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Seite an Seite

Erich Feichter hat seine Frau im Sterben begleitet

Er hat eine alte Zukunft und eine neue. Am 6. Januar 2015 war die alte Zukunft zu Ende, mit dem Tod seiner Frau, Heidi Niederstätter. Wenn er zurückblickt auf das letzte, intensive Jahr mit ihr, Seite an Seite haben sie jeden Tag miteinander gelebt, ist sein Blick heiter und voll Liebe.
„Was tun wir jetzt? Willst Du überhaupt bei mir bleiben?“ fragte Heidi Niederstätter ihren Mann Erich Feichter, als sie die Diagnose erhielt. Lungenkrebs im Metastase-Stadium. Das war vor zwei Jahren. Nach einem Jahr Therapie gaben ihr die Ärzte noch drei Monate, ein weiteres Jahr ist es am Ende geworden. „Wir waren immer Realisten“, sagt Erich Feichter. „Sie hat mir das wirklich offen gelassen und für mich gab es keinen Zweifel: Das stehen wir gemeinsam durch und Du bleibst hier, bei mir zuhause, egal was kommt.“

Dank des 104er Gesetzes konnte er sich von der Arbeit im Krankenhaus Bozen freistellen lassen. „Wenn das nicht gegangen wäre, hätte ich gekündigt, wir hätten schon genug gehabt zum Leben.“ 28 Jahre waren sie verheiratet, als Heidi erkrankte und die Zukunft war voller Pläne. „Reisen wollten wir vor allen Dingen, wenn wir beide erst einmal in Pension gegangen wären.“

Gereist sind sie dann im letzten Jahr. „Wir waren in Kroatien, Wellness in Österreich, Wochenenden... Wenn ich laufen gegangen bin, ist sie mit dem Rad mitgekommen, solange es eben ging.“ Kraft und Mut hat sich Erich bei einem Freund geholt, der genau dasselbe erlebt hatte. Auch er ist seiner Frau bis zum Schluss beigestanden. „Er konnte mir alle meine Fragen beantworten, hat mich vorbereitet, auf das, was kommt und so wusste ich immer, was ich tun musste. Das gab mir Sicherheit.“

Erich hat aus Intuition gehandelt, sich von seinem Instinkt leiten lassen und hat sich in allem ganz auf seine Frau eingestellt. “Wir waren auch in Innsbruck und in Deutschland für alternative Therapien, das hat sie kurzfristig aufgebaut. Wenn es ihr gut ging, ging es mir auch gut. Ich habe versucht, ihr und damit auch mir das Leben in allem lebenswert zu machen. Im Bett zu liegen und zu weinen, hätte keinen Sinn gehabt.”

Seltsamerweise, erzählt Erich, war das Thema Tod schon von Anfang an in ihrer Beziehung ein Thema gewesen. “Wir wussten genau, was wir wollten, hatten abgesprochen, wie wir uns verhalten würden, wenn es so weit ist. Auch, dass wir einander nicht leiden lassen wollten. Das hat uns auch Kraft gegeben, über alles ganz offen zu reden. Von Anfang an.”

Schwierig ist ihnen beiden die Entscheidung gefallen, was mit den Kindern zu tun sei. “Instinktiv willst du sie als Eltern nicht belasten, aber dann dachten wir, dass sie es uns übel genommen hätten und so haben wir sie gleich eingeweiht.” Eine gute Entscheidung. Beide, Tochter Anne Sophie und Sohn Lorenz weilten zur Zeit der Diagnose im Ausland. Die Tochter in Norwegen, der Sohn in Wien. “Für beide war es selbstverständlich, zurückzukommen und diese Sache mit uns durchzustehen. Als Familie sind wir zusammengewachsen durch die Krankheit. Auch jetzt noch. Diese Erfahrung verbindet.”

Als ob Heidi Niederstätter geahnt hätte, dass ihre Zeit bemessen war, hat sie schon einige Jahre vor ihrem Tod begonnen, ihren Mann zu bitten, sie auf beruflichen Reisen zu begleiten, wo es eben möglich war. Als Schulinspektorin war sie oft zu Tagungen eingeladen. “Sie war eine starke Frau. Ich habe das positiv denken erst lernen müssen, hatte es nicht immer schön und leicht im Leben, aber ich hatte das Glück, eine Frau zu haben, die immer zu mir gehalten hat.”

Im Oktober 2014 schickte Erich Feichter seine Frau noch einmal auf Urlaub mit zwei Freundinnen. Eine Woche am Meer. Sie wollte erst nicht fahren, traute es sich nicht zu, aber er ermunterte sie. “Über das Handy waren wir immer in Kontakt; die Fotos von diesem Urlaub zeigen sie fröhlich und ausgelassen.”

Als sie dann zurück kam, ging es mit den Kräften langsam zu Ende. Erich Feichter bezog mit seiner Frau das Zimmer des Sohnes, wo das Krankenbett neben dem Einzelbett Platz hatte. “Ich wollte sie nicht alleine lassen in der Nacht.” Um vier Uhr morgens war sie immer unruhig. Er hob sie dann ganz vorsichtig aus dem Bett und hielt sie zart im Arm bis sie wieder schlafen konnte.

“Die Unterstützung von Seiten des Hausarztes Dr. Walter Niederstätter und des Sprengels war einzigartig”, erzählt Erich. “Wir hätten über den Vinzenzverein auch Nachtbetreuung haben können, aber das wollten wir nicht. Ich war ja da.” Der Hausarzt kam fast jeden Tag ins Haus, die Palliativschwester jeden Tag. “Heidi hatte auch viel Besuch. Viele ehemalige Schülerinnen, eine machte ihr die Nägel. Sie hatte so schöne Hände.” Freunde, Freundinnen, Kollegen. Das gab Erich immer wieder die Möglichkeit, eine Stunde laufen zu gehen, sich eine kleine Auszeit zu geben. Auch seinen Kindern, die sich mit ihm in der Pflege abwechselten.

Es war eine intensive Zeit, die intensivste Zeit ihrer Beziehung und vielleicht sogar die schönste Zeit ihrer Beziehung, sowohl für ihn als auch für sie, sagt er im Nachhinein und das hat auch sie gesagt. “Wir waren ja teilweise 24 Stunden beieinander, da lernt man sich so gut kennen, wie sonst nie. Das ist das Geschenk, das bleibt!”

Zur Linderung der Knochenschmerzen hat Erich eine Infrarotsauna im Zimmer montiert. “Erst hat sie geschimpft, aber dann haben wir sie gemeinsam aufgebaut; sie hat mir die Montageanleitung vorgelesen, ich habe montiert und benutzt hat sie sie jeden Tag. Danach ging es immer etwas besser.” Einen Entsafter hat er auch gekauft, um sie mit frischen Vitaminen zu versorgen. “Sie hat immer gesagt, mach´ dem Arzt einen Saft, damit er gesund bleibt.”

Im letzten Monat ist Erich nicht mehr laufen gegangen. Er hat sich ein Heimrad auf den Balkon gestellt vor ihrem Zimmer gestellt. “So konnte sie mich immer sehen und mir ein Zeichen machen, wenn es sie etwas brauchte. Die Tür musste ich natürlich schließen, damit sie nicht kalt bekommt.”

Am 30. Dezember spürte Erich Feichter, dass die Zeit gekommen war. Er spürte auch ohne Worte, dass sie diese Tage mit ihm alleine verbringen wollte. Er sagte alle Besuche ab, schickte die Kinder bis 5. Januar Skilaufen und ließ sich von der Krankenschwester einweisen, die Infusionen zu legen. “Wir wollten niemanden mehr, außer uns.” Warum er den Kindern sagte, sie sollten am 5. Januar zurücksein, kann er heute nicht mehr nachvollziehen. “Ich wusste das einfach instinktiv, und ich habe nie daran gezweifelt, dass etwas schief gehen könnte.”

Zwei Tage vor ihrem Tod wollte Heidi noch einmal in ihr Heimatdorf Sand in Taufers fahren, Abschied nehmen.
Hatte Erich Feichter psychologische Betreuung während dieser Zeit? “Nein”, sagt er. “Ich hatte meinen Freund.” Ich bin immer für Dich da, hatte er gesagt und das war er auch. “Er hat mir z. B. gesagt, wenn es Deiner Frau schlecht geht und Du hast die Nacht nicht geschlafen, verlier nie die Geduld, schrei´ sie ja nie an.” Heute fühlt sich Erich Feichter stark genug, um seine Erfahrung weiterzugeben und ebenso zu helfen.

Als die Kinder am 5. Januar zurückkamen, hatte er schon Abschied genommen und konnte sich in den Hintergrund zurückziehen. Von seiner Frau hat er das schönste Abschiedsgeschenk erhalten: „Wenn ich noch einmal zu leben hätte“, sagte sie, „dann würde ich Dich wieder nehmen, genauso wie Du bist.“

Fast ein Jahr ist nun vergangen. Das Leben geht weiter. Heidi Niederstätter fehlt ihren Kindern und ihrem Mann. Aber sie haben gelernt, loszulassen, sie gehen zu lassen. Erich Feichter: “Sie war die Meisterin, ich habe nur geholfen, habe ihr beistehen dürfen, habe getan, was ich als Mensch tun konnte.” Und die Kraft dafür findet sich, wenn man es nur darauf ankommen lässt!

Aktuell

Wir haben den klinischen Blick

Ex-Primarin Gertraud Gisser über die Arbeit in der Rehabilitation

Mit jedem Schritt selbständigerMit jedem Schritt selbständiger

Der Begriff Rehabilitation ist sehr weit gefasst. Für Gertraud Gisser, Ex-Primarin der Reha-Abteilung in Brixen, ist es die Sparte der Medizin par excellence, weil sie von einem ganzheitlichen Bild des Patienten ausgeht und sich zur Aufgabe stellt, „den Menschen zu unterstützen seine verlorenen gegangenen Funktionen wieder zu erlangen, um wieder voll an seinem sozialen Umfeld teilnehmen zu können.“
Ich bin eine „mosca bianca“, sagt sie und lacht ihr verschmitztes Jungmädchenlachen. Gertraud Gisser. Sechzehn Jahre war sie Primarin der Reha-Abteilung am Krankenhaus Brixen, in den letzten Jahren auch mitverantwortlich für das Neuro-Rehazentrum in Sterzing. Auch als Primarin war sie noch aktiv in die Patientenbehandlung involviert. Dieses Jahr hat sie selbst gesagt, Schluss, es reicht, jetzt soll jemand Jüngeres das Ruder übernehmen. Sie arbeitet nun unter ihrem Nachfolger Dr. Wolfgang Nothdurfter als Oberärztin auf den Rehabilitations-Abteilungen in Brixen und in Sterzing und ist glücklich damit.

Patienten also jeder Art. Schlaganfall-Patienten, orthopädische Fälle, generell Patienten nach einem chirurgischen Eingriff, Krebspatienten. Patienten mit organischen Leiden, Patienten, die wieder laufen oder sprechen lernen müssen, Gehörlose, Blinde, Patienten, mit Lymphödemen, Patienten nach einer Behandlung auf der Intensivstation, Schmerzpatienten, Demenzpatienten, Kinder. In der Reha-Behandlung, so Gertraud Gisser, kommen schulmedizinische und komplementärmedizinische Ansätze gemeinsam ins Spiel. Zur Reha-Behandlung gehören Physiotherapie, Logotherapie und Ergotherapie. „In der Reha“, unterstreicht Gertraud Gisser, „haben wir Einblick in alles, wie früher, als der Arzt schauen, riechen, schmecken, tasten und hören musste, um eine Diagnose zu erstellen. Wir haben den klinischen Blick!“
Voraussetzung für das Gelingen einer Reha-Behandlung, unterstreicht Dr. Gisser, ist die aktive Mitarbeit des Patienten. „Es gilt sensibel auf die Bedürfnisse des Patienten einzugehen, jedem ein individuelles Programm zusammenzustellen und zu erkennen, welche Barrieren es zu überwinden gibt. Innere und äußere und zwar nicht nur im räumlichen, sondern auch im übertragenen Sinn. Zum Wiederherstellen von Funktionen gehört auch, dem Patienten helfen, seine Angst zu überwinden. Angst, es nicht zu schaffen, Angst sich wehzutun. „Er muss neues Vertrauen in sich und seine Fähigkeiten gewinnen und das Team, denn eine Reha-Behandlung ist immer Teamarbeit, steht ihm auf diesem Weg beiseite. Mit der Selbstständigkeit gewinnt der Patient auch seine Eigenwürde zurück.“

Wenn der Autonomieverlust so hoch ist, dass ein Patient zuhause gepflegt werden muss, machen die Ergotherapeuten der Reha-Abteilung einen Lokalaugenschein und treffen sich mit dem Pflegepersonal um die poststationäre Phase auf das beste vorzubereiten und zu koordinieren.

Wobei Selbstständigkeit von Fall zu Fall etwas ganz anderes sein kann. Wieder mit den eigenen Beinen laufen, mithilfe einer Gehhilfe oder einer Prothese laufen oder sich mit einem Rollstuhl innerhalb der eigenen vier Wände frei zu bewegen...

Eine Reha-Behandlung beginnt zum Teil schon vor einer Operation, auf jeden Fall aber unmittelbar danach. Das Behandlungskonzept wird erstellt, wenn der Patient noch stationär ist und wird mit der jeweiligen Abteilung abgesprochen. Jeder Patient wird einem bestimmten Therapeuten zugewiesen, um die Behandlungskontinuität zu gewährleisten. Auf der Reha-Abteilung eines Schwerpunkt- Krankenhauses wie Brixen herrscht das Prinzip der Angemessenheit. Vorrang haben alle akuten und postakuten Fälle, erst danach kommen Patienten mit einfacheren Funktionsstörungen.

„Eine seriöse Reha-Behandlung“, so Gertraud Gisser, „besteht nicht aus einer Stromtherapie oder einer wöchentlichen Wohlfühl-Massage. Dafür gibt es private Strukturen, an die wir die Patienten auch weitervermitteln können.“ Die Therapeuten werden angehalten, eigenverantwortlich mitzudenken und kritisch die einzelnen Fälle zu beurteilen. Sie entscheiden die Therapie weitgehend selbst und bringen ihre Ideen und Erfahrungen mit ein.

Eine komplexe Reha-Behandlung, so die frühere Primarin, gehe immer einher mit einer Lebenskrise des Betroffenen. „Diese Untiefen des menschlichen Lebens muss man lernen im Team zu tragen, sie gemeinsam zu verarbeiten; jeder Therapeut muss lernen, wie er sich selbst schützen kann.“ Andererseits sind auch Erfolgserlebnisse Teil des Alltags. „Einen Patienten nach erfolgreicher Reha-Behandlung alleine, auf seinen eigenen Füßen auf einen Spaziergang in die Intensivstation schicken, um sich dort persönlich für seine Rettung zu bedanken“, so Gertraud Gisser, „das ist ein schöner Augenblick!“


Dr. Gertraud GisserDr. Gertraud Gisser

Bei Krebspatienten ist die Reha-Behandlung oft sehr komplex. Die Mitarbeiter der Reha-Abteilung arbeiten eng mit dem Behandlungsteam zusammen. Zum einen geht es darum, Funktionen wieder herzustellen, die postoperative Phase zu begleiten, kognitives Training zu betreiben, also die höheren Hirnfunktionen, das Kurzzeitgedächtnis wieder zu trainieren, es geht um Bewegungstherapie (sich bewegen ist das um und auf bei der Krebstherapie sagt Gertraud Gisser!) und es geht in vielen Fällen auch um die Behandlung von Lymphödemen.“ Etwa 16 % aller Krebspatienten haben mit diesem Problem zu tun, nicht nur Brustkrebspatientinnen, auch Operationen an Prostata oder am Unterleib oder Strahlenbehandlung können eine solche Therapie notwendig machen.

Bei einem Lymphödem gibt es zwei Stadien, erklärt Dr. Gisser. Die erste oder Akutphase, wo es um eine Entstauungstherapie geht und die zweite Phase, wo es um eine Erhaltungstherapie geht. Die Therapie besteht aus Lymphdrainage, manuelle Grifftechniken an allen Lymphstationen und dann aus einem elastischen Kompressionsverband, der ein Leben lang und rund um die Uhr zu tragen ist: Strümpfe, Handschuhe, Strumpfhosen, Ganzkörperbandagen, die den Patienten auf Maß angepasst werden. Patienten, denen Lymphknoten entfernt werden müssen, werden automatisch der Reha-Abteilung gemeldet. Heute, so Gisser, sind die Chirurgen sensibilisiert, die Lymphknoten nur teilweise zu entfernen.

Krebspatienten, die Mitglied der Südtiroler Krebshilfe sind, können die Lymphdrainage nach dem Krankenhausaufenthalt auch in den Ambulatorien der Krebshilfe durchführen lassen, die Therapeuten stehen in engem Kontakt mit den jeweiligen Krankenhäusern.

In der Öffentlichkeit und auch bei den Angehörigen fehlt oft das Verständnis für Patienten mit Lymphödemen, die Schwere dieser Erkrankung werde oft unterschätzt. Gertraud Gisser kennt in diesem Fall kein Pardon und greift auch zu ungewöhnlichen Maßnahmen. „Einmal habe ich den Mann einer Patientin zu mir bestellt, weil er partout nicht einsehen wollte, dass seine Frau am Hof keine schweren Arbeiten mehr verrichten sollte und ich habe ihn mit einem Sechs-Kilo-Gewicht am Arm eine halbe Stunde herumlaufen lassen!“

Ein Lymphödem ist eine schwerwiegende und ernstzunehmende Erkrankung. Die Betroffenen sollen sich bewegen, können auch Sport ausüben, dürfen aber keine schwere körperliche Arbeit verrichten. Sie müssen sich vor Sonneneinstrahlung schützen, vor Insektenstichen und vor Lymphstaus. „Wenn nichts getan wird“, warnt die Reha-Ärztin, „kann es zu einer akuten Wundrose oder zu einer lebensbedrohenden Sepsis kommen.“

Rehabilitation. Eine vielfältige Tätigkeit im medizinischen Bereich, die fundierte Kenntnisse in allen Sparten und psychologisches Einfühlungsvermögen voraussetzt

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