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„So baut das Handwerk auf goldenem Boden“

In Rekordzeit wurde Anfang September von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden das Landesabkommen zur Neuregelung des Lehrlingswesens in den Bereichen Industrie und Handwerk der Autonomen Provinz Bozen Südtirol in folge des neuen Landesgesetzes über das Lehrlingswesen unterschrieben. Nachstehend ein Gespräch mit LVH-Vizepräsident Martin Haller und dem Vorsitzenden des ASGB,Tony Tschenett.



Was bedeutet dieses Abkommen für Betriebe und für Lehrlinge?

Martin Haller: Das Abkommen bildet eine gute Basis für die Entwicklung der dualen Ausbildung für Jugendliche zwischen 15 und 26 Jahren.

Tony Tschenett: Durch die Vereinheitlichung zwischen Industrie und Handwerk bringt das neue Abkommen weniger Bürokratie dafür Klarheit in der Anwendung mit sich.

Was ist neu an diesem Abkommen?

Tony Tschenett: Neu ist zunächst die Tatsache, dass es jetzt nur noch ein einziges Abkommen in der Materie gibt. Das heißt, es gibt zwischen Industrie und Handwerk in der Ausbildung von Lehrlingen keine Abweichungen mehr. Zweitens: Es wurden die Prozentsätze der Entlohnung der Lehrlinge für beide Sektoren angeglichen. Neu ist auch, dass die gleiche Behandlung im Falle von Krankheit und Arbeitsunfällen vorgesehen wird und schließlich die Probezeit: sie ist jetzt für alle gleich.

Martin Haller: Neu ist, dass die gesamte Materie sehr transparent geregelt wurde. Wichtig für uns war, dass der Lehrling jetzt je nach Ausbildungsjahr, sprich seinen Leistungen entsprechend, entlohnt wird. Die Einstufung der Entlohnung während der Ausbildungszeit ist somit nachvollziehbarer.

Ab wann wird es angewandt?

Tony Tschenett: Das Abkommen ist am 1. September 2012 in Kraft getreten und bis 31. Dezember 2015 gültig. Das Abkommen sieht als Übergangsbestimmung vor, dass die Lehrverträge, die zwischen 26.04.2012 und 10.7.2012 abgeschlossen wurden, an die neuen gesetzlichen Bestimmungen anzupassen sind. Dazu werden die Betriebe eine schriftliche Auforderung erhalten. Die Verträge, die nach 11.7.2012 abgeschlossen wurden, werden automatisch angeglichen.

Was sind die Gründe für die Gewerkschaften und für den LVH, dieses Abkommen in dieser Form zu unterschreiben?

Tony Tschenett: Für uns war die Vereinheitlichung zwischen Industrie und Handwerk sehr wichtig. Endlich konnten die Prozentsätze der Entlohnung in beiden Sektoren angeglichen werden.

Martin Haller: Für den LVH war es wichtig, dass das Abkommen umgehend zu Stande kommt, damit die Betriebe und die Lehrlinge wissen, was auf sie zukommt. Es war uns wichtig, dass auch der finanzielle Rahmen für die Betriebe passt. In den zusätzlichen Ausbildungsstunden an der Berufsschule sollten die Pflichtkurse im Bereich Arbeitssicherheit abgedeckt werden.

Welche Botschaft an die Eltern eines Jugendlichen und an die Betriebe verbindet man mit diesem Abkommen?

Martin Haller: Das Handwerk baut auf goldenen Boden. Dieser Kollektivvertrag ist Ausdruck der Lehre als eine lebendige Ausbildung für jeden jungen Mann und jede junge Frau, die keinen Job suchen, sondern einen Beruf mit Zukunft. Für die Betriebe ist es nach wie vor interessant, Lehrlinge auszubilden. Wir Handwerker dürfen nie vergessen, dass die Ausbildung von Jugendlichen immer ein Erfolgsfaktor ist.

Tony Tschenett: Dieses Abkommen ist innerhalb drei Verhandlungsrunden, also in Rekordzeit, unterschrieben worden. Mit diesem Abkommen und dem neuen Landesgesetz können sowohl Betriebe als auch Lehrlingen auf klare Rahmenbedingungen zurückgreifen. Ich finde sie stellen für die Betriebe eine gute Chance dar, einen attraktiven Ausbildungsplatz anzubieten und für den jungen Menschen eine Ausbildung mit Perspektive anzutreten.

Worin liegt der Vorteil, dass heute das Handwerk kürzere Lehrzeiten hat und die Industrie längere?

Martin Haller: Die Struktur der Betriebe in Industrie und Handwerk lässt in der Praxis nicht zu, dass Lehrlinge sehr unterschiedlich ausgebildet werden. Für gleiche Berufsbilder haben wir also jetzt auch gleiche Lehrzeiten. Außerdem haben die staatlichen Vorgaben keinen großen Spielraum zugelassen.

Tony Tschenett: Die Vereinheitlichung der Lehrlingsausbildung in Industrie und Handwerk war bei uns Grundgedanke aller Bemühungen.

Welche Vorteile bringt ein Lehrvertrag für den Betrieb?
Martin Haller: Mit dem neuen Landesgesetz und mit diesem neuen Kollektivvertrag kann sich der Betrieb Lehrlinge weiterhin leisten. Für Betriebe sind nach wie vor reduzierte Sozialabgaben für Lehrlinge vorgesehen. Außerdem sieht das Ministerium in Rom für das Jahr 2012 eine einmalige Förderung für Lehrbetriebe in Höhe von 5500 Euro vor. Hier empfehle ich, die Internetseite www.italialavoro.it zu konsultieren.

Wie viel verdient ein Lehrling heute?

Tony Tschenett: Die Entlohnung des Lehrlings ist an der Bruttogesamtentlohnung des qualifizierten Facharbeiters gekoppelt. Für den ersten Halbjahr sind 40 Prozent, für den zweiten Halbjahr 45 Prozent, für den dritten Halbjahr 50 Prozent, für das vierte Halbjahr 60 Prozent, für das dritte Jahr schon 80 Prozent und für den vierten Jahr 85 Prozent vorgesehen.
Wieso gibt es Lehreberufe mit drei und Lehrberufe mit vier Lehrjahren?

Martin Haller: Das Handwerk hat 108 Lehrberufe. Die technischen Voraussetzungen sind zum Teil sehr unterschiedlich. Leider hat der Gesetzgeber diesen unterschiedlichen Anforderungen nicht in allen Berufen Rechnung getragen. Das neue Landesgesetz sieht nach der herkömmlichen Lehre die so genannten „berufsspezialisierende Lehre“ vor. Sie kommt nach der Fachschule, nach der Matura oder nach einer abgeschlossenen Lehre in Frage, wenn ich mich z.B. als ausgebildeter Elektrotechniker im Bereich Fotovoltaik spezialisieren will.

Tony Tschenett: Für die berufsspezialisierende Lehre werden in Kürze die Verhandlungen für den Kollektivvertrag stattfinden.

Welchen Einfluss wird dieses Abkommen auf die Lehrlingsausbildung haben?

Martin Haller: Ich nehme an, dass das neue Landesgesetz und das neue Abkommen der dualen Ausbildung in der Gesellschaft mehr Anerkennung erfährt. Auch die Perspektive der Matura in der Berufsbildung wird die Lehre aufwerten.

Tony Tschenett: Ja, die Möglichkeit der Matura wird dem einen oder anderen Jugendlichen die duale Ausbildung schmackhafter machen.

Interview: Margareth Bernard LVH

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Gemeindetarife 2012

Wohnen und Lokalsteuern tragen zur Verarmung der Arbeitnehmerfamilien bei

Die Beobachtungsstelle für Preise und Tarife der Autonomen Provinz Bozen - Südtirol veröffentlicht die Gemeindetarife für Wohnen und Lokalsteuern des Jahres 2012, welche von den einzelnen Gemeinden mitgeteilt wurden.




Im Jahr 2012 gibt eine Beispielfamilie durchschnittlich 371,01 Euro für diese Gemeindetarife aus. Dies entspricht einer Steigerung von 3,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die kräftigsten Erhöhungen zeigen sich bei den Tarifen für Trinkwasser und für Kanalisation und Abwasserklärung mit einer mittleren Steigerung von jeweils 6,0 Prozent. Nun stellt sich für einen Normalbürger die Frage: Wenn schon die Lokalsteuern offiziell so angestiegen sind und außerdem noch die normalen Preiserhöhungen für Lebensmittel, Strom, Gas und vor allem Benzin sowie anderer Konsumgüter hinzugezählt werden müssen, wie hoch ist dann die Teuerungsrate wirklich im Jahr 2012? Zu all diesen „normalen“ Preissteigerungen muss auch noch die IMU-Steuer hinzugezählt werden. Alles in Allem wird Ende des Jahres vermutlich für die Arbeitnehmerfamilien eine Ausgabenerhöhung im Ausmaß eines Monatslohnes zu verzeichnen sein. Und wo bleiben im Gegenzug die Lohnerhöhungen? Seit mehr als einem Jahrzehnt sind keine realen Lohnerhöhungen mehr zu verzeichnen und auch die Inflationsangleichungen wurden zum Teil eingefroren oder hinken weit der realen Preissteigerung hinterher. Wie soll das von der arbeitenden Bevölkerung finanziert werden und was steckt wirklich dahinter?
Wenn Preise ansteigen dann gibt es sicherlich jemand der davon profitiert. Da es aber nicht die Lohnabhängigen sind, wer dann? Die Beantwortung dieser Fragen ist aus finanztechnischer Sicht sicherlich nicht einfach zu beantworten und für einen Laien wahrscheinlich auch unverständlich. Tatsache aber ist, dass es bei jeder Preissteigerung jemanden gibt der damit verdient und jemanden der dabei verliert. Das hängt vor allem mit den Geldanlagen und den entsprechenden dafür zu bezahlenden Zinsen zusammen. 90 Prozent der ausbezahlten Zinsen gehen an zehn Prozent der Bevölkerung die somit immer reicher wird während 90 Prozent der Bevölkerung immer ärmer wird. Zu den Verlierern gehören unweigerlich die Konsumenten und hier vor allem die Lohnabhängigen. So lange unser heutiges Geldsystem besteht, muss die Wirtschaft immer mehr produzieren um immer mehr Wachstum zu erzielen damit dieses System aufrecht erhalten bleibt. Wird kein Wachstum mehr erzielt, spricht man von Rezession und Wirtschaftskrise was sich dann wiederum negativ auf die Lebensqualität der Arbeiter auswirkt.
Es wird höchste Zeit, dass wieder ein Gleichgewicht zwischen Preissteigerungen und Lohnentwicklungen hergestellt wird, denn es kann nicht sein, dass ganze Bevölkerungsschichten durch eine falsche Wirtschaftspolitik verarmen während einige immer reicher werden. Wir können in Südtirol beginnen und die Belastungen der Familien durch die Senkung von Gemeindetarife eindämmen, wie z.B. durch die Abschaffung der Gemeindezusatzsteuer welche noch in 14 Südtiroler Gemeinden (Vintl, Meran, Bozen, Brixen, Branzoll, Auer, Salurn, Terlan, Villanders, Leifers, Eppan, Montan, Sarntal und Tramin) eingehoben wird. Der durchschnittliche IRPEF-Zuschlag beträgt in diesen Gemeinden pro Person im Jahr 121,15 Euro. Außerdem muss die Belastung der Arbeiterfamilien durch die IMU so gering wie möglich gehalten werden und dies durch die Erhöhung der Freibeträge bzw. durch massiven Druck auf die italienische Regierung, damit diese ungerechte Steuer wieder abgeschafft wird oder eventuell vom Land übernommen wird.
Die Preisentwicklung muss in Südtirol verstärkt kontrolliert werden, damit die Familien wieder ein Auskommen mit ihrem Einkommen haben. In diesem Zusammenhang sei davor gewarnt, immer so zu tun als könnte man auf lokaler Ebene nichts unternehmen. Die jährliche Teuerungsrate liegt in Südtirol weitaus höher als im restlichen Staatsgebiet und ist somit zum Großteil hausgemacht. Auch hier gibt es genug Möglichkeiten einzuwirken und somit indirekt dafür zu sorgen, dass den Familien wieder mehr Kaufkraft zur Verfügung zu steht. Ohne genügend Kaufkraft der arbeitenden Bevölkerung und somit ohne Steigerung des Inlandkonsums kann es kein Wirtschaftswachstum geben. Die Steuerbelastungen für die Lohnabhängigen und die Wirtschaft müssen massiv gesenkt und gerechter gestaltet werden. Einiges kann auf Landes- und Gemeindeebene unternommen werden, anderes muss auf Staats- oder Europäischer Ebene erfolgen. Wir alle sind aufgefordert unseren Einfluss in allen Bereichen geltend zu machen damit hier endlich etwas geschieht. Der ASGB wird sich seiner Verantwortung nicht entziehen und an vorderster Front bei der Durchsetzung dieser für die Arbeitnehmer überlebenswichtigen Maßnahmen stehen. Wenn dies nicht bald erfolgt dann wird es wohl mit dem sozialen Frieden vorbei sein wobei die Folgen vorhersehbar sind. Die Geschichte hat es uns vorgemacht, deshalb sind alle Verantwortungsträger gut beraten, wenn sie diesem Umstand Rechnung tragen; die Geduld der Bevölkerung neigt sich langsam dem Ende zu.