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Interview mit Thomas Widmann, Landesrat für Gesundheit

Die Herausforderungen des Südtiroler Gesundheitswesens

aktiv: Sehr geehrter Herr Landesrat, Sie haben durch Ihren furiosen Auftritt bei den Auftaktpressekonferenzen in der Südtiroler Bevölkerung große Hoffnungen geweckt. Sie haben den Ruf, als „Macher“ Problemen mit konkreten Maßnahmen zu begegnen. Eines der großen Sorgenkinder des Südtiroler Gesundheitswesens ist die Notaufnahme im Bozner Krankenhaus. Welche Maßnahmen sollen zur Entlastung der Notaufnahme beitragen?
Landesrat Thomas Widmann: Es ist freilich kein Geheimnis, dass die Wartezeiten in der Bozner Notaufnahme einfach zu lange sind. Dieses Problem verlangt auch deshalb schnelles Agieren, weil es von der Südtiroler Bevölkerung so akut gefühlt wird. Wir sind deshalb bereits eifrig dabei verschiedenste Lösungsmaßnahmen auszuarbeiten. Unser ehrgeiziges Ziel ist es, in der Bozner Notaufnahme die durchschnittliche Wartezeit von 3,5 Stunden auf 2 Stunden zu reduzieren. Ende des Jahres wird in der Notaufnahme die neue Regelung der Kostenbeteiligung für ungerechtfertigte Zugänge zum Tragen kommen. Das Aufsuchen der Notaufnahme ist für akute Notfälle gedacht d.h. für jene Fälle, die eines dringenden medizinischen Eingriffs bedürfen. Fälle von geringer Dringlichkeitsstufe (Weiß/Blau und grüne Kodizes) haben nach der Triage die Möglichkeit einen Hausarzt aufzusuchen. Jene BürgerInnen, die ohne Dringlichkeit den Dienst der Notaufnahme partout in Anspruch nehmen wollen, können dies gegen eine Kostenbeteiligung tun. Den Bürgern wird damit keine Strafe „aufgezwungen“, sondern sie bestimmen selbst, welche Art der medizinischen Versorgung sie in Anspruch nehmen wollen. Um die Notaufnahme weiter zu entlasten, soll im Spätherbst dieses Jahres ein direkt an die Notaufnahme angrenzendes Ambulatorium zur Grundversorgung installiert werden. Dieses Pilotprojekt dient dem Zweck nicht lebensbedrohliche und somit nicht als dringlich klassifizierte Fälle fachgerecht zu behandeln. Weiters werden von uns sogenannte „Bezugszentren für Gesundheit und Soziales“ (UCCP „unità complessa di cure primarie“) angedacht.
Diese medizinischen Einrichtungen, sollen die territoriale und wohnortnahe medizinische Grundversorgung sicherstellen. Geplant ist, dass diese Zentren basismedizinische sowie mehrere fachärztliche Leistungen gewährleisten sollen. Zurzeit sind solche Zentren im Sprengel am Loew-Cadonna-Platz in Bozen (Quirein) sowie im Unterland (Neumarkt) geplant. Durch all diese Maßnahmen hoffen wir, die Notaufnahmen am Bozner Spital erheblich zu entlasten und dadurch den BürgerInnen akzeptable Wartezeiten zu garantieren.
aktiv: Aber nicht nur die Wartezeiten in der Notaufnahme, sondern auch die langen Wartezeiten für Facharztvisiten werden von der Bevölkerung beklagt. Welche Lösungsansätze haben Sie hier in petto?
LR Widmann: Auch hier lassen sich leider mehrere Ursachen ausmachen: Ein Grund für die derzeitig untragbaren Wartezeiten ist sicherlich der Mangel an Fachärzten. Dieses Problem betrifft allerdings nicht ausschließlich Südtirol, sondern ganz Europa. Wir haben auch hier Pilotprojekte in den Fachgebieten Dermatologie, Augenheilkunde, HNO und Magnetresonanz geplant, welche von der Bevölkerung besonders stark in Anspruch genommen werden. Davon erhoffen wir uns, dass innerhalb des Jahres 2020 90 Prozent der Prior-Visiten in den Bereichen Dermatologie, HNO und Augenheilkunde innerhalb von 10 Tagen erfolgen und 80 Prozent der aufschiebbaren Visiten innerhalb von 30 Tagen erfolgen. Im Bereich Magnet Resonanz sind im nächsten Jahr für 80% der aufschiebbaren Visiten maximal 60 Tage Wartezeit vorgesehen. Diese Reduzierung der Wartezeiten entspräche gutem europäischen Standard und wir sind sehr zuversichtlich, dass wir dieses ehrgeizige Ziel erreichen werden.
aktiv: Das Thema „Zweisprachigkeit“ schlägt ja auch hohe Wogen in der Südtiroler Medienlandschaft. Zuletzt wurde sogar ein Arzt von den eigenen Leuten denunziert und aus der Ärztekammer ausgeschlossen, weil er nur der deutschen Sprache mächtig war. Wie stehen Sie zu dieser Thematik?
LR Widmann: Der Ärzte- und Pflegekräftemangel stellt die Grundversorgung ganz massiv in Frage. Deshalb haben wir uns auch sehr stark dafür ausgesprochen, dass eine Landesprache ausreichen muss, um sich in die Berufskammer eintragen zu lassen. Es ist auch im Sinne des Autonomiestatuts und somit im italienischen Verfassungsgesetz verankert, dass die deutsche Sprache der italienischen gleichgestellt ist. Der Landesgesetzesentwurf zum Europagesetz, welcher im Oktober 2019 im Landtag verabschiedet werden soll, bekräftig nochmals, dass die Kenntnis einer Landessprache für die Eintragung in die Berufskammer ausreichend sein muss. Natürlich ist es aber auch notwendig, dass Mitarbeiter im öffentlichen Dienst beider Landessprachen mächtig sind. Bisher war es so, dass Gesundheits-Personal, welches nur einer der beiden Landessprachen mächtig war, innerhalb von drei Jahren den Zweisprachigkeitsnachweis erbringen musste. Wir haben kürzlich im Landtag einen Artikel genehmigt, der vorsieht, dass diese Frist auf fünf Jahre verlängert wird. Diese Maßnahme soll den Betroffenen die Möglichkeit einräumen, sich ausreichend sprachliche Kenntnisse anzueignen, um eine optimale Kommunikation zwischen Personal und BürgerInnen zu ermöglichen. Zu diesem Zwecke ist auch ein Intensiv-Sprachprogramm mit dem Sanitätsbetrieb vorgesehen, welches die Betroffenen beim Erlernen der Landessprachen bestmöglich unterstützen soll.
aktiv: Welche Rolle für die gesundheitliche Versorgung werden in Zukunft die kleinen Spitäler in der Peripherie spielen?
LR Widmann: Die kleinen Spitäler im Territorium sollen weiterhin Dreh- und Angelpunkt der wohnortnahen Gesundheitsversorgung sein. Wir haben stets betont, dass die Stärkung und Aufrechterhaltung der Kleinspitaler in Innichen, Schlanders und Sterzing nicht nur in medizinischer, sondern auch in ökonomischer Hinsicht von größter Bedeutung sind, zumal sie einen zentralen Faktor gegen die Abwanderung aus den peripheren ländlichen Gebieten darstellen. Zudem soll die Vernetzung mit den Ärzten der Allgemeinmedizin, der Haus- und Familienpflege weiter ausgebaut und verstärkt werden.
Herr Landesrat, vielen Dank für das Gespräch

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Konferenz in St. Petersburg

Vom 22. bis 26. Juli 2019 fand in St. Petersburg, Russland, eine Frauenkonferenz statt. Auf Einladung der russischen Gewerkschaften haben für den ASGB Priska Auer und Alex Piras daran teilgenommen.
Die Konferenzteilnehmerinnen stellten sich den Fotografen - in der ersten Reihe Mitte Alex Piras und Priska Auer
Die Konferenzteilnehmerinnen, allesamt Gewerkschaftsvertreterinnen von Betrieben in einer Größenordnung von 2.000 bis 25.000 MitarbeiterInnen, haben eine Woche lang über die sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen, über Vereinbarkeit von Familie und Beruf, über den technologischen Wandel und über allgemeine frauenspezifische Themen diskutiert und beraten.
Priska Auer hat im Rahmen ihres Referates kurz das Land Südtirol, dessen Geschichte und Besonderheiten vorgestellt, und auch darauf verwiesen, dass in unserem Land über 50 Prozent der Betriebe nicht mehr als zwei Mitarbeiter haben, auch um auf die unterschiedlichen Dimensionen und Möglichkeiten hinzuweisen. In den russischen Betrieben gibt es z.B. überall Kinderbetreuungsstätten, was aufgrund der Größenordnung der Betriebe kein Problem darstellt.
Die russischen Frauen haben das Problem, dass Frauen im Erwerbsleben nicht gleich wie die Männer behandelt werden. Dies äußert sich vor allem dahingehend, dass Frauen bei Beförderungen oft übergangen werden und ihr Gehalt bei gleicher Arbeit geringer ausfällt, als das der Männer. Durch die Doppelbelastung Familie und Beruf, mit der die meisten Frauen konfrontiert sind, haben sie es immer noch ungleich schwerer als die Männer, die sich meistens auf ihre Karriere konzentrieren können.
Auer verwies auch darauf, dass Frauen in Südtirol laut den aktuellen Daten immer noch 17,2 Prozent weniger als Männer verdienen und dadurch auch weniger in die Rentenkasse einzahlen können. Das Resultat sind Altersarmut und die Abhängigkeit vom Ehepartner oder von staatlichen bzw. lokalen Sozialleistungen. Zudem verläuft das Arbeitsleben der Frauen oft mit Unterbrechungen oder sie arbeiten bedingt durch Mutterschaft, Kindererziehung oder Pflege von Familienangehörigen in Teilzeit. Damit ist für viele Frauen ein Abdriften in die Altersarmut vorprogrammiert.
In der Diskussion stellte sich heraus, dass die russischen Frauen vor ähnlichen Problemen stehen, nur in Betreuung von Kleinkindern sind sie besser aufgestellt.
In langen Diskussionen haben Alex Piras und Priska Auer den russischen Gewerkschafterinnen viele Fragen beantwortet: gemeinsam hat man festgestellt, dass Gewerkschaftsarbeit nach wie vor viel Zähigkeit und Ausdauer erfordert, wobei sich Frauen immer noch ungleich härter tun als Männer.