Der Autonome Südtiroler Gewerkschaftsbund steht dem Rahmenabkommen zur Reform des italienischen Kollektivvertragssystems, welches im Januar 2009 von der Regierung und den Gewerkschaftsbünden CISL und UIL auf nationaler Ebene unterzeichnet wurde, aus folgenden Gründen kritisch gegenüber:
Das Abkommen wurde ohne den gesamtstaatlichen Gewerkschaftsbund CGIL unterzeichnet und steht somit nicht auf dem breiten Konsens der lohnabhängigen Bevölkerung. Vielmehr ist es ein Ergebnis der politischen Zerreißprobe zwischen den gesamtstaatlichen Gewerkschaftsbünden.
Die Vertragsdauer für den wirtschaftlichen Teil der Kollektivverträge, mit welchem die Anpassung der Gehälter erfolgt, wurde von zwei auf drei Jahre ausgeweitet.
Die programmierte Inflation, welche für einen realen Inflationsausgleich der Löhne und Gehälter hinderlich war, wird nicht mehr als Bezugspunkt für die kollektivvertraglichen Lohnanpassungen verwendet. Allerdings bestehen berechtigte Zweifel ob der neu festgelegte Mechanismus mit dem harmonisierten europäischen Verbraucherpreisindex (ohne importierte Energiegüter) eine angemessene Inflationsanpassung der Gehälter garantieren kann. Die gegensätzlichen Darstellungen seitens der Befürworter und der Gegner lassen keine objektive Betrachtung der Auswirkungen des neuen Systems zu.
Bezüglich der zweiten Verhandlungsebene der Kollektivverträge (provinzial, betrieblich) lässt das neue Abkommen keine wesentlichen Verbesserungen erkennen. Der ASGB tritt für den konkreten Ausbau der lokalen Vertragsautonomie ein, weil dadurch den lokalen Gegebenheiten besser Rechnung getragen werden kann.
Die Regelungen für den öffentlichen Dienst im neuen Rahmenabkommen lehnt der ASGB ab, da mit keinem Wort auf die primäre Zuständigkeit Südtirols verwiesen wird. Eine Neuregelung der Kollektivvertragsverhandlungen kommt für den ASGB nur mit einem eigenen Landesabkommen in Frage. In diesem Zusammenhang fordert der ASGB auch den Ausbau der primären Zuständigkeiten für den Schulbereich.
Das Abkommen beinhaltet insgesamt wenig Konkretes und ist von seiner Substanz her dürftig im Vergleich zum Lohnkostenabkommen von 1993. Wichtige Themen wie die Regelung der prekären Arbeitsverhältnisse finden keine Erwähnung. Der ASGB bemängelt in erster Linie, dass ein Abkommen mit solcher Tragweite ohne den breiten Konsens der Arbeitnehmerschaft zustande gekommen ist.