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Das perfekte Zusammenspiel

Eine Operation ist Routine mit der Kontrolle einer Premiere
Fotos: Othmar Seehauser
Darüber geschrieben habe ich oft. Methoden, Techniken. Quadrantektomie oder Mastektomie. Rekonstruktion. Theoretisch war ich im Bilde, aber jetzt weiß ich, wie es wirklich ist im Operationssaal. Im Rahmen der Reportage über die Gynäkologie am Meraner Krankenhaus, war ich bei einer Mammakarzinom-Operation dabei.
Ein Blick in den Spiegel, die Mütze sitzt, ich binde mir den Mundschutz vor. Die Ohrringe? Kann ich sie anlassen oder nicht? Im Zweifel ziehe ich sie aus. Grüne Jacke, grüne Hose, grüne Haube, grüne Plastikschuhe. Ich bin bereit. Ein etwas mulmiges Gefühl habe ich schon. Noch nie habe ich bei einer Operation zugesehen. Ich beschließe, mich so nah wie möglich an die Tür zu stellen, damit ich sofort hinausgehen kann, sollte es mir schlecht werden. Schließlich will ich den Operationsablauf nicht stören. Hoffentlich kippe ich nicht um!

Während im OP die Patientin vorbereitet wird und der Anästhesist die Narkose setzt, erklärt Primar Dr. Herbert Heidegger mir im Vorraum die Operation. Auf einem Blatt Papier zeichnet er eine Skizze der Brust, wo der schon recht große Tumor sitzt und erklärt, wie er vorgehen wird.

Bei einer Tumoroperation kann im Gegensatz zu einer ästhetischen Operation der Schnitt nur in seltenen Fällen in der Hautfalte unter der Brust geführt werden. „Ich muss so nah wie möglich am Tumor schneiden, damit ich sicher bin, auch wirklich das ganze Tumorgewebe zu entfernen.“ Heidegger schaut sich vor jeder Operation bereits am Vortag noch einmal aufmerksam alle Röntgen- und Ultraschallaufnahmen an, studiert im Detail die Lage des Tumors. „Das ist schließlich keine Gallenblasen- oder Blinddarm-Op. Hier ist auch der ästhetische Aspekt von Bedeutung!“

In den vielen Jahren seiner Tätigkeit hat der Primar gelernt, sich in Frauen einzufühlen. „Die Brust ist eben nicht einfach nur Drüsengewebe. Damit ist das Selbstwertgefühl der Frau verbunden und deshalb heißt es entsprechend behutsam vorzugehen.“ Worauf er zum Beispiel besonders achtet, ist die Schnittführung. In der Nähe des Tumors ja, aber, wenn möglich doch so, dass das Dekolleté der Patientin narbenfrei bleibt. „Das sieht jeder und deshalb ist es sogar fast wichtiger als der Erhalt der Brustwarze“, erklärt er. Heidegger zeichnet genau ein, wo er schneiden wird. Einen Keil seitlich, Höhe Achselhöhle bis zur Brustwarze. Und so kann er danach auch gleich die Achselhöhle von befallenen Lymphknoten säubern.

Als ich in den OP trete, schläft die Patientin. Das OP-Team hat alles vorbereitet. Die Co-Operateurin Dr. Judith Holzner, der Anästhesist Dr. Matthias Bock, die OP-Schwestern Anna Rosa und Vicky. Bis auf das Operationsfeld ist alles mit sterilen Tüchern abgedeckt. Skalpelle, Pinzetten, Tupfer etc. bereitgelegt. Eine Krankenschwester hilft den beiden Operateuren in den sterilen Kittel und hält ihnen die sterilen Handschuhe zum Hineinstreifen hin. Die Tür hinter mir schließt sich. Ich habe mir den OP größer vorgestellt. Von meinem Platz an der Tür habe ich alles gut im Blick. Ich versuche hinter der für mich ungewohnten Maske tief durchzuatmen. Die Operation kann beginnen. Es wird noch einmal kontrolliert, ob die Daten der Patientin korrekt sind, um welche Brust es sich handelt. Heidegger zeichnet den Schnittverlauf auf die Brust. Dann setzt er das Skalpell an.

Die Atmosphäre ist ruhig und konzentriert. Alle Abläufe sind einstudiert und tausendfach wiederholt, jeder Handgriff sitzt, jeder ist an seinem Platz und weiß genau, was er zu tun hat. Der Anästhesist, der hinter dem Kopf der Patientin mit seinen Geräten sitzt. Die OP-Schwestern, die Ärztin, die Dr. Heidegger assistiert. Er schneidet. Ich bin ganz ruhig. Lasse meinen Blick vom OP-Tisch durch den Raum wandern.


Ein eingespieltes Team, jeder Handgriff sitzt!
Heidegger arbeitet sicher und konzentriert, ab und zu erklärt er, ohne von der Arbeit aufzuschauen, was er gerade macht. Behutsam, mit ruhiger Hand löst er mit dem Skalpell das Drüsengewebe Stück für Stück von der Haut. Dr. Judith Holzner hält den Retraktor, um ihm Platz zu geben. Mit leiser Stimme fragt er nach Strom, Tupfer, Pinzette, Skalpell. Eine Routinetätigkeit ja, aber mit der Sorgfalt eines ersten Males. Jede Patientin ist ein Sonderfall. Jede wird so operiert, wie es in ihrem spezifischen Fall am besten ist.

Geht es Frau Steiner? Fragt Dr. Heideg-ger. Ja. Ich bin ganz ruhig, folge konzentriert seinen Erklärungen. Beobachte den Operationsverlauf. Das perfekte Zusammenspiel des Operationsteams. Wie ein Medizinstudent, denke ich.

Es braucht seine Zeit, um das Gewebe sorgfältig von der Haut und dem darunterliegenden Muskelgewebe zu lösen. Als Dr. Heidegger fertig ist, wird das Drüsengewebe gewogen. Das Gewicht ist entscheidend für die Wahl der Größe des Implantats. Aber davor müssen noch die Lymphknoten der Achselhöhle kontrolliert und gegebenenfalls entfernt werden. Auch hier heißt es mit größter Sorgfalt vorzugehen, um nichts zu übersehen. Drüsengewebe und Lymphknoten werden anschließend präpariert, um sie an die Pathologie in Bozen weiterzureichen.

Nun heißt es, das Implantat auszusuchen. Primar Heidegger setzt ein Probe-Implantat ein, um zu testen, wie es passt. Mit den Fingern schließt er sorgfältig den Schnitt. Es scheint perfekt. Aber dann lässt er sich das Probeimplantat noch einmal reichen. Doch eine Nummer größer? Die Größen sind in 25 Gramm Stufen eingeteilt. Nein, so passt es.

Die beiden Operateure wechseln jetzt die Handschuhe, damit keine Krebszelle an das Implantat kommt. Die OP-Schwester löst das sterile Implantat aus der Verpackung, es wird in die Desinfektionslösung getaucht und Primar Heidegger setzt es vorsichtig an seinen Platz. Mit einem Tape, einem sogenannten Tübinger Gürtel, wird die Prothese in den ersten Wochen an der Stelle gehalten, damit es nicht nach oben verrutscht. Das Silikon ist von einer porösen Membran umschlossen, die der Kapselbildung vorbeugt und die bewirkt, dass das Silikon-Implantat gut einwächst.

Der Krebs ist entfernt, die Patientin wird mit einem Verband erwachen, unter dem sie eine Brust spüren kann. Für einen Monat wird sie einen BH tragen müssen, der garantiert, dass das Implantat an Ort und Stelle bleibt. Vor zwanzig Jahren denke ich, erwachten Frauen nach einem solchen Eingriff mit einer Leere, wo vorher ihre Brust war und mit einem Schnitt über die Hälfte ihres Oberkörpers. Neben Operation und Therapien mussten sie auch dieses Trauma bewältigen.

Die OP war für die mir unbekannte Patientin nur der Anfang. Die Chemotherapie wird folgen und ich wünsche ihr in Gedanken viel Kraft, um die Therapien gut zu überstehen und dass diese gut anschlagen.

Die Operation ist fast vorbei. Der Schnitt wird mit besonders feinen Fäden sorgfältig geschlossen. Heidegger gibt mir Zeichen, dass wir den OP verlassen. „Gratuliere Frau Steiner", sagt er und ich muss zugeben, ein klein wenig stolz bin ich schon auf mich. In Zukunft werde ich noch besser verstehen, worüber ich schreibe.

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Leben mit der alten schwarzen Dame

Claudia Rizzieri hatte zweimal Brustkrebs, mit 27 und mit 48
Claudia während ihrer zweiten Chemotherapie-Behandlung im Sommer 2015
Sie war 27, seit zwei Jahren verheiratet. Eines Morgens etwas Komisches in der linken Brust. Ein Knoten. Ein Ultraschall im Krankenhaus Meran. Kein Befund. Aber die Unruhe bleibt. Ungewohnte Müdigkeit. Einen Monat später in Bozen eine Mammographie, negativ, aber der Ultraschall ist verdächtig. Die Ärztin ordnet sofort eine Biopsie an. Diagnose: Brustkrebs. Das war 1992. Im Mai 2015 wieder ein Knoten. Rechts.
Klein und zierlich ist sie, mit der starken Stimme einer Riesin. Durchtrainiert, kurzer burschikoser Haarschnitt, zwei strahlendblaue Augen. Sie lacht gerne und oft. Claudia Rizzieri hat sich zweimal in ihrem Leben dem Krebs stellen müssen. Bei der ersten Diagnose, erinnert sie sich, wusste sie gar nichts über diese Krankheit. Ein Problem, das ältere Menschen betrifft, dachte sie, mich doch nicht! Und dann der Schock der Diagnose. „Wie gelähmt war ich“, erinnert sie sich. „An das Ausmaß dieser Diagnose dachte ich allerdings nicht. Ich war mir nicht im Klaren, wie schlimm das eigentlich war, zumal in so jungem Alter.“ Ihr damaliger Mann hingegen war im Bild. Ein Tumor von 1 cm Größe, drei Lymphknoten im Arm bereits positiv... Er wusste, was das hätte bedeuten können. Bei Claudia kam die Angst erst viel später. Beim zweiten Mal.

Claudia hat einen Namen und ein Bild für die Angst. Die alte schwarze Dame. Das hilft ihr, sie in ihre Grenzen zu weisen. Sie hat in langem Ringen gelernt, mit ihr zusammenzuleben.

Die erste Therapie hat Claudia, die damals bereits als Deutschlehrerin an einer italienischen Oberschule arbeitete, gut vertragen und auch sofort darauf angesprochen. Ihr Körper war jung und von der Leichtathletik gestählt. Sie gab sich kämpferisch, ging sogar arbeiten während der Chemotherapie. Am Internationalen Krebsinstitut in Mailand war eigens für sie ein neues Protokoll zusammengestellt worden. „Eine hochdosierte Bombe, wie man sie damals in Bozen noch nicht kannte und die anschließend von der Onkologie übernommen worden ist.“

Ein Schock war hingegen die Operation. Umberto Veronesi hatte die Quadrantektomie am europäischen Krebsinstitut zwar schon in den siebziger Jahren entwickelt, aber in den wenigsten Krankenhäusern wurde sie schon angewendet. Die rechte Brust wurde ihr radikal amputiert. Statt eines sofortigen Aufbaus wie heute üblich, bekam sie zunächst einen Expander eingesetzt. „Schrecklich war das, ein Ballon, viel größer als meine eigene Brust.“ Da fragte sie sich das erste Mal, „Warum muss mir das passieren“?!

Zum eigentlichen Brustaufbau mussten die Südtiroler Patientinnen damals noch nach Verona. Das Ergebnis war besser als der Expander, aber alles andere als ästhetisch. Der dortige Arzt sagte ihr, dass viele junge Frauen aus Bozen mit Brustkrebs in Behandlung seien. Vielleicht Cernobyl? Damals klang das plausibel für sie und einmal aus dem Kreislauf der Therapien heraus, fragte sie sich nicht mehr nach dem Warum. Heute weiß sie, dass sie genetisch vorbelastet ist. Damals wollte sie nur vergessen, oder besser verdrängen! Onko-Psychologie? Nein, sagt Claudia, „das kam für mich damals nicht in Frage. Ich wollte nichts mehr mit diesem Thema zu tun haben, habe dichtgemacht. Heute weiß ich, dass es falsch war, dass ich das gestörte Verhältnis zu meinem Körper nicht aufgearbeitet habe.“

Um nicht an ihre Brust zu denken, konzentrierte sie sich auf den Rest ihres Körpers, begann wieder mit dem Leistungssport, Halbmarathon und Skilanglauf und nach einigen Jahren auch Yoga, um sich selbst zu beweisen, dass sie gesund sei, dass ihr Köper perfekt funktionierte. Sport als Mittel gegen die Angst, die Weiblichkeit verdrängt. Dieses Rezept ging für zwanzig Jahre gut. Jedes Jahr regelmäßig zu Mammographie und Ultraschall und dann war das Thema wieder abgehakt. „Ich dachte, ich krieg das nie wieder!“

Aber dann im Mai 2015 begann alles wieder von vorne. „Wie in einem Alptraum. Ich kannte diese Szene: Gleicher Ort, gleicher Arzt, gleiche Worte. - Wir werden vorsorglich eine Biopsie durchführen. - Das hatte ich genau so schon gehört!“ Und gleiches Ergebnis: Positiv. Dieses Mal wird auch ein Gentest durchgeführt. Er ist positiv. Die Ärzte raten auch zur prophylaktischen Entfernung der Eierstöcke.

Claudia Rizzieri macht eine Pause. „Vielleicht bekommt wer das jetzt liest Angst… Beim zweiten Mal war alles viel schlimmer. Die Chemotherapie, die OP. Ich hatte weniger mit Übelkeit zu kämpfen als das erste Mal, weil es heute Mittel gibt dagegen, das stimmt. Aber ich habe mich viel schwächer gefühlt. Ich fühlte das Gift in meinem Körper, in jedem meiner Muskel. Wahrscheinlich auch,weil ich darauf fixiert war und ständig in mich hineinhorchte. Auch meine Einstellung war ganz anders. Panik total.“ Und Leitmotiv Angst. Angst begleitete sie für viele Monate. Und im Unterschied zur ersten Erkrankung war sie zum Zeitpunkt der zweiten Diagnose und Therapie Single. Allein!

Aber dieses Mal nahm sie Hilfestellungen an. Sie machte eine Onko-Psychotherapie und nahm Antidepressiva gegen die Angst. „Ich war so schwach, war ganz am Boden. Ich dachte, ich erhole mich nie. Und dann war ich ohne Partner. Ich dachte, wer will mich noch nach einer zweiten Mastektomie?“ Durch jahrelanges intensives Yogatraining, seit 2011 ist sie auch Yogalehrerin, hat Claudia Rizzieri ein absolutes Körpergefühl. „Das war in Bezug auf die Krankheit nicht unbedingt ein Vorteil. Ich spürte Dinge in meinem Körper, die andere vielleicht gar nicht wahrnehmen.“

Claudia lacht. „Mein Körper ist ein Bild für die Entwicklung der Krebstherapie in den letzten 22 Jahren. 1992 wurde noch nicht auf die Ästhetik geachtet oder Rücksicht auf das Dekolletee genommen.“ Weg damit, und wie eine Frau das seelisch verkraftet war Nebensache. Bei der zweiten Operation, trotz der kleinen Dimension des Tumors aufgrund der genetischen Veranlagung ebenfalls eine Mastektomie, wurde direkt nach der Entfernung des Brustgewebes von einem plastischen Chirurgen ein Brustaufbau vorgenommen.

Seither sind eineinhalb Jahre vergangen. Claudia hat mittlerweile alle Therapien beendet. Sie hat ihre Kräfte wiedergewonnen, das Vertrauen in ihren Körper kehrt schrittweise zurück. Sie hat begonnen, wieder Sport zu treiben und wandern zu gehen. Aber ohne Stress. Ihr Körper muss nicht mehr als Ersatz für eine gestörte Beziehung zu sich selbst, zum eigenen Frausein herhalten. Claudia hört auf ihren Körper, verlangt ihm nicht mehr ab, als er geben möchte. Und es geht ihr gut dabei. Sie hat gelernt, sich mitzuteilen. Gelernt auch über ihre Ängste zu reden. Und ihre Hoffnungen. Sie ist zuversichtlich. Sie ist glücklich. Und sie hat wieder einen Partner an ihrer Seite. „Einen Mann, der intelligent und sensibel ist, der mich liebt und nicht meinen Busen, einen Mann, der mir sagt, dass ich mich nicht zu verstecken brauche, dass ich keine Berührungsängste haben muss und der mich schön findet, so wie ich bin.“

Claudia schaut mir in die Augen. „Ich hatte Pech, bin vom Krebs gezeichnet, aber vielleicht bin ich dadurch als Mensch sensibler und mitfühlender geworden.“ Heute steht sie bewusst im Leben. Die alte schwarze Dame ist im Augenblick noch sehr präsent. „Aber immer weniger und ich habe gelernt, ihre Anwesenheit zu schätzen. Sie erschreckt mich zwar noch manchmal, aber sie gibt mir auch zu verstehen, dass das Leben schön ist und dass ich es leben soll, ohne es zu verschwenden. Und am Morgen schaue ich ihr in die Augen und sage: Guten Morgen“.