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Wenn Zahlen reden

SKH finanziert Stipendium für Neuordnung der Daten des Tumorregisters
Andreas Bulatko, Fabio Vittadello, Birgit Tschugguel, Marine Castaing, Guido Mazzoleni, Paolo Vian und Elena Devigili
Sie spricht perfekt Italienisch mit einem reizenden französischen Akzent und ist für zwei Monate nach Bozen gekommen, nicht nur, um die Datenerfassung des Tumorregisters zu ordnen, sondern auch um ihr Deutsch zu verbessern. Die Statistikerin Marine Castaing, arbeitet und lebt seit zehn Jahren in Catania.
Organisiert hat ihren Aufenthalt mit Hilfe der Südtiroler Krebshilfe, Dr. Guido Mazzoleni, Direktor des Tumorregisters und Primar der Abteilung für Pathologische Histologie am Krankenhaus Bozen. Seit vergangenem Jahr ist Mazzoleni Mitglied im Ausschuss der italienischen Vereinigung der Tumorregister, AIRTUM, wo er die Statistikerin kennen und ihre Methodik schätzen gelernt hat.
Das Südtiroler Tumorregister ist derzeit bei der Erfassung der Daten bis 2012 angelangt, bis Ende des Jahres sollen auch die Daten 2013 bis 2015 ausgewertet sein und Marine Castaing hat in Bozen die Arbeitsgruppe unterstützt, die den Datenfluss seit Aufnahme des Registers im Jahr 1995 begutachtet und auswertet. Ihre Aufgabe war es, jene Daten auszusondern, die aus der Zeit vor Einführung des Tumorregisters stammen.
Aber was ist eigentlich das Tumorregister? Es ist ein epidemisches Überwachungsinstrument, das alle Tumorerkrankungen einer bestimmten Bevölkerung während eines bestimmten Zeitraumes erfasst. In vielen Regionen Italiens gibt es heute Tumorregister. Die meisten von ihnen sind dem 1996 in Florenz gegründeten Nationalen Register, AIRTUM angeschlossen und alle regional erfassten Daten fließen in der nationalen Datenbank des ISPO, Istituto per lo Studio e per la Prevenzione Oncologico, zusammen. Leider gibt es noch kein nationales Gesetz, das die Arbeit der Tumorregister regelt und so arbeitet jedes nach eigenen Kriterien, die von der unterschiedlichen Verfügbarkeit und Qualität der gesammelten Daten abhängen. Dies kompliziert die Übertragbarkeit der Daten auf nationale Trends.
Ein weiteres Hindernis für eine optimale nationale Zusammenarbeit der verschiedenen Register ist die Verwendung unterschiedlicher Datenerfassungsprogramme und Archivierungsmethoden. Ein großes Problem stellt auch die prekäre Arbeitssituation (weil eben eine gesetzliche Grundlage fehlt) der Mitarbeiter der Register dar.
Statistisch gesehen wäre es ideal, wenn alle Patienten-Daten automatisch bei den Hausärzten zusammenlaufen und von diesen regelmäßig an die jeweiligen Register weitergegeben würden. Aufgrund der Privacy-Regelung ist dies derzeit nicht möglich. In Dänemark wird das schon heute so gehandhabt. In Südtirol ist schon die Datenerfassung schwierig, weil es kein zentralisiertes EDV-Programm gibt und der Datentransfer zwischen Krankenhaus und Peripherie oder sogar zwischen den Abteilungen ein Problem darstellt
Das Südtiroler Tumorregister ist dennoch eines der vollständigsten in Italien. Es gehört als eines der wenigen italienischen Register direkt dem Sanitätsbetrieb an und ist dem Dienst für Pathologische Histologie am Krankenhaus zugeordnet, der auch für die Screenings der Krebsvorsorge verantwortlich ist. Das Tumorregister Bozen kann über Daten über einen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren verfügen, die von spezifisch kompetenten Fachärzten zusammengestellt worden sind. Aus diesem Grund sind die erfassten Daten über den klinischen Zustand wie z. B. das Krankheitsstadium zur Zeit der Diagnose, die Aufschluss geben über Krankheitsverlauf und Überlebenszeit, so präzise erfasst wie in wenigen anderen Registern.
Aber zurück zu Marine. In zwei Monaten hat sie alle Daten kontrolliert die bereits vor der Gründung des Tumorregisters erfasst waren, und zwar im Zeitraum 1980 – 1994. Sie hat aus diesen Daten jene Personen gefiltert, die damals an Krebs erkrankt sind. Diese Daten müssen von den ab 1995 gesammelten und periodisch vom Tumorregister veröffentlichten Daten getrennt und in einem eigenen Register verwaltet werden, wenn man einen Landestrend über den Verlauf der Krebserkrankungen ab 1995 erstellen möchte. Die von Marine ausgesonderten Daten ermöglichen zudem einen Überblick über die Zahl der Patienten, die bereits vor 1995 und ab 1980 an Krebs erkrankt waren und die am Stichtag 1. Januar 2013 noch am Leben waren. Außerdem hat sie nicht in Südtirol ansässige, aber im Land behandelte Patienten herausgefiltert und in einem parallelen Register archiviert, damit diese Zahlen nicht mit jenen der Südtiroler Bevölkerung gemischt werden.
Eine äußerst komplexe Materie, die aber äußerst wichtig ist, um ein komplettes Bild der Bevölkerungsgesundheit zu erhalten. Diese Daten über Häufigkeit, Überleben und Sterblichkeit bezüglich der einzelnen Tumorerkrankungen bzw. die Methode ihrer Erfassung sind Voraussetzung für eine optimale Planung der Gesundheitspolitik und die Berechnung des notwenigen Budgets sowie für eine immer bessere epidemische Kontrolle auf nationaler und regionaler Ebene (Vorsorgeprogramme etc.). Anhand der Daten über die Häufigkeit kann beispielsweise berechnet werden, wie viele Ärzte, wie viele Pfleger bzw. wie viele Betten es in den nächsten Jahren braucht. Je besser die Qualität und Verlässlichkeit der gesammelten Daten, desto besser können Verwaltung und Regierung vorausplanen.
Die Südtiroler Krebshilfe hat die Arbeit von Marine Castaing am Bozner Tumorregister, wo zwei Ärzte und zwei Sekretärinnen unterstützt von externen Statistikern arbeiten, mit einem zweimonatigen Stipendium finanziert.
Marine Castaing
Geboren zwischen Bordeaux und Toulouse, Studium der angewandten Mathematik im Bereich der Sozialwissenschaften in Bordeaux, zwei Master in Bio-Statistik in Paris und Bordeaux. Sie hat am Internationalen Krebsforschungs-Institut in Lyon und am Institut Gustave Roussy a Villejuif gearbeitet.
Seit 2007 arbeitet sie als Statistikerin am integrierten Krebsinstitut Catania-Messina-Siracusa-Enna, das der Universität Catania angeschlossen ist. Sie ist Referentin für das Fach “Medizinische Statistik“ an der Universität Catania, hält Vorlesungen und betreut (Master-)Diplomarbeiten. Seit 2007 ist sie Mitglied von AIRTUM und SITI (Associazione Italiana di Igiene).

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Know How heißt Komplikationen beherrschen

Dr. Sitzmann ist Primar der Chirurgie in Bruneck – Beste Voraussetzungen
Wenn er operiert, hört er gerne klassische Musik oder Ö1. Dr. Günther Sitzmann ist seit einem Jahr Dr. Walter Thalers Nachfolger als Primar am Krankenhaus Bruneck. Die Rückkehr in ein kleines Krankenhaus hat ihn gereizt, weil er in der Medizin nicht nur die großen komplizierten Eingriffe schätzt, sondern auch die Organisation, die ein optimales Funktionieren erst möglich macht.
Militärarzt, zehn Jahre Rettungsarzt im Hubschrauber, Chirurg im Krankenhaus Bozen und vier Jahre komplexe Transplantationen und onkologische Eingriffe am Universitätskrankenhaus Tübingen unter Professor Alfred Königsrainer. Dr. Günther Sitzmann hat Erfahrungen verschiedenster Art gesammelt, bevor er das Primariat in Bruneck übernommen hat. Eines der Peripheriekrankenhäuser in Südtirol, an dem die Reform der Tumorchirurgie einschneidende Änderungen mit sich gebracht hat. Sitzmann sieht sich als Chirurg nicht nur am Operationstisch und nicht nur bei komplexen Eingriffen erfüllt. Ihm geht es auch um das Ganze, um das Zusammenspiel zum Guten des Patienten, um Teamwork.
Chance: In Tübingen haben sie hochkomplexe Eingriffe durchgeführt, Operationen, die in Bruneck aufgrund der begrenzten Größe des Einzugsgebietes aber auch aufgrund der Reform der Tumorchirurgie nicht (mehr) möglich sind. Ein Krankenhaus in der Peripherie.
Dr. Sitzmann: Es ist nicht immer nur spannend in der obersten Liga zu spielen, sondern ausgezeichnete Erfolge in der niedrigen Liga verbuchen zu können. Wir haben hier in Bruneck 900 bis 1000 Eingriffe pro Jahr. Und da ist alles dabei: Notfälle, Routine, hochkomplexe Tumorchirurgie.
Chance: Das heißt, auch ein hochspezialisierter Chirurg kann in Bruneck mit Befriedigung arbeiten?
Dr. Sitzmann: Ich habe in einem knappen Jahr zehn neue Operationstechniken eingeführt, die bisher noch nicht ausgeführt wurden. Wir haben was die minimal-invasive Chirurgie an Kolon und Rektum betrifft, Zahlen, die weit über dem italienischen und auch dem deutschen Durchschnitt liegen. Vierzig Prozent sind vorgeschrieben, wir haben im Schnitt zwischen 60 und 70 Prozent! Wir operieren auch Fälle, die anderswo in Südtirol als inoperabel erklärt worden sind. Mit Erfolg!
Chance: Was haben Sie in Bruneck vorgefunden im Vergleich zur Universitätsklinik an der Sie vorher tätig waren?
Dr. Sitzmann: Ich kann nur sagen, wir haben hier wirklich das Beste an Material, was man sich wünschen kann und wir sind frei alles zu nutzen. Es ist nicht so, dass es nicht genug Mittel in der Sanität gibt, sie müssen nur besser und gezielter genutzt werden.
Chance: Wer im Ausland gearbeitet hat, sieht natürlich viele Dinge in Südtirol mit einem kritischen Blick….
Dr. Sitzmann: Das kann man wohl sagen. Südtirol und auch Italien. Zum Beispiel fällt auf, dass in Italien defensiv Medizin betrieben wird.
Chance: Wie meinen Sie das?
Dr. Sitzmann: Wissen Sie, dass es in Rom gleich viel niedergelassene Anwälte gibt wie in ganz Frankreich? Das sagt eigentlich schon alles! Obwohl Italien die Wiege des Rechtsstaates ist, wird das hier auf die Spitze getrieben. Tritt eine Komplikation auf – und Komplikationen treten auf, die hängen nicht zusammen mit der Fähigkeit und Bravour des Chirurgen, sondern von vielen anderen nicht zu beeinflussenden Faktoren – dann heißt es gleich, der Arzt hat einen Fehler gemacht und er wird verklagt. Nehmen Sie nur den Pankreas. Eine extrem komplizierte Operation. Oft entscheidet sich der Arzt gegen einen Eingriff, auch aus Furcht vor möglichen strafrechtlichen Verfahren. Lieber nichts machen, als falsch machen. Dabei ist bei Pankreaskrebs die Operation die einzige Chance für den Patienten. Mit Chirurgie gibt es 20 – 30 % Langzeitüberlebende! Aber es wird immer gleich unterstellt und aus dieser defensiven Haltung wendet sich das Messer dann gegen den Patienten, weil der Arzt nicht offen mit ihm spricht.
Chance: Ihnen ist das Gespräch mit dem Patienten hingegen sehr wichtig?
Dr. Sitzmann: Ich erkläre alles und rede nichts schön. Ich spreche alles an und entscheide gemeinsam mit dem Patienten, was zu tun ist. Ich hole ihn ins Boot. Dadurch ist er wesentlich motivierter und tut sich leichter die Durststrecken zu überwinden. Nach jedem Eingriff ist es zunächst beschwerlich. Wenn der Patient Bescheid weiß, tut er sich viel leichter über diese Zeit hinwegzukommen.
Chance: Sie stehen der Bürokratisierung der Medizin kritisch gegenüber?
Dr. Sitzmann: Ich denke der Sanitätsbetrieb muss sich Gedanken machen, wie er sich positioniert. Gute Ärzte sind Mangelware, man sollte ihnen nicht Dinge aufhalsen, die sie von der eigentlichen Arbeit, von der Medizin abhalten. Jeder Arzt hat seinen Beruf aus Idealismus gewählt, es geht darum diese Leute zu motivieren. Es heißt, wir brauchen hundert neue Ärzte. Sind wir uns da so sicher? Das ist nur eine Nummer. Wir müssen einen Weg finden, die Bevölkerung adäquat und gut zu versorgen. Das erreichen wir nicht mit der Uhr und bürokratischer Zettelarbeit.
Chance: Beziehen Sie sich auf die Arbeitszeitregelung?
Dr. Sitzmann: Arzt-Sein ist nicht wie irgendein anderer Beruf. Wir lernen viele Jahre, um so weit zu kommen. Studium, Spezialisierung, Arbeitserfahrung. Es braucht Jahre. Und dann kommt jemand her und sagt mir, ich muss auf die Uhr schauen und darf nicht länger als sechs oder acht Stunden im OP stehen. Das ist absurd. Wenn ich 14 Stunden im OP stehe, dann bin ich hochkonzentriert! Professor Magreiter sagt: Ich kenne keinen Fall, dass ein Patient zu Schaden kam, weil der Arzt müde war, wohl aber Fälle, wo der Patient gestorben ist, weil der Arzt schlecht war! In Schweden haben Ärzte einen sechs bis acht Stunden Arbeitstag mit einem grottenschlechten Outcome für den Patienten.
Chance: Sie sind ein Teamworker?
Dr. Sitzmann: Absolut! Und gerade in einem kleinen Krankenhaus wie Bruneck ist das enorm wichtig. Es gibt gute Köpfe hier. Onkologen, Psychologen, Radiologen, mein Kollege Steinkasserer von der Gynäkologie, mit dem ich viele Eingriffe zusammen ausführe. Wenn alle zusammen in eine Richtung arbeiten, dann ist das wie ein Mosaik, das sich zu einem Ganzen fügt. Das ist der Qualitätssprung, der motiviert! Das Tumorboard beruht ja auch auf diesem Prinzip. Es macht einfach Sinn, mehrere Gesichtspunkte zusammenzunehmen. Das interessante an einem so kleinen Krankenhaus sind die kurzen Wege, die Möglichkeit schnell andere Fachgebiete dazu zu holen. Die Radikalität bestimmter Eingriffe hier habe ich in meiner Zeit in Bozen nie gesehen! Die beste Uniklinik ist nichts wert, wenn einer kein guter Chirurg ist und das gilt auch umgekehrt!