KVW Soziales
Trotz Job in der Armutsfalle
Tagung des Afi zur Armutsgefährdung von Erwerbstätigen
Es gibt Menschen, die trotz eines Arbeitsverhältnisses armutgefährdet sind: sie können sich keinen Urlaub leisten oder eine Ausgabe von 1000 Euro bereitet Schwierigkeiten. Armutsgefährdete Haushalte, welche sich Folgendes nicht leisten können (Mehrfachnennungen), in Prozent
16 Prozent der Arbeitnehmerfamilien mit nur einem Lohneinkommen leben in Südtirol an der Armutsgrenze. „Trotz des boomenden Arbeitsmarktes und des optimistischen Stimmungsbildes in allen Wirtschaftsbereichen landet der in Südtirol geschaffene Wohlstand noch nicht in den Taschen aller Arbeitnehmer”, stellt AFI-Vizedirektorin Silvia Vogliotti fest. Den working poor fehle das Geld für die notwendigsten Dinge.
Als working poor bezeichnet man Erwerbstätige, deren Einkommen an der Armutsschwelle liegt. Trotz des Aufschwungs der letzten Jahre gibt es working poor auch in Südtirol: „Wir wollen heute den ‚arbeitenden Armen‘ Raum und Stimme geben und die Problematik zusammen mit europäischen, italienischen und hiesigen Experten beleuchten“, sagt AFI-Vizedirektorin Silvia Vogliotti zur Eröffnung der Fachtagung „Working poor - Wenn arbeiten nicht reicht“. Das Arbeitsförderungsinstitut Afi und das Meinungsforschungsinstitut Apollis haben zu diesem Zweck eine Datenbank der Michael-Gaismair-Gesellschaft von 1.228 repräsentativ ausgewählten Haushalten in Südtirol ausgewertet. „16 Prozent der Arbeitnehmerfami-lien mit nur einem Lohneinkommen leben in Südtirol an der Armutsgrenze“, brachte AFI-Forschungsmitarbeiter Friedl Brancalion das markante Ergebnis seiner Auswertungen auf den Punkt.
Armutsrisiko bei kinderreichen Familien, Jungen und im Süden
Valentina Ferraris vom Forschungsinstitut REF in Mailand zeigt auf, dass in Italien über 2,2 Millionen Arbeitnehmerhaushalte an der Schwelle zur Armut leben. Bezogen auf Haushalte tragen das größte Armutsrisiko die kinderreichen Familien, die Familien mit (wenigstens) einem teilzeitbeschäftigten Mitglied und die Familien im Süden Italiens. Unter den Arbeitnehmern sind die Ausländer (35 Prozent der working poor insgesamt) und die unter 30-Jährigen dem größten Armutsrisiko ausgesetzt.
Ursachen der Arbeitsarmut
Risikofaktoren der Arbeitsarmut seien auch in Südtirol der Anteil arbeitender Familienmitglieder, Bildungsniveau, Kinderzahl und Migrationshintergrund. „Jobs in Branchen mit prekären Arbeitsverhältnissen, schlechtbezahlte Jobs oder Jobs mit geringer Qualifikation sind Katalysatoren für die Armut von Beschäftigten und ihrer Familien“, fasst Friedl Brancalion die strukturellen Ursachen der Arbeitsarmut zusammen.
Geld zum Leben fehlt an allen Ecken
Armutsgefährdete Arbeitnehmer in Südtirol tun sich schwer, die notwendigsten Ausgaben für ein würdiges Leben aufzubringen. Auch nur ein einziger Urlaub im Jahr ist für 43 Prozent der working poor unerschwinglich; 38 Prozent von ihnen ist außerstande, Ausgaben von über 1.000 Euro zu tätigen; 13 Prozent können sich eine vollständige Mahlzeit alle zwei Tage nicht leisten. Haushaltsplanung findet kaum statt, weil sich diese Familien keine Geldmittel für Notfälle zurücklegen können“, führte Friedl Brancalion aus.
Sozialpolitik verringert Armut
Luca Critelli, Abteilungsdirektor des Landes für Soziales unterstrich in seinem Vortrag die Wirksamkeit von sozialpolitischen Gegenmaßnahmen im Kampf gegen die Armut. Die Zah-len des Landesstatistikinstituts würden bestätigen, dass die sozialen Stützmaßnahmen die Anzahl der armutsgefährdeten Familien insgesamt von 24,7 Prozent auf 16,6 Prozent verringern. Critelli gab zu Bedenken, dass die Unterstützung auf der Wohlfahrtsseite aber auch die Gefahr berge, dass anderweitig Anreize weniger werden, etwa bei Betriebsverhandlungen, Lohnverhandlungen oder bei Besteuerungspolitik.