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Gibt es ein Genug?

Konsumverhalten und Grenzen des Wachstums. Wirtschaftswachstum wird von der Politik und Unternehmerseite als wichtig eingestuft. Zahlen und Statistiken werden bemüht, um ein gutes Bild darzustellen. Damit es ein ständiges Wachstum gibt, muss auch der Konsum ständig steigen. Viele Menschen spüren, dass es nicht ewig so weitergehen kann. Beim Verkehr und im Tourismus wird in Südtirol immer öfter von „genug“ gesprochen, von „nicht mehr verkraftbar“. Im Interview mit Urlich Brand, Politikwissenschaftler in Wien, geht es um einen Wachstums, der sozial und ökologisch vertretbar ist und nicht auf Kosten des globalen Südens geht, es geht nicht um ein weniger an Konsum sondern um einen anderen, verträglichen Konsum.
Ulrich Brand,
Professor für Internationale Politik in Wien
FOTO: Bärbel Högner
Ziel der Politik ist es, dass der Landeshaushalt ständig steigt. Dafür braucht es steigende Steuereinnahmen und die Wirtschaft muss quantitativ wachsen. Wann ist genug?
Ulrich Brand: Erstmal sprechen Sie einen zentralen Zusammenhang an. Der Staat hängt ganz stark von der expandierenden Wirtschaft ab, weil er von Steuern wie etwa von der Mehrwertsteuer abhängig ist. Und wenn wir über Alternativen sprechen, muss man überlegen, woher kann eine Staatsfinanzierung kommen, zum Beispiel über eine Vermögenssteuer, Erbschaftssteuern. Das „Wann ist genug“ ist keine objektive Frage, sondern eine Frage, wie sich eine Gesellschaft selber versteht.
Wann haben wir in bestimmten Bereichen, sagen wir mal in der Mobilität genug Automobilität. Wann sagen wir, wir brauchen mehr öffentlichen Verkehr, mehr Fahrradfahren.
Wann sagt eine Gesellschaft – und das sind ja immer ihre Mitglieder –wir haben genug industrialisierte Landwirtschaft und Nahrungsmittel? Und wir wollen auskömmlich leben von ökologisch und lokal produzierten Nahrungsmitteln.
Wann haben wir genug Handys?
Das sind kulturelle Aushandlungsprozesse, Wünsche und Lebensweisen von Menschen.
Es sind aber auch Regelprozesse: wann sagt Südtirol oder Italien wir wollen verstärkt ökologische Landwirtschaft, regionale Landwirtschaft, wir wollen nicht immer auf den Weltmarkt zugreifen, wir wollen nicht mehr die billigen Produkte, das billige Tierfutter aus anderen Weltregionen.
Da finde ich spielen Kirchen eine wichtige Rolle, weil Kirchen gesellschaftlich dafür stehen, das sinnerfüllte Leben, das auskömmliche Leben stark zu machen. Sie können diesem von Unternehmen angefeuerten Antrieb „es muss immer mehr sein“ und dem Wachstum etwas entgegensetzen. Vor allem dann, wenn das Wachstum zerstörerisch wird. Wir sind ja nicht gegen das Wachstum von Bildung, von Gesundheit, von ökologisch produzierten Lebensmitteln. Wir sind gegen eine Wachstumsmaschinerie, die kapitalistisch grundiert ist, die auf Profit orientiert ist; diese gilt es in Frage zu stellen.
In der Gesellschaft gibt es eine ganze Bandbreite: für die einen ist es längst schon genug, für die anderen ist noch lange nicht genug. Wie kommt das zusammen?
Brand: Das geht mal gar nicht zusammen, das erzeugt Spannung, weil heute eine bestimmte Seite dominiert, nämlich die Seite, die sagt, wir machen immer mehr. Deshalb braucht es Aushandlungsprozesse. Denn auf der anderen Seite wird in Österreich, in bestimmten Milieus der Stellenwert von ökologischen, lokal produzierten Lebensmitteln wichtiger. Wie wird das politisch unterstützt? Erst kürzlich kam die Ankündigung der Agrarministerin, sie wollen im Rahmen der EU-Verhandlungen die lokale und ökologische Landwirtschaft fördern. Und da gibt es andere Interessen und Kräfte, die wollen industrialisierte Landwirtschaft, eine globalisierte Landwirtschaft, weil es billiger ist, die Produkte aus Osteuropa oder dem globalen Süden zu importieren.
Es gibt also ein Umdenken?
Brand: Uns wird ja verkauft von den ökonomisch Mächtigen und den Politikern, den Medien, dass es keine Alternative zum Wachstum gibt. Erstmal gilt es das zu hinterfragen und zu sagen, wir brauchen nicht immer größere Autos, wir brauchen nicht immer schneller ein neues Handy, wir brauchen nicht immer mehr Klamotten, wir brauchen nicht immer billigere Lebensmittel.
Dass es erst mal überhaupt diesen Diskurs gegen Wachstum, Wachstum, Wachstum gibt, das wäre die Voraussetzung. Da spielen Akteure wie Kirchen, kritische Medien eine Rolle. Wie das dann von den Menschen verarbeitet wird, wie Menschen dann sagen, mein auskömmliches Leben, mein nicht auf Wachstum getrimmtes Leben reicht mir, das ist dann der zweite Schritt.
Viele Studien zeigen, dass für die meisten Menschen – im Gegensatz zum öffentlichen Diskurs – die Tatsache eines sicheren Alltags viel wichtiger ist, als dass sie mal mehr haben und mal weniger. Die Prekarisierung, die Unsicherheit, das Auf und Ab des Lebens, ist für viele Menschen viel schwieriger als zu sagen, ich weiß, ich habe mein Einkommen, ich habe eine stabile Lebenssituation und habe ein auskömmliches Leben. Uns wird aber dauernd nahe gelegt, du musst immer mehr haben, über Werbung, teilweise auch in privaten Unternehmen, in denen wir arbeiten, da gibt es einen ständigen Expansionszwang.
Es ist ja nicht so, dass nichts da ist. Viele Menschen, die zum Beispiel im öffentlichen Dienst sind, die in großen Unternehmen sind, wie ich an der Uni, sie wollen doch nicht mehr haben, sie wollen gute Arbeit machen.
Wo ist die Schmerzgrenze für BürgerInnen: weniger Wachstum oder weniger Konsum?
Brand: Es ist nicht die Frage nach des Weniger sondern des Anders, wie haben wir ein anderes Leben, ein besseres Leben, ein sinnerfülltes Leben. Nicht per se sagen weniger Mobilität, sondern andere Mobilität, die nicht über Automobilität hergestellt wird. Uns gut zu ernähren, aber anders zu ernähren, eben nicht mit industrialisierter Landwirtschaft, durchaus zu kommunizieren, aber nicht mit Handys, die unter fürchterlichen sozialen und ökologischen Bedingungen hergestellt wurden. Sondern zumindest mit einem Fairphone, und dann braucht es auch noch langlebige Güter. Die Industrie baut ja den Verfall teilweise ein.
Ich würde nicht die Frage des weniger stellen, sondern des auskömmlichen, des sinnerfüllten und des anderen. Die Frage nach dem guten Leben muss jeder selber entscheiden. Die Frage was sind gute Lebensbedingungen betrifft jedoch die Gesellschaft. Die Bedingungen für ein auskömmliches, gutes Leben muss die Gesellschaft schaffen. Gute Arbeit, gute öffentliche Infrastrukturen, gute Gesundheitsversorgung usw. Es braucht nicht weniger Wachstum, sondern einen ressourcenleichteren Wohlstand. Wir brauchen einen Wohlstand, der weniger Emissionen hat, aber es soll immer noch ein Wohlstand sein.
Jüngere Studien zeigen, dass die Vereinsamung von älteren Menschen ein dramatisches Problem ist. Eine Studie zeigte, dass starke Einsamkeit genauso schlimm ist wie starkes Rauchen. Es ist physisch gesundheitsgefährdend, nicht nur psychisch. Das ist doch eine Bankrotterklärung einer so reichen Gesellschaft.
Ein Telefonanbieter in Österreich macht dafür Werbung, dass du jedes Jahr ein neues Handy bekommst, wenn du mit „uns“ einen Vertrag machst. Das muss man sich mal vorstellen: da müssen jährlich hunderte von Millionen Handys produziert werden. Warum ist das das Glück und nicht eine soziale Beziehung?
Unser Wohlstand ist weltweit nicht ausbreitbar, unsere Lebensweise ist global nicht verkraftbar. Wie kann es weiter gehen?
Brand: Was Sie da ansprechen ist wichtig. Ich nenne es die imperiale Lebensweise. Wir im globalen Norden greifen ganz selbstverständlich und alltäglich auf die billigen Ressourcen und die billige Arbeitskraft des Südens zurück. Und nicht weil wir böse sind, sondern weil es naheliegend ist, weil es Strukturen sind, wenn wir Nahrung kaufen, Kleidung kaufen, Öl kaufen, das nicht nur im Antrieb ist, sondern in vielen Produkten.
Die Strukturen der Globalisierung sind politisch, ökonomisch in den Alltag eingeschrieben.
Selbst wenn wir Alternativen wollen, haben wir gar nicht so viele. Wir können zwar verantwortlich konsumieren, aber die Gesellschaft legt uns mal nahe, wenn ich am Land lebe und keine öffentlichen Verkehr habe, brauche ich ein Auto. Oder wenn ich in Europa kein gutes öffentliches Zugsystem habe, brauche ich bei gewissen Strecken ein Flugzeug.
Die imperiale Lebensweise ist eine Handlungsbedingung für die Individuen, da können sie durchaus auch Alternativen suchen, aber sie ist erst auch mal eine gesellschaftliche Wahrnehmung.
Der Entwicklungsforscher und Theologe Wolfgang Sachs hat gesagt „Wie im Westen so auf Erden“. Das geht nicht, das geht ressourcenmäßig nicht, das basiert auf den schändlichen Arbeitsbedingungen des globalen Südens und der Naturausbeutung.
Die Story der Neoliberalen, wenn nur genug Wachstum da ist, wird’s für alle besser, die ist ja systematisch falsch, weil es braucht ja die ausgebeuteten Frauen in der Weltmarktfabrik in Südchina, damit die Handys zu einem gewissen Preis hier ankommen. Oder die Klamotten aus Bangladesch, aus Kambodscha ...
Von daher ist es nicht verallgemeinerbar und dies anzuerkennen und dann Verantwortung zu übernehmen, dass wir eine soziale und ökologische Schuld gegenüber dem Süden haben, das meine ich nicht moralisierend sondern historisch. Anzuerkennen, der Wohlstand dieser Gesellschaften ist auf Kosten und zu Lasten anderer entstanden und ist es bis heute. Wenn wir ein zukunftsfähiges Modell wollen, nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus sozialen Gründen, müssen wir hier umbauen, wir müssen wegkommen von diesem permanenten Ressourcenzufluss aus dem globalen Süden.
Das heißt die Ressourcen aus dem Süden reduzieren?
Brand: Ja, reduzieren! Die Landwirtschaft muss lokal und ökologisch sein. Warum brauchen wir Shrimps? Warum brauchen wir Futtermittel, das aus gentechnisch verändertem Soja aus Argentinien und Brasilien kommt? Warum brauchen wir Kleidung, die zu fürchterlichen Bedingungen in Bangladesch produziert wird? Warum brauchen wir immer mehr Kleidung? Kollektionen ändern sich nicht mehr zwei Mal im Jahr sondern dauernd. Man zieht die Kunden an, weil sie ja neugierig gemacht werden, was es Neues gibt. Dies nennt man Fast-Fashion (Übersetzt: schnelle Mode). Das ist zynisch, das ist auch zerstörerisch und das ist verächtlich gegenüber den Menschen.
Wie kann es anders gehen?
Brand: Zuerst mal alles, was wir lokal, regional produzieren können, soll produziert werden. In Südtirol, in Italien, in Europa soll das produziert werden, was hier produziert werden kann. Die Shrimps aus der Welt sind nicht okay. Philipp McMichael nannte es „Essen vom dem Nirgendwo“ (the food from nowhere). In der Ware scheint ja die soziale und ökologische Bedingung der Produktion nicht mehr auf.
Was wir mit dem Begriff der imperialen Lebensweise machen wollen, ist die Unsichtbarmachung der Bedingungen, wie etwas produziert wurde, wieder sichtbar zu machen. Und das finde ich ist Aufgabe von Kirchen, von solchen Berichten, wie Sie sie machen, von Fair-Trade-Kampagnen.
Und dann gibt es weiter Produkte, die global produziert werden. Es macht keinen Sinn, dass in Südtirol Computer produziert werden. Hier brauchen wir Formen der internationalen Arbeitsteilung und dann sollten wir darauf bestehen, dass die Produkte, die an wenigen Standorten hergestellt werden, zu fairen, ökologischen und sozialen Bedingungen produziert werden. Das heißt, sie werden teurer. Das heißt, wir brauchen Regeln gegen die kapitalistische Konkurrenz, die ja sagt, die Handy-Unternehmer oder die Auto-Hersteller konkurrieren untereinander um den Preis. Also muss es für alle Unternehmen höhere ökologische und soziale Standards geben. Sonst gewinnen wieder die, die zu schlechteren Bedingungen herstellen.
INTERVIEW: Ingeburg Gurndin

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Wirtschaftswachstum

KVW Landesausschussmitglied Herbert Prugger aus Aldein:
„Wirtschaftswachstum“ klingt bei einigen Menschen wie die „Weihnachtsglöckchen“, die eine reiche Bescherung ankündigen und alle reich beschenken. Andere Menschen hören bei dem Wort eher „Totenglocken“ läuten, die die Zerstörung aller Lebensgrundlagen ankündigen. Ich bin kein Wirtschaftsfachmann und verstehe die Wirtschaftsmechanismen nicht. Die Frage an die „Wachstumgläubigen“ ist aber schon, wo da der Sinn liegen soll, wenn so vieles, was produziert wird, weggeworfen werden muss, weil es einfach zu viel ist.