Thema

Würdigung der Berufsschulen

In Bezug auf die überlange, ausnützerische Lehrzeit bei den Handwerkslehrlingen hat sich der Landesverband der Handwerker einen Verlegenheitsvorschlag einfallen lassen: Keine Kürzung der Lehrzeit auf europäische Zeitspannen von rund drei Jahren, gingen doch die Begünstigungen der Sozialabgaben zum Nulltarif verloren, dafür aber Verlängerung der Berufsschulzeit auf vier Jahre, nachdem die gewünschte und heute auch umso notwendigere theoretische Ausbildung Ausmaße angenommen hat, die in rund je 35 Schultagen der drei Berufsschuljahre wirklich auch bei fleißigen und lerninteressierten Jugendlichen schwer unterzubringen ist. Tatsächlich fordern die Lehrmeister von dem einzigen Berufsschultag pro Woche in den drei Schuljahren, dass neben Deutsch und Gemeinschaftskunde, Fachrechnen, Fachzeichnen, Werkstoff- und Arbeitskunde auch noch die zweite Landessprache, EDV und eventuell Englisch nach neuzeitlichen Programmen unterrichtet und von den Lehrlingen gut beherrscht werden. Bei Handwerkslehrlingen sollen dann im praktischen Unterricht in der Schulwerkstatt auch noch alle Fertigkeiten eingeübt werden, die der Beruf braucht, aber der Lehrmeister aus Zeitmangel und Leistungszwang nicht beizubringen gewillt ist. Der Ausbildungsrahmen als Zeitplan für die praktische, duale Ausbildung im Betrieb ist für die Lehrbetriebe nicht Hilfe, sondern lästige und überflüssige Einschränkung, ist der Lehrling doch für Arbeit und Leistung im Betrieb und gleichzeitig das billigste, notwendige Händepaar für jede Verwendung, günstiger als ein Hilfsarbeiter, ist er doch nur teilentlohnt und befreit von Sozialabgaben! Also, verlangen wir halt (scheinheilig) ein viertes Berufsschuljahr und opfern wir einen Arbeitstag pro Woche für die Berufsschule, nachdem das Landesgesetz eh´ den Pflichtbesuch der Berufsschule für die Gesamtdauer der Lehre vorschreibt. Also ist die Berufsschule nicht Hilfe, sondern nur notwendiges Übel!
Dabei verkennen die Lehrmeister, dass sie selbst sich mit dem Lehrvertrag zur umfassenden theoretischen und praktischen Ausbildung des Lehrlings als Berufsnachwuchs verpflichten und ihnen die Landesverwaltung zur Hilfe gratis und franko im Dualsystem die theoretische Ausbildung durch den Pflichtbesuch der Berufsschule abnimmt. Wenn auch die heute tätige Generation der Handwerker schon durch die Berufsschule ausgebildet wurde und zur Errichtung ihres Leistungsniveaus deren Hilfe beanspruchen konnte, wird von diesen noch die entscheidende und geordnete Ausbildungshilfe nicht entsprechend gewürdigt und anerkannt. Auch die Ersatzleistung für die Meisterunterweisung durch den Berufsschulunterricht wird leider oft als Kostenfaktor für Arbeitsausfall des Lehrlings im Betrieb betrachtet, statt den Unterricht und die Erziehungstätigkeit für Lehrlinge als wesentliche und häufig einzige Hilfe auf dem Berufsweg des Jugendlichen auf Kosten der öffentlichen Hand durch die Berufsschullehrer mit Dank anzuerkennen. Und wie viele Werkzeuge, Geräte, Maschinen, Instrumente sehen Lehrlinge und lernen den Einsatz erstmals in der Berufsschule, weil Betriebe zu lückenhaft ausgerüstet sind! Daher ist viel mehr Respekt und Anerkennung für die Landesberufsausbildung zu zollen und eine viel produktivere Zusammenarbeit in Ausbildung und Erziehung zu leistungsfreudigen Berufstätigen seitens der Verantwortlichen zu bieten. Deswegen ist die Berufsausbildung, einschließlich Lehrlingswesen mit dem zugehörigen Verwaltungsamt im Schulassessorat anzusiedeln, die Lehr- und Berufsschuldauer unter Federführung der Schulbehörde mit den Sozialpartnern und deren Fachleuten festzulegen, eine schulische, zweijährige Grundausbildung nach Berufsfeldern und Spezialisierung im dritten Lehrjahr in Turnussen oder Jahresklassen zu organisieren und die Berufsbefähigungsprüfung am Ende der Berufsschulzeit abzuhalten. So erleichtert man die Berufs- und Lebensplanung der Jugendlichen und gewinnt deren Vertrauen in die Gesellschaft. Und die Nutznießer der Ausbildungsleistung durch die Berufsausbildung nähren aus guter und nutzbringender Erfahrung Respekt und Würdigung für den Beitrag zum Fortschritt unserer Gesellschaft. •

Aktuell

Atypische Arbeitsverträge

Die Arbeitswelt ist ständigen Veränderungen unterworfen. Die normale Laufbahn eines Bediensteten, die auf einen fixen Arbeitsplatz aufgebaut war, mit einem Dienstverhältnis auf unbestimmte Zeit und auf eine geregelte Arbeitszeit, nimmt immer mehr ab.
Im Laufe des Lebens wird mehrere Male die Arbeit gewechselt, und der Eintritt in den Arbeitsmarkt findet gewöhnlich über „flexible", sogenannte „atypische" Verträge statt.
Die Gründe für diese Veränderungen sind vor allem im globalen Wettbewerb zu suchen, dem die Unternehmen ausgesetzt sind. Die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen ändert sich ständig. Die Arbeitskraft wird laufend den Gegebenheiten angepasst. Zu den wichtigsten Mitteln dieser Anpassung zählen die Verträge auf bestimmte Zeit, die Leiharbeit, die Teilzeitbeschäftigung, die fortwährende und koordinierte Mitarbeit, usw., die es den Unternehmen ermöglichen, die Anzahl des Personals nach den Schwankungen der Konjunktur zu richten.
Die „Flexibilität" betrifft nicht nur die Unternehmen. Da die Lebensgewohnheiten und die sozialen Strukturen sich geändert haben, können „flexible" Arbeitsformen auch für die Bediensteten von Vorteil sein, wenn diese den persönlichen Erfordernissen entsprechen. „Atypische" Verträge haben vielen Personen den Eintritt in den Arbeitsmarkt erleichtert, auch Personen, die früher ausgeschlossen waren, besonders Frauen mit Familie. Trotzdem kann die Forderung der Unternehmen nach „Flexibilität" die Arbeiterinnen und Arbeiter in eine schwierige Lage bringen. Personen mit „atypischen" Verträgen sind eher dem Risiko ausgesetzt, den Arbeitsplatz zu verlieren. Sie haben einen geringeren Zugang zu Ausbildungsmöglichkeiten und oft auch eine niedrigere Entlohnung. Bedingt durch geringere Sozialbeiträge ist die gesamte soziale Absicherung schlechter, auch die Rente fällt niedriger aus. Die möglichen Risiken einer übertriebenen „Flexibilität" geben deshalb Anlass zur Sorge.
Der Südtiroler Arbeitsmarkt weist eine hohe Quote von Beschäftigen mit „atypischen" Verträgen auf. Die Ursache liegt wohl im Mangel an Arbeitskräften. Die „Flexibilität" noch weiter voranzutreiben, könnte das jetzige soziale Gefüge schwächen. Die Gewerkschaften sollten diese Entwicklung nicht nur im Auge behalten, sondern für die Arbeiterinnen und Arbeiter auch angemessene Informationsdienste schaffen. Nur eine lückenlose Information ermöglicht es den Arbeiterinnen und Arbeitern, die Vorteile und die Risiken dieser Arten von Verträgen abzuwägen, um dann mit sicherer Kenntnis die berufliche Laufbahn zu wählen.
Im neuen Kollektivvertrag für die Metallindustrie beispielsweise ist für die Gewerkschaften gerade die Einschränkung der „atypischen" Verträge eine der zentralen Forderungen. „Flexibilität" darf nicht ausufern und schon gar nicht zur „Narrenfreiheit" für die Betriebe werden. •