KVW Aktuell

Solidarität als Basis für ein gesellschaftliches Miteinander

Warum das Jahresthema „Miteinander in Bewegung, damit niemand zurückgelassen wird“ passend ist für den KVW und die jetzige Zeit, erzählt uns unser geistlicher Assistent Charly Brunner in einem ausführlichen Gespräch.
Foto: Elena Mozhvilo - unsplash
Kompass: „Miteinander in Bewegung, damit niemand zurückgelassen wird.“ Das Jahresthema des KVW fordert zu mehr Mitmenschlichkeit auf. Was kann man gegen das Auseinanderdriften der Gesellschaft tun?
Ich bin mir nicht sicher, ob die Gesellschaft so sehr auseinanderdriftet. Was wir feststellen können ist, dass sich die Menschen für immer mehr individuelle Lebensentwürfe entscheiden und damit das Gefühl, dass wir alle das Gleiche tun, geringer wird. Ich bin aber davon überzeugt, dass es ganz viel Solidarität gibt und eine gute Basis für ein gesellschaftliches Miteinander. Was man tun kann, ist diese Basis, die für uns so selbstverständlich ist- im Grunde ist sie es aber gar nicht, neu zu entdecken und wieder ein Gespür dafür zu bekommen, wie sehr wir voneinander abhängig sind. Wir dürfen es auch geniessen, dass wir ein soziales Netz gebaut haben, dass uns alle hält. Es geht mir vor allem um Bewusstseinsarbeit und nicht so sehr darum mit Imperativen durch die Gegend zu laufen und allen zu sagen, was sie anders machen müssen.
Kompass: Wer genau ist gefährdet „zurückzubleiben“? Was oder wen meint man damit genau und welche sind die Gründe für ein solches „Zurückbleiben“? Hat dies ev. auch mit Herkunft (Stichwort Migration) und zu tun?
Das ist eine sehr spannende Frage, wer oder was jeweils zurückbleibt und das ist auch das Spannende an diesem Jahresthema. Es ist Aufgabe des KVW auf zwei Arten gut hinzuschauen: Das eine ist es, sich für eine gerechte Gesellschaft einzusetzen, so dass sie schon so gerecht gestaltet ist, dass die Menschen ein Anrecht auf Unterstützung haben, wenn sie es brauchen. Auf der anderen Seite gibt es aber immer wieder Menschen, die durch das Raster fallen, die schlichtweg übersehen werden. Zum Beispiel jene, die von sexuellem Missbrauch betroffen sind: Diese Gruppe hat der KVW in diesem Jahr entdeckt, gerade weil wir uns auf den Weg gemacht haben. Durch das „sich aufmachen“, kommt diese Gruppe in das Bewusstsein, man kann etwas unternehmen. Es gilt, immer wieder genau hinzuschauen und neue Gruppen zu entdecken.
Kompass: Es gibt 260 Ortsgruppen des KVW, des größten Sozialverbands Südtirols, und als Bewegung ist er somit in ganz Südtirol vertreten. In den letzten Jahren wurde es zunehmend schwieriger Menschen für das Ehrenamt, - für das sich Einsetzen für andere, zu begeistern. Wir kann es gelingen verstärkt auch junge Mitbürger: innen für Ortsgruppen zu gewinnen?
Das Niveau beim ehrenamtlichen Einsatz in Südtirol ist außerordentlich. Natürlich stellen auch wir fest, dass es da und dort Schwierigkeiten gibt, das will ich gar nicht leugnen. Ich denke, dass sich die Form des Einsatzes ändert. Die Leute lassen sich nicht mehr so fix in eine Richtung prägen und binden und das vielleicht sogar für mehrere Jahre. Gerade junge Menschen engagieren sich recht aktiv für sehr sinnvolle Sachen, für konkrete Projekte und setzten sich auch kurzfristig ein. Das gelingt auch in den Ortsgruppen, hie und da. Was nicht gelingt ist, dass man sagt „Ich finde junge Menschen, die einsteigen und gleich weiter machen, wie es bisher war!“. Das ist aber auch nicht der Sinn und Zweck. Jede Generation muss die Werte des KVW für sich gestalten. Was erforderlich ist, ist dass man eine klare Vision hat für ein Projekt hat; für dieses Projekt Interessierte anspricht und mit eigener Begeisterung gemeinsam mit anderen wirkt. Dann sind junge Menschen, diese Erfahrung habe ich mehrfach gemacht, zum ehrenamtlichen Einsatz bereit.
Kompass: Welche Rolle spielt soziale Sicherheit? Was kann Solidarität, soziale Sicherheit, Demokratie, Gerechtigkeit positiv beeinflussen? Was muss, kann, oder soll die öffentliche Hand leisten und was ist die Rolle jedes oder jeder Einzelnen?
Als Bürgerinnen und Bürger bilden wir miteinander in einer gewissen Region das Staatswesen. Der Bürger und die Bürgerin sind auch die Verantwortungsträger für dieses Staatswesen und damit ist die Frage ganz schnell beantwortet. Jeder und jede von uns hat eine wichtige Aufgabe zu leisten, dass das Miteinander gelingt. Die Gesellschaft gestalten wir so, dass auch Menschen mitgenommen werden, die vorübergehend (beispielsweise weil sie gerade arbeitslos sind) oder dauerhaft beeinträchtigt sind oder die eine schwere Krankheit haben, die dazu führt, dass sie dauerhaft Unterstützung benötigen. Die Demokratie hingegen ist das Mittel die Gesellschaft so weiterzuentwickeln, dass möglichst viele mitgenommen werden. Wenn Menschen mitentscheiden dürfen ist auch die Chance wesentlich größer, dass sie die Entscheidung mittragen. Insofern ist soziale Sicherheit und Demokratie wesentlich miteinander verbunden und auch die Gerechtigkeit. Wenn in einer Gesellschaft immer mehr Menschen den Eindruck haben es geht ungerecht zu oder dass der soziale Frieden nicht mehr hält, dann ist es mit der Demokratie, dem Frieden und der Gerechtigkeit auch gleich zu Ende. Die Dinge hängen sehr eng zusammen. Deshalb ist es auch mit Bedacht vorzugehen, um gute Lösungen zu finden.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Interview: Iris Pahl

KVW Aktuell

Wahlempfehlung!

Karl Brunner, geistlicher Assistent im KVW


Die Frage der Identität gewinnt an Bedeutung: Für wen setzen sich die Politiker:innen ein und für wen eben nicht? Wer gehört zu „unserer Gesellschaft“ und wer nicht? Der bekannte Buchautor Prof. Walter Ötsch referierte unlängst für den KVW zum Thema „Gefährdung der Demokratie: autoritäre Dynamiken und Gegenstrategien“. In seiner Theorie entlarvt er populistische Politik durch den Hinweis auf eine von ihr befeuerte zweifache Spaltung der Gesellschaft: Die Volksverführung – so Ötsch – legt den Finger in die Wunde von realen Phänomenen, ohne sie zu lösen. Stattdessen bemüht sie das Bild von „uns da herunten“ und „denen da oben“. Damit wird die erste Spaltung benannt, die z.B. Donald Trump beherrscht hat, indem er Amerika „der korrupten Elite Washingtons“ entreißen und „dem Volk“ zurückgeben wollte. Die zweite Spaltung wird durch die Unterteilung in „uns“ und „die Anderen“ erzeugt. „Wir“ zeichnen uns dabei dadurch aus, dass bei uns die „Wahrheit“ liegt, wir „normal“ und stets „Opfer“ der Probleme sind, die erst durch „die Anderen“ erzeugt werden. Diese Politiker:innen generieren sich dann als „Oberpapa“ oder „-mama“, die uns beschützen und dabei entmündigen, so als ob wir nicht selbst verantwortlich für unsere Gesellschaft wären und fähig, sie zu gestalten.
Auch bei uns gibt es Stimmen, die vom Volk entfernte Eliten in der „EU“, in „Rom“, im „Landtag“, bei den „Wirtschaftsbossen“, … ausmachen oder Bedrohungsszenarien durch die „Ausländer“, die „Ökoterroristen“, die „Faulen“, … entwerfen und uns spalten wollen. Wer dieser Politik auf den Leim geht, wird sich vielleicht bestätigt und verstanden fühlen, aber Probleme wie Wohnungsnot, gerechte Löhne, Integration, chancengerechte Bildung, soziale Absicherung, … oder gar die ökosoziale Transformation werden dadurch sicher nicht gelöst.
Für mich ist das ein Unterscheidungskriterium für die anstehende Wahl.
Text: Karl Brunner