Lymphdrainage

Körper und Seele streicheln

Mit diesem Artikel nimmt eine neue Serie in der Chance ihren Lauf. Wir werden in dieser und den nächsten Ausgaben mit den Physiotherapeuten der Krebshilfe die verschiedenen Aspekte der Lymphdrainage besprechen.
Lymphdrainage 1 – Ingeborg Nollet: Den Menschen als Ganzes behandeln

„Die Haut ist der Spiegel unserer Seele, sie trägt die Ängste und die Sorgen und wenn es uns gut geht, strahlt sie.“ Dies sagt Ingeborg Nollet, Physiotherapeutin des Bezirks Vinschgau, die Patienten in Schlanders und Prad behandelt.
Stellt sich ein neuer Patient, eine neue Patientin vor – und es handelt sich meistens um Patientinnen - dann schaut sich Ingeborg Nollet zunächst den ganzen Körper, den ganzen Menschen an. Wo sind Verspannungen, nimmt der Patient Schonhaltungen ein (dadurch könnte ein Lymphkanal abgedrückt werden), wie erscheint der Gesamtzustand und auch die Verfassung? All diese Informationen sind schon vor der ersten Berührung mit etwas Übung zu erkennen und sind wichtig, um die Behandlung zu planen.
Die meisten Menschen kommen zur Lymphdrainage, wenn sie schon ein Problem haben. Schwellungen, Entzündungen, Schmerzen. Dabei, so die Physiotherapeutin, wäre es wichtig, nach Abschluss der Therapien, nach der Operation, den Bestrahlungen und der Chemotherapie eine Lymphdrainage präventiv vorzumerken, auch wenn (noch) keine Beschwerden zu verspüren sind.
„Viele Patienten bekommen eine Lymphdrainage verschrieben und wissen eigentlich gar nicht so genau, worum es dabei geht.“ Viele Patienten kennen ihren Körper nicht, haben Scheu sich anzufassen. „Das gilt besonders auch für Brustkrebspatientinnen“, betont Ingeborg Nollet. „Dabei ist es ganz wichtig, die Narben zu pflegen und immer wieder zu massieren, auch nach Jahren.“ Das tut nicht nur der Narbe gut, sondern auch der Seele und hilft, den Körper wieder anzunehmen. Manche Menschen lernen erst von der Physiotherapeutin, sich ohne Angst zu berühren.

Der Physiotherapeut muss sich in den Menschen, der vor ihm auf der Massagebank liegt, im wahrsten Sinne des Wortes ein-fühlen. Bis wohin kann ich gehen? ist die Frage, die sich jeder Therapeut stellen muss. „Wir berühren bei unserer Arbeit die intimsten Teile der Patienten, meine Arbeit ist ja nicht nur, die Lymphe „abzudrainieren“, sondern eben auch die Behandlung der Narben.“
Ein wichtiger Aspekt im Rahmen von Lymphbeschwerden ist auch die Körperhygiene. „Während der Behandlung vermitteln wir auch Tipps zur richtigen Köperpflege, lehren die Patienten sich ihres Körpers anzunehmen.“
Wenn die Hände über den Körper streichen, und die Bewegungen der Lymphdrainage sind ein zartes Streiche(l)n, wird unweigerlich auch die Seele gestreichelt. Vorausgesetzt, so Ingeborg Nollet, der Patient lässt sich gehen und kann das annehmen. „Es gibt aber doch auch Personen, die das nicht können, die dem, nennen wir es angenehmen Teil der Lymphdrainage, nichts abgewinnen können. Aber das sind die wenigsten!“ Im Normalfall gilt, wer einmal kommt, kommt immer wieder. Ein Zyklus umfasst normalerweise acht bis zehn Behandlungen.
Physiotherapeuten brauchen auch psychologisches Einfühlungsvermögen, wer dem Körper so nahekommt, streift unweigerlich auch die Seele. Empathiefähigkeit ist eine der Voraussetzungen für diesen Beruf. „Wir müssen auch in der Lage sein, zu erkennen, wann wir einen Patienten an den psychologischen Dienst weiterleiten müssen, bzw. bis wo wir selbst im Gespräch helfen können.“ Oft sprechen die Patienten mit dem Physiotherapeuten über Dinge, die sie beim Arztbesuch nicht ansprechen können. „Während den Behandlungen gibt es alles: Worte, Schweigen, Tränen, Lachen. Es entsteht eine ganz besondere Beziehung.“ Ingeborg Nollet ist zusätzlich auch noch als „Life-Coach“ tätig.

Lymphdrainage benötigen nicht nur Brustkrebspatientinnen, denen Lymphknoten in der Achselhöhle entfernt werden mussten. Auch bei Unterleibsoperationen, Eingriffen an Prostata, Lungen, Kehlkopf und Zungenboden oder Hautkrebs wird Lymphe gestaut. Ingeborg Nollet: „Die Brustkrebspatientinnen haben sich durchgesetzt, bei ihnen zählt Lymphdrainage zur Standardtherapie; alle anderen Krebspatienten müssen sich selbst darum bemühen!“ Nicht zu vergessen, Lymphdrainage unterstützt auch das Immunsystem.
Ingeborg Nollet hat ihre Ausbildung in Deutschland abgeschlossen, wo sie auch lange gearbeitet hat. In Südtirol war sie Pflegedienstleiterin in der Marienklinik und Martinsbrunn. Sie hat für die Rheumaliga, mit Sportlern und mit Kindern gearbeitet, war selbst lange Leistungssportlerin. Sie arbeitet je zweimal pro Woche in den beiden Ambulatorien der Krebshilfe in Schlanders und Prad. Eine Sitzung dauert je nach Befund 50 bis 60 Minuten. Außerdem betreut sie das Bürgerheim Schlanders.



Ingeborg NolletIngeborg Nollet


Wege der Hoffnung

EDGE – Strahlen statt Skalpell

Humanitas Klinik hat das erste Gerät in Italien - Nicht invasiv, präzise

Die vielfache Strahlenmenge, gebündelt. Feine Lamellen, die das umliegende Gewebe abschirmen. Die Möglichkeit, Metastasen, aber auch Primär-Karzinome auf radiochirurgischem Weg zu entfernen. Das Wundergerät heißt EDGE und steht in der Humanitas-Klinik in Rozzano bei Mailand.
Die Weltpremiere war 2013 im Universitätsklinikum Heidelberg, das auch maßgeblich an der Entwicklung der dynamischen TomoEDGE Blendentechnologie beteiligt war. An der Humanitas-Klinik, bislang die einzige Klinik in Italien, ist EDGE seit 2014 im Einsatz, sechs Apparate stehen dort für die Behandlung nach der VMAT-Technik (volumatric modulated Arc Therapy). Laut Dr. Marta Scorsetti Direktorin der Abteilung für Radiotherapie und Radiochirurgie, hat diese Technik die Strahlentherapie revolutioniert. „EDGE ermöglicht uns ein breites Spektrum onkologischer Erkrankungen in kürzerer Zeit, mit höchstpräzisen und individuell auf den jeweiligen Patienten abgestimmten Behandlungsplänen auf nicht invasive Weise zu therapieren.“
Das Gerät scannt die Patienten – und Tumorbewegung in Echtzeit und passt die Bestrahlung umgehend an. Eine ausgeklügelte Blendentechnik verhindert dabei, dass die Strahlen umgebendes gesundes Gewebe treffen.
„Dadurch können wir den Tumor mit einer wesentlich höheren Strahlendosis behandeln.“ Auch die Behandlungszeit verkürzt sich um ein wesentliches, auf zwei bis vier Minuten. „Ein weiterer Vorteil für unsere Patienten ist“, so Scorsetti, „dass die Behandlung absolut nicht belastend ist. Sie ist schmerzfrei und kann ambulant durchgeführt werden. Der Patient ist nicht radioaktiv und kann seinem gewohnten Leben nachgehen.“ Das bedeutet Lebensqualität!
Die Patienten werden an aufeinanderfolgenden Tagen behandelt. Vorbereitend wird die Körperoberfläche des Patienten mittels Computertomographie gescannt, um die exakte Lage des zu behandelnden Gewebes zu erfassen. Der Patient wird anschließend mittels einer thermoplastischen Maske bzw. personalisierten Kissen immobilisiert. Je nach Karzinom braucht es zwischen zwei und sechs Behandlungen, für die Lunge z. B. drei bis vier, für Pankreas sechs.
Auch während der Bestrahlung selbst wird der Tumor über eine ausgeklügelte Computersoftware ständig auf seine Position und eventuelle Bewegungen (durch Atmung etc.) kontrolliert.
EDGE wird aber nicht nur für die Strahlentherapie eingesetzt, sondern auch für die Behandlung nicht operabler Tumoren. Wenn z. B. eine Operation aufgrund des Gesamtzustands zu riskant wäre. Dr. Scorsetti: „Die Bevölkerung wird immer älter, 30% der Patienten sind über 70. Das ist ein Szenarium, an das sich die Therapien anpassen müssen!“ Nicht immer ist die Chirurgie die beste Krebstherapie. Dies gilt z. B. für starke Raucher, Personen mit Übergewicht, Herzleiden oder starkem Bluthochdruck, alte Menschen. Personen, die durch eine Vollnarkose zu sehr belastet würden. „Die stereotaktische Radiotherapie bzw. Radiochirurgie ist eine Alternative zur herkömmlichen Chirurgie.“

Die millimetergenaue Präzision von EDGE erlaubt eine radiochirurgische Entfernung von Gehirnmetastasen, Metastasen in der Leber, in der Lunge, im Darm oder in der Bauchspeicheldrüse, aber auch die radiochirurgische Behandlung von primären Tumoren, wie z. B. Prostatakrebs oder bei Kopf-Hals-Karzinomen. Die hochdosierten Strahlen übernehmen die Funktion eines virtuellen Skalpells.
„Bei der Behandlung von Prostata- und Lungenkrebs werden kleine Marker, sogenannte Beacons, die elektromagnetische Wellen aussenden, im jeweiligen Organ platziert. Auf diese Weise können wir konstant die exakte Lage des Tumors kontrollieren und die Strahlen mit millimetergenauer Präzision hochdosiert darauf richten. Das umliegende nervöse System, Mikronervenbahnen und sonstiges Gewebe wird nicht in Mitleidenschaft gezogen.“ Prostatapatienten riskieren bei dieser Art von Bestrahlung je nach Lage des Tumors eine progressive Verlangsamung ihrer Funktionen, aber keine völlige Dysfunktion. Auch bei sogenannten Kopf-Hals-Karzinomen sind die Nebenwirkungen wie Verminderung des Speichelflusses, Trockenheit im Mundbereich usw. auf ein Minimum reduziert bzw. völlig aufgehoben.
Gehirn-Metastasen können ambulant und in wenigen Minuten radiochirurgisch entfernt werden. „Dem Patienten“, erklärt die Leiterin der Strahlentherapie an der Humanitas-Klinik, „wird eine thermoplastische netzartige Maske individuell angepasst, die die Augen frei lässt. Mithilfe dieser Maske können wir die Gesichtsoberfläche sowie eventuelle Bewegungen konstant kontrollieren.“
Ein weiteres Einsatzfeld sind Knochenmetastasen, wo die Behandlung mit EDGE zusätzlich schmerzmindernde Wirkung hat.
Vor der Behandlung, betont die Radioonkologin Marta Scorsetti, nimmt sich der behandelnde Arzt Zeit für ein ausführliches Patientengespräch. „Der Patient hat das Recht umfassend informiert zu werden, um gemeinsam mit dem Arzt die für ihn beste Therapie auszuwählen. Der Patient, seine Befindlichkeiten, seine Wünsche, seine Befürchtungen stehen für uns im Mittelpunkt des Interesses, um jedem eine maßgeschneiderte Therapie garantieren zu können.

Seit 2014 ist EDGE im Einsatz, erste Statistiken über den Erfolg der Behandlungen liegen vor. Dr. Marta Scorsetti: „Bei einer lokalen Kontrolle nach zwei Jahren waren 90% der Patienten mit Gehirn-Metastasen, 94% der Leberkrebs-Patienten und 90% der Lungenkrebspatienten metastasefrei.
An der Abteilung für Strahlentherapie und Strahlenchirurgie der Poliklinik Humanitas in Rozzano bei Mailand sind zwölf Radio-Onkologen, sieben medizinische Physiker und zwanzig medizinisch-technische Radiologieassistenten beschäftigt; für die Strahlentherapie stehen sechs Geräte zur Verfügung, die von Montag bis Freitag im Einsatz sind.
Pro Jahr werden etwa 2.800 Patienten aus ganz Italien behandelt. Die Klinik ist mit dem öffentlichen Gesundheitsdienst konventioniert und behandelt auch Patienten außerhalb der Region Lombardei. Die Wartezeit für eine Behandlung beträgt 7 bis 14 Tage.

Dr. Marta ScorsettiDr. Marta Scorsetti