell sehr aufwendig sind und daher nicht ausreichend genutzt werden. Gibt es da Aussicht auf Verbesserungen?
Tony Tschenett: Ja es muss Aussichten geben und zwar in die Richtung, dass das Geld für die freiwillige Weiterversicherung, welches zur Zeit von den Bürgern vorgestreckt werden muss und sehr viel kostet, in Zukunft direkt von der Region an das NISF/INPS überwiesen wird. Das wäre unbürokratisch und würde der öffentlichen Hand im Endeffekt gleich viel kosten.
Aktiv: Laut Ergebnis der Umfrage spielen die Betreuungseinrichtungen keine so große Rolle. Wie bewertest du dieses Ergebnis?
Tony Tschenett: Aufgrund unserer vielen Kontakte mit den Menschen vor Ort haben wir dieses Ergebnis bereits vermutet. Sehr viele Frauen würden es vorziehen, bis zum 3. Lebensjahr des Kindes zuhause zu bleiben, wenn es die Voraussetzungen dafür gäbe. Diesem Ergebnis muss unserer Ansicht nach nun auch die Politik und die Wirtschaft Rechnung tragen.
Aktiv: Was sind nun die nächsten Schritte, damit die Forderungen dieser Umfrage auch umgesetzt werden können?
Tony Tschenett:


1. Erarbeitung eines Forderungskataloges an Politik und Wirtschaft
2. Überarbeitung des Regionalgesetzes bezüglich Rentenabsicherung und freiwillige Weiterversicherung
3. Engere Zusammenarbeit mit dem Katholischen Familienverband in dieser Angelegenheit.

Tony wir bedanken uns für dieses Gespräch!

Verbrauchertelegramm
GESUNDHEITSREFORM

Dekret über die „Angemessenheit“ der Verschreibungen ist weiterer Schritt Richtung Zwei-Klassen-Medizin

Das derzeit auf gesamtstaatlicher Ebene in Entwurf befindliche Dekret über die Angemessenheit der Verschreibungen wird von der Verbraucherzentrale Südtirol (VZS) äußerst kritisch begutachtet.
Mit diesem Dekret plant man, die „Verschreibbarkeit“ von 208 Leistungen strikten Bedingungen zu unterwerfen. Das Dekret sieht unter gewissen Umständen auch Strafen für die verschreibenden ÄrztInnen vor, so etwa bei Missbrauch oder enormer Verschwendung, wie Gesundheitsministerin Lorenzin erklärte.
Somit riskieren Patienten, diese Leistungen nicht mehr in Anspruch nehmen zu können – außer sie sind in der Lage, die Leistungen selbst zu bezahlen. Und dies liegt nicht für alle im Bereich des Möglichen, das belegen die stetig steigenden Zahlen über den Behandlungsverzicht: in Südtirol sind zwischen 2011 und 2013 die Ausgaben für die Gesundheit um 14% gesunken. Damit wäre das Dekret neben den unmöglich langen Wartezeiten ein weiterer Schritt Richtung Zwei-Klassen-Medizin.
Die Verbraucherverbände des nationalen Verbraucherbeirats CNCU, unter ihnen die Verbraucherzentrale Südtirol, haben daher um ein Treffen mit der Gesundheitsministerin ersucht, um die Rechte der PatientInnen auf Zugang zu den Behandlungen sichergestellt zu wissen.