Thema

Superreiche sind nicht „super“

Soziale Ungleichheiten
Foto: Benjamin Disinger - unsplash
Corona-Pandemie, Energiekrise, Inflation und die näher rückende Bedrohung durch den Klimawandel: Die anhaltenden Krisen von Wirtschaft und Gesellschaft rücken die Bedeutung der Gleichverteilung von Einkommen, Vermögen und gesellschaftlicher Teilhabe in den Fokus. In der sozialen Spaltung zwischen Armut und Reichtum liegt eine Gefahr für die Demokratie. Eine öffentliche Investitionsoffensive, statt des Kürzungskurses ist jetzt gefragt.
Unter dem Titel „Verteilungsfragen in Krisenzeiten“ luden die Hans-Böckler-Stiftung und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zu einer Konferenz nach Berlin, bei der vielseitig diskutiert wurde, wie soziale Spaltung aufgrund von Verteilungsungleichheiten bekämpft und sozial-ökologische Transformationen gerecht gestaltet werden können.

Multiple Krisen und die Gefahr sozialer Verwerfungen
Alleinerziehende, Arbeitslose, Niedrigverdienende, aber auch die mittleren Einkommensgruppen sind in Krisenzeiten stärker finanziellen Belastungen ausgesetzt. Ebenso spielen ein niedriges Bildungsniveau und atypische Beschäftigungsverhältnisse eine Rolle. Ein Großteil der Armutsbetroffenen sind Kinder und Frauen. Obwohl Südtirol im italienischen und internationalen Vergleich als wohlhabende Region gilt, waren 2020 laut des ASTAT 11% der Bevölkerung armutsgefährdet oder von sozialer Ausgrenzung betroffen.
„Mit dem Reichtum ist es wie mit dem Mist“, erklärt Stefan Körzell, Vorstand des DGB. „Auf dem Haufen stinkt er – gut über das Land verteilt ist er ein Segen.“ Wer reich ist, hat Reserven und Netzwerke, die in Krisenzeiten schützen. Wer diese nicht hat, gerät schneller unter Stress oder gar in Existenznot. Persönliche Sorgen und Geringschätzung steigen mit sinkendem Einkommen und das Vertrauen in Staat und Politik lässt nach. In Südtirol ist die Arbeitslosenquote aktuell sehr niedrig. Das AFI-Barometer zeigt dennoch, dass 37% der Arbeitnehmenden nur schwer über die Runden kommen und nur gut die Hälfte der Beschäftigten die Möglichkeit hat, sich durch Sparanlagen abzusichern. Das Stimmungsbild der Arbeitnehmer:innen ist sogar schlechter als die tatsächliche Lage. Dies deutet auf nachhaltige psychosoziale Auswirkungen krisenbedingter Lohneinbußen hin. Einkommensungleichheit und daraus entstehende soziale Verwerfungen sind kein rein individuelles Problem, sondern eine „Quelle für antidemokratische Einstellungen“, betont Bettina Kohlrausch, Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI). Da es sich um die Gefährdung demokratischer Strukturen handelt, gehen soziale Ungleichheiten uns alle etwas an.

Ressourcen mobilisieren, um sozial-ökologische Transforma­tionen gerechter zu gestalten
„Superreiche sind ein Problem und sollten deshalb nicht mehr super heißen“, lautet die amüsant klingende, aber ernsthafte Forderung des Millionärs und Unternehmers Peter Reese. Er kritisiert damit die zu geringe Besteuerung der Reichen und betont: Wir können nicht darauf hoffen, dass Reiche ihre Ressourcen selbstständig zum Wohle der Gesamtbevölkerung einsetzen, auch wenn die Mobilisierungsmöglichkeiten der Einkommensstarken faktisch sehr viel höher sind. Vielmehr ist es Aufgabe der Politik die Erbschafts- und Schenkungssteuer in Italien wieder zu erhöhen und Freibeträge zu senken. Aktuell liegt der Erbschaftsfreibetrags für Ehepartner:innen und Kinder bei 1 Mio. Euro.

Inflation und stagnierende Löhne
Trotz der um die 20% höheren Lebenshaltungskosten als im Rest von Italien sind die Löhne in Südtirol nicht dementsprechend angepasst. Selbst der Spitzenwert der Inflationsrate von 12,5% im Dezember 2022 war nicht ausreichend, um Lohnverhandlungen anzustoßen. Reallohnverluste können in Krisenzeiten tatsächlich kaum verhindert werden. Weitere Verluste konnten während der Pandemie zwar im zweiten Schritt verhindert werden, staatliche und territoriale Entlastungspakete haben jedoch nur kurzweilig Abhilfe geschaffen und an strukturellen Ungleichheiten nichts geändert. Wir haben auch hier einen Verteilungskonflikt, wenn die Gewinnmargen einiger Unternehmen enorm steigen, während die Löhne weiter stagnieren. Die Landespolitik muss in solchen Situationen mehr Druck auf die Wirtschaftsverbände ausüben. Politische Lenkungsmaßnahmen könnten ihre Wirkkraft mit einem Mindestlohn, der im Idealfall noch territorial angepasst ist, entfalten. Zwar finden in Südtirol viele Kollektivverträge Anwendung, in denen ein Mindestlohn von 9€ geregelt ist, dies trifft aber nicht auf alle Wirtschaftssektoren zu.

Kürzungspolitik & das bröck­elnde Vertrauen in den Staat
Im EU-Vergleich schneidet Italien bei der Einkommensverteilung eher schlecht ab. Der Gini-Index, der die Einkommensungleichheit misst, bewegt sich seit Jahren am unteren Ende dessen, was als einkommensgleich bezeichnet wird. Wenn die Einkommen ungleich verteilt sind, gibt es einige Wenige, die viel Geld besitzen und viele Menschen, die wenig besitzen. Wird diesem Trend nicht entgegengewirkt, wächst die Schere zwischen Arm und Reich. Da in Südtirol die meisten Menschen aus erwerbstätiger oder selbstständiger Arbeit leben, sollten die Einkommen den Menschen auch ein Leben in Würde und ohne Armut ermöglichen. Die „working poor“, also die Erwerbstätigen, deren Einkommen an der Armutsschwelle liegt, sind aber auch hierzulande ein Thema. Ein gemeinsames Ziehen am selben Strang, im Sinne von „in Krisenzeiten müssen wir alle sparen“, ist für Armutsbetroffene nicht umsetzbar. Die häufig in Zeiten von Krisen angewandte Kürzungspolitik untergräbt den Wohlfahrtsstaat und verstärkt die gesellschaftliche Spaltung und das Misstrauen in den Staat. Die Kürzung des 2019 als Maßnahme zur Bekämpfung von Armut eingeführten Bürgereinkommens unter der Regierung von Meloni ist ein Beispiel solch erheblicher Einschnitte, die das Vertrauen der Bevölkerung schwächen, Radikalisierung begünstigen und den Prozess der erfolgreichen Bewältigung von Transformationen behindern können.

Immer eine Frage der Macht
Was sind die notwendigen politischen Maßnahmen? Auf der Konferenz ging es um die Verteilungswirkung von Klimapolitik, um flächendeckende Kinderbetreuung, damit Alleinerziehende und Frauen entlastet werden, um die Stärkung des Bildungssystems, damit Bildungsarmut bekämpft werden kann und um die Deregulierung der Arbeitsmärkte, damit Marktzutrittsbeschränkungen abgebaut und Arbeitsplätze geschaffen werden können. Grundsätzlich muss die Frage der zielgerichteten Umverteilung immer vor dem Hintergrund demokratischer Teilhabe und sozialer Integration betrachtet werden, damit einer Polarisierung zwischen Arm und Reich entgegengewirkt wird. Wenn nicht allen Gesellschaftsschichten dieselbe Aufmerksamkeit zukommt, dann ist es an der Zeit die dahinterliegenden Diskurse und Narrative zu hinterfragen und bestehende Machtverhältnisse neu auszuhandeln. Es wurde deshalb bei der Konferenz betont, dass eine Neuausrichtung der Sozialpolitik nur mit Blick auf die Verteilungsmacht in politischen Prozessen gelingen kann.
Text: Aline Lupa
Aline Lupa
ist Soziologin und Forscherin am AFI | Arbeitsförderungsinstitut. Sie beschäftigt sich mit Themen zu sozialen Ungleichheiten, Chancengleichheit und Diversity Management.

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