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„Ich bin der Schatten der Patientin“

Sonja Thuille ist Breastnurse am Brustgesundheitszentrum Meran
Foto: Othmar Seehauser
Sie ist von A bis Z dabei, der wichtigste Bezugspunkt der Patientinnen, Vermittlerin zwischen Arzt und Patientin. Ratgeberin, Ruhepunkt und Schulter. Ihr Arbeitsplatz ist zwischen Ambulanz, Brustgesundheitszentrum und Abteilung.
Immer wieder klopft es an die Tür. Ruhige Minuten während der Arbeitszeit kennt Sonja Thuille nicht. Wenn sie keine Patientinnen in ihrem Büro empfängt, ist sie unterwegs. Seit 2011 ist sie die Breastnurse der Gynäkologie Meran, eine Aufgabe, die allein nicht leicht zu bewerkstelligen ist. Eine zweite Breastnurse für Meran ist gerade in Ausbildung. Voraussetzung für die die Teilnahme an der Schulung zur Breastnurse sind zwei Jahre Tätigkeit auf einer gynäkologischen Abteilung. Neben den medizinisch-technischen Kenntnissen sind es vor allem psychologisches Einfühlungsvermögen und Empathie, die eine Breastnurse auszeichnen. Die Brust ist schließlich nicht nur irgendein Organ, mit ihr hängt das Selbstwertgefühl der Frau zusammen, in ihr sitzt die Seele der Frau.
„Wir sind sozusagen der erste Kontakt der Patientin, wenn Mammographie oder Ultraschall einen verdächtigen Befund ergeben haben und schon bei der Biopsie dabei.“ Ist der Befund positiv, begleitet die Breastnurse die Patientin zum Primar.
„Die Frauen sind beim ersten Gespräch mit dem Primar meist sehr aufgeregt und stehen nach der Diagnose unter Schock. Deshalb ist es wichtig, dass ich dabei bin, weil ich ihr dann am Tag danach noch einmal alles erklären kann. Den Therapieablauf, den Unterschied zwischen Hormon- und Chemotherapie, den Schweregrad usw.“
Zeit, bzw. zu wenig Zeit ist das größte Problem der Breastnurse. Sonja Thuille ist, wie sie selbst sagt, der Schatten der Patientin. Begleitet sie überallhin. Nimmt den Verbandswechsel vor, füllt Expander nach, steht für jegliche Fragen, die etwas mit Brust zu tun haben, zur Verfügung. Nimmt am Tumorboard teil. Betreut die Patientinnen nach der Operation, passt den BH an… Sie hört den Frauen zu, lässt sie weinen, tröstet und beruhigt sie. „Es ist nicht leicht, sich neben den akuten Fällen und der Betreuung noch genügend Zeit herauszuschneiden, um auch die Patientinnen während der Chemotherapie entsprechend zu begleiten“, bedauert Sonja Thuille und zählt insgeheim die Wochen bis ihre Kollegin mit der Ausbildung fertig ist!
„Es braucht Erfahrung, Beobachtungsgabe, Intuition, auch um zu verstehen, was die Frauen sagen und was sie nicht sagen.“ Gerade Gespräche mit jungen Frauen sind oft sehr belastend. Bei ihnen kommen zu den Problemen mit der Krankheit, die Sorgen um Kinder und Familie, die Arbeitsstelle usw. hinzu. „Aber so schlecht es ihnen auch geht, meinen Patientinnen“, sagt Sonja Thuille, „aus diesen Gesprächen, aus ihrem Willen, kann ich meine Kraft schöpfen!“

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Das perfekte Zusammenspiel

Eine Operation ist Routine mit der Kontrolle einer Premiere
Fotos: Othmar Seehauser
Darüber geschrieben habe ich oft. Methoden, Techniken. Quadrantektomie oder Mastektomie. Rekonstruktion. Theoretisch war ich im Bilde, aber jetzt weiß ich, wie es wirklich ist im Operationssaal. Im Rahmen der Reportage über die Gynäkologie am Meraner Krankenhaus, war ich bei einer Mammakarzinom-Operation dabei.
Ein Blick in den Spiegel, die Mütze sitzt, ich binde mir den Mundschutz vor. Die Ohrringe? Kann ich sie anlassen oder nicht? Im Zweifel ziehe ich sie aus. Grüne Jacke, grüne Hose, grüne Haube, grüne Plastikschuhe. Ich bin bereit. Ein etwas mulmiges Gefühl habe ich schon. Noch nie habe ich bei einer Operation zugesehen. Ich beschließe, mich so nah wie möglich an die Tür zu stellen, damit ich sofort hinausgehen kann, sollte es mir schlecht werden. Schließlich will ich den Operationsablauf nicht stören. Hoffentlich kippe ich nicht um!

Während im OP die Patientin vorbereitet wird und der Anästhesist die Narkose setzt, erklärt Primar Dr. Herbert Heidegger mir im Vorraum die Operation. Auf einem Blatt Papier zeichnet er eine Skizze der Brust, wo der schon recht große Tumor sitzt und erklärt, wie er vorgehen wird.

Bei einer Tumoroperation kann im Gegensatz zu einer ästhetischen Operation der Schnitt nur in seltenen Fällen in der Hautfalte unter der Brust geführt werden. „Ich muss so nah wie möglich am Tumor schneiden, damit ich sicher bin, auch wirklich das ganze Tumorgewebe zu entfernen.“ Heidegger schaut sich vor jeder Operation bereits am Vortag noch einmal aufmerksam alle Röntgen- und Ultraschallaufnahmen an, studiert im Detail die Lage des Tumors. „Das ist schließlich keine Gallenblasen- oder Blinddarm-Op. Hier ist auch der ästhetische Aspekt von Bedeutung!“

In den vielen Jahren seiner Tätigkeit hat der Primar gelernt, sich in Frauen einzufühlen. „Die Brust ist eben nicht einfach nur Drüsengewebe. Damit ist das Selbstwertgefühl der Frau verbunden und deshalb heißt es entsprechend behutsam vorzugehen.“ Worauf er zum Beispiel besonders achtet, ist die Schnittführung. In der Nähe des Tumors ja, aber, wenn möglich doch so, dass das Dekolleté der Patientin narbenfrei bleibt. „Das sieht jeder und deshalb ist es sogar fast wichtiger als der Erhalt der Brustwarze“, erklärt er. Heidegger zeichnet genau ein, wo er schneiden wird. Einen Keil seitlich, Höhe Achselhöhle bis zur Brustwarze. Und so kann er danach auch gleich die Achselhöhle von befallenen Lymphknoten säubern.

Als ich in den OP trete, schläft die Patientin. Das OP-Team hat alles vorbereitet. Die Co-Operateurin Dr. Judith Holzner, der Anästhesist Dr. Matthias Bock, die OP-Schwestern Anna Rosa und Vicky. Bis auf das Operationsfeld ist alles mit sterilen Tüchern abgedeckt. Skalpelle, Pinzetten, Tupfer etc. bereitgelegt. Eine Krankenschwester hilft den beiden Operateuren in den sterilen Kittel und hält ihnen die sterilen Handschuhe zum Hineinstreifen hin. Die Tür hinter mir schließt sich. Ich habe mir den OP größer vorgestellt. Von meinem Platz an der Tür habe ich alles gut im Blick. Ich versuche hinter der für mich ungewohnten Maske tief durchzuatmen. Die Operation kann beginnen. Es wird noch einmal kontrolliert, ob die Daten der Patientin korrekt sind, um welche Brust es sich handelt. Heidegger zeichnet den Schnittverlauf auf die Brust. Dann setzt er das Skalpell an.

Die Atmosphäre ist ruhig und konzentriert. Alle Abläufe sind einstudiert und tausendfach wiederholt, jeder Handgriff sitzt, jeder ist an seinem Platz und weiß genau, was er zu tun hat. Der Anästhesist, der hinter dem Kopf der Patientin mit seinen Geräten sitzt. Die OP-Schwestern, die Ärztin, die Dr. Heidegger assistiert. Er schneidet. Ich bin ganz ruhig. Lasse meinen Blick vom OP-Tisch durch den Raum wandern.


Ein eingespieltes Team, jeder Handgriff sitzt!
Heidegger arbeitet sicher und konzentriert, ab und zu erklärt er, ohne von der Arbeit aufzuschauen, was er gerade macht. Behutsam, mit ruhiger Hand löst er mit dem Skalpell das Drüsengewebe Stück für Stück von der Haut. Dr. Judith Holzner hält den Retraktor, um ihm Platz zu geben. Mit leiser Stimme fragt er nach Strom, Tupfer, Pinzette, Skalpell. Eine Routinetätigkeit ja, aber mit der Sorgfalt eines ersten Males. Jede Patientin ist ein Sonderfall. Jede wird so operiert, wie es in ihrem spezifischen Fall am besten ist.

Geht es Frau Steiner? Fragt Dr. Heideg-ger. Ja. Ich bin ganz ruhig, folge konzentriert seinen Erklärungen. Beobachte den Operationsverlauf. Das perfekte Zusammenspiel des Operationsteams. Wie ein Medizinstudent, denke ich.

Es braucht seine Zeit, um das Gewebe sorgfältig von der Haut und dem darunterliegenden Muskelgewebe zu lösen. Als Dr. Heidegger fertig ist, wird das Drüsengewebe gewogen. Das Gewicht ist entscheidend für die Wahl der Größe des Implantats. Aber davor müssen noch die Lymphknoten der Achselhöhle kontrolliert und gegebenenfalls entfernt werden. Auch hier heißt es mit größter Sorgfalt vorzugehen, um nichts zu übersehen. Drüsengewebe und Lymphknoten werden anschließend präpariert, um sie an die Pathologie in Bozen weiterzureichen.

Nun heißt es, das Implantat auszusuchen. Primar Heidegger setzt ein Probe-Implantat ein, um zu testen, wie es passt. Mit den Fingern schließt er sorgfältig den Schnitt. Es scheint perfekt. Aber dann lässt er sich das Probeimplantat noch einmal reichen. Doch eine Nummer größer? Die Größen sind in 25 Gramm Stufen eingeteilt. Nein, so passt es.

Die beiden Operateure wechseln jetzt die Handschuhe, damit keine Krebszelle an das Implantat kommt. Die OP-Schwester löst das sterile Implantat aus der Verpackung, es wird in die Desinfektionslösung getaucht und Primar Heidegger setzt es vorsichtig an seinen Platz. Mit einem Tape, einem sogenannten Tübinger Gürtel, wird die Prothese in den ersten Wochen an der Stelle gehalten, damit es nicht nach oben verrutscht. Das Silikon ist von einer porösen Membran umschlossen, die der Kapselbildung vorbeugt und die bewirkt, dass das Silikon-Implantat gut einwächst.

Der Krebs ist entfernt, die Patientin wird mit einem Verband erwachen, unter dem sie eine Brust spüren kann. Für einen Monat wird sie einen BH tragen müssen, der garantiert, dass das Implantat an Ort und Stelle bleibt. Vor zwanzig Jahren denke ich, erwachten Frauen nach einem solchen Eingriff mit einer Leere, wo vorher ihre Brust war und mit einem Schnitt über die Hälfte ihres Oberkörpers. Neben Operation und Therapien mussten sie auch dieses Trauma bewältigen.

Die OP war für die mir unbekannte Patientin nur der Anfang. Die Chemotherapie wird folgen und ich wünsche ihr in Gedanken viel Kraft, um die Therapien gut zu überstehen und dass diese gut anschlagen.

Die Operation ist fast vorbei. Der Schnitt wird mit besonders feinen Fäden sorgfältig geschlossen. Heidegger gibt mir Zeichen, dass wir den OP verlassen. „Gratuliere Frau Steiner", sagt er und ich muss zugeben, ein klein wenig stolz bin ich schon auf mich. In Zukunft werde ich noch besser verstehen, worüber ich schreibe.