KVW Aktuell

Der Bezirk Bozen und seine Aktion zur politischen Bildung

Der KVW setzt sich immer wieder für soziale und sozialpolitische Belange ein. Deshalb ist es auch ein Anliegen des KVW Bezirkes Bozen, die Menschen dazu anzuregen sich zu informieren, sich eine Meinung zu bilden, diese auszusprechen und danach zu handeln. Daher haben wir Aufsteller anfertigen lassen mit verschiedenen Sätzen, die in der Bevölkerung zum Thema Politik oft zu hören sind, wobei diese dann in einem weiteren Satz in Frage gestellt werden, z.B. „Von Politik verstehe ich nichts!! Hast du es schon probiert?“
Thomas Angerer
Ziel dieser Aktion ist es, die Menschen zum Mitdenken, Mitreden und Mitbestimmen im politischen Sinne anzuregen. Wir vom Kompass haben mit dem Bezirksvorsitzenden Thomas Angerer gesprochen.
Was hat sich der Bezirk Bozen dabei gedacht?
Angerer: Im Herbst sind Landtagswahlen und Wahlen sind ja die wichtigste Form der Beteiligung in einer Demokratie. Gerade in Zeiten, wo sich die wahlwerbenden Parteien und ihre Kandidaten, gerne auch mal provokant in Stellung bringen, ist es uns wichtig, das Thema, zurück auf die sachliche Ebene zu bringen. Zudem herrscht bei vielen die Meinung vor, dass Politik eh am Bürger vorbei agiert.
Mit dieser Aktion, wollen wir Mut machen, sich mit den Parteien und ihren Kandidaten auseinanderzusetzten, sich nicht von den lautesten Stimmen leiten zu lassen, sondern sich selbst eine Meinung zu bilden.
Wieso glauben Sie ist das so schwer?
Oft werden für komplexe Sachverhalte gerne einfach Lösungen geboten. Da kann man schnell den Überblick verlieren und ohne nachzufragen sich eben von diesen Lösungen blenden lassen. Unser Ansatz ist, genau diesem Wahlverhalten entgegenzuwirken, um oberflächlichen Sprücheklopfern so nicht auf den Leim zu gehen. Und von denen gibt es genug.
Jetzt vor den Wahlen wird ja viel mit den Emotionen der Menschen gespielt?
Genau und da hat Angst eine gewichtige Rolle. Wer Ängste hat, ist dann gerne bereit, Parteien seine Stimme zu schenken, die versprechen alles besser zu machen. Das kann durchaus sein, aber die wohlklingenden Ideen sind dann meist nicht umsetzbar.Hier gilt es wieder die lautesten Schreier zu überhören.
In den letzten Jahren ist europaweit die Wahlbeteiligung zurückgegangen. Ein Zeichen von Politikverdrossenheit ist eingetreten?
Das ist schlimm, ist allerdings hausgemacht. Denn wer die Menschen bei seinen Entscheidungen nicht mitnimmt, abgehoben argumentiert und sich von einem Skandal zum anderen schwingt, verliert halt an Glaubwürdigkeit. Genau da setzt unsere Aktion an. Auf den Säulen, die ab September an vielen Orten unseres Bezirks auftauchen, wird gegengelenkt. Ja, man kann was bewirken, ja, die Verantwortung wer ans Ruder kommt liegt bei uns und ja, wir müssen dann auch unterm Jahr immer wieder die Damen und Herren Politik mit unseren Problemen konfrontieren. Klartext reden, nichts beschönigen und auch nicht kuschen. Das hilft am Ende uns allen.
Vielen Dank für das Gespräch!

Kommentar

Demokratie

Muss sich auf das Gemeinwohl rückbesinnen
Foto: Markus Spiske - pexels
Am 22. Oktober dieses Jahres wird in Südtirol der Landtag neu gewählt. Als Hochamt der Demokratie wurde so ein Wahlgang früher bezeichnet, wobei Demokratie implizit mit repräsentativer Demokratie gleichgesetzt wird. Die Medien berichten täglich über neue Kandidaturen, spekulieren über den Wahlausgang, erörtern die voraussichtlichen Koalitionsvarianten und freuen sich über Hickhack, Pannen und sonstige Peinlichkeiten. Um politische Programme, Visionen für das Land und die Lösung der großen Probleme geht es jedenfalls kaum.
Es ist unschwer vorherzusehen, dass die Beteiligung an diesem für Südtirol wichtigsten Wahlgang ein weiteres Mal abnehmen oder zumindest dort bleiben wird, wo sie 2018 lag: bei knapp drei Viertel der Wahlberechtigten. Im Vergleich zu anderen Regionalwahlen in Italien ist das zwar hoch. Im Vergleich zu den Beteiligungsquoten bis Ende der 1980er Jahre ist es dagegen recht wenig. Spätestens seit damals wird die Enttäuschung über die politischen Akteure und das Ergebnis ihrer Arbeit gerne als „Politikverdrossenheit“ bezeichnet. Wie konnte es dazu kommen?
Einmal hat es mit der wirtschaftlichen Entwicklung zu tun. In den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg, vor allem ab 1960 gab es in allen westlichen Ländern einen enormen Aufschwung und Modernisierungsschub, der allen den Eindruck vermittelte, dass ihnen und ihren Kindern eine immer bessere Zukunft beschieden sei. Zudem wurde der Sozialstaat in dieser Zeit sukzessive ausgebaut. Dann folgten verschiedene Krisen oder einfach Sättigungstendenzen und der Preis, der mit dem forciertem wirtschaftlichem Wachstum und Globalisierung verbunden war, wurde zunehmend sichtbar: neben der Zerstörung des Planeten Erde die wachsende soziale Ungleichheit und das nicht eingelöste Versprechen von der Chancengleichheit aller (wobei die Situation der Menschen in anderen Ländern zumeist gar nicht mitgedacht wurde).
Zum anderen hat es einen grundlegenden Wertewandel in der Gesellschaft gegeben, von einer Orientierung an Pflichten und Verantwortung für die Gemeinschaft hin zu einer radikalen Individualisierung, in der es vor allem um Selbstverwirklichung geht. Politik wird folglich mit den Augen von Konsumenten betrachtet und bewertet: Was bietet sie mir, wer nützt meinen Interessen am meisten, welche „Marke“ passt am besten zu mir? Da die Aufgabe der Politik jedoch darin besteht, allen im Sinn des Gemeinwohls bestimmte Opfer abzuverlangen, etwa das Zahlen von Steuern oder Einschränkungen während einer Pandemie, ist die Enttäuschung unausweichlich.
Doch wenn wir auf Bewegungen, wie „Fridays for future“ blicken, dann gibt es zumindest unter jungen Menschen auch viel Idealismus. Aber die herrschende Politik muss auf diesen Impuls reagieren. Sie muss wieder Ziele für die Gesamtgesellschaft im Land und weltweit formulieren und realistische Wege aufzeigen, wie diese zu erreichen sind. Dafür wird es notwendig sein, weniger auf gut organisierte Interessensgruppen zu hören und keine Versprechen zu geben, die nach den Wahlen nicht einlösbar sind. Und die Wählerinnen und Wähler müssen genau hinhorchen und abwägen, wem sie wirklich glauben und ihr Vertrauen schenken.
Text: Hermann Atz
Hermann Atz, Politikwissenschaftler, Co-Leiter des Sozialforschungsinstituts apollis