Thema

Miteinander in Bewegung, damit niemand zurückgelassen wird.

Das Jahresthema des KVW 2023/24
Foto: Andrew Moca - unsplash
Unsere Gesellschaft befindet sich im Umbruch: eine Krise jagt die andere, die Ressourcen werden weniger, das Klima spielt verrückt. Gleichzeitig haben wir hier in Südtirol in den vergangen Jahren einen guten Lebensstandard erreicht und wollen diesen auch beibehalten. Allerdings wird es für immer mehr Menschen schwieriger da mitzuhalten.
Das aktuelle AFI Barometer zeigt das Auseinenderdriften der Gesellschaft deutlich auf: 46% der Arbeitnehmer geben an, dass sie am Ende des Monats nichts sparen können um auch für Notfälle gerüstet zu sein. Fast 20% gaben sogar an, dass sie es nicht schaffen mit dem Monatslohn über die Runden zu kommen. Der KVW, der Katholische Verband der Werktätigen, beschäftigt sich in seinem neuen Jahresthema mit diesen Menschen. Miteinander in Bewegung, damit niemand zurückgelassen wird! Unser neues Jahresthema regt zum Nachdenken an und zum aufeinander zugehen an.
Gemeinsam geht es besser
Es ist Aufgabe unseres Verbandes, in unseren Ortsgruppen und Gremien Aufklärung zu leisten und dadurch vermehrt Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen. Viele unserer Mitbürger:innen werden übersehen und bleiben dadurch zurück: prekäre Arbeitsverhältnisse, geringer Lohn, besondere familiäre Umstände, Altersarmut… Diesen Menschen wollen wir Mut machen, sich Hilfe zu holen und Sozialleistungen nicht als Almosen, sondern als wichtige Unterstützung für den Alltag zu verstehen. Nicht vergessen möchten wir auch die gespannte Situation am Wohnungsmarkt. Die Mietpreise sind stark angestiegen und das Mieten einer Wohnung ist für viele Mitmenschen zu einer echten Herausforderung geworden.
Viele Seniorinnen und Senioren sind überfordert mit den digitalen Medien und brauchen dort eine Unterstützung. Als KVW bieten wir Unterstützung über unsere Digi-Coaches an. Dieser sehr wichtige Dienst ist aber ausbaufähig. Die Ehrenamtlichen in den Ortsgruppen können noch vermehrt Hilfestellungen anfordern und dadurch bei Überforderung im digitalen Bereich einen wichtigen Lotsendienst leisten.
Nicht vergessen wollen wir auch Zugezogene, psychische Kranke und Menschen anderer Kulturen. Auch sie tun sich schwer sich eine Dorfgemeinschaft einzufügen oder zu integrieren. Es gibt viele Frauen aus anderen Kulturkreisen, die unserer Landessprachen nicht mächtig sind und somit kaum soziale Kontakte in unserer Gemeinschaft pflegen können. Die Männer gehen zur Arbeit und die Frauen bleiben in ihrer Isolation. Auch hier soll unserer Jahresthema sensibilisieren und Menschen zu einem positiven Miteinander ermutigen.
Füreinander und miteinander
Der KVW setzt sich ein für eine soziale und gerechte Gesellschaft und bietet denen, die nicht mit den vielfältigen Aufgaben und Herausforderungen unserer heutigen Leistungsgesellschaft Schritt halten können, Hilfe an. Die Ortsgruppen, 250 davon gibt es über das ganze Land verstreut, wollen für die Menschen vor Ort da sein und sind bereit Verantwortung zu übernehmen. Viele bieten schon Hilfe bei digitalen Herausforderungen an (Vormerkungen, ABO+…), organisieren gemeinsam mit der KVW Bildung Vorträge und Lehrgänge zu wichtigen Themen und sensibilisieren für solche (Suizid, Besser Lesen und Schreiben durch die Basisbildung,..), schaffen Orte der Begegnung.
Das Patronat KVW ACLI steht den Antragstellern bei den Ansuchen für die Absicherung im Alter, bei Krankheit oder bei Arbeitslosigkeit bei.
Der KVW Hilfsfonds hingegen hat es sich zum Ziel gesetzt, Menschen im Lande, welche durch plötzliche Schicksalsschläge wie der Tod eines Angehörigen, der für den Unterhalt der Familie gesorgt hat, Unfall, Krankheit oder andere schwere Lebenssituationen in akute finanzielle Not geraten sind, kurzfristig finanziell unter die Arme zu greifen.
Soziale Verantwortung
Auch nach mehr als 75 Jahren wird der KVW nicht müde, zu sagen, dass sozial bedeutet in eine Gemeinschaft, eine Gesellschaft eingebunden zu sein. Vom ersten Tag an, ist der Mensch darauf angewiesen, dass andere für ihn sorgen. Jeder und jede Einzelne von uns ist auf andere angewiesen. Es kann nicht sein, dass in einem so reichen Land wie Südtirol viele Menschen es sich nicht mehr schaffen für sich selbst zu sorgen- trotz Erwerbsarbeit. Bleiben wir Miteinander in Bewegung, pochen wir darauf, dass auch für die Sozialpolitik wieder mehr Budget zur Verfügung steht, dass das Geld bei denen ankommt, die es wirklich benötigen und all jene die über ein Einkommen verfügen, damit auch auskommen können. Ein sozialer Ausgleich garantiert langfristig auch einen sozialen Frieden: der Individualismus unserer Zeit führt in eine Sackgasse. Das Ziel ist es den Menschen Zuversicht zu schenken und sie zu befähigen sich selbst für die Gemeinschaft einzusetzen. Mehr denn je, braucht es anstelle des ICH ein WIR.
Text: Werner Steiner
Werner Steiner

KVW Aktuell

Solidarität als Basis für ein gesellschaftliches Miteinander

Warum das Jahresthema „Miteinander in Bewegung, damit niemand zurückgelassen wird“ passend ist für den KVW und die jetzige Zeit, erzählt uns unser geistlicher Assistent Charly Brunner in einem ausführlichen Gespräch.
Foto: Elena Mozhvilo - unsplash
Kompass: „Miteinander in Bewegung, damit niemand zurückgelassen wird.“ Das Jahresthema des KVW fordert zu mehr Mitmenschlichkeit auf. Was kann man gegen das Auseinanderdriften der Gesellschaft tun?
Ich bin mir nicht sicher, ob die Gesellschaft so sehr auseinanderdriftet. Was wir feststellen können ist, dass sich die Menschen für immer mehr individuelle Lebensentwürfe entscheiden und damit das Gefühl, dass wir alle das Gleiche tun, geringer wird. Ich bin aber davon überzeugt, dass es ganz viel Solidarität gibt und eine gute Basis für ein gesellschaftliches Miteinander. Was man tun kann, ist diese Basis, die für uns so selbstverständlich ist- im Grunde ist sie es aber gar nicht, neu zu entdecken und wieder ein Gespür dafür zu bekommen, wie sehr wir voneinander abhängig sind. Wir dürfen es auch geniessen, dass wir ein soziales Netz gebaut haben, dass uns alle hält. Es geht mir vor allem um Bewusstseinsarbeit und nicht so sehr darum mit Imperativen durch die Gegend zu laufen und allen zu sagen, was sie anders machen müssen.
Kompass: Wer genau ist gefährdet „zurückzubleiben“? Was oder wen meint man damit genau und welche sind die Gründe für ein solches „Zurückbleiben“? Hat dies ev. auch mit Herkunft (Stichwort Migration) und zu tun?
Das ist eine sehr spannende Frage, wer oder was jeweils zurückbleibt und das ist auch das Spannende an diesem Jahresthema. Es ist Aufgabe des KVW auf zwei Arten gut hinzuschauen: Das eine ist es, sich für eine gerechte Gesellschaft einzusetzen, so dass sie schon so gerecht gestaltet ist, dass die Menschen ein Anrecht auf Unterstützung haben, wenn sie es brauchen. Auf der anderen Seite gibt es aber immer wieder Menschen, die durch das Raster fallen, die schlichtweg übersehen werden. Zum Beispiel jene, die von sexuellem Missbrauch betroffen sind: Diese Gruppe hat der KVW in diesem Jahr entdeckt, gerade weil wir uns auf den Weg gemacht haben. Durch das „sich aufmachen“, kommt diese Gruppe in das Bewusstsein, man kann etwas unternehmen. Es gilt, immer wieder genau hinzuschauen und neue Gruppen zu entdecken.
Kompass: Es gibt 260 Ortsgruppen des KVW, des größten Sozialverbands Südtirols, und als Bewegung ist er somit in ganz Südtirol vertreten. In den letzten Jahren wurde es zunehmend schwieriger Menschen für das Ehrenamt, - für das sich Einsetzen für andere, zu begeistern. Wir kann es gelingen verstärkt auch junge Mitbürger: innen für Ortsgruppen zu gewinnen?
Das Niveau beim ehrenamtlichen Einsatz in Südtirol ist außerordentlich. Natürlich stellen auch wir fest, dass es da und dort Schwierigkeiten gibt, das will ich gar nicht leugnen. Ich denke, dass sich die Form des Einsatzes ändert. Die Leute lassen sich nicht mehr so fix in eine Richtung prägen und binden und das vielleicht sogar für mehrere Jahre. Gerade junge Menschen engagieren sich recht aktiv für sehr sinnvolle Sachen, für konkrete Projekte und setzten sich auch kurzfristig ein. Das gelingt auch in den Ortsgruppen, hie und da. Was nicht gelingt ist, dass man sagt „Ich finde junge Menschen, die einsteigen und gleich weiter machen, wie es bisher war!“. Das ist aber auch nicht der Sinn und Zweck. Jede Generation muss die Werte des KVW für sich gestalten. Was erforderlich ist, ist dass man eine klare Vision hat für ein Projekt hat; für dieses Projekt Interessierte anspricht und mit eigener Begeisterung gemeinsam mit anderen wirkt. Dann sind junge Menschen, diese Erfahrung habe ich mehrfach gemacht, zum ehrenamtlichen Einsatz bereit.
Kompass: Welche Rolle spielt soziale Sicherheit? Was kann Solidarität, soziale Sicherheit, Demokratie, Gerechtigkeit positiv beeinflussen? Was muss, kann, oder soll die öffentliche Hand leisten und was ist die Rolle jedes oder jeder Einzelnen?
Als Bürgerinnen und Bürger bilden wir miteinander in einer gewissen Region das Staatswesen. Der Bürger und die Bürgerin sind auch die Verantwortungsträger für dieses Staatswesen und damit ist die Frage ganz schnell beantwortet. Jeder und jede von uns hat eine wichtige Aufgabe zu leisten, dass das Miteinander gelingt. Die Gesellschaft gestalten wir so, dass auch Menschen mitgenommen werden, die vorübergehend (beispielsweise weil sie gerade arbeitslos sind) oder dauerhaft beeinträchtigt sind oder die eine schwere Krankheit haben, die dazu führt, dass sie dauerhaft Unterstützung benötigen. Die Demokratie hingegen ist das Mittel die Gesellschaft so weiterzuentwickeln, dass möglichst viele mitgenommen werden. Wenn Menschen mitentscheiden dürfen ist auch die Chance wesentlich größer, dass sie die Entscheidung mittragen. Insofern ist soziale Sicherheit und Demokratie wesentlich miteinander verbunden und auch die Gerechtigkeit. Wenn in einer Gesellschaft immer mehr Menschen den Eindruck haben es geht ungerecht zu oder dass der soziale Frieden nicht mehr hält, dann ist es mit der Demokratie, dem Frieden und der Gerechtigkeit auch gleich zu Ende. Die Dinge hängen sehr eng zusammen. Deshalb ist es auch mit Bedacht vorzugehen, um gute Lösungen zu finden.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Interview: Iris Pahl