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Leben mit der alten schwarzen Dame

Claudia Rizzieri hatte zweimal Brustkrebs, mit 27 und mit 48
Claudia während ihrer zweiten Chemotherapie-Behandlung im Sommer 2015
Sie war 27, seit zwei Jahren verheiratet. Eines Morgens etwas Komisches in der linken Brust. Ein Knoten. Ein Ultraschall im Krankenhaus Meran. Kein Befund. Aber die Unruhe bleibt. Ungewohnte Müdigkeit. Einen Monat später in Bozen eine Mammographie, negativ, aber der Ultraschall ist verdächtig. Die Ärztin ordnet sofort eine Biopsie an. Diagnose: Brustkrebs. Das war 1992. Im Mai 2015 wieder ein Knoten. Rechts.
Klein und zierlich ist sie, mit der starken Stimme einer Riesin. Durchtrainiert, kurzer burschikoser Haarschnitt, zwei strahlendblaue Augen. Sie lacht gerne und oft. Claudia Rizzieri hat sich zweimal in ihrem Leben dem Krebs stellen müssen. Bei der ersten Diagnose, erinnert sie sich, wusste sie gar nichts über diese Krankheit. Ein Problem, das ältere Menschen betrifft, dachte sie, mich doch nicht! Und dann der Schock der Diagnose. „Wie gelähmt war ich“, erinnert sie sich. „An das Ausmaß dieser Diagnose dachte ich allerdings nicht. Ich war mir nicht im Klaren, wie schlimm das eigentlich war, zumal in so jungem Alter.“ Ihr damaliger Mann hingegen war im Bild. Ein Tumor von 1 cm Größe, drei Lymphknoten im Arm bereits positiv... Er wusste, was das hätte bedeuten können. Bei Claudia kam die Angst erst viel später. Beim zweiten Mal.

Claudia hat einen Namen und ein Bild für die Angst. Die alte schwarze Dame. Das hilft ihr, sie in ihre Grenzen zu weisen. Sie hat in langem Ringen gelernt, mit ihr zusammenzuleben.

Die erste Therapie hat Claudia, die damals bereits als Deutschlehrerin an einer italienischen Oberschule arbeitete, gut vertragen und auch sofort darauf angesprochen. Ihr Körper war jung und von der Leichtathletik gestählt. Sie gab sich kämpferisch, ging sogar arbeiten während der Chemotherapie. Am Internationalen Krebsinstitut in Mailand war eigens für sie ein neues Protokoll zusammengestellt worden. „Eine hochdosierte Bombe, wie man sie damals in Bozen noch nicht kannte und die anschließend von der Onkologie übernommen worden ist.“

Ein Schock war hingegen die Operation. Umberto Veronesi hatte die Quadrantektomie am europäischen Krebsinstitut zwar schon in den siebziger Jahren entwickelt, aber in den wenigsten Krankenhäusern wurde sie schon angewendet. Die rechte Brust wurde ihr radikal amputiert. Statt eines sofortigen Aufbaus wie heute üblich, bekam sie zunächst einen Expander eingesetzt. „Schrecklich war das, ein Ballon, viel größer als meine eigene Brust.“ Da fragte sie sich das erste Mal, „Warum muss mir das passieren“?!

Zum eigentlichen Brustaufbau mussten die Südtiroler Patientinnen damals noch nach Verona. Das Ergebnis war besser als der Expander, aber alles andere als ästhetisch. Der dortige Arzt sagte ihr, dass viele junge Frauen aus Bozen mit Brustkrebs in Behandlung seien. Vielleicht Cernobyl? Damals klang das plausibel für sie und einmal aus dem Kreislauf der Therapien heraus, fragte sie sich nicht mehr nach dem Warum. Heute weiß sie, dass sie genetisch vorbelastet ist. Damals wollte sie nur vergessen, oder besser verdrängen! Onko-Psychologie? Nein, sagt Claudia, „das kam für mich damals nicht in Frage. Ich wollte nichts mehr mit diesem Thema zu tun haben, habe dichtgemacht. Heute weiß ich, dass es falsch war, dass ich das gestörte Verhältnis zu meinem Körper nicht aufgearbeitet habe.“

Um nicht an ihre Brust zu denken, konzentrierte sie sich auf den Rest ihres Körpers, begann wieder mit dem Leistungssport, Halbmarathon und Skilanglauf und nach einigen Jahren auch Yoga, um sich selbst zu beweisen, dass sie gesund sei, dass ihr Köper perfekt funktionierte. Sport als Mittel gegen die Angst, die Weiblichkeit verdrängt. Dieses Rezept ging für zwanzig Jahre gut. Jedes Jahr regelmäßig zu Mammographie und Ultraschall und dann war das Thema wieder abgehakt. „Ich dachte, ich krieg das nie wieder!“

Aber dann im Mai 2015 begann alles wieder von vorne. „Wie in einem Alptraum. Ich kannte diese Szene: Gleicher Ort, gleicher Arzt, gleiche Worte. - Wir werden vorsorglich eine Biopsie durchführen. - Das hatte ich genau so schon gehört!“ Und gleiches Ergebnis: Positiv. Dieses Mal wird auch ein Gentest durchgeführt. Er ist positiv. Die Ärzte raten auch zur prophylaktischen Entfernung der Eierstöcke.

Claudia Rizzieri macht eine Pause. „Vielleicht bekommt wer das jetzt liest Angst… Beim zweiten Mal war alles viel schlimmer. Die Chemotherapie, die OP. Ich hatte weniger mit Übelkeit zu kämpfen als das erste Mal, weil es heute Mittel gibt dagegen, das stimmt. Aber ich habe mich viel schwächer gefühlt. Ich fühlte das Gift in meinem Körper, in jedem meiner Muskel. Wahrscheinlich auch,weil ich darauf fixiert war und ständig in mich hineinhorchte. Auch meine Einstellung war ganz anders. Panik total.“ Und Leitmotiv Angst. Angst begleitete sie für viele Monate. Und im Unterschied zur ersten Erkrankung war sie zum Zeitpunkt der zweiten Diagnose und Therapie Single. Allein!

Aber dieses Mal nahm sie Hilfestellungen an. Sie machte eine Onko-Psychotherapie und nahm Antidepressiva gegen die Angst. „Ich war so schwach, war ganz am Boden. Ich dachte, ich erhole mich nie. Und dann war ich ohne Partner. Ich dachte, wer will mich noch nach einer zweiten Mastektomie?“ Durch jahrelanges intensives Yogatraining, seit 2011 ist sie auch Yogalehrerin, hat Claudia Rizzieri ein absolutes Körpergefühl. „Das war in Bezug auf die Krankheit nicht unbedingt ein Vorteil. Ich spürte Dinge in meinem Körper, die andere vielleicht gar nicht wahrnehmen.“

Claudia lacht. „Mein Körper ist ein Bild für die Entwicklung der Krebstherapie in den letzten 22 Jahren. 1992 wurde noch nicht auf die Ästhetik geachtet oder Rücksicht auf das Dekolletee genommen.“ Weg damit, und wie eine Frau das seelisch verkraftet war Nebensache. Bei der zweiten Operation, trotz der kleinen Dimension des Tumors aufgrund der genetischen Veranlagung ebenfalls eine Mastektomie, wurde direkt nach der Entfernung des Brustgewebes von einem plastischen Chirurgen ein Brustaufbau vorgenommen.

Seither sind eineinhalb Jahre vergangen. Claudia hat mittlerweile alle Therapien beendet. Sie hat ihre Kräfte wiedergewonnen, das Vertrauen in ihren Körper kehrt schrittweise zurück. Sie hat begonnen, wieder Sport zu treiben und wandern zu gehen. Aber ohne Stress. Ihr Körper muss nicht mehr als Ersatz für eine gestörte Beziehung zu sich selbst, zum eigenen Frausein herhalten. Claudia hört auf ihren Körper, verlangt ihm nicht mehr ab, als er geben möchte. Und es geht ihr gut dabei. Sie hat gelernt, sich mitzuteilen. Gelernt auch über ihre Ängste zu reden. Und ihre Hoffnungen. Sie ist zuversichtlich. Sie ist glücklich. Und sie hat wieder einen Partner an ihrer Seite. „Einen Mann, der intelligent und sensibel ist, der mich liebt und nicht meinen Busen, einen Mann, der mir sagt, dass ich mich nicht zu verstecken brauche, dass ich keine Berührungsängste haben muss und der mich schön findet, so wie ich bin.“

Claudia schaut mir in die Augen. „Ich hatte Pech, bin vom Krebs gezeichnet, aber vielleicht bin ich dadurch als Mensch sensibler und mitfühlender geworden.“ Heute steht sie bewusst im Leben. Die alte schwarze Dame ist im Augenblick noch sehr präsent. „Aber immer weniger und ich habe gelernt, ihre Anwesenheit zu schätzen. Sie erschreckt mich zwar noch manchmal, aber sie gibt mir auch zu verstehen, dass das Leben schön ist und dass ich es leben soll, ohne es zu verschwenden. Und am Morgen schaue ich ihr in die Augen und sage: Guten Morgen“.

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Eine für alle, alle für eine

Die „Scapigliate“: Aus dem Wartesaal der Onkologie Freundinnen fürs Leben
Die Pink Parade in Bozen wurde organisiert von Roberta, Tochter der „scapigliata“ Helga. Die Idee dafür hat sie von einer Reise nach New York mitgebracht.
Sie lesen sich täglich auf whatsapp. Um sich auf einen Termin für ein Treffen zu einigen, brauchen sie fast einen Monat. Sie sind jung und weniger jung, anarchisch, unternehmungslustig oder zurückhaltend. Sie lachen, weinen und scherzen zusammen.
Eine für alle und alle für eine ist ihr Motto und sie haben bei aller Verschiedenheit eines gemeinsam:
die Erfahrung Krebs.
Kennengelernt haben sie sich im Wartesaal der Onkologie Bozen. Warten auf die Chemotherapie. Man sieht sich, sieht sich wieder, beginnt sich zu grüßen und damit die Wartezeit nicht zu lange wird, sich auszutauschen. Und zusammenzuwachsen. Sie könnten nicht unterschiedlicher sein. Tanzlehrerin, Hausfrau, Diätassistentin, Bankkauffrau, Lehrerin, Rechtsanwältin… Marica, Antonella, Helga, Ivana, Ida, Silvia, Francesca, Lorena, Aurelia, Mariella, Laura, Anna und Loredana. Einen Namen haben sie sich auch gegeben, „Le scapigliate“, die „Zerzausten“. Eine Art und Weise, um scherzhaft mit dem Fehlen der Haare während der Chemotherapie umzugehen. Ein zerzauster Kopf war aber auch von jeher Zeichen für Frauen, die aus dem Rahmen fallen, selbstbewusste Frauen. Der griechische Münzstecher Eukleidas hat um 400 eine Münze mit dem Kopf der syrakusanischen Göttin Arethusa geschaffen, die ebenso als „Scapigliata“ bezeichnet wird, wie das unvollendete Portrait einer Unbekannten von Leonardo da Vinci aus dem Jahr 1508.

Sie schöpfen Kraft aus dem Zusammenhalt und dem Wissen um die anderen. Sie gehören zur Gruppe, sind aber absolut frei. Jede kann kommen und gehen wie sie möchte, im Whatsapp-Reigen mittun oder nur passiv kommunizieren. Manche ziehen sich für eine Weile zurück, um irgendwann wiederaufzutauchen, andere sind völlig ausgeschieden. Einige sind nicht leider mehr da. Auch das..

Angefangen hat alles 2014. Aus der eigenen Erfahrung mit der Krankheit Krebs und der Therapie, aus dem Mitleben der unterschiedlichen Situationen der anderen, haben die „Scapigliate“ vor allem eines gewonnen. Zuversicht. Sie sehen den Krebs als ein Problem an, das zu überwinden ist. Eine Krankheit, etwas hartnäckiger vielleicht als andere, aber mehr nicht. Sie haben der Krankheit nicht ihr Leben ausgeliefert, ihr nicht erlaubt, Schicksalsrolle einzunehmen.

„Krebs“, sagt Marica Carriere, die Gruppenälteste und wenn auch nicht offiziell ernannt, unbestrittenes Sprachrohr, „ist zu überwinden und wir wollen mit unserem Beispiel anderen Mut machen. Für uns alle war die Krankheit kein Ende, sondern im Gegenteil ein Neubeginn!“ Und genau aus diesem Grund sind die „Scapigliate“ auch an die Öffentlichkeit getreten.

Bereits zweimal haben sie sich und ihre Schicksale einem größeren Publikum vorgestellt und dabei auch nicht vergessen, auf die Bedeutung der Krebsvorsorge hinzuweisen. Das erste Mal im Circolo Cittadino in Bozen, dessen Präsidentin Marica Carriere ist und das zweite Mal in Salurn, in Begleitung des Chores von Buchholz, dem eine von ihnen angehört. Am 2. Oktober letzten Jahres haben die „Zerzausten“ an der ersten Mini-Pink-Parade in Bozen teilgenommen, die in Zusammenarbeit mit der Veronesi-Stiftung organisiert worden ist und im kommenden Mai sind sie zu einem onkologischen Kongress eingeladen, um vor einem Ärzte-Publikum über ihre Erfahrungen zu berichten.

Was aber am Wichtigsten ist: Sie sind füreinander da. Egal ob es sich um Tipps handelt, wie man kleine und größere Probleme lösen kann, darum sich Mut in einem schwierigen Moment zuzusprechen, Probleme bei der Arbeit oder in der Familie mit jemandem zu teilen oder sich einfach nur guten Morgen zu wünschen oder einen gemeinsamen Spaziergang zu organisieren. „Niemand anderes als wir kann besser verstehen, warum uns plötzlich zum Weinen ist oder wann wir ein aufmunterndes Wort oder eine Strafpredigt brauchen.“ Denn auch das ist eine ungeschriebene Regel der Gruppe: es gibt keine Tabus. Sie sind die „Zerzausten“ und sie sind Marica, Antonella, Helga, Ivana, Ida, Silvia, Francesca, Lorena, Aurelia, Mariella, Laura, Anna und Loredana. Eine jede von ihnen bemerkenswert auf ihre Weise. Und sie teilen längst nicht mehr nur die Erfahrungen mit der Krankheit, sondern das Leben. Freundinnen fürs Leben!