Thema

Sonderurlaub für Arbeitnehmerinnen,
die in einer Gewaltsituation leben

Auch in Südtirol gibt es Gewalt gegen Frauen. Wie hoch die Dunkelziffer ist, weiß niemand genau. Laut Beobachtungsstelle des Sozialdienstes der Gemeinde Bozen haben im vorigen Jahr 135 Frauen um Hilfe angesucht. Laut ASTAT wendet sich in Südtirol nur jedes vierte Opfer an ein Frauenhaus. Die Kontaktstellen, wo Frauen und ihre Kinder Beratung, Unterkunft und Schutz finden können, sind sehr wichtig. Häusliche Gewalt ist die häufigste Form von Gewalt, die Frauen erleiden müssen. Meistens wird sie vom ehemaligen oder derzeitigen Partner ausgeübt.
Nun wurde italienweit eine weitere gesetzliche Hilfsmaßnahme für Frauen in Gewaltsituation eingeführt. Arbeitnehmerinnen, die Opfer von Gewalt sind, haben Anrecht auf einen bezahlten Sonderurlaub. Dieser Sonderurlaub umfasst drei Monate, der in einem Zeitraum von drei Jahren beansprucht werden kann. Die betroffene Frau muss in einem Schutzprojekt des Sozialdienstes oder eines Frauenhauses eingebunden sein. Der Sonderurlaub ist als bezahlte Freistellung von der Arbeit vorgesehen, damit die Betroffene die allgemeinen Maßnahmen die im Schutzprogramm enthalten sind, umsetzen kann. Er kann in Tagen oder auch in Stunden genutzt werden, je nach dem wie ihn die Frau laut Schutzprogramm braucht, um sich in der neuen Lebenssituation wieder zurecht zu finden.
Der Sonderurlaub kann von den Arbeitnehmerinnen in der Privatwirtschaft wie auch im öffentlichen Dienst beansprucht werden. Auch für die freien Mitarbeiter sowie jene mit Projektvertrag kann er genutzt werden. Einzige Ausnahme bilden die Hausangestellten, für sie gilt er nicht.
Da dieser Sonderurlaub vom NISF/INPS bezahlt wird, braucht es nicht zwingend die Genehmigung des Arbeitgebers. Allerdings muss eine Ankündigungsfrist von sieben Tagen eingehalten werden. Für das Ansuchen braucht es die entsprechende Dokumentation über die Schutzmaßnahmen. Rechtlich ist dieser Sonderurlaub dem Mutterschaftsurlaub gleich gestellt. Es steht während der Freistellung die gesamte Entlohnung zu, inbegriffen fixe und flexible Lohnelemente. Der Sonderurlaub zählt daher für den Urlaubsanspruch, für das 13. Monatsgehalt, für die Abfertigung und für den Besoldungsaufstieg. Rentenmäßig wird er mit figurativen Beiträgen abgedeckt.
Zudem haben die betroffenen Frauen das Recht, ihr Arbeitsverhältnis von Vollzeit in Teilzeit (oder umgekehrt) umzuwandeln. Dieses Recht beinhaltet auch die Rückkehr in die Vollzeitarbeit.
Der Sonderurlaub für Frauen, die in einer Gewaltsituation leben, steht auch dann zu, wenn er nicht im entsprechenden Kollektivvertrag enthalten ist. Natürlich können vertraglich bessere Bedingungen ausgehandelt werden, denn das Gesetz bestimmt immer nur einen Mindeststandard, der für alle gilt.

Landesbedienstete
INTERVIEW-ECKE

Kindergarten – wo gehen wir hin?

Interview mit: Frau Dr. Christa Messner, Kindergarteninspektorin Deutsches Schulamt und Frau Dr. Edith Ploner, Kindergarteninspektorin Ladinisches Schulamt

ASGB: Wie kann man aus Ihrer Sicht die aktuelle Qualität im Kindergarten beibehalten?
Dr. Messner: Vorausgeschickt: Die Einschränkung auf zwei bis fünf Zeilen sind der Darlegung des Sachverhalts nicht angemessen. Das zwingt mich zu einer entsprechenden Verdichtung und auch Verkürzung. Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur haben sich drastisch gewandelt. Die Arbeitswelt ist massiv im Umbruch, das führt zu Verunsicherungen, der Druck von Wirtschaft und Politik auf die Bildungswelt ist hoch. Diese wird durch enorme Veränderungsprozesse bestimmt, der Kindergarten ist als erste Bildungsinstanz besonders stark betroffen. Die Bildungsleistungen des Kindergartens stehen in hohem Zusammenhang mit den ihm zugestandenen Ressourcen. Es braucht in ausreichender Anzahl gut ausgebildete Pädagoginnen und die Rahmenbedingungen für die Arbeit müssen verbessert werden. Die Pädagoginnen sind der Schlüssel zur Qualität.

Dr. Ploner: Das wird zu einer großen Herausforderung werden. Abstriche am Zeitbudget der pädagogischen Fachkräfte haben grundsätzlich einen Preis. Wir arbeiten bestimmt an Optimierungsmöglichkeiten wie z. B. an einem effizienten Sitzungsmanagement bei den Teamsitzungen, an Organisationsmodellen und Zeitfenstern, die entlastend sein können, aber bestimmte Kernbereiche zusätzlich zur direkten Bildungsarbeit mit den Kindern müssen gewährleistet werden. Nach diesem 1. Jahr werden wir dann gezielter evaluieren.
ASGB: Wie soll die Zukunft unseres Kindergartens aussehen?
Dr. Messner: Es muss gelingen, die Arbeitszeit der Bildungstätigkeit mit den Kindern, eine höchst anspruchsvolle Aufgabe, zu verkürzen und es braucht Zeit für die Aufgaben ohne Kinder. Wo Arbeit geteilt wird, bedarf es der Koordination. Es gilt, die Attraktivität für die Arbeit im Kindergarten zu erhöhen und auch Männer für diesen Beruf zu gewinnen. Die Zusammenarbeit mit den Familien, die zunehmend heterogener werden, bedarf weiterhin hoher Beachtung; der Kindergarten erreicht alle Familien, ist ein anerkannter Ansprechpartner und prominenter Ort der Familienbildung


Dr. Ploner: Investition in frühe Bildung zahlt sich aus, das ist wissenschaftlich erwiesen. Die Kinder sollen weiterhin einen Lebens- und Lernort vorfinden, der auf ihre Bedürfnisse abgestimmt und förderlich für die eigene Entwicklung und für ihr Lernen ist. Der Kindergarten soll ein Ort der Begegnung und der tragenden Beziehungen sein, in dem Bildungspartnerschaft mit den Familien realisiert wird und tragende Brücken und Übergänge zur nächsten Bildungsstufe zum Wohle der Kinder geschaffen werden. Das Selbstvertrauen, die Neugierde und die Begeisterungsfähigkeit der Kinder sollen gestärkt und entwickelt werden. Vielleicht ist es sinnvoll, die Kindertagesstätten in den Kindergärten zu integrieren.
ASGB: Wie Sie wissen ist die aktuelle Debatte rund um den Kindergarten sehr stark. Es geht um die Arbeitsbedingungen des pädagogischen Personals der Kindergärten. Was ist Ihr Standpunkt dazu?
Dr. Messner: Kinder brauchen pädagogische Fachkräfte, die durch bessere Rahmenbedingungen entlastet werden, um die gesellschaftlichen Herausforderungen zu erfüllen. Die Anforderungen sind in den 266 Kindergärten unterschiedlich, an einigen Kindergärten gibt es auch gute Rahmenbedingungen. Der Personalschlüssel muss es ermöglichen, dass sich die Pädagoginnen dem Kind individuell zuwenden, mit den Kindern ungewöhnliche Wege gehen und nicht davon ablassen, die Entwicklung des einzigartigen Potentials eines jeden Kindes zu unterstützen.
Aufgrund der ökonomischen Krise ist die Anpassung der Rahmenbedingungen für die Arbeit im Kindergarten Jahr für Jahr aufgeschoben worden. Der qualitative Ausbau wird im deutschsprachigen Kindergarten vom quantitativen Ausbau überschattet, jedes Jahr wächst die Anzahl der Kinder. Allein der Zuwachs der Kinder hat in den letzten 15 Jahren einen hohen Stellenausbau im deutschsprachigen Kindergarten nach sich gezogen.

Dr. Ploner: Es braucht ein Arbeitszeitmodell, das im Bildungsbereich stärker integriert ist und sich diesem annähert. Das Arbeitspensum der Bildungsarbeit mit den Kindern ist meiner Meinung zu hoch, wenn wir weiterhin diese Qualität der Bildungsarbeit garantieren wollen. Wir haben zwei Berufsbilder, die es zu überdenken gibt. Es ist höchst an der Zeit, dass wir die Verhandlungen für einen neuen Arbeitsvertrag beginnen. Der Übergangsvertrag war ein erster Schritt dazu. Grundsätzlich müssen wir aber auch sagen, dass wir in Südtirol gute bis sehr gute Rahmenbedingungen vorfinden, was die Strukturen und die Organisation der Kindergärten anbelangt.
ASGB: Was möchten Sie dem pädagogischen Personal der Kindergärten auf dem Weg mitgeben?
Dr. Messner: Der Übergangsvertrag, der mit 1. September in Kraft getreten ist, ist der Auftakt zu den Verhandlungen, die einen größeren Zeitrahmen beanspruchen. Die politisch Verantwortlichen haben den Ernst der Lage erkannt und sind gewillt, Veränderungsprozesse einzuleiten. Kontroversen werden den Weg zu den Veränderungen bestimmen. Sorgen Sie dafür, Ihre Anregungen auf der Grundlage des größeren Ganzen zu formulieren und nicht Kraft für individuelle Lösungen zu verschwenden und zu wenig Ziel führenden Polarisierungen und Polemiken beizutragen. Bleiben Sie in Verbindung mit sich selbst, sorgen Sie bewusst für Ihre Regeneration und orientieren Sie sich an der Essenz der Aufgabe. Sie leisten Großartiges und wirken entscheidend auf die Zukunft ein. Meiner Unterstützung können Sie gewiss sein.


Dr. Ploner: Die Motivation nicht zu verlieren und Tag für Tag an der Selbstverwirklichung im und durch den Beruf zu arbeiten, aber auch auf sich zu schauen und auf die Grenzen der eigenen Belastbarkeit für jene, die fast grenzenlos „geben“. Das Minutenzählen ist meiner Meinung nach nicht zielführend für die eigene Berufszufriedenheit.

Vielen Dank für die
Zusammenarbeit!