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Der Pezcoller-Forschungspreis

In Trient werden jedes Jahr die weltweit besten Krebsforscher ausgezeichnet
Einer der hochdotiertesten und weltweit wichtigsten Krebs-Forschungspreise wird jedes Jahr von der Pezcoller-Stiftung in Trient vergeben. Bisher gibt es zwanzig Preisträger. Drei von ihnen wurden anschließend auch mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Paul Nurse, Mario Capecchi und Elizabeth Blackburne in 2001, 2007 bzw. 2009.
Dr. Enzo Galligioni
Die Stiftung wurde 1980 von Professor Alessio Pezcoller (1896 – 1993) ins Leben gerufen. Der Ex-Primar der Abteilung für Chirurgie am Krankenhaus Santa Chiara in Trient hat sein gesamtes Vermögen für die Förderung der biomedizinischen Krebsforschung zur Verfügung gestellt. Erster Preisträger war 1988 Vincent De Vita, Direktor des amerikanischen National Cancer Institute. Seit 1997 gehören dem Entscheidungskomitee auch Forscher an, die vom AACR ernannt werden, der amerikanischen Krebsforscher-Vereinigung, die weltweit 37.000 Mitglieder zählt.
Ein Gespräch mit dem Direktor der Pezcoller Stiftung, Dr. Enzo Galligioni, bis 2016 Primar der Abteilung für Onkologie am Krankenhaus Santa Chiara in Trient.
Chance: Der Pezcoller Preis wird jedes Jahr aus den weltbesten Krebsforschern ausgewählt.
Dr. Galligioni: Ja und Voraussetzung dabei ist, dass die Forscher und ihre Projekte international bekannt sind, dass sie bereits wichtige Ergebnisse erzielen konnten bzw. dass diese Forschungsergebnisse bereits klinisch Anwendung gefunden haben und vor allem, dass es sich um Forschungen handelt, die weitergehen.
Chance: Aus wie vielen Personen setzt sich das Preiskomitee der Stiftung zusammen?
Dr. Galligioni: Aus acht Mitglieder, die selbst zu den Top-Wissenschaftlern weltweit gehören. Ein absolut hochkarätiges Komitee. Die Hälfte ernannt vom AACR, die anderen von uns. USA und Europa. Dieses Jahr kamen sie aus New York, Boston, Houston und Philadelphia sowie aus Heidelberg, Rom, Amsterdam und Barcelona.
Chance: Wie funktioniert die Kandidatur?
Dr. Galligioni: Der Preis wird vergeben, das heißt man kann sich nicht darum bewerben. Die Konkurrenten werden von Wissenschaftlern vorgeschlagen, die ihrerseits an bekannten Forschungsinstituten arbeiten. Dieses Jahr standen 31 Kandidaten zur Wahl!
Chance: Aus was besteht der Pezcoller Preis?
Dr. Galligioni: Der Preisträger erhält die Summe von 75.000 Euro. Mit der Annahme des Preises akzeptiert er zur Preisvergabe nach Trient zu kommen und an der Universität Trient, die auch im Verwaltungsrat der Stiftung vertreten ist, und an der Universität Padua eine „lectio magistarlis“ zu halten. Ebenfalls im Verwaltungsrat vertreten sind übrigens auch das Regierungskommissariat, die Provinz Trient sowie die Gemeinden Trient und Rovereto und Vertreter der Stiftung Caritro.
Chance: Wo wird der Preis überreicht?
Dr. Galligioni: Es gibt zwei Übergaben. Während des jährlichen Kongresses des AACR, in diesem Jahr vom 1. – 5. April in Washington mit 21.900 Wissenschaftlern aus achtzig Nationen, erhält der Preisträger eine Medaille. Das Preisgeld wird in Trient im Castello del Bonconsiglio übergeben, dieses Jahr fand die Feier am 5. Mai statt.
Chance: Womit beschäftigt sich der Preisträger 2017, Dr. David Morse Livingstone?
Dr. Galligioni: Livingstone ist sowohl Onkologe als auch Forscher und Dozent. Seine Forschungen haben die Therapie von Brustkrebs und Eierstockkrebs revolutioniert und sind von höchster Aktualität.
Chance: Er befasst sich mit Genetik?
Dr. Galligioni: Seit 25 Jahren erforschen Livingstone und sein Forschungsteam, dem er den Preis gewidmet hat, die Entstehung von Brustkrebs und von Eierstockkrebs. Vor allem haben sie das Verhalten einer Reihe von spezifischen Genen untersucht, die die Entstehung dieser Krebsarten im Normalfall verhindern. Im Fall einer Mutation verliert das Gen diese Reparatur-Eigenschaft und die betreffende Frau läuft ein wesentlich höheres Risiko, an diesen Krebsarten zu erkranken. Und nicht nur, dieses mutierte Gen kann auch weitervererbt werden. Ich spreche von BRCA1 und BRCA2.
Wir verdanken es der Arbeit von Dr. Livingstone, dass diese Gene heute identifiziert und isoliert werden können. Dass Frauen getestet und wenn die Mutation vorliegt, entsprechenden Vorsorgemaßnahmen bzw. Vorkehrungen unterzogen werden und dass bereits farmakologische Therapien entwickelt worden und in Entwicklung sind, die spezifisch auf diese Gene wirken.
Chance: Abgesehen von diesem Forschungspreis vergibt die Stiftung Pezcoller noch weitere Auszeichnungen?
Dr. Galligioni: Ja, es gibt den alle zwei Jahre vergebenen und im Augenblick ausgesetzten Anerkennungs-Preis für Mediziner und Forscher, der z. B. an Umberto Veronesi vergeben worden, der nebenbei 1988 Präsident des ersten Pezcoller-Preiskomitees war. Dann vergeben wir den Pezcoller Foundation – EACR Cancer Researcher Award zusammen mit der Europäischen Krebsgesellschaft. Es handelt sich dabei um eine Auszeichnung für junge Wissenschaftler mit weniger als 15 Jahren Forschungstätigkeit nach Abschluss des Doktorats, die bereits durch vielversprechende Ergebnisse auf sich aufmerksam gemacht haben.
Chance: Aber das ist bei weitem noch nicht alles…
Dr. Galligioni: Nein, und wir sind sehr erfreut darüber, dass die Pezcoller Stiftung im Trentino von der Bevölkerung sehr wahrgenommen wird. Nicht nur, dass zahlreiche Bürger bei der Steuererklärung die Fünf Promille unserer Stiftung zukommen lassen. Es gibt auch viele Trentiner, die testamentarisch ihr Vermögen der Stiftung zugedacht haben, um damit zwölfmonatige oder sogar zweijährige Forschungsstipendien zu finanzieren. Immer im Bereich der Krebsforschung.
Chance: Die Stiftung vergibt aber nicht nur Preise und Stipendien!
Dr. Galligioni: Jedes Jahr organisieren wir hier in Trient das Pezcoller-Symposium, eine Tagung, an der Top-Forscher aus aller Welt teilnehmen – dieses Jahr am 22. und 23. Juni. Im Dezember hingegen laden wir jedes Jahr zu einer onkologischen Ärzte-Weiterbildung ein.
Chance: Sie waren bis Mai 2016 und für zwanzig Jahre Primar der Onkologie am Krankenhaus Santa Chiara in Trient,davor haben sie am onkologischen Zentrum in Aviano gearbeitet.
Dr. Galligioni: Ich bin Facharzt für Onkologie und Radiotherapie. Als ich aus Altersgründen von meiner Arbeit im Krankenhaus ausgeschieden bin, war es für mich klar, dass damit meine aktive Karriere als Arzt beendet ist, vor allem, weil es außerhalb des Krankenhauses fast unmöglich ist, sich entsprechend fortzubilden. Ich habe mich dem Volontariat gewidmet. Ich bin Vizepräsident der italienischen Krebsliga, LILT, des Trentino und im vergangenen September hat mir die Pezcoller Stiftung den Vorsitz angetragen. Es ist eine große Ehre für mich und gibt mir zudem die Möglichkeit weiter im Bereich der Onkologie tätig zu sein und auf dem neuesten Stand zu bleiben, ohne die Verantwortung für Patienten tragen zu müssen.
Professor David Morse Livingstone
Vor 74 Jahren in der Kleinstadt Salem im Norden Bostons geboren.
Studium an der Harvard Medical School (Diplom 1961) und an der Tufts Medical School (bis 1965). Seit 1973 Professor für Genetic an der Medical School Harvard.
Heute ist er Vizedirektor und Ordinarius für Genetik am Dana-Farber Krebs Institut Harvard und Direktor der Abteilung für Humangenetik am Institut für onkologische Human-Genetik Charles A. Dana.
Doktor Alessio Pezcoller (1886 – 1993)
Geboren am 23. April 1886 in Rovereto, seine Familie stammte aus dem Gadertal. Studium der Medizin in Innsbruck und Florenz.
Bis 1937 an der „Clinica Chirurgica” Mailand und anschließend Primar der Chirurgie am Krankenhaus Trient, wo er sich vornehmlich der Onkologie widmete, die damals Teilgebiet der Chirurgie war. Pezcoller widmete sein Leben der Arbeit als Arzt und der Forschung.
Nachdem er 1966 in den Ruhestand getreten ist, arbeitete er an der Idee einer Stiftung und bezog vorausblickend in seine Überlegungen auch die Stiftung Caritro von Trient und Rovereto als Fördermitglieder sowie die Gemeinden Trient und Rovereto mit ein.
1980 wurde die Stiftung offiziell gegründet, bis zu seinem Tod, 1993, stand Alessio Pezcoller seiner Stiftung als Ehrenpräsident vor.

Aktuell

Ich gehe gerne neue Wege

Gespräch mit dem neuen Primar der HNO-Abteilung Bozen Dr. Luca Calabrese
Seit ersten Januar ist Dr. Luca Calabrese Primar der Hals Nasen Ohrenabteilung am Krankenhaus Bozen. Eine Koryphäe mit mehr als 5.000 onkologischen Eingriffen vor allem im Bereich von Gesicht und Rachen. Er ist spezialisiert auf die funktionelle Wiederherstellung und Transplantationen und ist bekannt für seine besondere Empathie mit den Patienten.
Treffpunkt 18.15 im Büro des Primars. Ein überaus interessantes und sehr langes Gespräch. Dr. Calabrese hat sich nicht nur Zeit genommen, er hat sich auch von seinen Leidenschaften treiben lassen. Onkologie, das besondere Verhältnis, das ihn mit seinen Patienten verbindet, komplexe Eingriffe an Rachen und Kiefer, Sprechende Medizin (narrative medicin), Kultur-Anamnese, kulturelle Integration und das von der von ihm gegründeten „Fondazione Salvatore Calabresi“ vorangetriebene Projekt zur kulturellen Integration „Mundi“, die Krebsvorsorge… Immer wieder springt er auf, sucht einen Operationsbericht über eine Unterkieferrekonstruktion in seinem Computer, holt eine Broschüre mit Velvet-Rezepten für Patienten mit Schluckstörungen, liest einen von Patienten geschriebenen Text vor… Seine Augen sind überaus lebendig und beobachten ihr Gegenüber mit echtem Interesse.
Chance: Wenn man ihren Lebenslauf liest, 25 Jahre an der Seite von Umberto Veronesi am Europäischen Krebsinstitut in Mailand, seit 2006 Direktor der Abteilung für HNO – Chirurgie, dann fragt man sich: Und was machen Sie in Bozen?
Dr. Calabrese: Ganz einfach. Ich liebe Herausforderungen und gehe gerne neue Wege. Ich komme von einem Krankenhaus der Superlative, das stimmt. Aber was dort bei aller Exzellenz fehlt, ist die Integration mit dem Territorium. Die Vor- und Nach-Operationsphase. Was nicht heißt, dass es hier so einfach ist, ein gut funktionierendes Netz aufzubauen, Vorsorge, Therapie und die Phase nach der Therapie effizient miteinander zu vernetzen.
Chance: Aber in Bozen scheint es ihnen möglich, dies Vernetzung umzusetzen?
Dr. Calabrese: Sagen wir es so. Ich habe hier zwar auch viel Routine vorgefunden, aber ebenso die Voraussetzungen, um Neues zu realisieren. Die Nähe zum Wohnort, viele Vereinigungen, die sich in der posttherapischen Phase einklinken, die Mittel. Was Not tut, ist die Verbesserung der Kommunikation zwischen all diesen Playern.
Chance: Sie sind Spezialist für HNO-Erkrankungen, aber eigentlich nur im onkologischen Bereich tätig?
Dr. Calabrese: Ich bin spezialisiert auf all jene Organe, die wir zur Kommunikation brauchen und durch meinen Eingriff können sie in ihrer Funktionstüchtigkeit sehr beeinträchtigt werden. Viele Patienten leiden nach der Therapie an Dysphagie, ich muss Zunge, Kiefer und Rachen wieder aufbauen, Organe entfernen und Transplantationen durchführen… Genau aus diesem Grund habe ich mich immer sehr auf den funktionellen Aspekt konzentriert, nach neuen Techniken gesucht, um nicht nur onkologisch, sondern auch physiologisch gute Ergebnisse zu erzielen.
Chance: Sie sehen nicht nur den Tumor, sondern auch das Leben danach?
Dr. Calabrese: Was ist denn Gesundheit? Körperliches Wohlbefinden, aber doch wohl auch psychisches und soziales Wohlbefinden! Das vergessen wir Ärzte oft. Wir schaffen gesunde Menschen, die leben wie wenn sie krank wären. Deshalb ist für mich das Danach so wichtig. Der Arzt muss sich auch mit dem Leben des Patienten auseinandersetzen, mit dem Danach. Er muss aus dem Krankenhaus heraus!
Chance: In Mailand haben sie das schon gemacht?
Dr. Calabrese: Das verdanke ich einem Patienten. Operation gelungen, Patient geheilt. Aber glücklich lachen habe ich ihn erst gesehen, als er mir ein Foto geschickt hat, wo er eine Pizza isst. Keine echte natürlich, seine Frau hat ihm die einzelnen Zutaten püriert und wie eine Pizza zusammengestellt. Da ging mir ein Licht auf. Ich bin auf die Suche nach einem Restaurant mit Gerichten für Menschen mit Schluckstörungen gegangen, Personen, die also nur Flüssiges oder Breiartiges essen können. Ergebnis? Null. Und dabei gibt es viele von ihnen! Das ist auch eine Aufgabe des Arztes. Die Öffentlichkeit aufklären, bewusstmachen. Dafür sorgen, dass das Leben des Patienten lebenswert ist.
Chance: Auch die Vorsorge liegt ihnen sehr am Herzen?
Dr. Calabrese: Im Krankenhaus ist Vorsorge eigentlich nicht vorgesehen. Da behandelt man Kranke und Schluss. Aber für mich ist gerade das Krankenhaus der Ort, wo alles zusammenläuft. Egal ob draußen oder im Krankenhaus, es gelten die gleichen Qualitätskriterien. Der Facharzt muss auch mit dem Territorium kommunizieren. Mit den Jugendlichen, die trinken und rauchen (und zwar schlechter Qualität). Mit der Universität. Mit den Ämtern. Der Facharzt soll Informationen über Früherkennungssymptome weitergeben. Krankenhaus und Krankenhausärzte sollten ein onkologischer Bezugspunkt für das Territorium sein. Hier in Südtirol gibt es glaube ich die idealen Voraussetzungen, um das zu verwirklichen. Kurze Wege, ausreichend Mittel.
Chance: Wie hat sich ihre Tätigkeit im Vergleich zu Mailand geändert?
Dr. Calabrese: Mir geht es um Qualität und nicht um Quantität. Im Juni hatten wir aber doch schon mehr onkologische Eingriffe auf meiner Abteilung als im ganzen vergangenen Jahr. Ich habe höchst komplexe Operationen durchgeführt, Knochen-Transplantationen, Rekonstruktionen von Kiefer und Zunge… Wie am Europäischen Krebsinstitut in Mailand. Nur eben weniger.
Chance: Das heißt sie haben auch ein adäquates Team vorgefunden?
Dr. Calabrese: Absolut ja! Ein Team, das mit viel Enthusiasmus und großer Wissbegier an die Arbeit geht. Ich bin auf großes Entgegenkommen gestoßen, auch wenn es darum geht, zehn Stunden und mehr im OP zu stehen.
Chance: Ihre Familie ist in Mailand geblieben?
Dr. Calabrese: Ich habe vier Kinder zwischen 12 und 17, die reißt man nicht so einfach aus ihrem Umfeld. Natürlich, meine Frau ist jetzt sehr gefordert.
Chance: Sie sprechen viel vom Territorium. Bestehen schon Kontakte?
Dr. Calabrese: Selbstverständlich. Z. B. mit der Fakultät für Design bezüglich der Kommunikation. Ich habe auch schon einen Sponsor für mein Projekt der kulturellen Anamnese gefunden.
Chance: Kulturelle Anamnese?
Dr. Calabrese: Vor der Aufnahme wird der Patient befragt nach seinen Vorlieben. Musik, Bücher, Zeitungen, Filme, Skype und dann bereiten wir ein entsprechend programmiertes Tablet vor. Auf diese Weise ist seine Kommunikation gesichert, auch wenn er nach dem Eingriff zunächst nicht sprechen können sollte. Jetzt muss ich noch freiwillige Jugendliche finden, die den Patienten den Gebrauch dieser neuen Medien erklären.
Chance: Es scheint ihnen sehr wichtig zu sein, ihre Patienten auch unter dem menschlichen Aspekt gut kennenzulernen…
Dr. Calabrese: Unbedingt! Sehen Sie, ich heile meine Patienten, aber ich verändere durch meine Therapie auch ihr Leben, oft in gravierender Weise. Eine Operation in diesem delikaten Bereich verändert vieles, normale Funktionen sind plötzlich nicht mehr gegeben. Ich bitte meine Patienten oft, ihre Geschichte aufzuschreiben. Nicht aus Neugierde, aber gerade private Aspekte können auch zur Heilung beitragen, können helfen, die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Meine Patienten werden zu Freunden.