Soziales

dormizil

Ein warmes Bett über den kalten Winter hinaus
Foto: Peter Viehweider
Roland ist 50 Jahre alt, hat kaum Kontakt zu seiner Familie im Großraum Bozen. Er bezieht eine Invalidenrente und war i den vergangenen Monaten bereits im zweiten Winter zu Gast im dormizil, dem Bozner Nachtquartier für obdachlose Menschen, das sich gegenüber des Busbahnhofs befindet. Immer wieder hat Roland zu arbeiten versucht. Nicht seine Invalidität bereitet ihm Probleme, sondern seine Alkoholabhängigkeit. Kurz vor der Schließung der winterlichen Notschlafstätte hat Roland den freiwilligen Mitarbeiter*innen des dormizil unter Tränen mitgeteilt, dass er den Kreislauf der Sucht unbedingt durchbrechen will, dass sein Leben so keinen Sinn mehr hat. Die Mitarbeitenden haben ihm eine Beratungsstelle empfohlen, wo er sofort Unterstützung bekam. Derzeit hält sich Roland in Bad Bachgart auf. Ob er es nahtlos schafft, von dort eine Arbeit und Unterkunft zu finden, ist fraglich.
Liana ist in der Ukraine geboren, in Weißrussland aufgewachsen und seit 20 Jahren in Italien als Badante tätig. Sie arbeitete in Bergamo, Mailand und seit zehn Jahren in Bozen. Liana ist im heurigen März 75 Jahre alt geworden und war bis zum Spätherbst in der Pflege tätig. Als ihre Betreute ins Altersheim verlegt wurde, verlor Liana sofort die Unterkunft. Dann musste sie sich einer Augenoperation unterziehen. Ihr Alter verschwierigt die Lage. In Weißrussland leben die zwei erwachsenen Söhne. Liana traut sich derzeit eine Rückreise in die Heimat nicht zu. Im vergangenen Oktober ist sie im dormizil eingezogen, stets höflich und zuvorkommend. Sie suchte eine Arbeit für täglich zwei bis drei Stunden, mehr schafft sie nicht. Ob sie eine Sozialwohnung erhält, ist fraglich. Seit der Schließung des dormizil ist sie wieder wohnungslos.

Roland und Liana heißen eigentlich anders, aber beide brauchen dringend eine langfristige, stabile Unterkunft. Weit mehr als 100 Menschen leben in Bozen auf der Straße. Niemand kennt genaue Zahlen. Seit der Schließung der winterlichen Notschlafquartiere sind es noch mehr geworden. Obdachlosigkeit ist oft die Folge von Scheidung, Jobverlust, geringem Einkommen, Überschuldung und finanziellem Notstand, Problemen mit der Justiz, hat aber auch strukturelle Ursachen. Bezahlbarer Wohnraum fehlt.
Das Leben auf der Straße ist gefährlich.
Es geht um das nackte Überleben. Im dormizil, dem Bozner Nachtquartier für obdachlose Menschen, haben in den beiden vergangenen Wintern zehn Privatpersonen mit Unterstützung von mehr als 100 Freiwilligen 25 obdachlosen Menschen ein warmes Bett im kalten Winter bereitgestellt. Die Haselsteiner Familien-Privatstiftung hat dem 2020 gegründeten Verein housing first bozen EO dafür ein dreistöckiges Gebäude in der Rittner Straße 25 für 30 Jahre kostenlos zur Verfügung gestellt. Es dürfe nicht sein, dass in einer reichen Stadt wie Bozen so viele Menschen auf der Straße dem Erfrieren ausgesetzt werden, betonen die Vertreter*innen von Bozens Zivilgesellschaft und die Gönnerfamilie.
Jeder Mensch hat ein Recht auf Wohnen.
Aber nicht jeder Mensch hat ein Zuhause. Ab Spätsommer 2023 wird dormizil umgebaut. Der Neueinzug ist für Sommer 2024 geplant. Neun obdachlose Personen erhalten dann jeweils eine Kleinwohnung mit eigenem Hausschlüssel. Dabei handelt es sich um Menschen, die seit Längerem auf der Straße leben, die keinen Wohnsitz haben, italienische Staatsbürger*innen sind oder eine langfristige Aufenthaltsberechtigung in Italien haben. Diese Menschen haben kein Anrecht auf eine Sozialwohnung oder auf Unterstützung, fallen durch das Raster der öffentlichen Verwaltung. Je nach Einkommen werden sie künftig einen Spesenbeitrag leisten. Im künftigen Dachgeschoss können fünf weitere Personen in einer zusätzlichen Übergangswohnung für zwei bis drei Monate schlafen. Im Tiefparterre gibt es für Menschen ohne Dach über dem Kopf Duschen und Waschmaschinen.
Das Konzept Housing first geht neue Wege.
Da es manche Menschen nicht schaffen, ihre Lebenssituation grundlegend zu ändern und daher obdachlos bleiben würden, wird den Menschen nach dem Konzept Housing First eine eigen Wohnung bereitgestellt, in der sie langfristig bleiben können. Eingezogen, können sie ihre Probleme der Reihe nach angehen wie zum Beispiel Sucht oder psychische Erkrankung. Der Vertrag gilt bedingungslos.
Obdachlosigkeit kostet.
Obdachlose Menschen sind besonders anfällig für Erkrankungen, und damit steigen die Behandlungskosten. Weil sie aufgrund ihrer Lebenssituation keine Arbeit finden, kommen Sozialleistungen hinzu, außerdem die Kosten für soziale Einrichtungen und Notunterkünfte. Würde wohnungs- und obdachlosen Menschen günstiger Wohnraum zur Verfügung gestellt, wäre das für Land und Gemeinden erheblich billiger.
Der Umbau des dormizil beläuft sich auf rund 1,3 Millionen Euro. Die Vereinsmitglieder von „housing first EO“ haben verschiedene Spendenpakete geschnürt: So kostet ein verbauter dormizil-Ziegel 30 Euro, ein verbauter dormizil-m² 1.500 Euro, eine von neun Wohnungseinrichtungen 12.000 Euro und eine Wohnung 95.000 Euro. Spender*innen und Gönner*innen werden gesucht:
Text: Maria Lobis
Spenden an den Verein „housing first bozen EO“
Kennwort „Umbau“
Raiffeisenkasse Bozen
IBAN: IT 22 I 08081 11601 000301004930
Bezahlungen per Paypal und Kreditkarte sind über die Webseite www.dormizil.org möglich.
Auskunft: T. +39 335 747 0861
Mail: support@dormizil.org

Soziales

Soziale Nachhaltigkeit: Informationsabend in Morter

Familie, Senioren, Soziales und Wohnbau. So lautete der Titel eines vielbeachteten Vortrages von Sozia­llandesrätin Waltraud Deeg am 21. März 2023 im Kulturhaus von Morter. An die 70 Zuhörerinnen aus der Gemeinde Latsch und darüber hinaus waren am Abend des 21. März ins Morterer Kulturhaus gekommen, um sich zu informieren und mitzudiskutieren.
Blick in das Publikum. Foto: Harald Plörer
Dass für das Soziale im Land trotz der vielen Förderungen immer noch zu wenig gemacht wird, davon zeigte sich selbst die zuständige Landesrätin überzeugt. Es wäre nie genug, aber die Haushaltsmittel sind endlich und egal wo man an der Decke zieht, es schauen immer entweder die Füße oder der Kopf hervor, so Waltraud Deeg zum Abschluss ihres faktenreichen Vortrages. Vielfältig sind die Unterstützungen für Familien in Südtirol. Sie reichen von der Familienberatung über Tagesmütterdienste bis hin zu Geld- und Sachleistungen von Land und Staat. Auch der EuregioFamilyPass gehört dazu. Einen besonderen Fokus des Informationsabends stellte der Bereich Wohnen dar. Hierzu hatte Harald Plörer, ehem. Mitbegründer der KWJ Morter und heute Gemeinderat sowie Mitglied der SVP-Bezirksleitung auch den Bürgermeister der Gemeinde Latsch Mauro Dalla Barba (lange Zeit im KVW Bezirk Vinschgau aktiv) geladen, um neben der Situation im Land die Gemeindeebene zu beleuchten. Dabei geht es vor allem um das leistbare Wohnen in einer Gemeinde, die sozial ausgewogen wächst, so der Bürgermeister. Neben dem Bedarf an gefördertem Baugrund gehören ebenso eine funktionierende Nahversorgung in allen Fraktionen dazu, wie sie in Latsch gewährleistet ist.
Im Anschluss an die Vorträge stellten die Teilnehmenden zahlreiche konkrete Fragen und nutzten bei einem Umtrunk die Gelegenheit zum persönlichen Gespräch untereinander und mit den Politikern, unter denen sich auch der Landtagsvize- und Regionalratspräsident Josef Noggler befand. Die Moderation des Informationsabends oblag Dr. Josef Bernhart, seines Zeichens stellv. Vorsitzender des KVW Vinschgau und Mitglied der Ortsgruppe Morter.