Aktuell

„…wie ein besonderes Training“

Der Leichtathlet Hubert Indra hatte vor zwei Jahren einen Tumor an der Zunge
Hubert Indra und der Primar der HNO-Abteilung, Dr. Luca Calabresi
Irgendwie passt er nicht ins Krankenhaus. Kurze Hosen, Sportshirt, Turnschuhe, athletischer Körperbau. Braungebrannt ist er, Hubert Indra, und er sieht aus als sei er gerade vom Sportplatz gekommen. Und das ist er wahrscheinlich auch. In der Hals-Nasen-Ohren-Abteilung ist er, weil er vor knapp zwei Jahren an Krebs erkrankt ist, ein Karzinom der Zunge.
Zwei Tage vor unserem Treffen im Studio des Primars der HNO-Abteilung in Bozen, Dr. Luca Calabrese, hat Hubert Indra am 4. Juni bei den Master-Italienmeisterschaften im Decathlon in Arezzo den Weltrekord in seiner Klasse aufgestellt, M60. 61 Jahre ist er alt und von der Erkrankung sind ihm ein weiches R, eine gewisse Steifheit der Zunge und eine Narbe am Oberschenkel geblieben.
Indra ist am 28. Oktober 2016 operiert worden, die erste OP des neuen Primars in Bozen, der damals allerdings noch nicht einmal den Vertrag unterschrieben hatte und offiziell am 1. Januar 2017 seinen Dienst in Bozen angetreten hat.
Eine vielköpfige Equipe hat Hubert Indra unter der Leitung von Calabrese den Tumor mit umliegendem Gewebe aus der Zunge geschält und die Zunge mit Muskelmasse aus dem Oberschenkel wieder rekonstruiert. Die halbe Zunge. Die Sensibilität ist dabei erhalten geblieben, ebenso wie der Geschmackssinn, nur die Beweglichkeit der Zunge ist etwas eingeschränkt. „Ich kann sie nicht mehr herausstrecken“, scherzt Indra.
Ein „Musterpatient“ war Indra nicht, ein paar Wochen nach der Operation hielt er still, aber kaum fühlte er seine Kräfte zurückkehren, nahm er sein Training rigoros wieder auf. Die sieben Kilo, die er nach der OP abgenommen hatte, hat er in kürzester Zeit wieder zugelegt, in Muskelmasse versteht sich! Und in wenigen Monaten hatte er seine physische Form wieder zurück und konnte seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen: Trainieren und an Wettkämpfen teilnehmen.
Tatsächlich ist er auch seine Erkrankung mit Sportsgeist angegangen. „Ich habe keine Zeit verloren für eine Zweitdiagnose und bin die Krankheit angegangen wie eine Trainingseinheit.“
Entdeckt hat er den Tumor durch Zufall. Ein Schmerz an der Zunge, der auch nach zwei Wochen nicht zurückging. „Ich ging zum Zahnarzt, weil ich dachte ein Zahn kratzt an der Zunge.“ Der Zahnarzt schöpfte sofort Verdacht und riet Indra zu einer HNO-Visite. Ihn, der nie in einem Krankenhaus war und nie zum Arzt ging, mit Ausnahme der jährlichen Sportuntersuchung. „Ich habe nie geraucht, trinke nicht“, betont Indra. Die (genetischen?) Ursachen dieser Art von Tumorerkrankungen bei Patienten, die nicht Rauchen oder Trinken, ist noch wenig erfoscht. Und hier schaltet sich Luca Calabrese ein, der bisher schweigend der Erzählung seines Patienten zugehört hatte und ihn stolz betrachtete. „Tatsächlich kommt diese Art von Tumoren in Südtirol immer häufiger vor“, erklärt Calabrese. Zum einen sei dies sicher durch Rauchen und übermäßigen Alkoholkonsum bedingt, aber nicht nur. Die Ursache dieser Art von Tumorerkrankungen ist noch wenig erforscht. Das Problem, erklärt Calabrese, sei, dass dieses spezifische Tumorrisiko oft unterschätzt werde. „Seit ich in Bozen bin, habe ich bereits 160 bösartige Tumore im Kopf-Hals-Bereich operiert, die meisten davon in fortgeschrittenem Stadium!“ Südtirol weise die höchste Frequenz dieser Art Tumore in Italien auf und eine der höchsten in Europa.
Es gelte deshalb die Bevölkerung aber auch die Hausärzte und Zahnärzte in dieser Hinsicht zu sensibilisieren, betont Calabrese, der bevor er nach Bozen kam über 25 Jahre am Europäischen Krebsinstitut in Mailand gearbeitet hat. „Jeder weiße Fleck im Mund, jede Entzündung, die nach zehn Tagen nicht weggeht, ist verdächtig und muss dem Arzt gezeigt werden.“
Werden diese Tumoren oder noch besser präkanzerogene Formen rechtzeitig erkannt, wie bei Hubert Indra, bevor sie über das Lymphsystem streuen können, reicht die chirurgische Behandlung. Auch Indra musste sich weder einer Chemo- noch einer Strahlentherapie unterziehen. Er brauchte nach der Operation nur eine logopädische Behandlung, um die Funktionen und die Beweglichkeit der Zunge zu trainieren und das Sprechen zu optimieren. Je fortgeschrittener der Tumor, desto größer die optischen und funktionellen Beeinträchtigungen des Patienten.
Insgesamt sind diese Tumoren natürlich nicht so häufig wie Brustkrebs oder Neoplasien der Lunge, des Darms oder der Prostata. Deshalb gibt es auch keine spezifischen Vorsorgeuntersuchungen. „Aber jeder kann sich selbst besser kontrollieren, wenn er entsprechend informiert ist“, betont Primar Luca Calabrese.
Dem Primar der Hals-Nasen-Ohren-Abteilung Luca Calabrese, ist es ein großes Anliegen, die Patienten auch nach der chirurgischen Behandlung zu betreuen. „Eine Therapie endet nicht am Tag, an dem der Patient aus dem Krankenhaus entlassen wird, sondern dann, wenn er sein gewohntes Leben wieder aufnehmen kann.“ Stichwort Lebensqualität. Bei Hubert Indra ist das zu hundert Prozent gelungen.
Hubert Indra erringt im Mai 2018 den Weltrekord im Zehnkampf in der Masterclass 60

Aktuell

Strahlentherapie im ständigen Wandel

Internationale Experten beim ersten Südtiroler Strahlenforum vom 18. – 19. Mai in Bozen
Hubert Indra und der Primar der HNO-Abteilung, Dr. Luca Calabresi
Im Rahmen der interdisziplinären Tumorbehandlung kommt der Radiotherapie im kurativen und palliativen Therapiekonzept eine besondere und immer wichtigere Rolle zu. Vom 18. – 19. Mai fand auf Schloss Maretsch und in der Bonvicini-Klinik in Bozen das Erste Südtiroler Forum der onkologischen Strahlentherapie statt.
Die Tagung war eine Momentaufnahme der modernen Strahlentherapie und ihrer Entwicklung in den letzten 30 Jahren sowie ein Ausblick auf das, was schon die nächste Zukunft erwarten lässt. Electric Guide Tracking System, Robotic Positioning, Oberflächenscan –für jemanden, der nicht vom Fach ist, war es kein Leichtes, den Ausführungen der Experten zu folgen.
Die Strahlenbehandlung wird immer präziser. Die Verwendung moderner, bildgebender Verfahren wie Ultraschall, Computertomographie oder Magnetresonanz, von Bleiabschirmungen oder anderen Prozeduren während des Bestrahlungsvorganges sowie die moderne intensitätsmodulierte Rotationsbestrahlung ermöglichen es, die zu bestrahlende Fläche immer genauer zu definieren, von den umliegenden Organen und dem umliegenden Gewebe abzugrenzen und immer zielgenauer, mit immer stärkerer Dosis zu bestrahlen.
Immer größere Bedeutung hat die radiochirurgische, bzw. stereotaktische Bestrahlung. Heute können kleine Tumore bzw. Metastasen in 1-5 Sitzungen, mit sehr hohen Strahlendosen äußerst genau bestrahlt werden. Durch die hohe Dosis und den raschen Dosisabfall im umliegenden gesunden Gewebe können diese Tumore immer öfters ohne Operation vernichtet werden, vor allem auch dort, wo ein chirurgischer Eingriff nicht möglich wäre (z. B. im Gehirn).
Hauptredner des Südtiroler Strahlenforums war Prof. David Jaffray aus Toronto, einer der bekanntesten Strahlenexperten weltweit. Er hat bereits 1990 die Grundlagen für eine 3 D Bestrahlung unter Verwendung der Computer Tomographie entwickelt. Er betonte in seinem Vortrag, dass die Strahlentherapie einerseits immer technologischer und automatisierter werde, was einen hohen Sicherheitsstandard gewährleiste, gleichzeitig aber auch immer individueller und spezifischer auf den einzelnen Patienten und seine jeweilige Pathologie zugeschnitten sei. Strahlentherapie sei ein Gebiet in ständigem Wandel. „Und jedes Mal, wenn wir etwas Neues erfinden“, so Jaffray, „tun wir uns leichter, gleich noch etwas Besseres zu erfinden.“
Der Generaldirektor des Sanitätsbetriebs Thomas Schael betonte, dass es in Südtirol zwar keine Universitätsklinik gäbe, dennoch bestehe das Bestreben den Umgang mit den neuesten Technologien zur täglichen Routine werden zu lassen. Südtirol werde in den nächsten Jahren mehr als 15 Mio. Euro in neue Technologien investieren, auch als kleines Land bestehe der Ehrgeiz ganz vorne mitzuspielen. In Südtirol werden jährlich ca. 1000 Personen bestrahlt.
Prof. Peter Lukas und Dr. Martin Maffei, der ehemalige Leiter der Universitätsklinik für Strahlentherapie in Innsbruck, der die Strahlentherapie in Südtirol aufgebaut hat und der leitende Arzt der Strahlentherapie des Südtiroler Sanitätsbetriebes in der Bonvicini-Klinik, betonten, dass die Strahlentherapie in Bozen heute qualitativ den radioonkologischen Abteilungen in Österreich in nichts nachstehe und auch durchaus mit dem Standard von Universitätskliniken in Deutschland und Italien mithalten könne. Deshalb auch die Idee, die internationale Fachwelt der Strahlentherapie von nun an regelmäßig nach Bozen zu einem Fachsymposium einzuladen.
Der zweite Tag des Forums fand in der Abteilung für Strahlentherapie des Südtiroler Sanitätsdienstes in der Bonviciniklinik statt und endete mit einer Podiumsdiskussion zwischen Fachleuten und Patientenvertretern sowie der Landesrätin für Gesundheitswesen: Martha Stocker, Sanitätsdirektor Thomas Lanthaler, Prof. Peter Lukas, Dr. Martin Maffei, der Strahlenphysiker Markus Haller, Prof. Michael Mian als Vertreter der LILT und die Landesvorsitzende der Südtiroler Krebshilfe, Ida Schacher. Strahlen machen Angst. Die Patienten fühlten und fühlen sich nicht selten Maschinen ausgeliefert. Heute bemüht sich diese Abteilung um eine Öffnung und ein positives Image. In Zukunft sollen in regelmäßigen Abständen Führungen angeboten werden, um nicht nur Patienten, sondern auch nicht oder nur potentiell betroffenen Personen Strahlentherapie zu erklären und Vertrauen zu schaffen.
Links: Geballte Informationen für das Publikum. Rechts: Dr. David Jaffray aus Toronto
Bild links: Bildmitte: Generaldirektor Thomas Schael und Dr. Martin Maffei. Bild rechts: Die Podiumsdiskussion mit Experten, Politikern und Patientenvertretern