KVW Aktuell

Prinzip von Gleichheit und Gerechtigkeit

Wem gehört der Wertzuwachs auf Baugrund?
Josef Stricker,
geistlicher Assistent des KVW
Zwischen dem Südtiroler Bauernbund und den Sozialverbänden ist ein heftiger Streit über den Wertzuwachs entbrannt. Der Bauernbund übernimmt die liberale Auffassung vom Bodenrecht und kommt zum Schluss, der Preis für Grundstücke werde ausschließlich von Angebot und Nachfrage bestimmt. Dies gelte, so seine Argumentation, auch für Baurechte, über die der Grundeigentümer verfügt. Dieses Denkschema ist bereits im Ansatz falsch. Es behandelt Grund und Boden im Prinzip wie jede andere Ware, lässt den Preis einfach durch den Markt bestimmen. Nun sind aber Grund und Boden keine beliebig vermehrbare Ware. Sie gehören zu den ganz wenigen Gütern, die nicht vermehrt werden können, und auf die man auch gar nicht verzichten kann.
Die vom Bauernbund reklamierte Marktlogik trifft folglich ins Leere. Allgemein gilt, der Gebrauch von Eigentum darf dem Gemeinwohl nicht zuwiderlaufen. Eigentum an Grund und Boden ist sozialpflichtig. Die soziale Dimension von Eigentum ist ein zentraler Bestandteil der christlichen Soziallehre. Bodenrecht und Sozialbindung gehören zusammen. Worum geht es? Wird ein Grundstück von der Gemeinde als Baugrund ausgewiesen, erfährt die Parzelle einen Wertzuwachs. Die Wertsteigerung erfolgt ausschließlich auf Grund von Planung, also ohne Eigenleistung des Grundstücksbesitzers. Es ist schlichtweg nicht einzusehen, dass ein Grundbesitzer Wertsteigerungen durch Umwidmung in vollem Umfang für sich beanspruchen kann. Der beglückte Eigentümer müsste für kostspielige Infrastruktureinrichtungen keinerlei Gegenleistung erbringen. Nach der vom Bauernbund vertretenen Marktlogik sind die Kosten für Infrastrukturen zur Gänze von der Allgemeinheit zu tragen. Simpel ausgedrückt: Gewinne würden privatisiert, die Kosten sozialisiert. Ein Verstoß gegen das Prinzip der Gleichheit und der Gerechtigkeit.
Text: Josef Stricker

KVW Aktuell

Einladung, nicht Angst zu haben

Paul Zulehner richtet den Blick an den Rand
V.l. Olav Lutz, 
Elisabeth Scherlin, Werner Steiner, Helga Mutschlechner, Bischof Ivo Muser, Paul Zulehner und Werner Atz
Grenzenlos solidarisch handeln war das Thema von Paul Zulehner bei seinem Vortrag in Bozen.
Er sprach davon, dass eine Politik der Gerechtigkeit so gemacht werden muss, dass morgen
weniger Menschen Sozialhilfe brauchen.
Der Moraltheologe Paul Zulehner aus Wien war Referent der Studientagung zum Tag der Solidarität. Er sprach zum Thema „Grenzenlose Solidarität – als ChristInnen wählen“.
Wunsch nach Solidarität
Laut Umfragen wären die Menschen gerne solidarisch. Die Realität zeige aber, dass „wir uns heute schwer tun mit solidarischen Taten“, stellte Paul Zulehner fest. Der Wunsch nach Solidarität erstickt also auf dem langen Weg zur Tat, meist im Dschungel der Angst.
„Angst entsolidarisiert. Solidarität wächst auf dem Boden des Vertrauens“, sagte Zulehner. Und hier sind die politischen Vertreterinnen und Vertreter gefragt: sie dürften nicht Politik mit der Angst machen, sondern durch ihre Politik sollten sie Vertrauen schaffen.
Die Kirche könne der Politik Mut machen, diesen Weg zu gehen, damit die Angst nicht die Oberhand behält. Die Kirche ist zwar keine politische Partei, aber sie ist „politisch parteilich“, so Zulehner. Ihre Aufgabe sei es dort hinzuschauen, wo andere wegschauen, im Namen Gottes Partei zu ergreifen, Anwältin für eine Welt mit menschlichem Antlitz sein, und die Kirche dürfe nicht schweigen, wenn Rechte der Menschen bedroht sind.
Politik mit mehr Gerechtigkeit
In diesem Zusammenhang nannte Paul Zulehner den Bischofsbrief von Ivo Muser zu den Parlamentswahlen „eine kantige Intervention“. Die dort angeführten zwölf Punkte führen zu einer Politik mit mehr Gerechtigkeit.
Einer der Leitsätze, die Zulehner beim Vortrag in Bozen erläuterte, lautet: „Wer sein Knie vor Gott beugt, beugt es nie mehr vor der Partei“. Glaubende, die eine Rückbindung an Gott haben, sind resistent gegen totalitäre Systeme. Zulehner verwendete dafür den englischen Begriff „to be connected“, also verbunden sein.
Zu den Armen gehen
Im Matthäusevangelium steht „als Jesus vom Berg herabstieg“. Jesus ging auf den Berg um in Gott einzutauchen, mit ihm in Verbindung zu sein. Dies ist ein mystisches Element. Zulehner stellte die Frage, wo die Berge sind, wo die Gottesorte sind. „Wo taucht Jesus auf? Bei jenen, die an den Rändern des Lebens und der Gesellschaft sind, die ganz unten sind“, sagte Zulehner. Sein Leitsatz dazu „Wer in Gott eintaucht, taucht bei den Armen auf! Und umgekehrt.“ Jesus holt sie ins Leben zurück. Wir verwenden heute das Wort integrieren dafür.
In der Spur Jesu gehen heißt also, bei denen auftauchen, die die Aussätzigen sind. Übertragen in die heutige Zeit falle einem dazu einige ein, meinte Zulehner. Er nannte unter anderem alte Menschen, die einsam sind, Junge, die keine Arbeit finden, Flüchtlinge.
Ganz klare Worte findet dafür Papst Franziskus, der die Christen immer wieder dazu auffordere, an die Ränder zu gehen.
Bischof Ivo Muser nannte „diesen Abend einen starke christliche Einladung, nicht Angst zu haben“. Mit Sorge sehe der Bischof das Spiel mit der Angst, es werde Angst vor dem Fremden, dem Unbekannten geschürt, es werde Angst davor gemacht, dass man etwas teilen müsse, so Bischof Muser.
Text: Ingeburg Gurndin