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Der Primar spielt nicht die erste Geige…

….sondern Fagott – Primar Manfred Mitterer – Musik und Medizin
Musik war seine erste Liebe, vor der Medizin. Und heute antwortet er auf die Frage, was Musik ihm ist: „Alles“. Dr. Manfred Mitterer, Primar der zentralen internistischen Tagesklinik am Krankenhaus Meran, ist auch ein begabter Musiker.
Sein Instrument ist das Fagott, er hat zusammen mit Freunden ein Ensemble gegründet, Philomousia, das sich in unterschiedlichster Formation, vom Trio über Quintett und Oktett bis hin zum elfköpfigen Ensemble, präsentiert. Bei den 3. Brunecker Krebsgesprächen hat er als Musiker die Bühne des UFO betreten, nicht als Arzt. Außerdem ist er Mitglied des World Doctors Orchestra. Dass er nach mehr als einem Jahrzehnt Pause wieder begonnen hat zu spielen, verdankt Manfred Mitterer seinen Kindern.
Leidenschaftlich Arzt und begabter Musiker
Chance: Wie sind Sie zur Musik gekommen?
Dr. Manfred Mitterer: Wie so viele andere Südtiroler auch besuchte ich Kurse zur musikalischen Früherziehung, lernte die Orff-Instrumente kennen und sang im Chor. Kurze Zeit später folgte Blockflötenunterricht und schließlich wechselte ich zu Querflöte …
Chance: …die sie dann aber aufgegeben haben.
Dr. Manfred Mitterer: Um als Querflötist in einem Orchester mitwirken zu können, muss man aufgrund der großen Konkurrenz wirklich exzellent sein, um eine Chance zu haben. Daher begab ich mich zu Beginn meines Medizinstudiums, als die Zeit zum Üben zunehmend knapper wurde, auf die Suche nach einem etwas ausgefalleneren Instrument. das mir aber durchaus die Möglichkeit bot, nicht nur daheim für mich allein zu musizieren, sondern auch in Ensembles und im Orchester zu spielen.
Chance: Und während des doch sehr zweitaufwändigen Medizinstudiums konnten sie ihre Musikstudien fortsetzen?
Dr. Manfred Mitterer: Ich hatte das große Glück von Prof.Heinrich Gies unterrichtet zu werden, und zwar um 6 Uhr früh, sodass es keine Zeitüberschneidungen mit Vorlesungen, Seminaren und Kursen an der Universität gab. Dank dieser Ausbildung konnte ich schon bald im Universitätsorchester in Innsbruck und später in Wien mitspielen.
Chance: Und als sie dann angefangen haben zu arbeiten?
Dr. Manfred Mitterer: Nun ja, bis zur Habilitation habe ich es noch geschafft, Zeit für die Musik zu finden. Dann war es damit erst einmal vorbei. Neben meiner Vorlesungstätigkeit, meiner Bestellung zum Primar und damit einhergehend dem Aufbau einer Abteilung sowie familiären Verpflichtungen war die Zeit zu knapp. Ich habe das Fagott für insgesamt zwölf Jahre zur Seite gelegt und nicht mehr gespielt.
Chance: Und wie kam es, dass sie es dann wieder hervorgeholt haben?
Dr. Manfred Mitterer: Der Grund hierfür ist ganz simpel. Meine Kinder besuchten allesamt die Musikschule; wie so häufig war die Lust zum regelmäßigen Üben aber nicht allzu groß. Da bekanntlich das eigene Handeln das beste Beispiel ist, holte ich mein Fagott wieder hervor: Wir motivierten uns quasi gegenseitig. Auch wenn meine Kinder mich bald überholt hatten, ich hatte die Freude an meiner Musik wiedergefunden.
Chance: Sie haben vier Kinder. Alle musikalisch?
Dr. Manfred Mitterer: Musik war in unserer Familie immer wichtig. Alle vier spielen ein Instrument. Meine Töchter Geige und Bratsche, meine Söhne Cello. Der Älteste hat Musik zu seinem Beruf gemacht, er arbeitet derzeit als Substitut bei den Wiener Symphonikern.
Chance: Zurück zu Ihnen. Sie haben zusammen mit anderen Hobbymusikern das Ensemble Philomousia gegründet.
Dr. Manfred Mitterer: Wir geben im Jahr drei bis vier Konzerte und haben seit 2013 mit Othmar Trenner auch einen professionellen Dirigenten. Wir haben alle eine solide Musikausbildung genossen, beruflich sind wir in unterschiedlichsten Bereichen tätig. Außer mir noch ein weiterer Arzt, zwei Biologen, eine Personalchefin, ein Expertin für mittelalterliche Handschriften, ein Biobauer und Weinhändler...
Chance: Und ihr Repertoire?
Dr. Manfred Mitterer: Wir spielen viele Originalwerke sowie Bearbeitungen von Werken Beethovens, Haydn oder Mozart, die zwischen 1750 und 1850 für kleinere Ensembles umgeschrieben worden sind, die an den Höfen des niederen Adels auftraten.
Chance: Sie spielen aber auch in einem großen Orchester?
Dr. Manfred Mitterer: Seit 2011 gehöre ich dem World Doctors Orchestra an. Das Orchester gibt drei Konzerte im Jahr, in Europa, USA, Südafrika oder Asien, die Musiker treffen sich jeweils eine Woche vorher, um gemeinsam zu proben. Sämtliche Spesen werden von den Musikern selbst getragen, der Erlös der Konzerte kommt jeweils einem Projekt zugute. Zum Beispiel haben wir ein Boot für die ärztliche Versorgung der Landbevölkerung in entlegenen Gegenden Afrikas damit finanziert. Ich habe schon sechs oder sieben Mal mitgespielt. Das sind dann immer die ganz großen Werke, Sinfonien von Bruckner oder Mahler… Und immer in ganz großen Häusern…
Chance: Zum Beispiel?
Dr. Manfred Mitterer: Ich habe schon zweimal mit dem WDO in der Berliner Philharmonie gespielt. Das war auch emotional schon etwas ganz Besonderes! Einmal traten wir im Stephansdom in Wien zusammen mit den Wiener Sängerknaben auf. Die Es-Dur Messe von Schubert. Ich spielte das erste Fagott. Als der Sopran, ein zehnjähriger Knabe, beim Credo anfing zu singen, war ich so gebannt von dieser kristallklaren, engelsgleichen Stimme, dass ich mich umdrehte, um ihn anzuschauen und habe glatt meinen Einsatz verpasst… Zum Glück war es nur die Generalprobe.
Chance: Wie oft kommen sie zum Spielen? Musik ist sicher ein guter Ausgleich für ihre Arbeit. Die Verantwortung als Primar für die Onkologische Tagesklinik, die psychologische Belastung…
Dr. Manfred Mitterer: Vor Konzerten übe ich jeden Tag eine Stunde, aber das geht natürlich nicht immer. Sagen wir im Schnitt an vier Tagen in der Woche. Und ja, Sie haben recht. Musik ist ein optimaler Ausgleich. Wenn man durch die Musik die Zeit für Muße findet, dann tritt wirklich alles andere für diesen Moment in den Hintergrund. Man kann sich regenerieren. Ich sehe auch viele Parallelen zwischen meiner Arbeit als Primar und meiner Tätigkeit im Orchester.
Chance: In welcher Hinsicht?
Dr. Manfred Mitterer: Sehen Sie, im Ensemble, spiele ich Kontrafagott, die Basslinie, das ist ein Instrument, das nie solo spielt, aber es gibt die Klangfarbe und den Rhythmus vor. Es trägt aber wesentlich zum guten Gelingen bei, indem es ein gutes Fundament bietet.
Chance: Und Sie geben Takt und Rhythmus in der Abteilung vor?
Dr. Manfred Mitterer: Genau. Als Primar bin ich ja nicht die erste Geige. Ich bin primus inter pares. An meiner Abteilung arbeiten acht Fachärzt/innen. Alle top ausgebildet und absolut kompetent. Ich mische mich nicht in ihre Entscheidungen ein, aber es liegt an mir, eine Basis für ein gutes Miteinander zu garantieren und bestmögliche Voraussetzungen für ein optimales Arbeiten zu schaffen.

Kommentar

Liebe Leserinnen und Leser

Nicole Dominique Steiner
Wo beginnen? Die Ereignisse haben sich überschlagen in den letzten Tagen. Nachrichten über Nachrichten aus den Medien. Zahlen, die ohne Unterlass wachsen, Freiheiten, die eingeschränkt werden. Es ist Sonntag, 15. März. Ein erster Frühlingstag. Sonne, einige Wolken, Forsythien und Magnolien in voller Blüte. Je nach Schatten oder Sonne milde oder noch empfindlich beißende Temperaturen. Unter normalen Umständen wäre ich jetzt mit meinem Hund irgendwo auf dem Berg wandern. Aber #ichbleibezuhause. Die Texte der Chance sind fertig geschrieben. Die meisten Interviews und Ereignisse sind noch aus der Zeit Vor-Corona. Mit dem Kommentar habe ich bis zum letzten Tag warten wollen. Die Chance ist keine Tageszeitung und hat keinen Anspruch auf Aktualität, aber Corona kann nicht unerwähnt bleiben. Die Landesversammlung ist auf den 16. Mai verschoben worden. Ob dieser Termin tatsächlich zustande kommt, steht noch in den Sternen. Wir sind erst am Anfang. Der Höhepunkt der Pandemie ist noch nicht absehbar. Auch in Südtirol hat das Virus bereits Opfer gefordert, die Zahlen steigen. Gefährdet sind vor allem Menschen über 80 und Menschen mit einem geschwächten Immunsystem. Ich kann nur hoffen, dass die betroffenen Mitglieder der Krebshilfe verschont bleiben. Wenn jeder sich an die von der Regierung verordneten Einschränkungen hält, werden wir Covid-19 überwinden. Wie lange es dafür braucht ist (noch) nicht absehbar. Ebenso wenig, was danach kommt. Das Virus hat uns nur allzu deutlich vor Augen geführt, dass wir an einem Punkt angelangt sind, an dem es eigentlich kein Vorwärts mehr gibt. Wir dürfen uns auf (tiefgreifende) Veränderungen gefasst machen. Nach-Corona wird nicht mehr wie Vor-Corona sein…
Das Hauptthema in diesem Heft ist auch nicht von der leichten Sorte. Die Krebsgespräche zum Thema Krebs und Tod. Tod und Sterben, ein Tabu in unserer auf Jung- und Aktivsein getrimmten Gesellschaft. Und doch: wer lebt, stirbt auch. Beides gehört eng zusammen, beides ist zu wichtig, um es anderen zu überlassen. Auch Trauer gehört in dieses Spannungsfeld. Ein anderer Aspekt, der von unserer Gesellschaft gern totgeschwiegen wird (wie treffend manche Worte doch sein können!). Wer nicht trauert, kann nicht Abschied nehmen. Bei den Krebsgesprächen haben zwei Personen das Wort ergriffen, die ihrer Trauer Platz eingeräumt haben, Astrid Fleischmann und der erst neunzehnjährige Noah Ennemoser, der durch seine Intensität und seinen Mut einen ganzen Saal zu Tränen gerührt hat.
Ich schaue wieder nach draußen. Die Sonne hat sich wieder Platz geschafft zwischen den Wolken. Ein warmes Licht erfüllt mein Arbeitszimmer, durch das offene Fenster dringt der Duft von Frühjahr. Ich wünsche Ihnen/ uns allen ein neues Frühjahr, Kraft und Hoffnung
Nicole Dominique Steiner