Patronat

Gesetz 104 Vorreiter in Europa

Bezahlte Freistellung für beinträchtigte Personen und Angehörige

Als das Gesetz Nr. 104 1992 verabschiedet wurde, war Italien absoluter Vorreiter in Europa. Personen mit psychophysischer Beeinträchtigung oder Angehörige, die in die Pflege eingebunden sind, bzw. ein Familienmitglied zu Therapien begleiten, können nach diesem Gesetz eine bezahlte Freistellung von der Arbeit erhalten.
Die Anerkennung erfolgt vom jeweiligen Gesundheitsbezirk und wird von diesem dem Arbeitgeber bzw. dem jeweiligen Vorsorgeinstitut übermittelt. Jeder Arbeitnehmer hat Anrecht auf drei bezahlte Tage im Monat bzw. zwei Stunden täglich. Die Freistellung erfolgt also ohne finanzielle Einbußen.
„Leider werden immer noch zu wenig Anträge gestellt“, sagt Anny Obergasser, Direktorin des Patronats inca des AGB. Und: „Die Bezirke sind außerdem immer noch etwas zu rigide mit den Genehmigungen.“

Diese Möglichkeit der regelmäßigen monatlichen oder auch täglichen Freistellung ermöglicht und erleichtert einerseits Personen mit ärztlich dokumentierter psychophysischer Beeinträchtigung (wie z. B. einer Krebserkrankung in der postakuten Phase) die Rückkehr ins aktive Arbeitsleben.
Andererseits gibt dieses Gesetz Familienmitgliedern bzw. Partnern die Möglichkeit, einem bedürftigen Angehörigen in jenen Situationen beizustehen, wo es die Präsenz bzw. Begleitung einer Vertrauensperson braucht.
Die Patronate geben kostenlos Auskunft über die Voraussetzungen und helfen bei der Antragstellung. Es gibt neben der Hauptstelle in Bozen acht Zweigstellen in allen Landesteilen. Auch die Außenstellen des AGB/CGIL steht den Antragstellern hilfreich zur Seite.

Ein weiteres Gesetz, Nr. 151/ 2001, ermöglicht jedem Arbeitnehmer eine bezahlte kontinuierliche Freistellung bis zu zwei Jahren, die während eines Arbeitslebens auch aufgeteilt werden kann. Zum Beispiel sechs Monate, um einem Partner während der Chemotherapie beizustehen und zu einem späteren Zeitpunkt weitere 18 Monate, um ein Elternteil zu pflegen. Auch hier gilt die Regelung sowohl für Bedienstete des öffentlichen Dienstes als auch der privaten Wirtschaft. Das volle Gehalt wird bis zu einer Summe von 45.000 Euro pro Jahr garantiert. Von diesem Gesetz können Ehepartner, Eltern, aber auch Kinder, die ihre Eltern pflegen sowie Geschwister (wenn die pflegebedürftige Person keine anderen Verwandten hat) Anspruch nehmen. „Ganz neu ist“, erklärt Anny Obergasser, „dass auch Lebenspartner jetzt das Anrecht auf eine solche Freistellung haben.“

Wer sich freistellen lässt, um einem Angehörigen oder Partner während einer schwerwiegenden Krankheit beizustehen, bzw. wenn es sich um einen Pflegefall handelt, hat während dieser maximal zwei Jahre nicht nur das Anrecht auf volles Gehalt, sondern auch auf die Rentenansprüche sowie die Beibehaltung des Arbeitsplatzes.

„Viele Menschen haben diese Information nicht, viele glauben, dass nur wer im öffentlichen Dienst arbeitet, diese Möglichkeit hat. Noch immer weisen die öffentlichen Strukturen viel zu wenig auf diese Möglichkeit hin“, bedauert Anny Obergasser.

Anträge müssen dem zuständigen Sanitätsdistrikt mit entsprechender ärztlicher Dokumentation vorgelegt werden. Eine Ärztekommission entscheidet anschließend über die Ansuchen, im Falle eines positiven Bescheids, erfolgt umgehend die Freistellung. Der jeweilige Arbeitgeber verrechnet seine Ausgaben dann direkt mit dem zuständigen Renteninstitut.

„Diese beiden innovativen Gesetze sind verbrieftes Recht, kein Arbeitnehmer braucht deshalb Angst zu haben, dass er negative Auswirkungen am Arbeitsplatz zu befürchten hat, wenn er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht“, betont die Direktorin des Patronats inca, Anny Obergasser.

Anny Obergasser
Anny Obergasser


Anny Obergasser ist Landesdirektorin des Patronats inca, die Anlaufstelle des AGB/CGIL, die kostenlos informiert über Themen wie Renten, Arbeitsunfall, Familienzulagen, Arbeitslosenunterstützung, Anerkennung von Zivilinvalidität, Ansuchen um Pflegegeld, Berechnung der Versicherungsjahre u. a. m. Sie wird in Zukunft im Rahmen der neuen Rubrik „inca informiert“ Aspekte aufgreifen, die für Betroffene von Interesse sein können.
Die Chance gibt den Lesern auch die Möglichkeit, konkrete Fragen an Anny Obergasser zu stellen. Mail: info@krebshilfe.it
bzw. Post an Südtiroler Krebshilfe, Drei Heiligen-Gasse 1, 39100 Bozen.

nd

Lymphdrainage

Körper und Seele streicheln

Mit diesem Artikel nimmt eine neue Serie in der Chance ihren Lauf. Wir werden in dieser und den nächsten Ausgaben mit den Physiotherapeuten der Krebshilfe die verschiedenen Aspekte der Lymphdrainage besprechen.
Lymphdrainage 1 – Ingeborg Nollet: Den Menschen als Ganzes behandeln

„Die Haut ist der Spiegel unserer Seele, sie trägt die Ängste und die Sorgen und wenn es uns gut geht, strahlt sie.“ Dies sagt Ingeborg Nollet, Physiotherapeutin des Bezirks Vinschgau, die Patienten in Schlanders und Prad behandelt.
Stellt sich ein neuer Patient, eine neue Patientin vor – und es handelt sich meistens um Patientinnen - dann schaut sich Ingeborg Nollet zunächst den ganzen Körper, den ganzen Menschen an. Wo sind Verspannungen, nimmt der Patient Schonhaltungen ein (dadurch könnte ein Lymphkanal abgedrückt werden), wie erscheint der Gesamtzustand und auch die Verfassung? All diese Informationen sind schon vor der ersten Berührung mit etwas Übung zu erkennen und sind wichtig, um die Behandlung zu planen.
Die meisten Menschen kommen zur Lymphdrainage, wenn sie schon ein Problem haben. Schwellungen, Entzündungen, Schmerzen. Dabei, so die Physiotherapeutin, wäre es wichtig, nach Abschluss der Therapien, nach der Operation, den Bestrahlungen und der Chemotherapie eine Lymphdrainage präventiv vorzumerken, auch wenn (noch) keine Beschwerden zu verspüren sind.
„Viele Patienten bekommen eine Lymphdrainage verschrieben und wissen eigentlich gar nicht so genau, worum es dabei geht.“ Viele Patienten kennen ihren Körper nicht, haben Scheu sich anzufassen. „Das gilt besonders auch für Brustkrebspatientinnen“, betont Ingeborg Nollet. „Dabei ist es ganz wichtig, die Narben zu pflegen und immer wieder zu massieren, auch nach Jahren.“ Das tut nicht nur der Narbe gut, sondern auch der Seele und hilft, den Körper wieder anzunehmen. Manche Menschen lernen erst von der Physiotherapeutin, sich ohne Angst zu berühren.

Der Physiotherapeut muss sich in den Menschen, der vor ihm auf der Massagebank liegt, im wahrsten Sinne des Wortes ein-fühlen. Bis wohin kann ich gehen? ist die Frage, die sich jeder Therapeut stellen muss. „Wir berühren bei unserer Arbeit die intimsten Teile der Patienten, meine Arbeit ist ja nicht nur, die Lymphe „abzudrainieren“, sondern eben auch die Behandlung der Narben.“
Ein wichtiger Aspekt im Rahmen von Lymphbeschwerden ist auch die Körperhygiene. „Während der Behandlung vermitteln wir auch Tipps zur richtigen Köperpflege, lehren die Patienten sich ihres Körpers anzunehmen.“
Wenn die Hände über den Körper streichen, und die Bewegungen der Lymphdrainage sind ein zartes Streiche(l)n, wird unweigerlich auch die Seele gestreichelt. Vorausgesetzt, so Ingeborg Nollet, der Patient lässt sich gehen und kann das annehmen. „Es gibt aber doch auch Personen, die das nicht können, die dem, nennen wir es angenehmen Teil der Lymphdrainage, nichts abgewinnen können. Aber das sind die wenigsten!“ Im Normalfall gilt, wer einmal kommt, kommt immer wieder. Ein Zyklus umfasst normalerweise acht bis zehn Behandlungen.
Physiotherapeuten brauchen auch psychologisches Einfühlungsvermögen, wer dem Körper so nahekommt, streift unweigerlich auch die Seele. Empathiefähigkeit ist eine der Voraussetzungen für diesen Beruf. „Wir müssen auch in der Lage sein, zu erkennen, wann wir einen Patienten an den psychologischen Dienst weiterleiten müssen, bzw. bis wo wir selbst im Gespräch helfen können.“ Oft sprechen die Patienten mit dem Physiotherapeuten über Dinge, die sie beim Arztbesuch nicht ansprechen können. „Während den Behandlungen gibt es alles: Worte, Schweigen, Tränen, Lachen. Es entsteht eine ganz besondere Beziehung.“ Ingeborg Nollet ist zusätzlich auch noch als „Life-Coach“ tätig.

Lymphdrainage benötigen nicht nur Brustkrebspatientinnen, denen Lymphknoten in der Achselhöhle entfernt werden mussten. Auch bei Unterleibsoperationen, Eingriffen an Prostata, Lungen, Kehlkopf und Zungenboden oder Hautkrebs wird Lymphe gestaut. Ingeborg Nollet: „Die Brustkrebspatientinnen haben sich durchgesetzt, bei ihnen zählt Lymphdrainage zur Standardtherapie; alle anderen Krebspatienten müssen sich selbst darum bemühen!“ Nicht zu vergessen, Lymphdrainage unterstützt auch das Immunsystem.
Ingeborg Nollet hat ihre Ausbildung in Deutschland abgeschlossen, wo sie auch lange gearbeitet hat. In Südtirol war sie Pflegedienstleiterin in der Marienklinik und Martinsbrunn. Sie hat für die Rheumaliga, mit Sportlern und mit Kindern gearbeitet, war selbst lange Leistungssportlerin. Sie arbeitet je zweimal pro Woche in den beiden Ambulatorien der Krebshilfe in Schlanders und Prad. Eine Sitzung dauert je nach Befund 50 bis 60 Minuten. Außerdem betreut sie das Bürgerheim Schlanders.



Ingeborg NolletIngeborg Nollet