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Wenn Zahlen sprechen

Nationaler Kongress von AIRTUM in Bozen/ Transalpines Tumorregister-Treffen

Tumorregister sind ein ungemein nützliches Instrument, nicht nur für statistisches Zwecke, sondern auch für Forschung und Programmierung im Zusammenhang mit Tumorerkrankungen. Im März haben sich alle italienischen Tumorregister Italiens, AIRTUM, in Bozen zu ihrem Jahrestreffen versammelt.
Die Themen des dreitägigen Kongresses waren viele. Vier standen im Mittelpunkt der Arbeiten. Eine Bestandsaufnahme über die Kategorie der „geheilten Patienten“. Die Tumorregister in den Entwicklungsländern. Die Rolle der Tumorregister im Zusammenhang mit Umweltverschmutzung und am letzten Tag des Meetings schließlich: die Präsentation eines Projekts des TumorregistersTirol, „den Krebsatlas der Alpenländer“.
Das Treffen der Tumorregister zählte mehr als 200 Teilnehmer und wurde organisiert vom Tumorregister Südtirol.. Ein Gespräch mit Dr. Guido Mazzoleni, Primar der Abteilung Anatomische Pathologie und Histologie, der das Tumorregister angehört.
Chance: Was ist genau die Aufgabe des Krebsregisters?
Dr. Mazzoleni: Es handelt sich um eine operative Einheit, deren Aufgabe es ist, Daten zu sammeln über Häufigkeit, Verlauf und Todesfälle im Zusammenhang mit Tumorerkrankungen. In Italien sind derzeit 40 % des Territoriums statistisch erfasst, innerhalb von 2013 wollen wir auf 50 % kommen. Gewöhnlich hängen dieses Register von den lokalen Sanitätseinheiten ab, manchmal auch direkt vom zuständigen Assessorat. Die ersten Register dieser Art wurden in Italien in den 80er Jahren in Varese und Ragusa gegründet. Das Südtiroler Tumorregister wurde 1995 von meinem Vorgänger, Primar Eduard Egarter Vigl initiiert. Seit 2001 sind wir Mitglied der AIRTUM.
Chance: Sie selbst sind seit wann mit dem Tumorregister befasst?
Dr. Mazzoleni: Seit vier Jahren, seit ich Primar der Abteilung Pathologie bin.
Chance: Wie sind diese Register organisiert?
Dr. Mazzoleni: Das kommt darauf an. Es gibt regionale Register wie unseres, das alle Tumorfälle auf dem Territorium verzeichnet. Es gibt aber auch städtische Register, es gibt nationale Register, die sich auf eine bestimmte Typologie von Erkrankung spezialisieren oder auf Erkrankungen, die unter besonderen Umständen wie z. B. nach Kontakt mit Asbest o. ä. auftreten.
Chance: Welchem Zweck dienen die Zahlen, die im Tumorregister aufgezeichnet werden?
Dr. Mazzoleni: Es gibt ganz unterschiedliche Zwecke. Wir z. B. verzeichnen die Inzidenz, also wie viele Tumore pro Jahr in welchem Organ auftreten. Es gibt aber auch Register, die aufzeichnen wie viele Personen mit einem Tumor leben. Oder wie viele Menschen an einem bestimmten Tumor sterben, bzw.an einem zweiten Tumor sterben oder auch gar nicht an Tumor sterben oder an einem Tumor erkrankt sind, aber an etwas anderem sterben. Die Sterberate kann, muss aber nicht Zeichen sein für ein schlecht funktionierendes Gesundheitswesen. Es gibt Tumorregister, die sich mit Umwelt- und Risikofaktorenbefassen oder die die Wirksamkeit von therapeutischen Maßnahmen in einem bestimmten Zeitraum festhalten. Nebenbei eine der wichtigsten von uns eingeholten Statistiken. Es gibt Zahlen zum Auftreten einer ganz bestimmten Tumorerkrankung, die uns Aufschlussüber die Wirksamkeit oder eben nicht von Vorsorge-Maßnahmen geben…
Chance:…Maßnahmen, die in Südtirol direkt vom Tumorregister organisiert werden.
Dr. Mazzoleni: Genau, wir haben in der Tat das Glück, dass wir als Register die direkte Kontrolle haben über die Screening für Gebärmutterhalskrebs (Paptest), die Mammographie und die Untersuchung des Stuhls auf Blut. Das erleichtert unsere Arbeit ungemein.
Chance: Die Beurteilung von Screening-Maßnahmen war eines der Hauptthemen des Kongresses…
Dr. Mazzoleni: Vor allem am letzten Tag haben wir uns im Rahmen des Themas „Cancer in the Alps“ ausgiebig mit diesem Problem auseinandergesetzt. Ein sehr interessantes Projekt des Tumorregisters Tirol. Es handelt sich um den Vergleich von Daten aus geographisch sehr ähnlichen Regionen, die aber kulturell und politisch große Unterschiede aufzeigen und völlig unterschiedlich arbeitende Gesundheitssysteme haben. Bedenken sie nur, dass sich in dieser Gruppe Slowenien ebenso befindet wie der Schweizer Kanton Appenzell. Um auf die Vorsorgeuntersuchungen zurückzukommen: Wenn ein Screeningkeine nennenswerte Reduzierung der Mortalität zur Folge hat, dann hat es keinen Sinn. Oder wenn es wie z. B. bei den Vorsorgeuntersuchungen zum Prostata-Krebs zu eher dubiosen Ergebnissen, im Sinne von, wer suchet, der findet auch, führt, dann hat dies eine Verunsicherung der Patienten zur Folge,nicht aber einen Rückgang der Erkrankungen.
Chance: Sind die Register alle untereinander vernetzt?
Dr. Mazzoleni: Selbstverständlich. In Italien fließen alle vor Ort erfassten, kontrollierten Daten in ein Zentralregister in Florenz. Nach einer weiteren Kontrolle und Überarbeitung werden diese Daten ­­an das Welt-Tumorregister in Lyon in Frankreich weitergeleitet. Das sind Publikationen von höchstem wissenschaftlichen Wert, reelle Statistiken, die eine bedarfsorientierte Planung der Gesundheitspolitik ermöglichen. Die Tumorregister haben eine Kontrolle über Daten von einer Tragweite wie sie die Ministerien nicht haben. Die erfassten Daten sind der Spiegel der Realität. Wir können aufgrund der Daten der letzten zehn Jahre exakte Prognosen stellen. Die von uns erfassten Daten wurden z. B. auch herangezogen, als es um die Neuordnung der Tumorchirurgie in Südtirol ging.
Chance: Der letzte veröffentliche Krebsatlas bezieht sich auf Daten bis 2005…
Dr. Mazzoleni: Erst kürzlich haben wir die bereinigten Daten für 2006/07 nach Florenz geschickt. Es gibt immer eine physiologische Verspätung von drei Jahren. Dieses Ziel haben wir noch nicht erreicht, aber wir arbeiten daran und gehen davon aus, dass wir pro sechs Monate ein Jahr an Daten aufarbeiten können. Die Ursache für die Verspätung ist vor allem ein Personalproblem. Wir sind einfach zu wenig!
Chance: Zurück zum Kongress. Was waren die Highlights Ihrer Ansicht nach?
Dr. Mazzoleni: Am ersten Tag haben wir über das Phänomen der geheilten Patienten diskutiert. Menschen, die an Krebs erkrankt waren und weiterleben, Menschen, die an Krebs erkrankt waren und die, als sie gestorben sind, keinen Krebs mehr hatten. Das sind ungemein wichtige Daten, weil sie beweisen, dass Krebs eben keine todbringende Erkrankung, sondern eine chronische Erkrankung und in manchen Fällen nicht einmal das ist! Von höchstem Interesse waren auch die Beiträge zur Situation der Krebsregister in den Entwicklungsländern. Es wurden AIRTUM Projekte in Ghaza, Ägypten und Tunesien vorgestellt. Ein Epidemiologe aus Ghana hat einen überaus interessanten Vortrag gehalten. Die Register dort haben nicht nur mit strukturellen Problemen zu kämpfen, sondern auch mit Krieg. Von großem Interesse war auch der Bereich zu Tumorerkrankungen im Kindheitsalter oder Studien zu Zweittumoren,die unabhängig von der ersten Erkrankung auftreten. Wir haben über umweltbedingte Tumorerkrankungen gesprochen, wie z. B. in Apulien (die Firma Ilva in Taranto), über genetische Ursachen.
Chance: Und was hatte es mit der Posters-Session auf sich?
Dr. Mazzoleni: Das ist ein fester Bestandteil des jährlichen Meetings. Platz für freie Mitteilungen und kurze Vorträge, unabhängig vom eigentlichen Programm. Dieses Jahr waren es 32. Mit wissenschaftlicher Akribie vorbereitet und ausgesprochen interessant. Kleine Forschungsprojekte, Untersuchungen, Anregungen, z. B. wie man trotz unvollständiger Daten verlässliche Angaben zur Sterberate erarbeiten kann.
Chance: Dreiäußerst intensive Tage also…
Dr. Mazzoleni: Intensiv, aber stimulierend. Eine Bestätigung wie wichtig unsere Arbeit ist und welchen enormen konkreten Nutzen sie hat. Außerdem ein Aufruf noch detaillierter Daten zu erfassen und immer enger im Netz zusammenzuarbeiten, zum Nutzen der Allgemeinheit. •

Die Mitarbeiter des Südtiroler Krebsregisters mit Dr. MazzoleniDie Mitarbeiter des Südtiroler Krebsregisters mit Dr. Mazzoleni


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1. Transalpiner Kongress für plastische, ästhetische und Rekonstruktionschirurgie

Zwei Tage, 58 Vorträge mit anschließender Diskussion, hochkarätige Referenten aus vier Ländern und ein Publikum, in dem zwar wenig plastische Chirurgen saßen, dafür aber umso mehr junge, hochmotivierte Mediziner. Das ist die Bilanz des „Ersten transalpinen Fachkongresses in plastischer Chirurgie“, den Dr. Alexander Gardetto, ärztlicher Leiter der plastischen, ästhetischen Wiederherstellungschirurgie in Brixen Anfang Mai organisiert hat.
Hand- und Mikrochirurgie, Brustrekonstruktionen, Rekonstruktionen nach Unfällen, Verbrennungen oder Operationen, Ästhetische Chirurgie – die plastische Chirurgie ist noch ein relativ junges Gebiet und hat bereits tausendundein Anwendungsgebiete, der reine Schönheitsbereich ist dabei nur ein kleiner Teil.
Der Erste transalpine Fachkongress war Anlass, Neuigkeiten auszutauschen, komplizierte Fälle zu diskutieren, Materialien zu beurteilen, Operations- und Behandlungsmethoden zu vergleichen, kurz Gelegenheit für einen umfassenden Erfahrungsaustausch auf höchstem Niveau und Gelegenheit für die Bildung eines noch engeren, grenzübergreifenden Netzwerks.
Dasinteressierte Publikum folgte nicht nur den Vorträgen, sondern nahm auch rege an den anschließenden Diskussionen teil. Viele junge Ärzte der unterschiedlichen Ausbildungsuniversitäten, aber auch gestandene Fachärzte. Alexander Gardetto: „Das wichtigste Ergebnis dieses ersten Fachkongresses war sicher das Zusammenführen der unterschiedlichen Ausbildungsformen, sozusagen Padua, Zürich, Innsbruck, München an einem Tisch versammelt.“
Unter den Referenten viele Ärzte, die in Insider-Kreisen als Koryphäen ihres Faches gelten. Namen wie: Prof. Milomir Ninkovic, Chefarzt am Klinikum Bogenhausen München, Prof. Thomas Schöller, Chefarzt am Marienhospital in Stuttgart, Dr. Thomas Hintringer, Chefarzt in Linz und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie, Dr. Joachim Graf von Finckenstein, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie, Prof. Stefano Pompei, Chefarzt am Ospedale Sandro Pertini in Rom.
Die Vorbereitungen für das zweitägige Treffen waren sehr aufwändig, Adressen sammeln, Referenten anschreiben, Abstracts und Titel der Vorträge absprechen und sammeln, Sponsoren suchen aus der Pharmaindustrie aber auch vor Ort. Die Stiftung Sparkasse und auch die Gemeinde Brixen haben das Projekt großzügig unterstützt. Es wurde von den Organisatoren bewusst auf eine Inskriptionsgebühr verzichtet um gerade junge Ärzte zum Kommen zu motivieren.
„Vor allem die Tatsache, dassnicht nur theoretisch auf höchstem Niveau sondern wirklich ganz nah an der Praxis diskutiert wurde, macht diese Erfahrung für alle Beteiligten so wertvoll“, unterstreicht Dr. Gardetto. „Immer wieder haben sich Diskussionen über die konkrete Lösung von Komplikationen, die überraschend auftreten entspannt. Bei uns wirddas so gemacht, dort hingegen so…“ Bereits im nächsten Jahr ist der zweite Fachkongress für plastische und Rekonstruktionschirurgie geplant.
Auch Dr. Gardetto selbst, ärztlicher Leiter der noch kleinen und einzigen Abteilung für plastische und Rekonstruktionschirurgie in Südtirol, hat für die Arbeit seines Teams viel Positives mit nach Hause nehmen können. „Für uns war wichtig zu sehen, dass wir auf dem richtigen Weg sind, dass die von uns bevorzugten Materialien, allgemein Konsens finden und dass unsere Methoden und Behandlungskriterien auf hohem Niveau mithalten können.“Besondere Freude hat Gardetto an der Wiederbelebung des Austauschs zwischen Nord und Süd. Er selbst kennt durch Studium, Spezialisierung und Arbeit beide Realitäten gut. „Innsbruck und Padua standen früher in engem Kontakt, in den letzten Jahren ist das mehr und mehr abgeflaut. An den Feedbacksim Anschluss an den Kongress kann ich feststellen, dass dieser Draht wieder funktioniert.“
Neben den unterschiedlichen Methoden sind bei der plastischen Chirurgie die verwendeten Prothesen-Materialien von großer Bedeutung. Alexander Gardetto konnte einen amerikanischen Konzern dafür gewinnenin Brixen ein neues Implantat für Brustrekonstruktionen vorzustellen, eines der Highlights des Kongresses. „Damit haben wir eine neue Ära für Brustprothesen eingeläutet, die Zukunft liegt in Materialien biologischer Herkunft.“ •