Kommentar

Niedrige Zahlen, große Diskussionen

Text: Josef Stricker
Flüchtlinge in Südtirol
Josef Stricker,
geistlicher Assistent 
des KVW


Aktuell muss Südtirol 1650 vom Staat zugewiesene Menschen auf der Flucht aufnehmen. Bis Jahresende könnte die Zahl auf 2000 und mehr ansteigen. Die Landesregierung hat – richtigerweise – beschlossen, Asylsuchende auf das ganze Land zu verteilen. Trotz Widerstände am Anfang hat die Verteilung bis dato im Großen und Ganzen geklappt. Rechte Gruppierungen machten und machen weiterhin Stimmung gegen die geplanten Aufnahmen, weil sie wissen, dass die Menschen Angst haben. Trotzdem kann die Bilanz bis jetzt mit dem Prädikat positiv versehen werden. Ausnahmen bilden ein paar Gemeinden, die noch dazu Tourismushochburgen sind. An Stelle einer Willkommenskultur scheint die Gemeindeverwalter dort dumpfe Gleichgültigkeit erfasst zu haben. Der Fremdenverkehr könnte Schaden nehmen, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Offen gesagt, ein Zeichen von moralischem Verfall.
Flüchtlinge suchen heute, was Millionen Europäer nach dem Zweiten Weltkrieg suchten: Sicherheit und eine Zukunft für sich selbst. Ein Blick in die jüngere Südtiroler Geschichte könnte hilfreich sein. Historiker haben nachgeforscht. Nach dem Zusammenbruch im Mai 1945 bis weit ins das Jahr 1946 überrannten zigtausend italienische Zivilisten, illegal zurückkehrende Optanten, Vertriebene aus Osteuropa und jede Menge andere unser Land. Es soll Spitzen bis zu neunzigtausend Flüchtende gegeben haben. Mit Hilfe der Alliierten und des Internationalen Roten Kreuzes war es damals möglich, die Not der Menschen einigermaßen zu bewältigen. Es wurden Flüchtlingslager und Unterkünfte im ganzen Land eingerichtet, die erst im Laufe des Jahres 1946 langsam abgebaut werden konnten.
Was damals in Zeiten allgemeiner Not möglich war, soll heute inmitten von Wohlstand nicht mehr möglich sein, nämlich Menschen auf der Flucht eine Chance zu geben?



Kommentar

Frauen, Politik und Medien

Diskussion mit Oktavia Brugger und Maria Pernegger
V.l. Margareth Fink, Gertrud Telser, Maria Pernegger, Oktavia Brugger, Josef Bernhard, Helga Mutschlechner und Ursula Thaler
Im Rahmen des langfristigen Forschungsprojekts über „Frauen in Führungspositionen“ hat Eurac Research zusammen mit den KVW Frauen die ehemalige Rai-Korrespondentin Oktavia Brugger und die österreichische Politik- und Medienanalytikerin Maria Pernegger zu einem Gespräch eingeladen.
Warum ist Politik immer noch weitgehend Männersache? Was steht Frauen, die sich politisch engagieren wollen, im Weg? Dieser Frage gehen die Public Management – Experten von Eurac Research schon seit Jahren nach. Weil sie dabei fehlende Netzwerke zwischen Frauen als ein entscheidendes Hindernis ausmachten, riefen sie eine Veranstaltungsreihe ins Leben, die solche Frauennetzwerke stärken und den Austausch fördern soll. Ein Termin war im Juni ein Gespräch zwischen Oktavia Brugger, ehemaliger Rom-Korrespondentin und Kandidatin für das Europa-Parlament, und Maria Pernegger, Politik- und Medienanalytikerin der österreichischen Agentur Media Affairs.
„Ich glaube nicht, dass es unbedingt die besten Köpfe sind, die in den wichtigsten Positionen sind. Da ist ganz viel Netzwerk dahinter. […] Es gibt sehr viele Frauen, die die Kompetenz haben, denen es aber ein bisschen an Förderung fehlt.“ Wenn Maria Pernegger solche Aussagen trifft, dann auf der Basis eingehender Analyse: In mehreren Studien hat sie gesellschaftliche Rollenklischees, politische Strukturen und mediale Mechanismen offengelegt, die dazu beitragen, dass Frauen in der Politik – aber auch in anderen Positionen mit Macht und Einfluss – immer noch stark unterrepräsentiert sind.
Oktavia Bruggers Perspektive dagegen ist die der Praxis: Als langjährige Korrespondentin in Rom hatte sie tiefen Einblick in die politischen Gepflogenheiten Italiens – auch in die der Ära Berlusconi, der die Ministerinnen seiner Regierung gern „meine Mädels“ nannte. Und als Brugger dann 2014 für das Europaparlament kandidierte, erlebte sie am eigenen Leib, welche mediale Behandlung politisch engagierte Frauen manchmal erfahren.