Hospiz und Palliative Care

Noch einen Baum pflanzen

Imam und Arzt, Dr. Aboulkheir Breigheche
In unserer Region leben viele Menschen islamischen Glaubens. Im Islam ist Hoffnung die wichtigste Gabe, um auch schweren Schicksalsschlägen zu begegnen. Dies kommt auch in der Beziehung zu kranken Menschen zu tragen.
Im Koran heißt es: Wenn du morgen sterben musst, pflanze noch einen Baum, damit er Früchte trage und die Menschen erfreue. Mit dieser Einstellung der Kontinuität des Lebens begegnet der Imam der islamischen Gemeinschaft Trentino Südtirols, Aboulkheir Breigheche, den Kranken.
Breigheche ist auch Hausarztin Mezzocorona. “Wenn ich Kranke in meiner Eigenschaft als Imam besuche, spreche ich zu ihnen von schönen Dingen, Dinge, die Hoffnung wecken und die den Schmerz und das Leid vergessen helfen.” Der Imam scheut sich allerdings nicht, auch das Thema des Sterbens anzuschneiden. Aber immer im Sinnevon Hoffnung, eines Übergangs. „Es ist Teil des Lebens, Teil der Existenz aller Kreaturen und es kann einen zu jedem Zeitpunkt des Lebens treffen.“
Islamische Gläubige bereiten sich eigentlich ein Leben lang auf den Tod vor. Im positiven Sinn, erklärt Dr. Breigheche. „Die Angst vor dem Tod ist nur allzu menschlich. Für uns besteht das Leben aus drei Phasen: den neun Monaten im Mutterleib, aus dem man weinend austritt, weil man sich der Herausforderung des Lebens stellen muss. Das eigentliche Leben ist die zweite Phase“, erklärt Imam Aboulkheir Breigheche.
„Die dritte Phaseschließlich ist die Hoffnung, dass uns dank der Gnade Gottes das ewige Leben erwartet, wenn wir es uns in unserem Leben mit guten Taten vorbereitet haben.“

Hospiz und Palliative Care

Der Schmerz so tief in mir

Martina Torggler hat im August 2012 ihren Bruder Markus verloren
Es gibt Menschen, die bringen die Sonne mit ins Leben und lassen Wärme zurück, wenn sie gehen. Markus Torggler war so ein Mensch und dieser Satz stand neben seinem Totenbild. Am 26. August, knapp einen Monat vor seinem 52. Geburtstag ist Markus Torggler nach nur zwei Monaten Krankheit gestorben.
Markus war das dritte Kind und einziger Bruder von drei Schwestern, Theresia, Martina und Philomena, allen drei war er auf´s Innigste verbunden. Mit Martina, die nur wenig älter als er selbst war, verband ihn ein ganz besonderes Verhältnis. „Wir waren ein Herz und eine Seele“, sagt Martina und an manchen Tagen weiß sie nicht, wie sie diesen Schmerz so tief in ihr überwinden soll. „Es ist, wie wenn ein Stückvon mir weg wäre, ich fühle mich innerlich gelähmt.“ Um schlafen zu können, muss sie Tabletten nehmen. Ein Psychologe hilft ihr dabei, die Trauer zu leben und den Verlust zu überwinden.
Sie hat jeden Moment der Krankheit ihres Bruders miterlebt und hat bis zum letzten Moment, bis drei Tage vor seinem Tod, die Hoffnung nicht aufgeben wollen. Nach den vernichtenden Diagnosen vom Krankenhaus Brixen und Bozen, kontaktierte sie Klinik über Klinik, München, Mailand… suchte im Internet nach immer neuen Therapien, immer neuer Hoffnung.
„Er hatte fast bis zum Schluss dieses ihm so eigene Strahlen. Ich konnte einfach nicht glauben, dass es keine Hoffnung geben sollte.“ Ein Strahlen, das selbst auf den Fotos von Markus Torggler erkennbar bleibt. Ein ganz besonderer Mensch.
Noch drei Tage vor seinem Tod war sie mit ihm in der Klinik von Aviano bei Pordenone. Aber schon nach einer Stunde wurden sie wieder nachhause geschickt. Hoffnungslos. „Nicht einmal die Nacht über wollten sie ihn dabehalten. Ich glaube, da habe ich mich ergeben, da habe ich erkannt, dass es wirklich vorbei ist.“
Was für sie am schlimmsten ist: „Mein Bruder hat nicht gelebt. Das heißt, er hat nur für andere gelebt.“ Vor allem für seine drei Töchter Vivien (19), Natalie (21) und Tamara (23), die er nach dem Weggehen seiner Frau vor mehr als zehn Jahren alleine großgezogen hat. „Sie hätten keine bessere Mutter haben können, als meinen Bruder.“ Aber der Preis war hoch. Der selbständige Montage-Tischler arbeitete pausenlos, um seinen Töchtern alles bieten zu können und wenn er nicht arbeitete, dann war er für sie da. Er selbst, seine Hobbys, seine Musik, die Gitarre, die er über alles liebte, ein Privatleben – dafür blieb ihm kaum Zeit. Seine Freundin Rosi akzeptierte diese absolute Hingabe an seine Töchter. Auch sie weiß heute nicht, wie die Leere füllen, die Markus hinterlassen hat.
Als er im Juni nach einer Woche Bauchschmerzen für einen Ultraschall ins Krankenhaus kam und die Diagnose hörte, fiel er aus allen Wolken. „Er hatte nie etwas gehabt, es ging ihm gut und er sah blendend aus. Voller Leben.“ Eine dreifach vergrößerte Leber, voller Metastasen. „Sie fragten ihn, wie viel er trinke, das hat ihm wehgetan.“ Markus Torggler trank keinen Alkohol, er rauchte nicht, er hatte nur ein einziges Laster: zu viel Arbeiten, zu gewissenhaft und zu pflichtbewusst zu sein.
DerKrebs selbst saß im Dickdarm. Auch in der Lunge hatte er bereits gestreut. Eine hoffnungslose Diagnose, der er aber voll Lebensmut entgegentrat. „Während der Chemotherapie im Krankenhaus erzählte er mir immer, wie gut es ihm ginge. Wie er es genießen würde, sich ausruhen zu können. Die Spaziergänge am Nachmittag im Park. Das nicht an die Arbeit denken müssen...“
Martina hat ihrem Bruder alles abgenommen, sie wollte, dass die Alltagslasten ihn nicht von seiner Heilung ablenkten. Er hat alles mit großer Dankbarkeit angenommen. „Auch wenn ich ihm jeden Tag wiederholt habe, dass es doch selbstverständlich sei. Jeden Tag, wenn ich mich verabschiedete, rief er mir Danke nach.“
Was sie sehr beeindruckt hat, war der Beistand der Freunde. „Mein Bruder hatte immer Besuch im Krankenhaus, alle dachten an ihn, zeigten ihm ihre Verbundenheit.“ Auch an der Beerdigung nahmen unzählige Menschen teil. Freunde, Bekannte, Kunden. Menschen, die Markus Torggler geschätzt hatten und ihm die letzte Ehre erweisen wollten. „Auch vom Landhaus 5 in Bozen, wo ich arbeite, kamen viele, Vorgesetzte und Kollegen.“ Martina hätte nie gedacht, wie tröstlich diese Anteilnahme sein kann.
Sechs Wochen nach dem frühen Tod ihres Bruders (zum Zeitpunkt unseres Gesprächs, Anm. d. Red.) fühlt sich Martina immer noch benommen. In manchen Augenblicken, kann sie es noch nicht fassen, will es nicht wahrhaben. Sie sucht Trost in der Natur, im Wald. Und sie hat angefangen über ihr eigenes Leben nachzudenken. „Ich glaube, das bin ich meinem Bruder Markus schuldig. Ich möchte nicht so sterben wie er, ohne gelebt zu haben. Ich möchte auch für ihn leben. Vieles in meinem Leben sehe ich jetzt in einem anderen Licht. Die kleinen Dinge, die das Leben bereichern. Nicht das, was wir haben ist wichtig, sondern das, was wir erleben, was wir fühlen. Auf seine eigenen Bedürfnisse hören.“
Und vor allem eines hat sie verstanden. Das letzte Geschenk ihres Bruders: den unendlichen Wert der Zeit.
Markus Torggler im Mai 2012 mit seiner Freundin Rosi
Markus Torggler im Mai 2012 mit seiner Freundin Rosi
Erinnerungsfoto zum 50. mit den Schwestern Theresia, Martina und Philomena

Erinnerungsfoto zum 50. mit den Schwestern Theresia, Martina und Philomena