Thema

Was nun?

Ein Gespräch über Demokratie, die Wahlen, Parteipolitik und den KVW
Foto: Jon Tyson - unsplash
Die Wähler haben gesprochen, aber noch ist nicht klar wer in den kommenden Jahren unser Land durch herausfordernde Zeiten navigieren wird. Auch im größten Sozialverband des Landes hat man sich zum Ausgang der Wahlen, zur Umgang mit Demokratie, zur Eigenverantwortung Gedanken gemacht. Was ist die Rolle des KVW dabei? Was kann der größte Sozialverband beitragen? Ein Gespräch mit dem Landesvorsitzenden Werner Steiner und dem Geistlichen Assistenten des KVW Charly Brunner.
Seit Oktober stehen die neuen und alten Landtagsabgeordneten fest. Im Moment finden gerade Koalitionsverhandlungen statt. Was hat Sie bezüglich der Wahlen besonders überrascht Herr Steiner?
Werner Steiner: Überrascht weniger, aber besorgt bin ich über die geringe Wahlbeteiligung. Viele haben von diesem Recht der Mitbestimmung keinen Gebrauch gemacht. Was mir auch nicht klar war ist, dass die sozialen Medien, Tik Tok, X und… von vielen als Informationsquelle genutzt werden. Dabei ist es dort leider so, dass viele einfach aus dem Bauch heraus eine Meinung kundtun und diese dann einfach für bare Münze, ohne Faktencheck, übernehmen. Zudem ist es ja so, dass aufgrund der Algorithmen die Leserinnen und Leser dann in „ihrer“ Blase leben und es keine Auseinandersetzung mit jemandem anderer Meinung gibt.


Charly Brunner: Die Zuspitzung der Aggression im politischen Diskurs ist wirklich ein Problem. Ausgeprägt ist zum Beispiel die Angewohnheit alles bei anderen schnell und kritisch zu kommentieren. Vergessen wird dabei oft, dass jeder und jede Einzelne von uns gut daran täte, sich zu fragen: Was kann denn ich persönlich beitragen? Wie kann ich etwas für die Gesellschaft tun? Wir brauchen fähige politische Vertreter:innen, Leute die sich engagieren und Weitblick beweisen. Vielfach ist es jedoch schon so, dass sich viele die Politik nicht mehr antun wollen. Andere wiederum können sich die Wahlkampfkosten nicht leisten.

Werner Steiner: In der Tat ist es so, dass der Wähler eine große Verantwortung trägt. Als KVW ist es uns wichtig, nicht parteipolitisch einzugreifen. Sehr wohl aber sind wir ein politischer Akteure: wir agieren im vorpolitischen Raum, wir bilden Meinung und über unsere Ortsgruppen können wir auch Basisbildung vorantreiben und Haltung zeigen: beispielsweise die vielen Veranstaltungen zum Gemeindeentwicklungsprogramm im letzten Jahr, wenn ich auch sagen muss, mit durchwachsenem Erfolg.

Kompass: Was „leistet“ der KVW im politischen Sinne?
Charly Brunner: Der KVW steht beispielsweise für zwei Dinge: Einerseits bieten wir als Verband ein Forum der qualifizierten Meinungsbildung und andererseits, auch aufgrund seiner Tradition, haben wir Werte, die uns helfen, die Spreu vom Weizen zu trennen. Diese geben Orientierung. Ich habe mich vor einigen Jahren bewusst für den Einsatz im KVW entschieden, weil er für einen Werteeinsatz steht!


Werner Steiner: Ja, wir orientieren uns an der christlichen Soziallehre, die wie ein Kompass fungiert. Es geht uns beim KVW nicht um Macht, es geht um Gemeinschaft und um die Menschenwürde. Diese ist für uns eine unverzichtbare Säule auf die wir bauen. Es ist das Recht jedes Menschen auf Achtung und Respekt. Daraus ergibt sich unser politisches Engagement in der Gestaltung unserer Gesellschaft. Wie gesagt, wir sind politisch, aber nicht parteipolitisch. Gerade das Resultat der Wahlen zeigt, dass es auch in Zukunft noch wichtiger wird, sich für Werte einzusetzen und einzustehen. Wir sind alle voneinander abhängig und der KVW kann beim Aufbau einer Gesellschaft, die sich durch bestimmte Werte auszeichnet, unterstützen.

Charly Brunner: Es gibt ein Spannungsverhältnis zwischen den Interessen der Einzelnen und der Gemeinschaft, dem Ich und dem Wir. Die christliche Soziallehre löst diese Spannung nicht einfach auf, indem sie dem Ich oder dem WIR den absoluten Vorrang einräumt. Sie ist getragen von dem Bewusstsein, dass wir als freie Individuen in eine Gemeinschaft eingewoben sind. Wir profitieren alle unheimlich von diesem Miteinander und können uns auch erst aus dieser Verbundenheit heraus gut entwickeln und einbringen. Es gibt kein ICH ohne ein WIR und kein echtes WIR ohne freie ICHs. Und letztlich geht es bei der Demokratie gerade darum!

Demokratie: Wie kann sie funktionieren?
Werner Steiner: Die Demokratie braucht Verbände wie den unseren: wir brauchen Solidarität untereinander und Wohlwollen. Möglichst viel davon, damit die Spaltung, die Vereinsamung der Menschen und die Radikalisierung durch die sozialen Medien nicht Überhand nehmen. Noch einmal: wir denken politisch, mischen uns ein, machen Vorschläge und stehen an der Seite von jenen die Unterstützung brauchen. Unser Jahresmotto lautet „Miteinander in Bewegung - damit niemand zurückgelassen wird”. Die Mitgliedschaft im KVW verleiht dem Verband eine starke Stimme: die Querfinanzierung über Dienstleistungen erlaubt es uns geschlossen und stark aufzutreten. Das Patronat oder die Service ermöglichen es vielen zu ihrem Recht zu kommen und in unseren Dienstleistern finden alle professionelle Partner.


Charly Brunner: Für den KVW sind alle Vertreter:innen von Parteien wichtige Ansprechpartner, die die Würde des Menschen achten und die Gesellschaft in diesem Sinne weiterentwickeln wollen. Es gibt auch mit fast allen Parteien Schnittmengen in den Anliegen. Allgemein gilt für mich, dass Menschen, die sich der Wahl stellen und Verantwortung übernehmen wollen, dafür Respekt verdienen. Wir als KVW können auch einen wertvollen Beitrag leisten, dass Demokratie an sich gelingt: Basisbildung ist da beispielsweise ein wichtiges Stichwort. Lebenslanges Lernen und Bilden fördert Chancen- für jeden und bringt uns als Gesellschaft weiter.

Was werden wichtige Themen für die nächste Landesregierung sein?
Charly Brunner: Da gibt es eine lange Liste von Einzelthemen: An erster Stelle von den langfristigen Grundsatzthemen steht aber sicher das Klima. Die neue Landesregierung wird sich mit der ökologischen Umgestaltung auseinandersetzen müssen. Bei der Natur hat es sich „ausverhandelt“, da müssen rasche Entscheidungen her. Besonders herausfordernd wird es da sein, den Spagat zwischen Schutz der Natur, wirtschaftlicher Entwicklung und sozialer Teilhabe zu schaffen. Die Erreichung der Klimaziele darf nicht auf dem Rücken von Benachteiligten abgehandelt werden.


Werner Steiner: Weitere Themen die Jung und Alt beschäftigen sind Wohnen, soziale Grundsicherung, Sanität, Vereinsamung… Das sind keine neuen Themen für uns im KVW. Wir beschäftigen uns damit schon seit geraumer Zeit. Wir müssen schauen, gemeinsam mit den politischen Verantwortungsträgern:innen Antworten zu finden. Komplexe Fragen brauchen Zeit und Engagement, auch ehrenamtliches. Wir wollen durch unseren Einsatz zeigen, dass die Geldmittel in der Sozialpolitik nicht als reine Ausgaben gesehen werden können, sondern, dass sie eine lohnende Investition in eine gute Zukunft für alle Menschen sind.

Herzlichen Dank für das Gespräch!
Charly Brunner
Werner Steiner / Foto: Karin Micheli

KVW Aktuell

Aktiv Coaching

Das Thema der diesjährigen KVW Seniorentagung lautete „Trotzdem Ja zum Leben sagen“. Die beiden Vortragenden Dagmar Steurer und Michael Nussbaumer haben „Aktiv Coaching“ vorgestellt. Was meint man damit?
Foto: Freepik
Aktivcoaching ist ein Angebot für Menschen, die körperlich und geistig gesund und fit bleiben möchten. Unser Ansatz ist systemisch. Jeder Mensch ist eingebettet in verschiedene Systeme. Wir kommen auf die Welt und sind eingebettet ins System Familie. Später kommen Freundeskreise dazu oder die Arbeitswelt. All diese Systeme beeinflussen sich wechselseitig. Wenn es irgendwo eine Bewegung gibt, so hat dies Auswirkungen auf das gesamte System. Ist der Mensch glücklich und zufrieden, weil er sich durch seine Hobbys und Interessen verwirklichen kann, so wirkt sich das positiv auf das Familienleben aus. Ist jemand zuhause emotional gefordert, so beeinflusst das beispielsweise den Arbeitsbereich. Durch achtsames Begleiten und aktives wertfreies Zuhören unterstützen wir Menschen dabei, herausfordernde Situationen gut zu meistern und neue Perspektiven zu entdecken. Ganz nach dem Motto: Manchmal braucht es einfach etwas Abstand, um die Dinge klarer zu sehen. Aktives Coaching in der Natur bietet sich dafür regelrecht an.

Warum ist die Natur für unser aller Wohlbefinden so wichtig?
Psychische Gesundheit und Wohlbefinden ist nicht nur im Alter von großer Bedeutung, sondern ein Leben lang und kann durch Tätigkeiten in der Natur angeregt und gefördert werden. Körperliche und geistige Fitness, ermöglicht es im Alltag länger selbstbestimmt und selbständig zu sein. Regelmäßige Bewegung an der frischen Luft regt das Herz-Kreislaufsystem an und stärkt das Immunsystem. Wer sich fit fühlt, ist nachweislich glücklicher und bleibt resilient, das bedeutet widerstandsfähig und geht aus Krisen sogar gestärkt hervor.

Welche gesundheitsfördernden Maßnahmen für Menschen in einem reiferen Alter empfehlt ihr?
Gemeinsamkeit statt Einsamkeit
Besonders wichtig, sind regelmäßige soziale Kontakte. Diese verringern deutlich das Risiko für psychische und körperliche Gesundheitsprobleme. Ob im Senior:innentreff, beim gemeinsamen Watter am Nachmittag oder bei einem gemeinsamen Kaffee mit Freund:innen - das Miteinander tut gut. Erst im Kontakt mit Anderen, kann der Mensch in Resonanz gehen und die eigenen Bedürfnisse besser wahrnehmen und ausdrücken.

Aufrechterhaltung von kör­perlicher und geistiger Aktivität
Die Verbindung zwischen einem gesunden Geist und einem gesunden Körper ist bei Senior:innen besonders wichtig. Ein frischer und aktiver Kopf sorgt dafür, dass sich Senior:innen selber mehr zutrauen und im Alltag sicher fühlen. Regelmäßige körperliche Bewegung und gezielte Entspannungsübungen können diesen zusätzlich noch verstärken.

Mit dem Leben verbunden bleiben und sich immer wieder kleine Ziele setzen
Die Sicht auf das eigene Älterwerden bestimmt die subjektive Lebensqualität. Das Setzen von kleinen aber konkreten Zielen im Alter ist entscheidend, da es Selbstwirksamkeit fördert. Diese bezeichnet die Überzeugung, dass man in der Lage ist Einfluss auf sein eigenes Leben zu nehmen. Die Sicht auf das eigene Älterwerden bestimmt die subjektive Lebensqualität. Besonders im Alter ist es daher sehr wichtig, die eigenen Erfahrungen als Ressourcen und Erfahrungsschätze zu sehen und sie zu nützen.
Dagmar Steurer
Dipl. Pädagogin, systemische Beraterin und Supervisorin i.A. & Aktiv Coachin.
www.dagmarsteurer.eu
Michael Nussbaumer
Dipl.Pädagoge plus systemischer Coach und Moderator.
www.michaelnussbaumer.eu