Aktuell

Stoma– Na und?

Die Stomaträger-Vereinigung Provinz Bozen

Sie sieht weder krank aus, noch alt, noch leidend. Im Gegenteil. Rote Haare, schlank, enge Jeans, sportliches Jäckchen, dezent geschminkt. Eine attraktive Frau, der man ansieht, dass sie ihr Leben gerne lebt. Das ist Carmen Natoli. 47 Jahre alt. Seit eineinhalb Jahren Präsidentin der Stomaträgervereinigung Provinz Bozen.
D ie Bruneckerin ist das beste Aushängeschild für ihre Vereinigung und wenn sie Patienten im ganzen Land besucht, kann sie allein schon durch ihre Erscheinung Optimismus und Zuversicht säen. „Der Begriff Stoma ist immer mit alt, übelriechend und krank behaftet, nichts davon ist wahr“, sagt Carmen und sie selbst ist das besteBeispiel dafür.
Seit 15 Jahren schon trägt sie ihr Iliostoma, den künstlichen Ausgang des Dünndarms. Und sie lebt ganz normal. Arbeitet als Sekretärin, ist unterwegs im ganzen Land für ihre Vereinigung. „Vor fünf Jahren habe ich meinen Mann kennengelernt, vor einem Jahr haben wir geheiratet“, erzählt sie und will damit auch mitteilen, dass das Leben wirklich in jeder Beziehung normal ist. Auch die Sexualität muss unter einem Stoma nicht leiden.
Stomaträger gibt es in jeder Altersgruppe. Nicht jedes Stoma ist definitiv, in vielen Fällen kann der Darm nach einer Ruhepause wieder reaktiviert werden. Nicht alle Stomaträger möchten dies. Carmen z. B. nicht. „Ich habe mich an meine Situation gewöhnt und möchte keine Operation riskieren, von der ich nicht hundertprozentig weiß, wie sie ausgeht.“
Das Stoma ist Teil ihres Lebens, ist Routine geworden. Wie wichtig das ist, versucht sie schon beim ersten Besuch den Patienten mitzuteilen. Carmen sucht Patienten unmittelbar vor bzw. unmittelbar nach der Operation auf. Sie kennt kein Tabu und geht bereitwillig auf alle Fragen der Patienten ein, für die zunächst das Leben mit Stoma als Katastrophe erscheint.
Carmen möchte mit ihrer Offenheit Schule machen. „Es ist ungemein wichtig, dass wer ein Stoma trägt, sich zumindest mit der Familie, mit seinem Partner ganz öffnet und frei über alles reden kann.“ In den Krankenhäusern steht sie in engem Kontakt mit den Stomatherapeuten der jeweiligen Stoma-Ambulanz. Nach Bozen kommt sie jede Woche, in die anderen bei Bedarf. „Je besser die Patienten schon vor dem Eingriff aufgeklärt werden, desto besser können sie ihr Stoma annehmen.“ Nach der Operation dauert es meist mehrere Monate, bis der Patient sich an seinen künstlichen Darm- bzw. Harnausgang gewöhnt hat. Nicht alle sind bereit sich zu outen.
Ganz wichtig ist für Carmen die Selbstständigkeit. Schon im Krankenhaus soll man beginnen sein Stoma selbst zu wechseln. „Unser Raum dafür ist das Bad“, betont Carmen. Und das ist vielleicht die einzige Einschränkung in ihrem Leben.Sie braucht ein Bad in der Nähe, um sich sicher zu fühlen.
Ansonsten fühlt sie sich in keinster Weise durch das Stoma eingeschränkt. Es ist längst ein Teil von ihr. „Andere Leute tragen eine Brille im Gesicht, ich habe einen Beutel am Bauch, den niemand sieht.“ Die engen Jeans beweisen es. Auch auf den Bikini muss sie nicht verzichten. „Ich gebe ein großes Pflaster darüber und mehr sieht man nicht.“
Vor der Operation entscheidet der Stomatherapeut gemeinsam mit dem Patienten, wo genau der künstliche Ausgang gesetzt werden soll. Das Iliostoma sitzt auf der rechten Bauchseite, das Colostoma auf der linken. Das Urostoma, der künstliche Harnausgang kann an verschiedenen Stellen gesetzt werden.
Der Stomabeutel wird entweder an einer Platte die über das Stoma gestülpt und auf der Bauchdecke festgeklebt ist, befestigt, oder direkt an die Bauchdecke geklebt. Die Beutel sind aus einem besonderen Material gefertigt, das geruchsundurchlässig und besonders resistent ist. Das Stoma, also der Darm bzw. der Harnleiter, die durch die Bauchdecke nach außengeführt werden und im Inneren mit dieser vernäht werden, sind nervenfreies Gewebe.
Stomaträger sind ungefähr zu gleichen Teilen männlichen bzw. weiblichen Geschlechts, mit Ausnahme des Urostoma. Hiervon sind mehr Männer betroffen.
Nicht alle Stomaträger leiden an einer Krebserkrankung. Es gibt ganz unterschiedliche Gründe für das Versagen des Darms: Autoimmunerkrankungen wie  chronische Darmentzündungen (z. B. Morbus Crohn), Neigung zur Bildung von Darmpolypen,Komplikationen nach Operationen im Bauchraum oder auch Organfehlbildungen bei Neugeborenen. Stomaträger gibt es deshalb in allen Altersgruppen. Bei Frauen ist das Stoma z. B. keine Kontraindikation für eine Schwangerschaft. Die einzige Einschränkung auch beruflicher Natur ist, dass Stomaträger keine schweren Gewichte heben sollen, um keine Hernia zu riskieren.
Die Stomaträger-Vereinigung der Provinz Bozen gibt es seit zwanzig Jahren; sie zählt ca. 150 Mitglieder. Allein im letzten Jahr sind 70 neue Mitglieder dazugekommen. Carmen Natoli legt großen Wert darauf, die Vereinigung in denDienst der Mitglieder zu stellen und persönlichen Kontakt zu den Mitgliedern zu pflegen. Der Sitz der Vereinigung in Bozen in der Marconistraße 9/2 ist jeden Dienstag von 9 bis 11 Uhr geöffnet. Carmen selbst ist jederzeit unter ihrer Handynummer erreichbar. Stoma-Ambulanzen gibt es in den Krankenhäusern von Bozen, Brixen, Bruneck, Meran und Innichen. Die Vereinigung zählt mit Carmen Natoli sieben Ausschussmitglieder.
In den Krankenhäusern Bozen, Brixen, Meran und Innichen werden zweimal jährlich Patiententreffen organisiert, in Bruneck treffen sich die Stomapatienten einmal im Monat.Zweimal pro Jahr organisiert die Vereinigung einen Mitgliederausflug, sowie im Dezember eine Weihnachtsfeier. In Monte Silvano bei Rom findet alljährlich im Oktober das internationale Stomatreffen statt, die Südtiroler Stomaträger-Vereinigung ist der italienischen Vereinigung FAIS angeschlossen.
Die Stomaträger-Vereinigung informiert ihre Mitglieder ähnlich wie die Krebshilfe über alle medizinisch-rechtlichen Belange, vermittelt medizinische und/ oder psychologische Beratung, hilft bei Anträgen für die Zivilinvalidenrente oder Pflegegeld. Berät über Stomaunterwäsche und Bademode.Stomabeutel, Befestigungsplatte und Reinigungsmittel gibt es gegen ärztliche Verschreibung in den Apotheken oder in Reformhäusern.
Carmen Natoli hat frischen Wind in die Stomaträger-Vereinigung gebracht. Im Augenblick verfolgt sie ein Projekt, das Stomapatienten Auslandsreisen erleichtern sollen. Da der Stomabeutel mit Flüssigkeit gefüllt ist und die Patienten im Fall einer Flugreise alle notwendigen Reinigungsmittel u. ä. mit sich führen müssen, kommt es immer wieder zu Schwierigkeiten bei der Flugabfertigung, weil nicht alle Beamte über dieses Problem informiert sind. Carmen möchte nach dem Beispiel Deutschlands auch für Südtiroler Patienten ein internationales Zertifikat einführen, das den Stomaträger als solchen ausweist. Und das ist erst der Anfang…
Info
Stomaträger Vereinigung Provinz Bozen
Marconistraße 9/2 in Bozen
Tel.: 0471 981423
Mail: info@stoma-bz.it
www.stoma-bz.it
Handy Carmen Natoli: 347 2461738 •

Aktuell

Das Geschenk der Musik

„Donatori di Musica“: alle zwei Wochen ein Klavierkonzert in der Onkologie Bozen

Ein Konzertflügel im Atrium einer onkologischen Abteilung. Bankreihen wie für ein Konzert. Ein ausgesuchtes Publikum, je nach Größe der Abteilung 25 bis 35 Personen. Zweimal im Monat ist dies Normalität in mittlerweile sieben Krankenhäuern Italiens.
Angefangen hat alles mit einem Gespräch unter Kollegen, den beiden Primaren der onkologischen Abteilungen von Bozen und Carrara, Dr. Claudio Graiff und Dr. Maurizio Cantore. Ein Patient Cantores, der Musikologe und Produzent Gian Andrea Lodovici, hatte darum gebeten, in der Abteilung ein klassisches Konzert organisieren zu dürfen, weil ihm das am meisten fehlte. Das Konzert hat nicht nur ihm gut getan, sondern auch den anderen Patienten, die sich vom Zauber der Musik anstecken ließen. Die Initiative „Donatori di Musica“ – „Musikalische Reise“ war damit geboren. Seit 2009 sind in den Onkologien von Bozen, Brescia, Carrara, Saronno, Sondrio, im San Camillo in Rom und in Vicenza zweimal im Monat klassische Konzerte angesagt. Auch in den USA wurde diese Initiative mittlerweile nachgeahmt.
Am Konzertflügel sitzen namhafte Konzertpianisten, nicht im Frack, sondern in Alltagskleidung, die eigens für diesen Auftritt ein leichtes Programm zusammenstellen, das auch Menschen, die sich nicht mit klassischer Musik beschäftigen, zugänglich ist. Die Dauer der Konzerte beträgt etwa eineinhalb Stunden. Um den Patienten den Musikgenuss besonders nahe zu bringen, bereiten die Musiker eine kleine Einführung vor, erzählen Anekdoten über die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Stückes. Im Anschluss gibt es für das Publikum Gelegenheit zu einer Plauderei mit dem Virtuosen.
So auch Luca Schieppati aus Novara, der am 13. Juni ein Konzert in der Onkologie in Bozen gegeben hat. Sein Programm stand ganz im Zeichen des zweihundertjährigen Jubiläums zwei großer Komponisten: Richard Wagner und Giuseppe Verdi. Aber nicht nur Kompositionen von diesen beiden großen Meister der Musikgeschichte, die vor allem für ihre Opern bekannt sind, spielte Schieppati. Auch Variationen von Franz Liszt, einer der begabtesten Klaviervirtuosen aller Zeiten und außerdem Schwiegersohn Wagners, mit dessen Tochter Cosima er verheiratet war.
Die dargebotenen Stücke, von Verdi nebenbei die gesamte „opera omnia“ für Klavier, gezählte zwei Partituren, waren ebenso klangvoll wie mitreißend und erfüllten den improvisierten Konzertsaal mit kraftvollen Klängen und Emotionen.
Den zufällig mitgeschnittenen Gesprächsfetzen des Publikums konnte man entnehmen, dass viele der Konzertbesucher Habitués der Konzerte sind. Gelegenheit nicht nur, sich durch die Musik aus dem von der Krankheit bestimmten Alltag auszuklinken, sondern auch für Gespräche untereinander.
Primar Claudio Graiff betonte in seiner Begrüßungsrede, dass Musik eine Möglichkeit sei, mit den negativen Gefühlen, die mit einer Krebserkrankung verbunden sind, fertig zu werden. „Der Zauber der Musik trägt uns über den Alltag hinaus,lässt die Seele schwingen und Zuversicht schöpfen und dies wirkt sich auch auf den Körper aus“, betonte Graiff. Aufgabe des Arztes und des Pflegepersonals sei nicht nur die Pflege und die Heilung des Körpers, der Krankheit, sondern auch der Seele.
Die „Donatori di musica“ verfügen über einen Pool von etwa 120 professionellen, hochkarätigen Konzert-Musikern, die ohne Gage und nur für eine Reisekostenvergütung auftreten. Die Konzerte werden in regelmäßigen Abständen, etwa alle zwei Wochen, abgehalten, so dass die Patienten eine richtige Konzertsaison verfolgen. Der Besuch der Konzerte ist kostenlos und nur den Patienten der jeweiligen onkologischen Abteilung, ihren Angehörigen und dem Personal der Abteilung vorbehalten.
Die Konzerte in den Abteilungen werden als Gelegenheit gesehen, Grenzen zu überwinden. Vor der Musik sind alle gleich: Patienten, Ärzte und Pfleger, Angehörige. Die Musik wird zum verbindenden Element.
Die „Donatori di Musica“ haben einen Spezialpreis beim berühmten Pianisten-Wettbewerb Ferruccio Busoni eingeführt, den Preis Gian Andrea Ludovici. Im vergangenen Jahr ist die Vereinigung mit dem Preis Abbiati ausgezeichnet worden, alswertvollste kulturelle Initiative Italiens im Bereich der klassischen Musik; 2013 wurden sie mit dem internationalen Alexander Langer Preis ausgezeichnet (wir berichteten, Anm. d. Red.).
Im Rahmen von „Donatori di Musica“ wurde der Einfluss der Musik auf den Heilungsprozess auch wissenschaftlich untersucht. Studien haben ergeben, dass Musik sich positiv auf die Qualität des Schlafs auswirkt, gegen Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen hilft, das Schmerzempfinden verringert und sich insgesamt positiv auf die Psyche des Krebspatienten auswirkt.
Gian Andrea Ludovici ist 2008 im Alter von 47 Jahren seiner Krebserkrankung erlegen. Er hinterließ den „Donatori di Musica“ folgenden Auftrag: „Alles dafür zu tun, damit die große Musik ein immer bedeutenderes Hilfs- und Heilungs-Instrument zur Unterstützung der medizinischen Behandlung in den onkologischen Abteilungen werden kann.“
„Donatori di Musica“ wird unterstützt von Furcht Pianoforti Mailand, Liga zur Krebsbekämpfung, LILT, Saccuman Pianoforti, Bozen und Hotel Figl Bozen, Familie Mayr.
Luca Schieppatiüber seine Konzert-Erfahrung in den onkologischen Abteilungen:
„Hier kommt Musik an ihre Ursprünge zurück, an ihren eigentlichen Auftrag, nämlich Emotionen zu vermitteln und an Emotionen teilhaben zu lassen. Auch Stücke der üblichen Konzertliteratur erhalten hier einen ganz besonderen Wert. Es ist, als ob man sie das erste Mal spielen würde, bewusst,mit Kraft und Sensibilität.“
Luca Schieppati
Konzertist, Lehrer am Konservatorium Guido Cantelli von Novara, künstlerischer Leiter von Musikevents. Für den 13. Juni hat er folgendes Programm vorbereitet: WaVe – Hommage an Richard Wagner (1813 – 1883) und Giuseppe Verdi (1813 – 1901) anlässlich ihres 200. Geburtstags- Jubiläums. Wagner, Sonate für das Album von Mathilde Wesendonk. Verdi, Romanze für Klavier. Rossini/ Liszt Li Marinari, Duett aus „Soirées musicales“. Wagner/ Liszt, Spinnerlied aus der „Fliegende Holländer“. Wagner / Liszt, Isoldens Liebstod und zum Abschluss Verdi/ Liszt, Don Carlo, Festtagschor und Trauermarsch; Aida, Danza Sacra und Abschlussduett Paraphrase aus Rigoletto. •