Todesfall

Todesfall

was nun? | 2016

Spirituelle Begleitung
Der alte Mensch sucht nach einem Sinn im Leben
In der Ausbildung zum Trauerbegleiter habe ich die Fünf-Säulen-Theorie kennengelernt, die die Identität des Menschen speist. Ich finde sie wertvoll, weil sie hilft die Veränderung beim Menschen, besonders beim alten Menschen, zu verstehen.
Die erste Säule nennt man die körperliche Säule. Das Wohlgefühl eines Menschen hängt stark davon ab, ob er gesund oder krank ist, einen leistungsfähigen Körper besitzt oder nicht. Im Alter wird diese Säule brüchig oder kann ganz zusammenbrechen, weil der Körper abbaut, so dass die Identität negativ beeinflusst wird.
In der zweiten Säule finden wir die kommunikative, gesellschaftliche Ebene, die in der Jugend zu- und im Alter wieder abnimmt. Die Sinne sind für die ersten zwei Säulen die Hauptakteure: Der Tastsinn nimmt ab, der Sehsinn wird schwach, das Gehen wird mühsam, das Ohr wird taub, das Sprechen mühsam.
Der Inhalt der dritten Säule betrifft die Arbeitswelt und das Bedürfnis nach Anerkennung. Auch hier zeigt uns das Leben, dass im Alter durch den Ausstieg aus der Arbeitswelt (Pen­sionierung) und durch das Abnehmen der Leistungsfähigkeit das Selbstbewusstsein abnimmt.
Die vierte Säule ist die ökonomische Sicherheit. Auch diese Säule wird im Alter schwach und kann sogar zusammenbrechen (z.B. Erbschaft übergeben, Umzug in ein Altersheim).
Die fünfte Säule wird Sinn - Säule genannt. Sie lädt den Menschen ein nach dem Sinn seiner Handlungen und seines Lebens zu fragen und trägt wesentlich dazu bei, im Alter die Identität zu erhalten, auch wenn Krankheit, Einsamkeit, Unsicherheit das Leben immer mehr beherrschen. Gegen Ende des Lebens, besonders im hohen Alter wird die Frage nach dem Sinn immer drängender. Die Sinn - Säule kann die anderen Säulen unterstützen, so dass sie nicht zusammenbrechen und der Sterbende bis an sein Ende seine Identität noch erfahren kann. „Nur was sich in Gesundheit und in Krankheit, im Leben und im Sterben als tragfähig erweist, kann als Sinn für den Menschen gelten.“3)
Ein alter Mensch hat die Fähigkeit sein Leben zu überblicken. Frühere Generationen haben deshalb jeweils dem Ältesten Rat (Senat) die Zukunft eines Staates anvertraut. Der ältere Mensch ist sich seines Reichtums an Erfahrung bewusst, aber diese Fähigkeit ist heute nicht mehr gefragt. Dies kann für einen alten Menschen ein vernichtendes Urteil sein, wo er dann zum Schluss kommt: „Alt sein ist sinnlos.“
Die Religion ist ein wichtiger Partner auf der letzten Wegstrecke 4)
In dem Augenblick, wo der Mensch nach dem Sinn der Ereignisse fragt, kann der Krankenhausseelsorger/die -seelsorgerin bei der Suche nach Antworten mithelfen. Religionen haben in ihren langen Traditionen Antworten gesucht und gefunden, die den Sinn des Lebens zum Inhalt haben. Es geht in der Krankenseelsorge heute nicht mehr darum Menschen im letzten Augenblick für die eigene Religionsgemeinschaft zu gewinnen, sondern der/die KrankenhausseelsorgerIn will auf der Suche nach einem sinnvollen Leben und - dies auch im letzten Lebensabschnitt - ihm nahe sein. 5) Diese Sinnfrage beschäftigt alle Menschen, ob sie in einer Religionsgemeinschaft leben oder sich als Atheisten bezeichnen. Daher verlangt der Beruf der KrankenseelsorgerInnen eine professionelle Ausbildung und ein großes Einfühlungsvermögen für die unterschiedlichsten Situationen im Krankheitsverlauf eines Menschen. 6)
Die juridische Stellung des Krankenhausseelsorgers/der -seelsorgerin ist in Italien anders als etwa in den Nachbarländern Deutschland, Österreich, Schweiz. In Italien ist er/sie Angestellte/r des Staates. Dieser verlangt, dass die Seelsorge für alle Kranken da ist, außer sie wird persönlich von einem Kranken abgelehnt. Man merkt hier, dass sich die italienische Politik bei der Ausarbeitung des Sanitätsgesetzes bewusst geworden war, dass sich ein kranker Mensch mit den Fragen der Sinnhaftigkeit auseinandersetzt. Hier hat P. Stefano Bambini, Krankenseelsorger in Genua, Großes geleistet. Die Sozialisten wollten die Seelsorge in den Sanitätsstrukturen nur beim Wunsch eines Klienten zulassen. Dieser Gesetzesentwurf konnte korrigiert werden und damit hat die Krankenhausseelsorge ihren Standort im Krankenhaus. Die Gesellschaft möchte dem Bürger/der Bürgerin, der/die sich mit Krankheit, Alter und Tod auseinandersetzen muss, neben der ärztlichen und psychologischen Betreuung auch die spirituelle Betreuung zur Seite stellen.
Spirituelle Begleitung glaubt an ein Weiterleben
Tief im Innern des Menschen lebt der Wunsch nach einem Weiterleben. „Das kann es doch nicht gewesen sein“, so die bange Frage auf den Lippen alter Menschen. In den Kindern weiterleben, in einem Buch, in der Dorfgeschichte weiterleben, auf dem Friedhof ein Denkmal setzen, Reinkarnation, in den Himmel kommen, bei Gott leben, sich einmal wieder begegnen, sind Ausdruck der Sehnsucht nach einem Weiterleben. Der Mensch stößt an die Grenzen des irdischen Lebens, wo die greifbaren, messbaren Tatsachen aufhören, und diese Grenzlinie nur mehr vom Glauben überschritten werden kann. Eine Sicherheit für ein Weiterleben nach dem Tod finden wir nur im Glauben, und nur diese Sicherheit im Glauben können wir Menschen weitergeben. 7)
„Fragen wir uns zum Schluss, was in der Seele des Sterbenden vorgeht. Sie haben große Sehnsucht nach dem Himmelskleid, das wir alle vor unserer Geburt abgelegt haben. Im Verlauf des Lebens haben wir immer mehr vergessen, dass wir gleichermaßen Erden- wie auch Himmelsbürger sind. Doch das Kleid vor der Geburt kann nicht das gleiche sein wie das, welches wir nach dem Tod erhalten werden. Alle unsere Verfehlungen, Schwächen, Abirrungen sind in das Erdenkleid eingewoben. Wir haben nach dem Tod daran zu arbeiten, das Kleid zu reinigen. Was wir durch Selbsterziehung während des Lebens nicht verwandelt haben, das werden wir nach dem Tod fortsetzen müssen. Meines Erachtens ist es ein falscher Trost zu meinen, wir lebten weiter in einer ,ewigen Ruhe‘. Das Unbewusste sagt uns, dass wir uns nach einer Aufarbeitung sehnen. Im Erdenleben können wir aus Bequemlichkeit davor ausweichen, nach dem Tode nicht. Wenn wir in dieser Gesinnung Sterbende begleiten, bauen wir an der Brücke von hier nach dort, wir arbeiten an der Menschheitszukunft. Es gehen sowohl Verbindungen und Wirkungen von hier nach drüben als auch von drüben nach hier. Wir dürfen Hilfen und Segen von den Verstorbenen hereinbitten für die Nöte unserer Zeit.“8) Diese Aussage kann verschieden verstanden werden. Ich habe diesen Text gewählt, weil er uns an die Aussage bei der Überreichung des Taufkleides erinnert. 9) Ebenso bekräftigt es die Beziehung zu den Verstorbenen, die für den älteren Menschen tröstlich sein kann, weil ja der Großteil seiner Freunde und Bekannten schon gestorben ist. Sie als Helfer einsetzen zu dürfen, ist ein Segen.
Hier spüren wir die tröstliche Komponente, die eine spirituelle Begleitung den sterbenden Menschen geben kann, weil sie in dieser Endphase des Lebens noch ein sinnvolles Geschehen entdecken können. Begegnungen mit bereits Verstorbenen in der letzten Sterbephase findet man nach Dr. Kübler-Ross in den verschiedenen Religionen und Kulturen der Völker. Auch nicht gläubige Menschen machen solche Erfahrungen. Dies ist ein tiefer Trost für den Sterbenden und dessen Angehörige, weil man davon ausgehen kann, dass sich beim Sterben die zwei Welten, die diesseitige und die jenseitige, treffen. Dadurch ist für mich als Gläubiger der Sterbeort ein heiliger Ort. Der Glaube an ein Weiterleben, an ein Leben nach dem Tod, kann mithelfen zu verhindern, dass Menschen den Freitod oder die Euthanasie wählen.
Ein anschauliches Bild
Das Leben ist wie ein Glas guten Weines.
Man lässt ein solches Glas nicht halbvoll stehen,
sondern hat den Wunsch das Glas bis zum letzten Tropfen
auszutrinken und zu genießen.
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3) Vgl. Die Feier der Krankensakramente, S. 23.
4) Vgl. Rest Franco: Sterbebegleitung statt Sterbehilfe. Damit das Leben auch im Sterben lebenswert bleibt, S. 208ff.
5) Vgl. Kuschnik Lothar: Lebensmut in schwerer Krankheit, spirituelle Begleitung bei Krebs, S.228.
6) Vgl. Schweidtmann Werner: Sterbebegleitung: Menschliche Nähe am Krankenbet, S. 174ff.
7) Schülli E.: Wie gelebt - so gestorben, Erfahrungen eines Krankenhausseelsorgers, S.185ff.
8) Tausch-Flammer D. und Bickel L.: Spiritualität der Sterbebegleitung, Wege und Erfahrungen, S.117.
9) Die Feier der Kindertaufe: „N. Dieses weiße Kleid soll dir ein Zeichen sein, dass du in der Taufe neu geschaffen worden bist – wie die Schrift sagt - Christus angezogen hast. Bewahre diese Würde für das ewige Leben.“
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