Thema

Eine für alle, alle für eine

Die „Scapigliate“: Aus dem Wartesaal der Onkologie Freundinnen fürs Leben
Die Pink Parade in Bozen wurde organisiert von Roberta, Tochter der „scapigliata“ Helga. Die Idee dafür hat sie von einer Reise nach New York mitgebracht.
Sie lesen sich täglich auf whatsapp. Um sich auf einen Termin für ein Treffen zu einigen, brauchen sie fast einen Monat. Sie sind jung und weniger jung, anarchisch, unternehmungslustig oder zurückhaltend. Sie lachen, weinen und scherzen zusammen.
Eine für alle und alle für eine ist ihr Motto und sie haben bei aller Verschiedenheit eines gemeinsam:
die Erfahrung Krebs.
Kennengelernt haben sie sich im Wartesaal der Onkologie Bozen. Warten auf die Chemotherapie. Man sieht sich, sieht sich wieder, beginnt sich zu grüßen und damit die Wartezeit nicht zu lange wird, sich auszutauschen. Und zusammenzuwachsen. Sie könnten nicht unterschiedlicher sein. Tanzlehrerin, Hausfrau, Diätassistentin, Bankkauffrau, Lehrerin, Rechtsanwältin… Marica, Antonella, Helga, Ivana, Ida, Silvia, Francesca, Lorena, Aurelia, Mariella, Laura, Anna und Loredana. Einen Namen haben sie sich auch gegeben, „Le scapigliate“, die „Zerzausten“. Eine Art und Weise, um scherzhaft mit dem Fehlen der Haare während der Chemotherapie umzugehen. Ein zerzauster Kopf war aber auch von jeher Zeichen für Frauen, die aus dem Rahmen fallen, selbstbewusste Frauen. Der griechische Münzstecher Eukleidas hat um 400 eine Münze mit dem Kopf der syrakusanischen Göttin Arethusa geschaffen, die ebenso als „Scapigliata“ bezeichnet wird, wie das unvollendete Portrait einer Unbekannten von Leonardo da Vinci aus dem Jahr 1508.

Sie schöpfen Kraft aus dem Zusammenhalt und dem Wissen um die anderen. Sie gehören zur Gruppe, sind aber absolut frei. Jede kann kommen und gehen wie sie möchte, im Whatsapp-Reigen mittun oder nur passiv kommunizieren. Manche ziehen sich für eine Weile zurück, um irgendwann wiederaufzutauchen, andere sind völlig ausgeschieden. Einige sind nicht leider mehr da. Auch das..

Angefangen hat alles 2014. Aus der eigenen Erfahrung mit der Krankheit Krebs und der Therapie, aus dem Mitleben der unterschiedlichen Situationen der anderen, haben die „Scapigliate“ vor allem eines gewonnen. Zuversicht. Sie sehen den Krebs als ein Problem an, das zu überwinden ist. Eine Krankheit, etwas hartnäckiger vielleicht als andere, aber mehr nicht. Sie haben der Krankheit nicht ihr Leben ausgeliefert, ihr nicht erlaubt, Schicksalsrolle einzunehmen.

„Krebs“, sagt Marica Carriere, die Gruppenälteste und wenn auch nicht offiziell ernannt, unbestrittenes Sprachrohr, „ist zu überwinden und wir wollen mit unserem Beispiel anderen Mut machen. Für uns alle war die Krankheit kein Ende, sondern im Gegenteil ein Neubeginn!“ Und genau aus diesem Grund sind die „Scapigliate“ auch an die Öffentlichkeit getreten.

Bereits zweimal haben sie sich und ihre Schicksale einem größeren Publikum vorgestellt und dabei auch nicht vergessen, auf die Bedeutung der Krebsvorsorge hinzuweisen. Das erste Mal im Circolo Cittadino in Bozen, dessen Präsidentin Marica Carriere ist und das zweite Mal in Salurn, in Begleitung des Chores von Buchholz, dem eine von ihnen angehört. Am 2. Oktober letzten Jahres haben die „Zerzausten“ an der ersten Mini-Pink-Parade in Bozen teilgenommen, die in Zusammenarbeit mit der Veronesi-Stiftung organisiert worden ist und im kommenden Mai sind sie zu einem onkologischen Kongress eingeladen, um vor einem Ärzte-Publikum über ihre Erfahrungen zu berichten.

Was aber am Wichtigsten ist: Sie sind füreinander da. Egal ob es sich um Tipps handelt, wie man kleine und größere Probleme lösen kann, darum sich Mut in einem schwierigen Moment zuzusprechen, Probleme bei der Arbeit oder in der Familie mit jemandem zu teilen oder sich einfach nur guten Morgen zu wünschen oder einen gemeinsamen Spaziergang zu organisieren. „Niemand anderes als wir kann besser verstehen, warum uns plötzlich zum Weinen ist oder wann wir ein aufmunterndes Wort oder eine Strafpredigt brauchen.“ Denn auch das ist eine ungeschriebene Regel der Gruppe: es gibt keine Tabus. Sie sind die „Zerzausten“ und sie sind Marica, Antonella, Helga, Ivana, Ida, Silvia, Francesca, Lorena, Aurelia, Mariella, Laura, Anna und Loredana. Eine jede von ihnen bemerkenswert auf ihre Weise. Und sie teilen längst nicht mehr nur die Erfahrungen mit der Krankheit, sondern das Leben. Freundinnen fürs Leben!

Aktuell

Wege bereiten

9.560 Mitglieder – Finanzhilfe für mehr als 1000 Personen bzw. Familien
Jährlicher Pflichttermin oder informatives Treffen mit Gleichgesinnten? 335 Mitglieder haben sich am 25. März im Versammlungssaal des LHV in Bozen eingefunden, um sich über die Tätigkeiten der Krebshilfe im Jahr 2016 zu informieren und den Vorstand zu entlasten.
Ein sonniger und warmer Frühlingssamstag. Umso erstaunlicher, dass der Saal wohlgefüllt war. Die Versammlung dürfte als eine der kürzesten in die Geschichte der Südtiroler Krebshilfe eingehen. Eineinhalb Stunden geballte Informationen, Begrüßungen, Zahlen und Fakten und schon konnten die Mitglieder sich auf der Dachterrasse zum Buffet verteilen, das vom Hotel Kirchsteiger in Völlan vorbereitet worden war.

Musikalisch wurde die Landesversammlung vom Männerchor aus Leifers, Monti Pallidi umrahmt. Die stimmgewaltigen Männer im roten Hemd hatten heitere Lieder aus der Tradition des Trentinos und des Veneto gewählt, um gute Stimmung zu machen.

Landespräsidentin Ida Schacher übernahm die Begrüßung der Mitglieder und der Ehrengäste. Andreas Schatzer, Präsident des Südtiroler Gemeindeverbands wurde zum Vorsitzenden der Versammlung ernannt. Die Kammerabgeordnete Renate Gebhard hatte sich wegen anderweitiger Verpflichtungen entschuldigen lassen; Stadtrat Sandro Repetto, der Bürgermeister Renzo Caramaschi hätte vertreten sollen, hatte den Termin offensichtlich vergessen. Dafür saß aber sie in der ersten Reihe und zwar vom Anfang bis zum Ende: Die Landesrätin Martha Stocker.

„Unser Lebensweg ist nie geradlinig. Er führt uns auf Umwege, in Sackgassen, über Hindernisse. Die Krebshilfe zeigt den Weg, macht ihn begehbar, ist Leitplanke, wo es gefährlich wird.“ Mit diesem eindringlichen Bild erläuterte Ida Schacher das Motto der Versammlung, „Wege bereiten“ und dankte anschließend all jenen, die Wegbereiter in der Südtiroler Krebshilfe sind. Den hauptamtlichen und den freiwilligen Mitarbeitern, den Politikern, den Sozialverbänden, den Medien.

Andreas Schatzer würdigte in seiner kurzen Begrüßungsrede die vielen Hände, die im Hintergrund, oft unsichtbar aber für die Betroffenen fühlbar, an der Arbeit seien. „Über dreitausend Südtiroler sehen sich jedes Jahr mit der Diagnose Krebs konfrontiert.“

Landesrätin für Gesundheit, Soziales, Sport und Arbeit, Martha Stocker hob in ihrem Grußwort den Einsatz der Krebshilfe hervor: „Es ist immer wieder unglaublich zu sehen, was ihr alles macht und mit wie viel Passion. Das Wichtigste ist aber“, so Stocker, „dass jeder von Euch Begleiter des anderen, Schutzengel des anderen ist“.

Claudia Bachmann, freie Radio-Moderatorin aus Bruneck, präsentierte den Tätigkeitsbericht der Krebshilfe. Mithilfe von Fotos ließ sie das Jahr Revue passieren, für jeden Bezirk hatte die Organisatoren der Landesversammlung, Doris Brunner zusammen mit Geschäftsführer Markus Unterkircher eine Veranstaltung ausgesucht.

Ein intensives Jahr, in dem die Krebshilfe viele Veranstaltungen organisiert hat, um Spenden zu sammeln, viele Ausflüge und Treffen, viele Kurse für die persönliche Weiterbildung oder für das körperliche Wohlbefinden. Zum Stichtag 31. Dezember 2016 zählte die Krebshilfe 9.560 Mitglieder, 3.330 davon ordentliche und 6.230 fördernde Mitglieder, das sind 162 mehr als 2015. Von den Neuzugängen sind 67 Betroffene und 102 fördernde Mitglieder. 2.592 Mitglieder haben eine oder mehrere Dienstleistungen der SKH in Anspruch genommen, 495 Patienten haben 7.541 Stunden Lymphdrainage erhalten, 1.848 Mitglieder nahmen an Ausflügen teil und 714 Mitglieder haben an 1.296 Kursstunden teilgenommen.

Einige Highlights des vergangenen Jahres: Die alljährliche Pressekonferenz anlässlich des internationalen Weltkrebstages 2016 zum Thema Prostatakrebs. Die Tagung zum Thema Grenzerfahrung Krebs, organisiert zusammen mit dem psychologischen Landesdienst. Der Malkurs für Patienten der Strahlentherapie in der Bonvicini-Klinik. Das Fest zum fünfjährigen Bestehen der Bewegungstherapie in Meran. Die Finanzierung einer Studie der Akademie für Allgemeinmedizin zum Thema Palliativ-Care. Der Landesausflug nach Bruneck. Und viele andere mehr.

Veranstaltungen, die der Information dienen und Veranstaltungen, die der Krebshilfe dabei helfen, sich zu 55% selbst zu finanzieren. 45% der Mittel kommen von der öffentlichen Hand, 7% aus dem 5-Promille-Topf (weshalb es auch so wichtig ist, dass die Mitglieder die SKH bei der Steuererklärung als Empfänger angeben!). 28% der öffentlichen Beiträge fließen in die Finanzierung der Therapiekosten.

Die Krebshilfe zeigt den Weg und sie stützt ihre Mitglieder auf dem Weg: 2016 konnten an 960 Betroffene 248.926,58 Euro an finanziellen Soforthilfen ausgezahlt werden. Weitere 51 Personen bzw. Familien haben 195.730 Euro aus dem Fond „Südtirol hilft“ erhalten. An Spenden konnte die Südtiroler Krebshilfe im Jahr 2016 295.660,03 Euro einnehmen, das sind 62.810,68 Euro weniger als im Vorjahr. Die Mitgliedsbeiträge sind hingegen um 1.690 Euro auf 95.600 Euro angestiegen. Rechnungsprüfer Giuseppe Paulato bestätigte der Südtiroler Krebshilfe wie jedes Jahr ein beispielhaftes und transparentes Finanzgebaren.
Landesrätin Martha Stocker:
Chance: Sie sind treuer Dauergast der Landesversammlungen…


LR Stocker: „Ich fühle mich der Krebshilfe sehr verbunden, und das schon lange bevor ich Landesrätin wurde. Wenn ich kann, komme ich und bleibe ich. Ich kenne viele Menschen, die Krebs haben, das geht mir nahe und ich kann mich in sie hineinversetzen, nachempfinden, was sie in dieser Situation benötigen.“


Chance: „Die Menschen werden älter, die Zahl der an Krebs Erkrankten steigt, immer mehr junge Menschen sind betroffen. Gleichzeitig stehen immer weniger Mittel zur Verfügung. Viele Betroffene fürchten, dass sich das auf das Therapieangebot auswirken wird.“


LR Stocker: „Der Sanitätsbetrieb ist in Umgestaltung. Nicht nur wegen der Einsparungen. Die Gesellschaft ist im Wandel, wird immer älter. Krebserkrankungen nehmen zu. Es muss investiert werden in neue Therapien, neue Medikamente, neue Apparate. Neue Fragestellungen ethischer Natur ergeben sich, denen wir uns stellen müssen. Wie weit darf die Therapie gehen, wie weit macht sie Sinn? Was ist adäquat? Was kann man den Patienten zugestehen, was ihnen zumuten? Mit Sicherheit werden wir den hohen Standard, den wir in der Krebstherapie haben, nicht aufgeben. Einsparungen müssen an anderer Stelle getätigt werden.“
Moderatorin Claudia Bachmann:
Chance: Sie sind eine junge Frau und Sie sind schwanger. Tut man sich da nicht schwer, sich mit der Thematik Krebs auseinanderzusetzen?


Claudia Bachmann: „Ich habe vergangenes Jahr meinen Vater durch Krebs verloren. Er war Mitglied der Krebshilfe und er hat sich dort zuhause und aufgehoben gefühlt.

Ich bin selbst auch Mitglied und die Moderation heute habe ich als meinen Dank empfunden, als meine Weise, die Vereinigung zu unterstützen. Natürlich mag man in meinem Zustand nicht unbedingt an Krebs denken. Aber ist das nicht der Kreislauf des Lebens? Ein Leben geht und neues Leben kommt.“