KVW Aktuell

Wohnen in der Krise

Leistbares Wohnen im KVW Bezirk Vinschgau
Foto: Lisa Amann - unsplash
Das Thema Wohnen bleibt ein Dauerbrenner. Viele Menschen in unserem Land können sich bezahlbaren Wohnraum nicht mehr leisten: Wunsch und Realität klaffen weit auseinander. Im Vinschgau hat sich eine Arbeitsgruppe des KVW intensiv mit dem Thema befasst und Vorschläge für die Politik erarbeitet.
Die Menschrechtserklärung besagt im Artikel 25, dass jeder Mensch ein Recht auf angemessenen Wohnraum hat. Der mittlerweile bereits etwas abgegriffene Begriff „Leistbares Wohnen“ wird in unserem Lande in erster Linie von den politischen Entscheidungsträgern seit Jahrzehnten hochgehalten. „Leistbares Wohnen“ wird von ihnen in ihren Wahlprogrammen beworben und versprochen. Der Markt ist überhitzt, die Preise für Wohnraum sind in den Sternen; diese Situation hat sich in den letzten Jahren stetig zugespitzt.

Überzogene Preise
Einerseits wurde der Mietmarkt von der öffentlichen Hand mit Millionen in Form von Mietbeiträgen unterstützt, anderseits wurden Sanierung, Bau und Kauf der Erstwohnung durch Verlustbeiträge und zinsbegünstige Beiträge bezuschusst. Leider sind diese öffentlichen Gelder nur zu einem geringen Teil wirklich beim Mieter bzw. „Häuslebauer“ angekommen, vielmehr haben sie, wenn auch nicht ausschließlich, so doch mit dazu beigetragen, dass der Wohnraum in Südtirol überzogen teurer geworden ist. Leistbares Wohnen ist eine der großen Baustellen, junge Familien tun sich in Zukunft schwer, eine angemessene Bleibe zu finden. Die Verantwortungsträger täten gut daran, vertiefend zu evaluieren , wie die öffentlichen Gelder in Bereich Wohnbau zielführender eingesetzt werden können, so dass Wohnen in Südtirol wieder leistbar wird und nicht nur eine „Floskel“ bleibt.

Neue Wege müssen gefunden werden
Der Wohnungsmarkt in Südtirol wird seit Jahren immer stärker von Immobilienunternehmen, Maklern und privaten Investoren bedient. Es entwickelte sich dadurch verstärkt eine Art Monopol einiger Wirtschaftszweige. Es braucht dringend konkrete Gegenmaßnahmen. Immer dort, wo der private Markt dieses Grundrecht der Bürger monopolistisch bedient, indem die Preisgestaltung einseitig vorgesetzt wird, also Angebot und Nachfrage nicht mehr stimmig sind, ist die öffentliche Hand gefordert.

Öffentliche Hand muss eingreifen
Es ist Pflicht der öffentlichen Hand, marktkorrigierend einzugreifen. Mehr Angebot führt tendenziell zu niedrigen Preisen. Der öffentlichen Hand hat kein Recht, Unternehmer zu sein, sie hat aber die Pflicht für die Befriedigung von Grundrechten ihrer Bürger durch gezielte Maßnahmen zu sorgen. Dafür sind die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, das derzeit geltende Wohnbauförderungsgesetz und die entsprechenden Durchführungsbestimmungen sind vordringlich zu überarbeiten, bzw. neu zu schreiben. Es braucht neue solidarische Wohnbaumodelle, gemeinnützige Wohnbaugenossenschaften, sowie Wohnungen mit Preisbindung, um den sozial verträglichen Wohnungsmarkt insgesamt voranzubringen. Die derzeitige Miet- und Wohnbauförderung ist in vielen Teilen zu überdenken und vor allem was die Finanzierung des Mietmarktes betrifft, grundlegend zu reformieren. Mietbeiträge in der bisherigen Form, sollen stufenweise reduziert und mittelfristig vollständig abgeschafft werden. Parallel sind die freiwerdenden Finanzmittel in den Neubau von Wohnungen seitens der öffentlichen Hand zu investieren, welche wiederum dem Mietmarkt zur Verfügung zu stellen sind. Der Bau und die Verwaltung derselben könnten über das Wohnbauinstitut erfolgen, unter der Voraussetzung, dass auch dieses neu aufgestellt wird. Es ist unverständlich, warum das Wohnbauinstitut es nicht schafft, leerstehende Wohnungen zeitnah zu vermieten.

Geförderter Mietkauf
Als weiterer Baustein zur Lösung des Wohnungsproblems wäre auch der geförderte Mietkauf anzugehen. Das Land baut über das neu aufgestellte Wohnbauinstitut Eigentumswohnungen, die als Erstwohnung an Familien mit mittlerem Einkommen verkauft werden. Der Käufer zahlt anstatt eines Darlehens beim geförderten Mietkauf die Wohnung mit sogenannten Mietkaufraten ab. Der Mieter bzw. Käufer wissen, sie werden auf Grundlage eines Finanzierungsplanes Eigentümer der gemieteten Wohnung, entsprechend wäre eine stärkere Identifikation mit dem Mietobjekt gegeben, was bei der klassischen Miete einer Institutswohnung bedauerlicherweise nicht immer gegeben ist. Der Bau der betreffenden Wohnungen könnte mit den Einsparungen aus den bisherigen Mietbeiträgen und natürlich mit weiteren öffentlichen Mitteln vorfinanziert werden. Diese Finanzmittel, sowie die zurückfliesenden Mietkaufraten sollten über einen Rotationsfonds verwaltet werden.

Airbnb und co und langfristige Vermietungen
Dann müsste auch das „lukrative“ Geschäft, kurzfristig an Touristen zu vermieten weiter eingeschränkt werden. Der oft steuerrechtlichen Grauzone ist beizukommen, entweder der Eigentümer wirtschaftet als Touristiker, oder er bedient den privaten Mietwohnmarkt. Als Anreiz leerstehende Wohnungen auf dem Erstwohnungsmarkt zur Verfügung zu stellen, wären steuerrechtliche Anreize zielführend. Für Wohnungen welche an eine Familie als Erstwohnung zum Landesmietzins vermietet werden, sollte die Gemeindeimmobiliensteuer reduziert werden. Kommt dazu noch ein Fixmietsteuersatz „cedolare secca“ zur Anwendung, so sollten diese Wohnungen, mit dem Gis-Steuersatz einer Erstwohnung gleichgestellt werden.

Weniger Bürokratie
Zu durchleuchten sind auch die Bürokratie und die damit zusammenhängende Effizienz der zuständigen Landesämter. Die derzeitigen Wartezeiten auf die Bearbeitung eines Finanzierungsgesuches, oder beispielweise auf eine „simple“ Verwaltungsmaßnahme zur Löschung einer abgelaufenen Sozialbindung sind für die Antragsteller absolut nicht nachvollziehbar. Es braucht neue Ansätze für eine innovative Wohnbaupolitik.
Text: Arbeitsgruppe Leistbares Wohnen Bezirk Vinschgau

KVW Aktuell

Zeit für Familie

Die Feministin, Publizistin und Autorin des Sachbuchs „Alle Zeit- eine Frage von Macht und Freiheit“ in den Festsaal der Gemeinde Bozen. Das Event ist der 2. Teil einer Trilogie die von der Allianz der Familie (u.a. mit dem KVW) und der Gemeinde Bozen organisiert wird. Im Vorfeld haben wir uns mit der Sprecherin der Allianz Sandra Moszner unterhalten.
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Was macht die Allianz für Familie genau? Wo liegt 2024 der Fokus?
In der Allianz für Familie sind derzeit 14 Südtiroler Organisationen, zusammengeschlossen. In ihrer Vielfalt setzen sie sich alle hauptsächlich für die Förderung von Familienanliegen ein. Als Allianz vertreten sie gemeinsam die Anliegen von unterschiedlichen Familienformen, streben konkrete Verbesserungen für Familien mit Kindern an und agieren dabei als konstruktiver und kritischer Ansprechpartner für Politik und Verwaltung.
In zahlreichen regelmäßigen Treffen wird recherchiert, analysiert und diskutiert. Im Fokus stehen kreative und alltagstaugliche Konzepte für unterschiedliche Lebensformen, sowie langfristige Weichenstellungen für passende Rahmenbedingungen. Die Allianz verleiht den vielfältigen Herausforderungen von Familien Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit. Jährlich werden im breiten familienpolitischen Themenfeld Arbeitsschwerpunkte gesetzt. Dabei werden die Themen bezugnehmend auf wissenschaftliche Erkenntnisse und die lebensweltnahen Erfahrungen der Mitglieder bearbeitet. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Bildungs- und Betreuungskontinuität für Kinder von 0 bis 14 Jahren beschäftigt die Allianz für Familie bereits seit Jahren. 2024 wird daran weiter ganzheitlich gearbeitet.
Auch in Südtirol kann man einen gesamtstaatlichen Trend zu weniger Kindern feststellen. Auch hierzulande haben wir in den letzten 5 Jahren einen Geburtenrückgang von 12 %. Wie kann man diesem Negativtrend entgegenwirken?
Weltweit kommen täglich rund 216.000 Kinder zur Welt. Viele von ihnen gewollt, manche lange ersehnt, andere gänzlich ungeplant. Kinder zu bekommen scheint zumindest in unseren gesellschaftlichen Zusammenhängen nur noch selten eine Schicksalsfrage zu sein. Warum Menschen Eltern werden kann von einigen Aspekten abhängen. Dazu gehören körperliche Voraussetzungen, Partnerschaft, Freundschaft, Verwandtschaft, die jeweilige wirtschaftliche Situation, Rollenbilder, ein stabiler Sozialstaat, der verlässlich funktioniert, gute Infrastrukturen, angemessene Kinderbetreuung, eine kinderfreundliche Gesellschaft und nicht zuletzt Erwartungen an die Zukunft.
Die Antwort ist also komplex. Mit Blick auf Frankreich und Schweden und deren höheren Geburtenraten scheint es so, als ob die Instrumente des Sozialstaates einen Unterschied machen. Staatliche Hilfen, Kinderbetreuungseinrichtungen und Steuerpolitik setzen hier bedeutsam an. Beide Länder wenden mehr Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für die Familienpolitik auf – und das seit Jahrzehnten.

Was bedeuten veränderte Fami­lien­situationen für die Familien­arbeit, den Arbeitsmarkt, das soziale Miteinander & die Rente?
Das ist eine umfassende Fragestellung. Familie ist zunächst ein Zusammenhalt der Menschen, die sich darauf einigen, dass sie sich umeinander kümmern. Das kann dann ganz unterschiedlich aussehen. Zunehmend sind vielfältige Lebensformen möglich: Eltern sind verheiratet oder nicht, heterosexuell oder gleichgeschlechtlich, wohnen zusammen oder getrennt, erziehen alleine oder leben mit einem neuen Partner zusammen, ein Partner oder beide sind erwerbstätig. Auch neue Wege zu Elternschaft mit Hilfe der Reproduktionsmedizin sind möglich. Die biologische, genetische, rechtliche und soziale Elternschaft muss nicht mehr miteinander identisch sein. Eltern haben heute also andere Möglichkeiten und sind zugleich vielen gestiegenen Anforderungen ausgesetzt. Sie fühlen sich damit häufig allein gelassen und sind zu großen Teilen verunsichert. Neben der wirtschaftlichen Dimension erleben Eltern vielfältiger Druck, besonders Zeitdruck und ein idealisiertes Familienbild bestimmen heute den Alltag vieler Familien.
Der Wunsch nach partnerschaftlicher Aufgabenteilung von Familien- und Erwerbsarbeit ist weiterhin hoch, aber für viele schwer zu realisieren: Viele Eltern wünschen sich eine partnerschaftliche Aufteilung von Kinderbetreuung, Haushalt und Erwerbstätigkeit. Nur erheblich wenige können dies nach der Geburt des ersten Kindes tatsächlich umsetzen. Dies liegt nicht nur am persönlichen Wollen, es ist vielmehr darin begründet, dass die Rahmenbedingungen noch nicht dementsprechend ausgerichtet sind. Mag das Patriarchat in der heutigen Zeit auch nicht mehr so deutlich erkennbar sein, wie dies vielleicht noch vor 50 Jahren der Fall war, so reicht dennoch ein kurzer Blick in Privathaushalte, um zu erkennen, dass patriarchale Strukturen auch dort bis heute wirken. In Haushalten mit Kindern arbeiten Männer meist in Vollzeit, während Frauen häufig Teilzeitjobs haben. Die Arbeitsteilung gestaltet sich noch immer sehr traditionell. Nach wie vor sind es die Frauen, die vorwiegend Familienarbeit leisten. Die einstige Ressource „Hausfrau“ steht nicht mehr selbstverständlich und unbegrenzt zur Verfügung. So entstehen vielfach Engpässe in den Familien. Frauen sind häufig mehrfachbelastet und zerfleddern sich zwischen Fürsorgearbeit und Beruf.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwiefern Wirtschafts-, Arbeits-, Bildungs- und Betreuungspolitik darauf reagieren können. Familie ist ein Querschnittsthema, demnach müssen sich auch Akteure aus dem Bereich Wirtschaft für gesunde Familien mitverantwortlich fühlen. Unternehmen leisten einen wesentlichen Beitrag zum gesellschaftlichen Leben. Sie bieten nicht nur notwendige Produkte und Dienstleistungen an, sind Steuer- und Sozialbeitragszahlende, sondern sind für viele Menschen auch Ort der beruflichen Verwirklichung und eben des Einkommenserwerbs. Sie stehen in wechselseitiger Abhängigkeit zu ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ein Umdenken hat hier nicht zuletzt aufgrund des Fachkräftemangels begonnen und ist weiter anzustreben: Arbeitsbedingungen werden zunehmend auch an die Bedürfnisse von Familien angepasst. Themen wie Flexibilität, Kommunikation, beiderseitiges Verständnis stehen im Fokus.
Damit die Familienmitglieder gesund bleiben und gut leben, muss unsere Gesellschaft jedoch vielschichtig aktiv werden. So ist es auch wichtig, Tätigkeiten der Fürsorge als das anzuerkennen, was sie sind, nämlich die Basis, dass Menschen Lohnarbeit überhaupt leisten können. In der aktuellen Debatte wird auch in Südtirol wird eine Erwerbstätigkeit von Männern und Frauen angestrebt, dies möglichst in Vollzeit. Der übliche Achtstundentag blendet jedoch Fürsorge und damit die unbezahlte Arbeit zu Hause aus. Als Arbeit wird nur das anerkannt, was in Erwerbstätigkeit geleistet wird. Aber reproduktive Tätigkeiten, wie Kinder erziehen, Angehörige pflegen, einkaufen, kochen und Wäsche waschen sind notwendige Arbeiten. Ohne diese Tätigkeiten wäre auch unsere Wirtschaft nicht funktionsfähig! Nach dem einem das bewusst ist, müssen diese Care-Aufgaben auch bei der Steuer- und Rentenberechnung einbezogen werden.
In Bezug auf das soziale Miteinander ist eine partnerschaftliche und gerechte Arbeitsteilung innerhalb der Familie als auch eine neue Ausrichtung und Anerkennung der Fürsorgearbeit wichtig. Nur wenn es Eltern und langfristig auch Kindern hinreichend möglich ist, sich umeinander zu kümmern, kann eine nächste Generation gut aufwachsen, die vorherige versorgt werden und der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft funktionieren. Gesunde Kinder und fürsorgliche Gemeinschaften wie Familien sind Lebensqualität und bedeuten Zukunft.
Text: Teresa Bücker
Sandra Moszner
gebürtige Berlinerin, Jahrgang 1978. Lebt seit 2002 glücklich verheiratet in Lana und ist Mutter von drei Kindern. Als Bürokauffrau und nach einem Ausflug in die Rechtswissenschaft absolvierte sie Ausbildungen mit Schwerpunkt Organisationsentwicklung und Human-Ressource-Management. Sie hat den ehrenamtlichen Vorsitz des Netzwerks der Elkis Südtirols inne und ist in dieser Funktion Ansprechpartnerin für Verantwortliche aus Politik, Verwaltung und Medien, setzt sich in der Allianz für Familie für die Gestaltung von lebenswerten Rahmenbedingungen für junge Familien ein.