AFI - GUIDELINE

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Gender: Neu oder alles noch beim Alten? |

Gender Pay Gap
/ Aufgabe [ 1]
Sehen Sie sich das Video „Close the gender pay gap“ auf Youtube an.
Beschreiben Sie Ihre Eindrücke. www.youtube.com/watch?v=nKylYIqgSbI



Silvia Vogliotti ist Forscherin am AFI | Arbeitsförderungsinstitut in Bozen. Der Fokus ihrer Tätigkeit ist auf die Themen Sozialstaat, Familienpolitik, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und das geschlechterspezifische Lohngefälle gerichtet. So analysiert sie regelmäßig die Stellung der Frau am Südtiroler Arbeitsmarkt mit besonderem Fokus auf die Großbetriebe mit über 100 MitarbeiterInnen.
Guten Tag Frau Vogliotti. Jedes Jahr im Frühling findet ein Aktionstag, bekannt unter dem Namen Equal Pay Day, statt. Auf welche Thematik soll an diesem Tag aufmerksam gemacht werden?
Seit 2010 findet dieser Aktionstag statt. Organisiert wird er vom Landesbeirat für Chancengleichheit und dem Frauenbüro. 2016 beteiligten sich 63 Organisationen am Aktionstag. Es soll auf die Lohnunterschiede der Männer und Frauen aufmerksam gemacht werden, die in jedem Land Europas bestehen. Der europäische Durchschnitt des geschlechtsspezifischen Lohngefälles liegt bei etwa 16,7%.
Ist dieses Phänomen auch in Südtirol ausgeprägt?
Die erhobenen Daten vom AFI bestätigen das Bestehen dieser Lohnunterschiede - also den geringeren Verdienst der Frauen gegenüber jenem der Männer – auch für Südtirol. Ursachen dafür gibt es viele verschiedene. Der Hauptgrund fußt auf der Ausübung der unterschiedlichen Tätigkeiten zu den unterschiedlichen Arbeitszeiten. Eben weil Frauen sehr viel häufiger in Teilzeitverhältnissen arbeiten, verdienen sie weniger. Allerdings ist auch zu beobachten – und dies ist weit mehr besorgniserregend – dass auch jene Frauen weniger verdienen, die die gleiche Anzahl an Arbeitsstunden leisten wie Männer. Wenn wir also von Arbeitnehmenden in Vollzeitverhältnissen sprechen, werden Frauen um 17,2% geringer entlohnt als Männer. In Teilzeitarbeitsverhältnissen liegt dieser Prozentsatz bei 12,9%. Diese Zahlen gehen aus einer Astat-Studie aus dem Jahr 2016 hervor. Mit den Jahren steigt die Lohndifferenz. Bei den 30- bis 40-jährigen verstärkt sich dieses Lohngefälle besonders. Die größten Unterschiede finden sich im Sektor der Finanzdienstleistungen, weil die Spitzengehälter dort hoch sind. Die Lohndifferenz beträgt dort 31,4%, bei den mittleren Führungsebenen liegt sie bei 23,7% mit einem zusätzlichen Verweis auf die vertikale Segregation.
Im Vergleich zu den Europäischen Staaten zeigt sich Italien in einer vorbildlichen Situation. Was macht Italien besser als andere Staaten?
Nur Zypern und Belgien liegen vor Italien mit 3,7%. Den größten ‚Gap‘ weisen die deutschsprachigen Länder Deutschland mit 13,8% und Österreich mit 20,1% auf. Man könnte meinen, Italien spiele hier wirklich eine Vorreiterrolle. Die Zahlen müssen aber mit Vorsicht betrachtet werden. In Italien, besonders im Süden, haben viele Frauen einen niederen Bildungsabschluss und verbleiben in Berufsbildern mit niederem Einkommen. Diese niederen Entlohnungen veranlassen viele Frauen lieber, ganz zu Hause zu bleiben, als für sehr wenig Gegenleistung beruflich tätig zu werden. Männer verteilen sich auf allen Lohnstufen (niederen, mittleren und höheren), Frauen hingegen finden sich in mittleren und höher entlohnten Berufen wieder. Frauen mit niederen Bildungsabschlüssen sind in Italien entweder arbeitslos oder nicht auf dem Arbeitsmarkt. Italien hat daher eine niedrige Frauenerwerbsquote und zeigt ein schwaches Lohngefälle auf, weil viele Frauen nicht im entgeltlichen Erwerbsleben tätig sind. Sie verdienen nichts und deshalb werden sie auch bei der Berechnung des Gender Pay Gaps nicht berücksichtigt.
Die Gründe, unterschiedliche Tätigkeiten und unterschiedliche Anzahl von Arbeitsstunden, als Ursachen für das geschlechtsspezifische Lohngefälle wurden bereits genannt. Gibt es noch weitere?
Tatsächlich gibt es hierfür vielerlei Gründe, die alle ineinander greifen. Unbestritten ist: Wer mehr und länger arbeitet, verdient auch mehr. Männer sind häufig disponibler in der Leistung der Überstunden. Dies erhöht auch ihre Präsenz an der Arbeitsstelle. Sie erhalten dadurch häufiger mehr Aufgaben übertragen und es steigen die Leistungsprämien. Männer sind auch häufiger dort vertreten, wo es um Gehaltsneuverhandlungen geht. Daneben spielen die Ausbildungs- und Berufswahl und die Einstufung eine wichtige Rolle. Letzteres bedingt das Lohngefälle vermehrt im privaten Sektor, weniger im öffentlichen. Dabei werden häufig Arbeitnehmer bei gleichem Studienabschluss höher eingestuft als Arbeitnehmerinnen. Dies öffnet den Lohnunterschied bereits zu Beginn der beruflichen Karriere. Verstärkt wird dieser im Laufe des Lebens dann, wenn Frauen zugunsten der Familie die eigene berufliche Karriere für einige Zeit zurück stellen. Männer haben in diesen Zeiträumen keine Unterbrechung, die sich auf ihren Lohn bzw. auf die Gehaltsvorrückungen auswirken könnte.
Sie nannten die Ausbildungs- und Berufswahl als mögliche Ursachen für das geschlechtsspezifische Lohngefälle. Könnten Sie dazu ein Beispiel geben?
Ein Beispiel: Ein Mann und eine Frau haben beide denselben Hochschulabschluss in Rechtswissenschaften. Der Mann entscheidet sich bei der beruflichen Spezialisierung zugunsten des Gesellschaftsrechtes, die Frau zugunsten des Familienrechtes. Seine Karriere erfährt höheres Ansehen und wird dementsprechend auch besser entlohnt.
Häufig spricht man auch von direkter Diskriminierung im Zusammenhang mit dem geschlechtsspezifischen Lohngefälle. Ist dies tatsächlich der Fall?
Ungleicher Lohn bei gleicher Arbeit kommt einer direkten Diskriminierung gleich. Frauen sind in den ausgeübten Berufen durchschnittlich höher qualifiziert als Männer. Daher sollten sie eigentlich mehr verdienen, nicht weniger. Ein weiterer Faktor ist auch die Segregation des Arbeitsmarktes, da Frauen und Männer in unterschiedlichen Wirtschaftsbranchen arbeiten. In der Privatwirtschaft gibt es eine horizontale und vertikale Segregation. Frauen sind in den unteren Stufen konzentriert. Das Lohngefälle ist aber nicht ausschließlich auf die Diskriminierung zurückzuführen, sondern ist teilweise in der Unterbewertung der weiblichen Kompetenzen und in der nicht homogenen Verteilung in den Berufen verwurzelt.
Welche Auswirkungen haben diese Lohnunterschiede für das Leben und die Pensionsansprüche der Frau?
Die angereiften Rentenansprüche am Ende der beruflichen Laufbahn können auch als exakter Spiegel dieser gesehen werden, denn sie werden auf Basis der eingezahlten Beträge berechnet. Wer weniger verdient, zahlt auch dementsprechend weniger Pensionsbeiträge ein. Jedes Teilzeitarbeitsverhältnis und jede Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses senkt die Pensionsansprüche und führt zu einem Gefälle der ausbezahlten Renten für Frau und Mann. In Südtirol beträgt dieses geschlechtsspezifische Pensionsgefälle 46,1%. Zu nennen sind neben der geringeren Pensionsleistung aber auch die Auswirkungen des Lohngefälles auf die finanzielle Lage der Frau im Laufe des gesamten Lebens. Jener Partner, der finanziell unabhängiger ist, kann klarerweise auch gänzlich andere (finanzielle) Entscheidungen treffen.
Was raten Sie Frauen, damit sie nicht in diese Falle tappen bzw. damit für sie diese Unterschiede nicht zu groß ausfallen?
Viele Frauen tendieren dazu, sich selbst zu unterschätzen, gerade weil sie noch nicht in einem sozialen Kontext bewertet wurden. Frauen sind es (historisch) nicht gewohnt, nach mehr Geld zu fragen und sich zu behaupten, wenn es um Gehaltserhöhungen und Beförderungen geht. Für Frauen war bis jetzt nicht das Gehalt der entscheidende Faktor für die Entscheidung eines Arbeitsplatzes. AFI-Studien untersuchten diese Faktoren. Bei Männern stand an erster Stelle der sichere Arbeitsplatz, dicht gefolgt von der Entlohnung. Frauen setzen hingegen andere Prioritäten, nämlich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und einen Beruf, der erfüllt, und der in der Nähe des Wohnortes liegt. Die Entlohnung als entscheidender Faktor findet sich hingegen bei Frauen immer auf den hinteren Rängen. Frauen fehlt es aber auch an Modellen, auf die sie zurückgreifen können, um das einzufordern, was ihnen zusteht. Die Selbsteinschätzung und die Kenntnis über den eigenen Wert festigen sich nicht von alleine. Dazu bedarf es Mentoring-Programme mit Personen, die einen wichtigen Karriereschritt tätigten.

Das Interview führte Marlene Pernstich.
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