Thema
Ich – Wir – Es
Selbsthilfegruppen
Gespräch mit dem Psychoonkologen Dr. Anton Huber
Gespräch mit dem Psychoonkologen Dr. Anton Huber
“Wir Menschen sind Gemeinschaftswesen, die ein Leben lang tragfähige Bindungen brauchen; dies gilt besonders in Krisenmomenten.“ Die Frage, wozu Selbsthilfegruppen gut sind, lässt sich mit diesem Satz beantworten. Der Psychoonkologe Dr. Anton Huber ist ein Verfechter der (angeleiteten) Selbsthilfegruppen.
Chance: Sie sind Psychoonkologe am Krankenhaus Bruneck und haben seit mehreren Jahren Erfahrungen mit Selbsthilfegruppen gesammelt.
Dr. Anton Huber: Ich bin seit 16 Jahren am Krankenhaus Bruneck tätig und habe meine Ausbildung als Familientherapeut und Notfallpsychologe gemacht. Derzeit betreue ich drei Selbsthilfegruppen, bzw. ich ko-betreue sie, denn wir sind überall zu zweit: Die „Therapeutische Schreibwerkstatt für Krebskranke und Schmerzpatienten“, die gemischte Gruppe „Mein zweites Leben“ und seit Mai 2016 auch die Selbsthilfegruppe „der baum – Aktiv nach Prostatakrebs.“
Chance: Was ist für Sie der wichtigste Aspekt bei einer Selbsthilfegruppe?
Dr. Anton Huber: Dass ich ein Gegenüber habe, an dem ich mich spiegeln und weiterentwickeln kann. Dass ich sehe, ich bin nicht allein. Ich kann vergleichen, „Wie macht es der andere?“ Ich kann mich Informieren und ich kann mich im geschützten Rahmen der Selbsthilfegruppe ohne Angst öffnen.
Chance: Haben Sie Vorbilder?
Dr. Anton Huber: Ich gehe nach dem Konzept der themenzentrierten Interaktion von Ruth Cohn vor. Das Ziel ist soziales Lernen und persönliche Entwicklung. Es geht darum, wie sich der Einzelne in die Gruppe einbringt und wie sie gemeinsam das Thema, das den Anlass zur Gründung der Gruppe gegeben hat, in einem spezifischen Umfeld angehen. Kurz: Ich - Wir - Es. Aus diesem Grund stellen wir am Anfang der Gruppe entsprechende Regeln auf.
Chance: Zum Beispiel?
Dr. Anton Huber: Ganz wichtig ist, immer für sich selbst zu sprechen. Also kein „man sagt“, sondern „ich sage“. Ganz wichtig ist auch, den anderen immer ausreden zu lassen. Die Grundregeln jeder empathischen und authentischen Kommunikation.
Chance: Es gibt reine Selbsthilfegruppen und geleitete Gruppen. Wie stehen Sie dazu?
Dr. Anton Huber: Dazu muss ich etwas vorausschicken. Ich habe einen großen Respekt vor reinen Selbsthilfegruppen. Aber meine Erfahrung zeigt, dass sie bei schwierigen Themen Gefahr laufen, auf der Stelle zu treten, wenn nicht gar zurückgeworfen zu werden. Ich bin mir nicht sicher, ob es gelingen kann, ohne Hilfe den erforderlichen Rahmen zu entwickeln.
Chance: Sie meinen ohne professionelle Hilfe?
Dr. Anton Huber: Ja, ich denke, es braucht den Fachmann, der alles ins Rollen bringt, der Anstöße geben und der Eingreifen kann, wenn das ganze droht, festzustecken. Jemanden, der den Gruppentreffen einen methodischen Rahmen geben kann und der für das Einhalten der Regeln sorgt. Diskretion, Verschwiegenheit, nichts aus der Gruppe darf nach außen getragen werden, Respekt… Jemand, der bei delikaten Themen über die damit verbundene Scheu hinweghelfen kann.
Chance: Jemanden, der auch Informationen geben kann?
Dr. Anton Huber: Genau, das ist auch ein wichtiger Punkt der Selbsthilfegruppe. Nicht nur über sich selbst, seine Situation und Schwierigkeiten reden, sondern auch Informationen einholen, Strategien erfahren, wie man besser damit leben kann.
Chance: „der baum – Aktiv nach Prostatakrebs“ ist die erste Selbsthilfegruppe für Männer in Südtirol und auch für Sie das erste Mal, dass Sie mit einer reinen Männergruppe arbeiten. Unterschiede?
Dr. Anton Huber: Ich merke, wie wichtig Information für Männer ist. Der Vergleich, das Wissen, wie macht es der andere. Die Vermittlung von Dingen, die im Alltag umzusetzen sind. Männer sind ungemein methodisch und technisch. Ich habe gemerkt, dass Entspannung, denn auch das gehört zur Selbsthilfegruppe, für Männer nicht so selbstverständlich ist und dass Männer, gerade wenn es um Themen wie Sexualität und Beziehung geht, noch um Sprache ringen müssen. Das ist ein ungemein spannender Prozess!
Chance: Stichwort Entspannung…
Dr. Anton Huber: Entspannung hilft, die Selbstheilungskräfte zu aktivieren, gibt uns auch die Möglichkeit, Abstand zu gewinnen, lockerer zu werden. Mit Frauen ist das leichter, die haben eher Zugang zu diesen Techniken. Männer haben da ihre eigenen Strategien. Sport, Bewegung. Aber wenn die Entspannungsmethode entsprechend technisch erklärt ist, wie beispielsweise beim Autogenen Training, dann machen auch die Männer mit.
Chance: Die wichtigsten Themen?
Dr. Anton Huber: Naja, ganz allgemein die Gesundheit, die Perspektiven, Sorge um Werte und natürlich ganz konkrete Anliegen: Die Nebenwirkungen der Therapie, bzw. die Folgen der Operation, die Auswirkungen der Hormontherapie. Wie ist das, wie erlebt der andere das und was kann ich ganz konkret dagegen tun.
Chance: Partnerschaft?
Dr. Anton Huber: Ja natürlich, aber das ist ein ganz delikater Punkt. Die Frau ist sicher die Hauptstütze für jeden Mann. Normalerweise ist sie es, die die Gesundheit des Mannes managt, ihn zu den Vorsorgeuntersuchungen schickt. Bei der Prostata muss jetzt aber plötzlich der Mann dran, da bleibt die Frau irgendwie außen vor.
Chance: Und wie damit umzugehen ist, lernt „mann“ in der Selbsthilfegruppe?
Dr. Anton Huber: Ganz bestimmt. Ein weiterer Gruppeneffekt ist die soziale Integration. Viele Männer ziehen sich nach der Diagnose zurück. Sie schämen sich, fürchten sich vor dem, was andere über sie denken. In der Gruppe lernen sie zusammen mit den anderen zu kooperieren. Wenn Männer eine gemeinsame Aufgabe haben, sind sie phantastisch im zusammen arbeiten. Sie lernen auch einander ganz aufmerksam zuzuhören, lernen auf Befindlichkeiten zu achten. Hat sich etwas geändert zum vorigen Mal? Das sind ganz neue Erfahrungen für die meisten Männer, das ist Kulturbildung zum Miteinander, zum Austausch. Der Nebeneffekt einer Selbsthilfegruppe kann auch die Entstehung von Freundschaften außerhalb der Gruppe sein.
Chance: Die ideale Gruppengröße?
Dr. Anton Huber: Wäre sieben bis acht Personen, damit alle von allen wahrgenommen werden, damit jeder alles mitbekommt und niemand untergeht. Aber „der baum“ hat jetzt schon mehr, man müsste fast Untergruppen bilden…
Chance: In Südtirol bräuchte es doch eigentlich in jedem Bezirk eine solche Gruppe.
Dr. Anton Huber: Das wäre absolut wünschenswert. Wir sind eigentlich schon voll, aber es kommen immer noch welche dazu….
Chance: Sie leiten die Gruppe zusammen mit Dr. Hartmann Aichner, Gynäkologe und selbst Betroffener.
Dr. Anton Huber: Ja und er ist ein absoluter Glücksfall. Ohne ihn wäre das gar nicht zu schaffen! Es ist überhaupt ganz wichtig, eine Gruppe zu zweit zu leiten. Und ich könnte mir auch gut vorstellen, eine solche Gruppe zusammen mit einer Frau zu leiten.
Dr. Anton Huber