Aktuell

Eine Hoffnung für die Zukunft?

Noch keine klinischen Studien über therapeutische Wirkung von Cannabis bei Krebs
Der Onkologe Dr. Carlo Carnaghi und der Palliativmediziner Dr. Massimo Bernardo
Seit 2012 ist in Italien der Konsum von Cannabis zu therapeutischen Zwecken erlaubt. Cannabis-haltige Produkte kommen zum Einsatz als Schmerzmittel bei chronischen Erkrankungen, gegen Übelkeit und Erbrechen bei Patienten, die sich einer Chemotherapie unterziehen oder als Beruhigungsmittel bei Panikattacken. Jeder Arzt ist berechtigt, cannabishaltige Arzneimittel zu verschreiben, jede Apotheke kann diese gegen Vorlage eines Rezeptes verkaufen. In Südtirol gibt es im Augenblick etwa ein Dutzend Ärzte, die von der Möglichkeit Gebrauch machen, nicht alle Apotheken führen solche Pharmaka in ihrem Sortiment.
Der Onkologe
Dr. Carlo Carnaghi ist seit Mai 2018 Primar der Onkologie im Krankenhaus Bozen. Zuvor hat er für mehr als zwanzig Jahre an der Universitätsklinik Humanitas in Mailand gearbeitet. Die Onkologen seiner Abteilung, unterstreicht Carnaghi, verschreiben ihren Patienten keine Medikamente auf Hanfbasis. „Wir wissen sehr wohl, dass Cannabis unter bestimmten Umständen sowohl die Schmerztherapie aIs auch die gängigen Therapien gegen die Nebenwirkungen der Chemotherapie unterstützen kann, aber wir überlassen diese Entscheidung den Kollegen der Abteilung für Palliativ Behandlung und Schmerztherapie. Dies vor allem auch, weil eines der Probleme bei der Verwendung von Cannabis die korrekte Dosierung ist. „Hanf wird in Tropfenform, als Tee oder in Form von Rauch zu sich genommen und dies ermöglicht keine genaue Dosierung. Es ist nicht wie bei einer Tablette wo ich genau weiß, wieviel Wirkstoff enthalten ist.“ Der Onkologe betont, dass er weder für noch gegen die Verwendung von Cannabis sei. Cannabis stelle jedenfalls keine Alternative zu opiumhaltigen Pharmaka dar und käme dann und in Kombination mit anderen Pharmaka zum Einsatz, wenn die Standard-Therapien nicht (mehr) greifen bzw. zu starke Nebenwirkungen verursachten. Im restlichen Italien sei der Einsatz von Cannabis seiner Erfahrung nach, eher nur sporadisch. „Südtirol ist in dieser Beziehung sicher vom deutschsprachigen Raum beeinflusst, wo solche Therapien mehr zum Greifen kommen.“ Eines sei ihm wichtig festzustellen: „Cannabis hat unbestrittene Wirkung in der Schmerztherapie und gegen Übelkeit, aber es gibt bisher keinerlei klinischen und wissenschaftlichen Nachweis, dass die im Hanf enthaltenen Wirkstoffe eine Wirkung auf Tumorzellen haben.“ Man dürfe deshalb keinesfalls falsche Hoffnungen wecken!
Der Experte in Palliativ- und Schmerztherapie
Doktor Massimo Bernardo ist Direktor des Dienstes für Hospiz und Pallatiavtherapie am Krankenhaus Bozen. „Das Konzept der Palliativtherapie ist aus der Onkologie heraus entstanden”, unterstreicht Bernardo. Auch wenn natürlich nicht nur onkologische Patienten, sondern auch viele andere einer Schmerztherapie bedürften. Dr. Bernardo: „Seit 2012 sind alle Ärzte in Italien berechtigt, Cannabis zu verschreiben, aber erst in den letzten zwei Jahren kommt diese Substanz immer häufiger zur Anwendung. Die Gefahr ist, dass es zu einer Mode wird, wie vor einigen Jahren die Therapie nach Di Bella oder die angeblich Wunder wirkenden Pflanzen Beifuß oder Misteln. Moden, die in verzweifelten Menschen falsche Hoffnungen wecken können.” Die im freien Handel erhältlichen hanfhaltigen Produkte, erklärt Dr. Bernardo, wie Kekse, Tee, Hanföl, Mehl usw. enthielten jedenfalls keine der therapeutischen Wirkstoffe der Hanfpflanze oder nur in ganz geringen Mengen! „Das ist wie das Verhältnis von Mohnstrudel zu Morphium!”
Der Spezialist für Palliativ- und Schmerztherapie hat etwa zwei Jahre nach der Freigabe von Hanf zu therapeutischen Zwecken, damit begonnen, Patienten damit zu behandeln. „Heute sind es etwa siebzig Patienten, denen ich regelmäßig cannabishaltige Medikamente zur Schmerzlinderung verschreibe, gegen Übelkeit oder auch gegen Panikattacken.“ Es handle sich dabei um Patienten, die aus unterschiedlichen Gründen die Standard-Therapien nicht vertrügen oder bei denen die Standard-Therapien keine Wirkung (mehr) zeigten. „Bei vielen dieser Patienten funktioniert Cannabis in der Tat sehr gut, einige sprechen sogar von wesentlich verbesserter Lebensqualität.“ Bei anderen Patienten hingegen zeige Cannabis keinerlei Wirkung. „Es handelt sich um eine Substanz, die nur unter Kontrolle und mit größter Vorsicht zu verwenden ist, wie auch die morphiumhaltigen Medikamente.“
Die zwei Hauptsubstanzen von Cannabis seien CBD und THC. THC ist als Droge eingestuft. „Aber es sind nicht nur diese beiden Substanzen, die die Wirkung von Hanf bewirken, sondern das Zusammenspiel von weiteren 300 Wirkstoffen, betont Bernardo. Das größte Problem bei der Verschreibung sieht auch der Palliativ-Experte in der Dosierung. „Genau wie bei Morphium, muss jeder Patient individuell eingestellt werden. Es gibt Patienten, bei denen geringe Dosen große Wirkung zeigen, andere benötigen das Zehnfache, um zum selben Resultat zu kommen.“
„Cannabis ist heute außerdem zu einer Verdienstquelle geworden, die vielen Appetit macht und hier heißt es aufpassen”, warnt der Direktor des Hospiz. „Es ist unakkzeptabel, aus dem Leid anderer Profit zu ziehen! Außerdem sollten Arzneimittel in der Apotheke verkauft werden. Es handelt sich um komplexe Produkte, die einer entsprechenden Kontrolle unterliegen müssen.“
Therapeutischer Hanf wird heute in Holland, Canada, Israel, Australien, in einigen Staaten der USA und auch in Italien in sterilen Gewächshäusern unter strengsten Kontrollen produziert. Die kleine italienische Produktion reicht nicht aus, um die Nachfrage im Land zu befriedigen. „Es gibt immer wieder Engpässe in der Versorgung," gibt Bernardo zu. Seit Beginn des Jahres dürfe allerdings Hanf aus Canada eingeführt werden und die Apotheken könnten der Nachfrage genügen.
Bis heute, erklärt Dr. Massimo Bernardo, seien Versuche bezüglich der Wechselwirkung der im Hanf enthaltenen Stoffe und Krebszellen nur im Reagenzglas durchgeführt worden. „Das heißt, wir haben keinerlei klinischen Nachweis für eine therapeutische Wirkung auf bösartige Tumore.” Fest steht, dass Hanf entzündungshemmend und schmerzdämpfend wirke. „Alles andere sind Hypothesen für die Zukunft.“

Aktuell

Nutzpflanze, Droge und Arzneimittel

Hanf wird schon seit tausenden von Jahren angebaut – Wirkstoffe CBD und THC
Hanf oder Cannabis, Marihuana, Haschisch… vier Begriffe und eine Pflanze. Nutzpflanze, Arzneimittel, Lebensmittel und auch Droge. Bis in die 1950er Jahre war Italien mit 90tausend Hektar nach Russland der größte Hanfanbauer der Welt. Seit der Antike wurde diese widerstandskräftige und genügsame, schnellwachsende Pflanze angebaut, bis sie in den 1950er Jahren durch die neuen synthetischen Fasern aus den USA verdrängt wurde. Heute erlebt sie einen Boom.
Hanfprodukte sind in. Bioläden und Drogerien verkaufen Hanföl, Hanfkekse, Hanfnudeln, Hanf-Raumduft, Kosmetik aus Cannabis (der wissenschaftliche Name der Pflanze), Cannabis-Tee usw. In Südtirol gibt es mittlerweile (Bio) Hanfanbauer, immer mehr Geschäfte verkaufen Hanfprodukte. Der Verbraucher ist sich nicht immer ganz im Klaren, um was es sich dabei eigentlich handelt und ob Hanf bzw. Cannabis jetzt das Gleiche ist wie Marihuana oder Haschisch. Was es im Geschäft zu kaufen gibt, ist keine Droge, um es gleich klarzustellen.
Zu was Hanf nach der Ernte wird, hängt vor allem von den verwendeten Bestandteilen ab. Aus den Fasern der Stängel werden Seile, Stoffe oder Papier hergestellt. Aus den Samen ein hochwertiges Speiseöl, aus den destillierten Blüten und Blättern ätherische Öle. Nur aus den unter bestimmten Bedingungen gewachsenenen getrockneten Blüten und Blütenständen der weiblichen Cannabis-Pflanze erhält man die Drogen Marihuana (wird gemischt mit Tabak geraucht) bzw. Haschisch (eine Art Harzklumpen). Aber auch Medikamente.
Die Hanffaser gilt als die stärkste natürliche Faser und wurde als solche bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts als Werkstoff genutzt. Jetzt wird die Produktion langsam wieder aufgenommen. Henry Ford hatte sogar ein Auto aus Hanf entworfen. Hanf wurde als Tierfutter verwendet, während Kriegszeiten und bei armen Leuten galt en Hanfblätter früher als billiger Tabakersatz.
Was den Hanf zur Droge macht, ist vor allem ein Wirkstoff, THC, Abkürzung für Delta-9-Tetrahydrocannabinol, eine psychoaktive Substanz, die unter anderem das Zentralnervensystem des Menschen beeinflusst und eine relaxierende und sedierende Wirkung hat, aber auch gegen Brechreiz wirkt (antiemetisch). Der zweite Wirkstoff ist Cannabidiol, kurz CBD. Dieser Substanz wird eine schmerzlindernde, entzündungshemmende, appetitanregende und krampflösende Wirkung zugeschrieben. Ob Hanf nun zur Droge oder zum Arzneimittel wird, hängt unter anderem vom Gehalt dieser beiden Substanzen und von der Produktionsweise ab. Nutz- oder Industriehanf darf nach den gesetzlichen Vorschriften in Italien maximal 0,6% THC enthalten, in Deutschland maximal 0,2%. Zum Vergleich: Medizinischer Cannabis enthält allgemein zwischen 5 und 8% THC und zwischen 8 und 15% CBD. Als Rauschmittel verwendetes Marihuana enthält mehr bis zu zwanzig und mehr THC, außerdem ist das Verhältnis von THC und CBD umgekehrt wie bei den Pharmaka, d.h. mehr THC als CBD.
Pharmakologisch verwendeter Hanf muss steril und unter schärfsten Kontrollen hergestellt werden. Oberste Aufsichtsbehörde sind die Vereinten Nationen. Die Pflanzen werden unter Laborbedingungen mit Kunstlicht (die Lichtstärke beeinflusst den in den Blüten der Pflanze enthaltenen Prozentsatz an THC und CBD) in Wasser gezogen, um Verunreinigungen durch Parasiten oder Pilze auszuschließen. In Italien wird medizinischer Cannabis zurzeit nur vom Militär hergestellt, im chemisch-pharmazeutischen Labor Florenz (Stabilimento chimico farmaceutico militare di Firenze). Die Produktion liegt bei etwa 100 kg pro Jahr und soll auf 150 kg gesteigert werden. Der Bedarf liegt in Italien bei ca. 300 kg. Zusätzlicher medizinischer Hanf wird aus Holland und seit 2018 auch aus Kanada eingeführt. Neben Italien und den bereits genannten Holland und Kanada haben nur Israel, Australien sowie einige Staaten der USA die Erlaubnis medizinischen Cannabis anzubauen.
Hanf oder Cannabis wird aufgrund der krampflösenden und entzündungshemmenden Wirkung des CBD bei chronisch erkrankten Menschen eingesetzt: bei Multipler Sklerose, Migräne, Phantomschmerzen, Morbus Chron, Parkinson, Neuropathien. Bei Krebskranken und AIDS-Patienten, die auf herkömmliche Standard-Therapien nicht (mehr) ansprechen, lindert Cannabis nicht nur Schmerzen, sondern auch die Nebenwirkungen der Chemotherapie wie Übelkeit und Erbrechen und ist außerdem appetitanregend und beruhigend bei Angstzuständen. Cannabis kann als Spray, in Tabletten- oder Blütenform verschrieben werden und als Tee oder Gebäck konsumiert oder inhaliert werden.
Klinische Studien über eine Krebszellen reduzierende Wirkung von Cannabis liegen nicht vor, es ist daher wichtig, Patienten vor falschen Hoffnungen zu warnen. Cannabis kann ein wirksames Schmerzmittel sein und in Wechselwirkung mit anderen Mitteln den Zustand chronisch kranker Patienten und von Patienten in Palliativbehandlung bessern, aber es ist kein Wunderheilmittel. Als Arzneimittel, das heißt nur nach Verschreibung und unter strenger ärztlicher Kontrolle kommt Cannabis derzeit in folgenden Ländern zum Einsatz: Großbritannien, Belgien, Spanien, Portugal, Italien, Holland, Finnland, Tschechien, Israel, Kanada, Neuseeland und in 25 US-Bundesstaaten.
Es ist wissenschaftlich belegt, dass Missbrauch von Cannabis psychisch abhängig machen und Psychosen auslösen kann. Besonders gefährdet sind junge Menschen. Studien zeigen, dass sich Cannabis bei Jugendlichen negativ auf die Entwicklung des Gehirnes auswirken kann.