KVW Aktuell

Sozialstaat - was ist das?


Josef Stricker,
geistlicher Assistent des KVW
Das Leben beginnt ungleich und auch danach ist es nicht viel besser. Der eine wird in ein begütertes Elternhaus hineingeboren und ist mit allerlei Fähigkeiten ausgestattet, der andere kommt in einem Armenhaushalt zur Welt und hat von der Natur wenig mitbekommen. Der eine müht sich ab und kommt kaum weiter, der andere macht sich‘s gemütlich und findet im Leben alle Türen offen. Die besseren Erbanlagen hat sich niemand erarbeitet, die bessere Familie auch nicht. Das Schicksal hat sie zugeteilt.
Am Ursprung des Sozialstaates stehen die ungleichen Lebenschancen und die Notwendigkeit Defizite auszugleichen. So richtig es ist, mehr Vorsorge und mehr Eigenverantwortung für sich selber zu verlangen, so notwendig ist es, dass soziale Sicherungssysteme Schutz vor und Hilfe bei Krankheit, Arbeitslosigkeit, Pflegebedürftigkeit usw. bieten. Die großen Lebensrisiken können nur begüterte Menschen allein meistern. Da hilft auch keine Privatversicherung, wenn die Prämien nicht bezahlt werden können.
Der Sozialstaatsgedanke hat noch einen Vorteil. Er akzeptiert keinen Vorrang des Kapitals vor der Arbeit. Er wehrt sich gegen die Trennung, weil hinter den beiden Polen lebendige Menschen stehen. Die müssen in die Lage versetzt werden, halbwegs würdevoll leben zu können. Der Sozialstaat ist der Gerechtigkeitspolitik verpflichtet, einer Politik, die Ungleichheiten ausgleicht, die Schicksale korrigiert. Solidarität und Chancengleichheit sind die Schlüsselwörter des Sozialstaates.
Heutzutage wird gerne das Lied angestimmt, der Sozialstaat habe ausgedient, er sei ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Begründet wird das Aus mit den hohen Kosten, die der Sozialstaat verursacht. Schauen wir genauer hin: Überall in der EU wächst der Reichtum und die Armut auch. Das spricht nicht gegen, sondern für den Erhalt und die Festigung des Sozialstaates.
Text: Josef Stricker

KVW Aktuell

Pensionierung - was nun?

Plädoyer für die Entdeckung neuer Sinn-Möglichkeiten
Maria Kußtatscher,
Vorsitzende der KVW Senioren
Maria Kußtatscher verwies auf die Tatsache, dass sich viele Menschen auf die Zeit nach der Pensionierung sehr freuen. Da haben sie endlich Zeit und Möglichkeit, vieles zu tun und zu erleben, was vorher nicht möglich war. Viele reisen gerne. Andere nützen die verschiedenen Weiterbildungsmöglichkeiten hier in Südtirol und die neuen digitalen Vorteile, das Internet sowie viele andere Angebote.
Die Referentin Anna Maria Pircher Friedrich aus Meran ist Lehrbeauftragte an verschiedenen Universitäten und Autorin zahlreicher Bücher. Viele Großeltern sind geliebte Kontaktpersonen für die Enkelkinder und können ihnen vieles erzählen und zeigen. Es ist schön, wertvoll zu sein. Aber nach einiger Zeit kehrt der Alltag ein, und Menschen suchen nach neuen Tätigkeiten. Wo kann ich mich noch einbringen? Die Referentin machte Mut, neue Sinn-Möglichkeiten zu erspüren und Sinnvolles für sich selbst und für andere Menschen zu bewirken. Nicht genützte Potentiale können entfaltet werden. Das eigene Leben mit wachem Geist zu leben, und daran wachsen, ist eine neue Lebens-Erfahrung.
Viktor Frankl war der große Lehrmeister für die Referentin. Der vielseitig gebildete Arzt hat Nazilager überlebt, aber alle seine Familienangehörigen verloren. Er hatte eine große Sinnkrise erlebt und dann ein neues Sinnkonzept hinterlassen. Er sagte, dass alles, was ich tue, etwas bewirkt. Wenn die Welt auch ambivalent ist, können wir lernen, beide Seiten anzunehmen, die hellen Seiten und die dunklen Seiten im Leben. Wo es Probleme gibt, sind auch neue Chancen zu entdecken. Stark werden ist eine Folge von Sinn erkennen und Leiden überwinden. Viele leben heute im Wohlstand. Die Frage nach dem Sinn kann damit aber nicht gestillt werden. Nur ich selber kann meinem Leben einen Sinn geben.
Im dritten Abschnitt des Lebens beschäftigen uns verstärkt die Fragen: Wer bin ich? Wofür lebe ich? Welcher Mensch möchte ich sein? Wie entscheide ich mich?
Bin ich ein Opfer der Fremdbestimmung? Man tut! Kann ich mich in den reiferen Jahren loslösen von der Opferrolle und von der anerzogenen Pflicht zum Gehorsamt? Von dem Mode-Diktat? Von Zwängen der Freizeitgestaltung und anderen Verhaltensmustern?
Es geht um das Erkennen der persönlichen Motivation: Was will ich? In jeder Biografie gibt es auch Enttäuschungen und Verletzungen. Sinn finden ist der Schlüssel zum persönlichen Erfolg und zur Liebesfähigkeit.
Text: Maria Kußtatscher